Leitsatz (amtlich)

Zur Tragweite des sog. Spruchrichterprivilegs (hier: im Armenrechtsprüfungsverfahren alten Rechts und bei der Festsetzung der Entschädigung von Sachverständigen gemäß § 16 ZSEG).

 

Normenkette

GG Art. 97; BGB § 839

 

Verfahrensgang

LG Koblenz

OLG Koblenz

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil den 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 17. Februar 1982 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin macht Amtshaftungsansprüche wegen angeblich pflichtwidriger Handlungen von Richtern geltend.

Die Klägerin war Kommanditistin in einem Weinhandelsunternehmen. Nach ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft begehrte sie von ihren früheren Mitgesellschaftern Zahlung eines Auseinandersetzungsguthabens. Im ersten Rechtszug des Ausgangsrechtsstreits erklärte das Landgericht den Anspruch der Klägerin für dem Grunde nach teilweise gerechtfertigt; ein Teilbetrag der Klage und die Widerklage der Gegner der Klägerin wurden abgewiesen. Gegen dieses Urteil legten beide Parteien des Ausgangsrechtsstreits Berufung ein. Im Berufungsrechtszug, in dem die Sache von 1971 bis 1982 anhängig war, erließ der 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts unter dem 22. September 1972 einen Beweisbeschluß, durch den die Einholung verschiedener Sachverständigengutachten angeordnet wurde. Mit Beschluß vom 23. Mai 1973 wurde der Klägerin aufgegeben, einen Auslagenvorschuß von 21.000 DM für die Sachverständigen einzubezahlen. Die Klägerin widersprach der dieser Anforderung zugrunde liegenden Rechtsansicht über die Verteilung der Beweislast, zahlte aber den Vorschuß ein. Später wurden weitere Vorschüsse in Höhe von 27.423,80 DM von der Klägerin mit Kostenrechnung der Landesjustizkasse Mainz vom 14. April 1976 angefordert. Da die Klägerin den Betrag nicht bezahlte, stellte die Landesjustizkasse unter dem 15. November 1977 den Antrag, der Klägerin die eidesstattliche Versicherung abzunehmen.

Am 7. Oktober 1977 und danach beantragte die Klägerin mehrfach das Armenrecht. Sämtliche Anträge wurden zurückgewiesen, da die Klägerin nicht dargetan habe, daß sie arm sei.

Die Klägerin erblickt in Einzelheiten des Beweisverfahrens des Ausgangsrechtsstreite namentlich bei der Festsetzung der Entschädigung der Sachverständigen und in der Verweigerung des Armenrechts verschiedene vorsätzliche Amtspflichtverletzungen der beteiligten Richter.

Die Klägerin hat in Berufungsrechtszug beantragt,

  1. festzustellen, daß sie berechtigt sei, mit einer Schadensersatzforderung in Höhe von 27.423,80 DM gegen die Kostenrechnung der Landesjustizkasse Mainz – Az.: 76 VI 263617 – vom 14. April 1981 aufzurechnen,

    hilfsweise,

    den Beklagten zu verurteilen, sie von der genannten Kostenforderung der Landesjustizkasse Mainz freizustellen;

  2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 21.000 DM verauslagter Sachverständigenkosten zurückzuzahlen,

    hilfsweise,

    diesen Betrag für ggfls. neu zu bestellende Sachverständige zur Verfügung zu stellen,

  3. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet sei, ihr allen sonstigen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Versagung des Armenrechts sowie der Festsetzung von Gutachterkosten gemäß den vorherigen Anträgen zu 1) und 2) bereits entstanden sei und noch entstehen werde.

Das beklagte Land hat um Klagabweisung gebeten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 17. Februar 1982 zurückgewiesen.

Im Ausgangsrechtsstreit hat der 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts durch Urteil vom 16. Juli 1982 über die Rechtsmittel der Parteien entschieden. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluß von 19. Mai 1983 (II ZR 165/82 die Annahme der Revisionen abgelehnt.

