Leitsatz (amtlich)
›a) Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, daß seine sonst zuverlässige Bürovorsteherin auch eine ihr nur mündlich erteilte Anweisung befolgt.
b) Die anwaltliche Weisung zur Streichung und Neueintragung einer Frist im Fristenkalender ist nicht schon deshalb fehlerhaft, weil nicht in ihr, sondern durch eine generelle Anweisung des Rechtsanwalts die zeitliche Reihenfolge oder Ausführung vorgeschrieben ist.‹
Verfahrensgang
LG Kassel |
OLG Frankfurt am Main |
Tatbestand
Die Klägerin verlangt als Feuerversicherer der H. & P. Bauunternehmung GmbH & Co. KG in B. aus übergegangenem Recht (§ 67 VVG) von den beklagten Städtischen Werke AG in K. Ersatz des ihrer Versicherungsnehmerin bei einer Gasexplosion entstandenen Brandschadens mit der Behauptung, ein Mitarbeiter der Beklagten habe eine falsche Auskunft über eine im Erdreich verlegte Gasleitung erteilt und dadurch die Explosion verursacht. Das Landgericht hat der Klage mit einem der Beklagten am 31. Juli 1985 zugestellten Urteil in Höhe von 120.056,26 DM nebst Zinsen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die von der Beklagten am 2. September 1985, einem Montag, eingelegte und am 1. November 1985 begründete Berufung wegen Versäumung der Begründungsfrist unter Versagung der Wiedereinsetzung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie um Wiedereinsetzung bittet und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erstrebt.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hält die Berufung für unzulässig, da sie nicht innerhalb der bis zum 15. Oktober 1985 laufenden Frist begründet worden sei und dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattgegeben werden könne. Den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten treffe an der Fristversäumung ein Verschulden, das seiner Partei zuzurechnen sei und einer Wiedereinsetzung entgegenstehe. Daß der Anwalt einige Tage vor dem 2. Oktober 1985 seine Bürovorsteherin L. mündlich angewiesen habe, die im Fristenkalender für diesen Tag notierte Begründungsfrist zu streichen und als Fristablauf den 15. Oktober 1985 einzutragen bzw. zu prüfen, ob auch dieses Datum dort bereits vermerkt sei, was Frau L. dann aus von ihr als unerläßlich bezeichneten Gründen vergessen habe, reiche zur Wahrung der erforderlichen anwaltlichen Sorgfalt nicht aus. Dazu sei erforderlich gewesen, daß der Prozeßbevollmächtigte seine Weisung schriftlich in den Handakten erteilte, sofern er die Eintragung der Frist nicht persönlich überwachte. Anderes konnte möglicherweise gelten, wenn der Anwalt hätte sicher sein können, daß zum Zeitpunkt seiner Weisung auch der 15. Oktober 1985 bereits eingetragen gewesen sei. Das sei aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht als hinreichend glaubhaft anzusehen.
II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der gemäß § 547 ZPO zulässigen Revision nicht stand. Die Sache ist unter Gewährung der Wiedereinsetzung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, daß die Frist zur Begründung der Berufung mit dem 15. Oktober 1985 und damit vor Eingang der Begründungsschrift am 1. November 1985 abgelaufen war und daß die Wiedereinsetzung nach Behebung des Hindernisses am 18. Oktober 1985 mit dem am 1. November 1985 eingegangenen Schriftsatz gemäß § 234 Abs. 1 und 2 ZPO von den Beklagten rechtzeitig beantragt worden ist. Richtig ist auch die Erwägung, daß die Beklagte im Sinne des § 233 ZPO dann nicht ohne Verschulden verhindert war, die Begründungsfrist einzuhalten, wenn die Fristversäumung von ihrem Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt K., verschuldet worden ist (§ 85 Abs. 2 ZPO).
2. Nicht zu folgen ist aber der Auffassung der Berufungsrichter, daß Rechtsanwalt K. ein solcher Schuldvorwurf zu machen sei. Nach dem Sachverhalt, den die Beklagte gemäß § 294 Abs. 1 ZPO durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen und das Zeugnis der Bürovorsteherin L. in der nach § 236 Abs. 2 ZPO erforderlichen Weise glaubhaft gemacht hat, hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten bei der Bearbeitung der Berufung diejenige Sorgfalt aufgewandt, die von einem ordentlichen Anwalt erwartet werden kann, daß die Begründungsfrist nicht eingehalten worden ist, beruht hiernach ausschließlich auf einem Versehen der Bürovorsteherin L., das der Beklagten nicht zuzurechnen ist.
