Leitsatz (amtlich)
Hat das Revisionsgericht Rügen gegen die Auslegung eines Testaments für unbegründet erachtet, das Urteil aber aus dem Gesichtspunkt der Anfechtung aufgehoben, so ist das Berufungsgericht nach Zurückverweisung nicht gehindert, das Testament anders auszulegen (Abgrenzung z. BAG AP ZPO § 565 Nr. 1).
Normenkette
ZPO § 565 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 18.05.1965) |
LG Oldenburg |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Oldenburg vom 18. Mai 1965 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind die Kinder des am 18. Januar 1957 verstorbenen Landwirts Gerhard B. (Erblasser). Zu seinem Nachlaß gehörte neben dem Grundbesitz S. Nr. 63 (1,58 ha mit Wohnhaus und Stallungen) eine Kapitaleinlage als Kommanditist bei dem Kalksandsteinwerk Bo. KG zum Nominalwert von 18.900 DM. Nach dem Testament vom 26. Juli 1947 ist die Beklagte Erbin des Vaters. Sie ist nach §II dieses Testaments zur Zahlung eines Vermächtnisses an ihre Geschwister (Kläger 1–3) verpflichtet. § II lautet:
„Meine Erbin ist verpflichtet, an ihre Geschwister
- …
- …
- …
je ein Drittel des Nachlaßwertes zu zahlen der sich nach Abzug des Wertes meines Grundbesitzes S. Nr. 63 einschließlich des toten und lebenden Inventars ergibt.”
Nach dem Gesellschaftsvertrag gilt beim Tode eines Gesellschafters dieser Gesellschafter mit dem Abschluß des Geschäftsjahres, in dem der Tod erfolgt, als ausgeschieden; bis zu diesem Zeitpunkt wird die Mitgliedschaft des Verstorbenen durch seine Erben fortgesetzt. Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters ist für sein Guthaben die für den Schluß des Geschäftsjahres, in den das Ausscheiden erfolgt, von der Gesellschafterversammlung festgelegte Bilanz und das auf Grund dieser Bilanz festgestellte Guthaben des Gesellschafters für die Auseinandersetzung ausschließlich maßgebend.
Im Zusammenhang mit der Bestimmung des für die Vermächtnisansprüche maßgebenden Nachlaßwerts streiten die Parteien darum, ob nur der Gewinn, der bis zum Erbfall, also in der Zeit vom 1. bis 18. Januar 1957 angefallen ist (955,80 DM), zu berücksichtigen ist, oder auch der Gewinn in den „Nachlaßwert” einzubeziehen ist, der auf die restliche Zeitspanne des Jahres 1957 entfallt (vom 19. Januar bis 31. Dezember 1957: 18.426,20 DM).
Die Kläger verlangen mit der Klage auf Grund des Vermächtnisses annähernd je einen Geldbetrag in Höhe eines Drittels des auf die Zeit vom 19. Januar bis 31. Dezember 1957 entfallenden Gewinns, nämlich je 6.141,70 DM, während die Beklagte beantragt hat, die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten blieb zuerst ohne Erfolg. Auf die Revision der Beklagten wurde das Urteil des Berufungsgerichts durch das Urteil des Senats vom 8. März 1961 – V ZR 196/59 – aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das zweite Berufungsurteil wurde auf die Revision der Beklagten erneut aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (Urteil des Senats vom 25. November 1964 – V ZR 168/62). Auf den Inhalt beider Revisionsurteile wird Bezug genommen.
Nunmehr hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.
Die Kläger erstreben mit der Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Parteien streiten darüber, ob nach dem Willen des Erblassers der für die Zeitspanne von seinen Todestag bis zum Ende des Todesjahres auf seinen Kapitalanteil entfallende Gewinn zu dem für die Berechnung der Vermächtnisse maßgebenden Nachlaß zu rechnen ist oder nicht. In den beiden ersten vorausgegangenen Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht diesen Gewinn mitgerechnet, im ersten Urteil mit der allein auf seine Auslegung des Gesellschaftsvertrages gestützten Feststellung, der Beklagten hätte nur das Hofsvermögen verbleiben sollen, im zweiten Urteil unter Auslegung des Testaments und Berücksichtigung der Vorstellung des Erblassers über die Vorschriften und die Handhabung des Gesellschaftsvertrages in Verbindung mit den Aussagen des Zeugen P. über den in den Augen des Erblassers maßgebenden Stichtag, Die Angriffe der Revision der Beklagten gegen die Auslegung im zweiten Berufungsurteil waren erfolglos; die zweite Revision führte zur Zurückverweisung, weil das Berufungsgericht den Sachvortrag der Beklagten nicht auch unter dem Gesichtspunkt der Anfechtung geprüft hatte.