Im hier anhängigen Rechtsstreit verfolgt die Klägerin mit ihrer Revision ihre Anträge weiter. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I.

Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht die Klage als unzulässig angesehen und zur Begründung ausgeführt, die Klageerhebung stelle einen Verstoß gegen Art. 97 Abs. 1 GG dar. Die richterliche Unabhängigkeit sei ein tragendes Element des Grundgesetzes. Der Richter müsse bei der Erfüllung seiner Ausgaben frei von jeder Beeinflussung oder Einmischung von außen sein, gleichgültig, von wem diese ausgehe. Dieser fundamentale Verfassungsgrundsatz gestatte auch nicht eine nur mögliche mittelbare Beeinflussung oder Einwirkung auf die Rechtsprechung. Jeder auch nur mittelbare Versuch der Beeinflussung der Rechtsprechung durch andere Organe des Staates oder auch durch eine Partei eines Verfahrens über die Rechtsprechung selbst – ausgenommen im zulässigen Instanzenzug – sei verfassungswidrig. Solange ein Rechtsstreit schwebe, dürfe mithin nichts geschehen, was die mit diesem Rechtsstreit befaßten Richter auch nur mittelbar in ihrer richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte. Der Schutzbereich des Art. 97 Abs. 1 GG beschränke sich nicht auf die dem sog. Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB unterliegenden Handlungen, sondern umfasse jede Maßnahme des rechtsprechenden Richters, die Grundlage seiner Entscheidung sei. Die von der Klägerin erhobenen Beanstandungen beträfen Maßnahmen, die auf jeden Fall Einfluß auf die Endentscheidung des Ausgangsrechtsstreite hätten oder haben könnten. Armenrechtsentscheidungen würden u.a. unter dem Blickwinkel der Erfolgsaussicht der Klage getroffen, in den Beweisbeschlüssen komme eine bestimmte Ansicht des Gerichts über die Beweislastverteilung zum Ausdruck. Auch die Festsetzung der Gebühren eines Sachverständigen falle in den Schutzbereich das Art. 97 Abs. 1 GG, weil sie wegen der mit ihr verbundenen Wertung (z.B. bezüglich der Brauchbarkeit und Verwertbarkeit des Gutachtens) Grundlage für die noch zu treffende Endentscheidung sei oder zumindest Einfluß auf diese habe oder haben könne und deshalb auch die Rechtsprechung betreffe. Ein Eingehen auf die Amtshaftungsklage der Klägerin würde daher eine unerträgliche Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit der mit der Ausgangssache befaßten Richter darstellen.

II.

Die Revision hat Erfolg.

1. Für die Entscheidung kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht die Klage zu Recht als unzulässig behandelt hat.

Es ist allerdings zweifelhaft, ob aus Art. 97 Abs. 1 GG hergeleitet werden kann, daß eine Amtshaftungsklage auf Schadensersatz wegen richterlicher Handlungen so lange unzulässig ist, wie das Verfahren, in dem diese Handlungen vorgenommen worden sind, nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Art. 97 Abs. 1 garantiert die sachliche Unabhängigkeit der Richter; die Vorschrift dient dem Schutz der rechtsprechenden Gewalt vor Eingriffen durch die Legislative und die Exekutive (BVerfGE 12, 71; vgl. auch BVerfGE 38, 1, 21; Kiesel GVG § 1 Rdn. 1, 9). Dagegen ist es schon im Ansatz fraglich, ob die Anrufung eines Gerichts und sein Tätigwerden überhaupt die Unabhängigkeit der Richter eines anderen Gerichts berühren können.