a) Daß Frau L. bei den Rechtsstreitigkeiten, in denen die Gerichtsferien Einfluß auf den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist haben konnten, mit Billigung des Rechtsanwalts K. und seines Partners, Rechtsanwalt R., die Frist zur Begründung des Rechtsmittels "grundsätzlich" in zweifacher Weise, nämlich ohne und mit Berücksichtigung der Gerichtsferien errechnet und an beiden so ermittelten Tagen im Fristenkalender eingetragen hat, begründet nicht etwa ein dem Rechtsanwalt vorzuwerfendes Verschulden in der Organisation seiner Kanzlei. Durch diese Handhabung wurde dem Anwalt die endgültige Entscheidung darüber überlassen, ob es sich um eine Feriensache handelte oder nicht. Das entsprach der gebotenen Sorgfalt (BGH, Beschlüsse vom 16. Februar 1983 - IVb ZB 6/83 - VersR 1983, 447, 448 und vom 26. November 1984 - II ZB 4/84 und 5/84 - VersR 1985, 168 m.w.N.).
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hält es der erkennende Senat auch nicht für pflichtwidrig, daß Rechtsanwalt K., als ihm die Handakten einige Tage vor der auf den 2. Oktober 1985 notierten Begründungsfrist vorgelegt wurden, Frau L. mit der Erklärung, die Frist laufe erst am 15. Oktober 1985 ab, (nur) mündlich anwies, die Frist vom 2. Oktober 1985 zu streichen und als Fristablauf den 15. Oktober 1985 zu notieren bzw. zu prüfen, ob auch dieser Tag bereits im Fristenkalender eingetragen sei.
aa) Diese Anweisung war nicht, wie die Revisionserwiderung geltend macht, schon deshalb fehlerhaft, weil sie Frau L. eine Erledigung ihrer Aufgaben in gefährlicher Reihenfolge dahin vorgeschrieben hätte, daß zunächst die eingetragene Frist zu streichen und erst dann die neue Frist zu notieren sei. Die Aufforderung an Frau L. bezeichnete vielmehr lediglich kumulativ die beiden auszuführenden Tätigkeiten, deren zeitliche Abfolge sich nach den vom Rechtsanwalt dazu allgemein erteilten Weisungen zu richten hatte. Insoweit hat die Beklagte durch Vorlage ergänzender eidesstattlicher Versicherungen glaubhaft gemacht, daß Frau L. bei Beginn ihrer Täigkeit von Rechtsanwalt K. generell angewiesen worden war, dann, wenn in einer Fristensache im Fristenkalender eine neue Frist einzutragen sei, zunächst diese Frist zu notieren und erst dann die bereits eingetragene Frist zu streichen, die Einhaltung der Anweisung war von dem Rechtsanwalt in unregelmäßigen Abständen überprüft worden, ohne daß sich Zuwiderhandlungen ergeben hatten. Diese generelle Anweisung war nach ihrem Inhalt und Zweck ersichtlich nicht, wie die Revisionserwiderung meint, auf Fälle beschränkt, in denen eine eindeutig bestimmte Begründungsfrist durch richterliche Verfügung verlängert wurde. Damit war der Wortlaut der Frau L. erteilten Weisung nicht zu beanstanden.
bb) Rechtsanwalt K. durfte auch davon ausgehen, daß Frau L. seiner Anweisung nachkommen würde. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, eine sonst zuverlässige Büroangestellte werde seine Weisungen befolgen. Dies gilt nicht nur für allgemeine Anweisungen, sondern erst recht dann, wenn der Anwalt in einem konkreten Einzelfall eine spezielle Weisung erteilt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Januar 1983 - VI ZB 18/82 - VersR 1983, 374, 375 m.w.N.8 - und vom 5. Juli 1983 - VI ZB 5/83 - VersR 1983, 838; BGH, Beschlüsse vom 25. November 1985 - II ZB 8/85 - VersR 1986, 345 und vom 27. Februar 1986 - III ZB 21/85 - VersR 1986, 764, 765). Diese Grundsätze sind, wie sich aus den Sachverhalten der vorgenannten Beschlüsse ergibt, auch auf mündliche Weisungen anzuwenden. Bei ihnen mag zwar, worauf das Berufungsgericht entscheidend abstellt, die Gefahr, vergessen zu werden, generell größer sein als bei schriftlichen Anweisungen. Für die Frage, ob eine (nur) mündliche Weisung der anwaltlichen Sorgfalt gerecht wird, ist aber nicht auf diese abstrakte Gefahr, sondern darauf abzustellen, ob nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falles die Befürchtung naheliegt, das Büropersonal werde einer nur mündlich erteilten Anweisung nicht nachkommen. Soweit in dieser Hinsicht vor der Neufassung des § 233 ZPO durch die Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 (BGBl. I 3281) nicht nur aufgrund besonderer Fallgestaltungen, sondern generell strengere Anforderungen gestellt worden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Januar 1962 - IV ZB 398/61 - VersR 1962, 326 und vom 7. Juli 1971 VIII ZB 20/71 - VersR 1971, 961, 962), kann daran für die Zeit nach dem 1. Juli 1977 nicht festgehalten werden.