Nunmehr kommt das Berufungsgericht, das sich nach Aufhebung der beiden vorausgegangenen Berufungsurteile in vollem Umfang an seine frühere Auslegung nicht gebunden sieht, nach erneuter Prüfung des gesamten Prozeßstoffes zu einem anderen Auslegungsergebnis in dem umstrittenen Punkt: Weder ergebe sich aus dem Testament noch aus sonstigen feststellbaren Umständen ein Anhalt dafür, daß der Erblasser bei der Ermittlung des Nachlaßwertes für die Berechnung der den Klägern auszuzahlenden Vermächtnisse seine Beteiligung bei der Kommanditgesellschaft anders als mit dem Buchwert habe gewartet wissen und insbesondere den Klägern auch den Gewinn habe zuwenden wollen, den die Beklagte nach seinem Tode dadurch erzielen würde, daß sie selbst weiterhin als Kommanditistin an der Gesellschaft beteiligt geblieben sei und immerhin auch das Risiko eines Verlustes getragen habe. Demgegenüber seien die Bekundungen des Zeugen P. keine ausreichend zuverlässige Grundlage für die tatsächlichen Feststellungen.
II.
1. Die Revision greift das Urteil zuerst unter dem Gesichtspunkt der Bindung des Berufungsgerichts an seine frühere, vom Revisionsgericht gebilligte Auslegung des Testaments an. Die Rechtsprechung, das Berufungsgericht sei nach § 565 Abs. 2 ZPO nur an diejenige rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung seines früheren Urteils unmittelbar zugrunde liege, bedürfe der Überprüfung im Sinne der Ausführungen Böttichers, wonach die Entscheidung des Revisionsgerichts in dieser Richtung den Charakter eines Zwischenurteils habe (MDR 1961, 805, 807 ff). Einer abschließenden Untersuchung, wie im Einzelfall die unmittelbare Grundlage der Aufhebung abzugrenzen ist (vgl. BGHZ 3, 321; 6, 76 mit Anm. Ascher in DM ZPO § 565 Abs. 2 Nr. 5; BGHZ 22, 370 mit Anm. Johannsen in LM ZPO § 565 Abs. 2 Nr. 6), bedarf es im vorliegenden Falle jedoch nicht. Das zweite Berufungsurteil ist aufgehoben worden, weil teils die festgestellten Tatsachen, teils die unter Beweis gestellten Behauptungen der Beklagten ihre später erklärte Irrtumsanfechtung zu rechtfertigen geeignet sein konnten, das Berufungsgericht jedoch den Sachverhalt unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt nicht ausreichend gewürdigt hatte. Die vorausgehende Stellungnahme des Revisionsgerichts in diesem Urteil zu der früheren Auslegung des Testaments durch das Berufungsgericht liegt der Aufhebung nicht zugrunde; die diesbezüglichen Ausführungen des Revisionsgerichts enthalten entsprechend den damaligen Revisionsangriffen nur eine Prüfung auf erschöpfende Würdigung des Prozeßstoffes, auf denkgesetzliche Zusammenhänge und auf den Umfang der Bindung an das erste Revisionsurteil. Der Umstand, daß diese Auslegung im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung möglich, daher revisionsrechtlich unangreifbar und für das Revisionsgericht bindend war, kann nach Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung keine Bindung des Berufungsgerichts an seine früher getroffene Auslegung schaffen, auch nicht etwa um deswillen, weil die nach dem Sachverhalt in Betracht zu ziehende Anfechtung des Testaments eine bestimmte Auslegung zur Voraussetzung hat. Dafür besteht im übrigen auch kein zwingendes Bedürfnis, weil das Berufungsgericht nach einer Zurückverweisung in der tatrichterlichen Würdigung im Interesse einer zusammenfassenden Prüfung des gesamten Sachverhalts frei bleiben muß, und zwar ungeachtet des Umstands, ob eine Partei neue Tatsachen vorgetragen hat oder nicht. Schließlich könnt eine solche Bindung auch nicht in Betracht, weil das Berufungsgericht nach der Zurückverweisung nur an eine bestimmte rechtliche Beurteilung gebunden sein kann (§ 565 Abs. 2 ZPO).