Art. 97 Abs. 1 GG verbietet es den Staatsorganen (zur – begrenzten – Drittwirkung der Bestimmung vgl., Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art. 97 Rdn. 12, 40 f.), auf einen Richter unmittelbar Einfluß zu nehmen in der Absicht, eine bestimmte Entscheidung in Einzelfalle zu erreichen (Maunz/Dürig/Herzog/Scholz a.a.O. Rdn. 22). Richterliche Unabhängigkeit bedeutet Weisungsfreiheit des Richters; Einwirkungen jeder Art, auch mittelbare, z.B. Ersuchen, Empfehlungen, Ratschläge, Anregungen und Bitten müssen generell unterbleiben (Kiesel a.a.O. Rdn. 39, 40; vgl. auch Löwe/Rosenberg/Schäfer 23. Aufl. § 1 GVG Rdn. 3; Doehring, das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. S. 240; Arndt, DRiZ 1971, 254, 259). Enthält Art. 97 Abs. 1 GG damit ein Verbot jeglicher sachfremder Einmischung im Wege der „Kabinetts- und Ministerialjustiz” (Löwe/Rosenberg/Schäfer a.a.O.), so will die Bestimmung eine Freiheit vor „rechtsfremden Einflüssen” sicherstellen (Merten, in: Festschrift Wengler 1973 Bd. II S. 519, 522). Weisungsfreiheit im eben beschriebenen Sinne bedeutet dagegen nicht Freiheit von Kritik, Verantwortung und gegebenenfalls Haftung. Richterliche Unabhängigkeit bietet auch keinen Schutz vor Inanspruchnahme wegen schuldhaften Amtspflichtverletzungen (Arndt a.a.O.; vgl. auch Bettermann, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte Bd. III 2. Halbbd. S. 575). Vieles spricht auch dafür, daß die fortdauernde Rechtshängigkeit des Ausgangsverfahrens einer Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen gegen schuldhaft pflichtwidriger Handlungen in diesem Verfahren grundsätzlich nicht entgegensteht. Andernfalls müßte ein von einer richterlichen Amtspflichtverletzung Betroffener unter Umständen jahrelang zuwarten, bis er seinen Schaden geltend machen könnte. Dies müßte nach den Ausführungen des Berufungsgerichts zu Art. 97 Abs. 1 GG selbst dann angenommen werden, wenn die Amtspflichtverletzung gerade in einer pflichtwidrigen Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amtes (vgl. § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB) bestünde.

Dem Berufungsgericht ist allerdings zuzugeben, daß das prozessuale Vorgehen der Klägerin erhebliche Bedenken aufwirft. Zumindest ein Teil ihrer Anträge war ersichtlich darauf ausgerichtet, auf das Ausgangsverfahren einzuwirken, auf Ablauf und Ausgang dieses Rechtsstreits Einfluß zu nehmen. Dies gilt namentlich für den Antrag Nr. 2, mit dem die Klägerin ihre vom 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts bejahte Vorschußpflicht (§§ 402, 379 ZPO, § 68 GKG) umzukehren versucht und zudem den Ausspruch erstrebt hat, die vom 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts eingeschalteten Sachverständigen seien nicht auftragsgemäß vorgegangen und hätten daher nicht entschädigt werden dürfen. Nichts anderes gilt für Antrag Nr. 1; wäre diesem Antrag stattgegeben worden, so hätte die Klägerin im Ausgangsrechtsstreit so gestanden, als wäre ihr vom 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts das Armenrecht gewährt worden (vgl. § 115 Abs. 1 Nr. 1 ZPO a.F.). In der Tat stellt sich bei diesen Begehren die Frage, ob hier nicht eine nur im Rahmen eines anhängigen Gerichtsverfahrens gegebene prozessuale Rechtsposition in ein privatrechtliches Gewand gekleidet wurde, um sie außerhalb dieses Verfahrens mit einer selbständigen Klage geltend machen zu können (vgl. Stein/Jonas/Schumann 20. Aufl. Einl. Rdn. 406). Dies könnte ein unzulässiger Versuch sein, die Entscheidung des gesetzlich zuständigen Richters durch Anrufung eines anderen Gerichts zu überspielen.