Im Streitfall hatte Rechtsanwalt K. die Weisung seiner Bürovorsteherin L. erteilt, bei der es sich, wie die Beklagte glaubhaft gemacht hat, um eine erfahrene und sehr zuverlässige Mitarbeiterin handelte. Sie war nach ihrer im Frühjahr 1980 bestandenen Rechtspflegerprüfung zunächst bei verschiedenen Amtsgerichten tätig gewesen und zum 1. Oktober 1983 von Rechtsanwalt K. als Bürovorsteherin eingestellt worden. In der Anwaltskanzlei zählten Rechtsmittelsachen zur Routinearbeit, Frau L., deren Aufgabengebiet u.a. das Fristenwesen umfaßte, erledigte ihre Arbeit stets sorgfältig und korrekt, Überprüfungen gaben, insbesondere auch bei der Eintragung von Fristen und der rechtzeitigen Aktenvorlage, niemals Anlaß zu Beanstandungen. Unter diesen Umständen bestand für Rechtsanwalt K. im Hinblick auf die Person von Frau L. kein Anlaß zu der Annahme, sie werde der ihr mündlich erteilten Anweisung nicht nachkommen. In dieser Hinsicht liegt der Streitfall anders als der Sachverhalt in dem vom Berufungsgericht zitierten Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 1984 (VII ZB 18/83 - VersR 1984, 286), bei dem der Rechtsanwalt ein fehlerhaftes Abweichen seiner Gehilfin von allgemeinen Weisungen erkannt hatte und deshalb auch bei seiner späteren konkreten Weisung mit einem erneuten Versehen seiner Angestellten rechnen mußte. Befürchtungen, Frau L. werde der ihr mündlich erteilten Anweisung nicht nachkommen, waren auch weder wegen des Inhalts dieser Weisung noch aufgrund der Umstände geboten, unter denen sie ausgesprochen worden war. Bei der Eintragung der von einem Rechtsanwalt verfügten Frist in den Fristenkalender handelt es sich um eine verhältnismäßig einfache Aufgabe, deren Erledigung nicht nur - wie hier - einer erfahrenen Bürovorsteherin, sondern auch anderen geeigneten Büroangestellten übertragen werden darf (vgl. BGH, Beschluß vom 12. November 1969 - VIII ZB 35/69 - VersR 1970, 87). Der äußere Rahmen, in dem die klare und präzise Weisung erfolgte, stand ihrer (bloß) mündlichen Erteilung ebenfalls nicht entgegen. Sicherlich gibt es, was dem Berufungsgericht ersichtlich bei den von ihm herausgestellten vielfältigen Aufgaben des Büropersonals vor Augen gestanden hat, spezifische Situationen, in denen eine mündliche Anweisung leicht vergessen werden kann, etwa dann, wenn sie erfolgt, während die Bürokraft gerade mit anderen Angelegenheiten befaßt oder in sonstiger Weise abgelenkt ist. So lag der Fall hier jedoch nicht. Der Anweisung von Rechtsanwalt K. war nicht nur ein Gespräch über den Lauf der Begründungsfristen gerade dieser Sache vorausgegangen, sondern Frau L. war auch unter Übergabe der Handakten und damit gewissermaßen unter Aushändigung einer Gedächtnisstütze angewiesen worden, die Eintragung der Frist auf den 15. Oktober 1985 vorzunehmen. Wenn das Berufungsgericht trotz dieser besonderen Gegebenheiten verlangt, daß Rechtsanwalt K. seine Anweisung schriftlich hätte niederlegen müssen, so überspannt es die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht und fordert ein Verhalten, das, wie die Revision mit Recht geltend macht, das von gegenseitigem Vertrauen geprägte Arbeitsklima zwischen Anwalt und erfahrener Bürovorsteherin unverhältnismäßig beeinträchtigen könnte.
cc) Da Rechtsanwalt K., wie dargelegt, darauf vertrauen durfte, daß Frau L. seine mündliche Weisung ausführte, hängt die Frage seines Verschuldens auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, davon ab, ob er bei Erteilung der Anweisung sicher sein konnte, daß neben dem 2. Oktober 1985 auch der 15. Oktober 1985 bereits im Fristenkalender eingetragen war. Aus demselben Grunde brauchte Rechtsanwalt K. die Ausführung seiner Anweisung auch nicht persönlich zu überwachen.
III. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Gemäß § 233 ZPO ist der Beklagten, da insoweit Entscheidungsreife besteht, Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Im übrigen ist die Sache nach § 565 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2992911 |
NJW 1988, 1853 |
BGHR ZPO § 233 Feriensache 2 |
BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 5 |
AnwBl 1988, 244 |
MDR 1988, 219 |
VersR 1988, 185 |
Warn 1987, 299 |