Die von der Revision angezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 1961 (AP ZPO § 565 Nr. 1) steht den nicht entgegen. In diesem Fall ließ sich, ähnlich dem in BGHZ 6, 321 veröffentlichten, die der Aufhebung unmittelbar zugrunde liegende Rechtsansicht des Revisionsgerichts nicht von der vorhergehenden Rechtsansicht trennen, die den Weg zu jener Rechtsansicht erst eröffnet hat. Es handelte sich um die Entscheidung zweier, unter dem maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkt der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung zusammengehöriger Rechtsfragen. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
2. Die übrigen Rügen der Revision richten sich gegen die Auslegung des Testaments durch das Berufungsgericht, die jedoch vom Revisionsgericht nur beschränkt nachprüfbar ist, nämlich auf Verstöße gegen Auslegungsregeln, Denkgesetze sowie auf unzureichende Berücksichtigung der vorgetragenen Tatsachen.
Das Berufungsgericht geht bei seiner Auslegung von den Verhältnissen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung aus. In diesem Zeitpunkt lief die testamentarische Regelung im Hinblick auf das Wertverhältnis von Landstelle und Gesellschaftsanteil sowie auf die Ertragsverhältnisse des Sandsteinunternehmens im Ergebnis allerdings darauf hinaus, daß der Beklagten nur der Wert der Landstelle mit Inventar ungekürzt verbleiben sollte. Diese Wirkung sei jedoch, würdigt das Berufungsgericht den Erblasserwillen, entgegen der Meinung der Kläger vom Erblasser nicht als solche bezweckt gewesen; auch aus der zutreffenden, späteren Einsicht des Erblassers in die wirtschaftliche Entwicklung (Umkehrung des Wertverhältnisses zwischen Landstelle und Gesellschafteranteil) und aus der Tatsache, daß der Erblasser gleichwohl von entsprechenden, später geplanten Anpassungen des Testaments abgesehen habe, könne nicht geschlossen werden, daß der Beklagten auch unter diesen Verhältnissen nur die Landstelle verbleiben sollte. Nach der Erörterung verschiedener Anhaltspunkte dafür, daß der Erblasser bei der Bemessung des für die Vermächtnisberechnung maßgebenden Nachlaßwertes den in ihrer Person entstandenen Gewinn in der Zeit vom Erbfall bis zum Jahresende nicht berücksichtigt wissen wollte, ohne jedoch darüber abschließende Feststellungen zu treffen, kommt das Berufungsgericht schließlich zu den Ergebnis, es ergebe sich jedenfalls weder aus dem Testament selbst noch aus sonstigen Umständen ein Anhalt dafür, daß den Klägern über ihr Vermächtnis ein Vermögenswert zufließen sollte, der nicht zum Nachlaß gehöre, nämlich der Gewinn, den die Beklagte selbst nach dem Tode des Erblassers in ihrer nach den Gesellschaftsvertrag bis zum Jahresende aufrechterhaltenen Eigenschaft als Gesellschafterin erzielte.
Auch diese Auslegung des Testaments ist im Rahmen tatrichterlicher Würdigung des Erblasserwillens nicht ausgeschlossen. In der Revisionsinstanz nachprüfbare materielle Rechtsverstöße oder Verfahrensverstöße, wie sie oben dargelegt wurden, hat die Revision nicht dartun können. Sie greift im wesentlichen die Erörterungen des Berufungsgerichts an, die es anhand der geplanten Testamentsänderungen über gewisse Vorstellungen des Erblassers angestellt hat, deren Erheblichkeit das Berufungsgericht aber letztlich selbst dahingestellt gelassen hat und auf denen das Urteil schon nach der eigenen Darstellung des Berufungsgerichts nicht beruht. Das gilt für die Erwägungen über die Besserstellung der Beklagten, über die Gründe, die den Erblasser veranlaßt haben können, die geplanten Testamentsänderungen nicht durchzuführen, und schließlich über seine Vorstellungen darüber, welche Person die Gesellschaft nach seinem Tod an seiner Stelle in die Gesellschaft aufnehmen werde (einschließlich der Aussagen des Zeugen Boedeker vom 28. Januar 1959).
Einzuräumen ist der Revision, daß das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung im Testament und die nach den Feststellungen des Tatrichters vom Erblasser ins Auge gefaßte Unterscheidung zwischen dem Wert des Gesellschaftsanteils und den daraus sich ergebenden Gewinnaussichten nicht zu der vom Berufungsgericht schließlich getroffenen Auslegung zwingt. Dies ist aber auch nicht erforderliche Entscheidend ist, daß das Berufungsgericht den gesamten Sachvortrag im Rahmen der ihn obliegenden tatrichterlichen Würdigung geprüft und seine Auslegung in den hier maßgebenden Punkt danach ohne Verstoß gegen Auslegungsgrundsätze gewonnen hat.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO.
Unterschriften
Dr. Augustin, Dr. Freitag, Dr. Mattern, Hill, Offterdinger
Fundstellen
Haufe-Index 1502175 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1969, 563 |