2. Einer abschließenden Entscheidung bedarf dieser Fragenkreis indes nicht.

Nachdem der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Annahme der Revisionen gegen das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Beratungsurteil abgelehnt hat, ist dieses Verfahren rechtskräftig abgeschlossen. Die Entscheidung über die geltend gemachten Amtshaftungsansprüche kann daher die Leitung und Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht mehr beeinflussen. Deshalb rechtfertigt der Gesichtspunkt einer unzulässigen Einwirkung auf ein anderes Verfahren die Abweisung der Klage als unzulässig jedenfalls jetzt nicht mehr. Daß der Beschluß des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs erst nach Erlaß des letzten tatrichterlichen Urteils in dem vorliegenden Verfahren ergangen ist, hindert seine Berücksichtigung durch den Senat nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 561 Abs. 1 ZPO einschränkend dahin auszulegen, daß von Amts wegen zu berücksichtigende Tatsachen vom Revisionsgericht auch berücksichtigt werden können, wenn sie sich erst während des Revisionsverfahrens ereignet haben (BGHZ 85, 288, 290 m.w.Nachw.). Um eine solche Tatsache handelt es sich bei der Beendigung des Ausgangsrechtsstreits, weil das Berufungsgericht in der Rechtshängigkeit dieses Verfahrens ein Prozeßhindernis für das vorliegende Verfahren gesehen hat.

III.

Das Urteil des Berufungsgerichts kann daher nicht bestehen bleiben.

Die Klägerin wird Gelegenheit haben, ihre Anträge der nunmehr entstandenen Lage anzupassen. Soweit dann noch erforderlich, wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob die Klägerin den Richtern des 2. Zivilsenats des Berufungsgerichts zu Recht Verletzungen ihrer Amtspflichten vorwirft. Dabei wird, soweit es sich um Schäden in Gestalt zu tragender Verfahrenskosten handelt, angesichts der in § 8 Abs. 1 GKG enthaltenen Regelung eins Amtspflichtverletzung objektiv nur angenommen werden können, wenn das Gericht gegen eine eindeutige gesetzliche Vorschrift verstoßen hat und der Verstoß auch offen zutage getreten ist (vgl. Hartmann, Kostengesetze 21. Aufl. § 8 GKG Anm. 2 B b aa; zu § 7 GKG a.F. vgl. auch BGH Beschl. vom 3. Oktober 1960 – III ZR 47/59 = KostRspr. GKG § 7 Nr. 3; Beschl. vom 24. September 1962 – VII ZR 20/62 = LM § 7 GKG Nr. 2; vom 18. November 1966 – Ia ZR 40/63 = KostRspr. GKG § 7 Nr. 22 und Urt. vom 7. März 1968 – III ZR 204/67 – KostRspr. GKG § 7 Nr. 26).

Bei der Prüfung des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB, über dessen Tragweite die Parteien streiten, wird zu beachten sein:

1. Bei der von der Klägerin in erster Linie angegriffenen Festsetzung (§ 16 ZSEG) der Entschädigung der Sachverständigen handelt es sich um eine richterliche Tätigkeit (Meyer/Höver ZSEG 15. Aufl. Rdn. 395). Damit ist indes noch nicht entschieden, ob es sich hierbei um ein „Urteil in einer Rechtssache” (§ 839 Abs. 2 Satz 1 BGB) oder jedenfalls um eine Maßnahme des Gerichts handelt, mit der es die Grundlagen für seine Entscheidung in der Hauptsache gewinnen will und die daher ebenfalls dem Spruchrichterprivileg unterliegt (vgl. Senatsurteil BGHZ 50, 14, 16; Bender, Staatshaftungsrecht 2. Aufl., Rdn. 639). Diese Frage wird zu verneinen sein, soweit das Gericht nur die Erforderlichkeit des vom Sachverständigen angegebenen Zeitaufwands zu überprüfen hat (vgl. Meyer/Höver a.a.O. Rdn. 392; Hartmann a.a.O. ZSEG § 3 Anm. 2 B a; § 16 Anm. 1). Anders wird es dagegen liegen, wenn es darum geht, ob die Entschädigung den Sachverständigen wegen inhaltlicher Mängel des Gutachtens (Meyer/Höver a.a.O. Rdn. 132), wegen Abweichens vom Gutachtenauftrag (Meyer/Höver a.a.O. Rdn. 135; Hartmann a.a.O. § 3 Anm. 2 B b bb) oder deshalb zu versagen ist, weil der Sachverständige die Unverwertbarkeit seines Gutachtens schuldhaft verursacht hat (Hartmann a.a.O. § 16 Anm. 2 C d). Bei diesen Fragen geht es im Kern darum, ob das Gutachten den Sachverständigen der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden kann; dann kann ein angeblicher Fehler des Gerichts aber auch nur unter den Voraussetzungen den § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB zu einer Haftung auf Schadensersatz führen.

2. Daß Entscheidungen den Gerichts im Armenrechtsprüfungsverfahren alten Rechts (§§ 114 ff. ZPO a.F.) kein „Urteil in einer Rechtssache” (§ 839 Abs. 2 Satz 1 BGB) darstellen, entspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Senatsurteil vom 5. Oktober 1959 – III ZR 111/58 – S. 4, insoweit nicht in NJW 1960, 98 und VersR 1960, 62 abgedruckt; vgl. auch BGB-RGRK 12. Aufl. § 839 Rdn. 521; Bender a.a.O. Rdn. 637). An dieser Auffassung ist entgegen der Ansicht des beklagten Landes festzuhalten. Armenrechtsbeschlüsse weisen in mehrfacher Hinsicht nicht die Markmale auf, die für ein „Urteil in einer Rechtssache” kennzeichnend sind (hierzu vgl. Senatsurteil BGHZ 51, 326 m.w.Nachw. aus der Rspr. des erkennenden Senats; ferner BGB-RGRK a.a.O. Rdn. 524; MünchKomm/Papier § 839 Rdn. 206). Gerichtliche Entscheidungen im Armenrechtsprüfungsverfahren alten Rechts können schon deshalb nicht als „Urteil in einer Rechtssache” angesehen werden, weil ihnen die dem Urteil vorbehaltene Rechtskraftwirkung (vgl. Senatsurteil BGHZ 51, 326, 329) fremd ist; das frühere Armenrecht konnte jederzeit entzogen werden, wenn sich ergab, daß eine Voraussetzung der Bewilligung nicht vorhanden war oder nicht mehr vorhanden ist (§ 121 ZPO a.F.; vgl. demgegenüber jetzt § 124 ZPO). Die Anwendung des Spruchrichterprivilegs auf Entscheidungen im Armenrechtsverfahren scheitert zudem daran, daß es sich hierbei nur formell um ein Gerichtsverfahren handelt; materiell liegt dagegen ein Antrag auf Gewährung einer Sozialleistung vor (vgl. BVerfGE 35, 348, 355, ferner Bettermann JZ 1962, 675; Dunz NJW 1962, 814, 815; ebenso schon Roquette JW 1936, 979; für das neue Recht vgl. Holch NJW 1981, 151, 154).

Bei der Prüfung der in der Verweigerung des Armenrechts liegenden angeblichen Amtspflichtverletzung wird das Berufungsgericht auch zu prüfen haben, ob der Klägerin das Armenrecht nicht auch deshalb zu versagen war, weil sie ihre – angenommene – Bedürftigkeit möglicherweise dadurch bewußt selbst herbeigeführt hat, daß sie den Hausanteil in D. erworben hat (vgl. Stein/Jonas/Leipold 20. Aufl. § 114 Rdn. 8; Wieczorek 2. Aufl. § 114 Anm. B II b 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann 38. Aufl. § 114 Anm. 2 A). Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls die Umstände des Erwerbs des Hausanteils zu prüfen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609537

VersR 1984, 77ff.

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