Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Juli 1999 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels sowie die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen zuungunsten des Angeklagten eingelegte – auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte – Revision der Staatsanwaltschaft hat in der Sache Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte in der Nacht vom 24. zum 25. Februar 1998 gegen vier Uhr die Nebenklägerin vor dem Lokal „Style” in Berlin angesprochen. Er lud sie zu einem gemeinsamen Besuch einer Diskothek ein, was die Nebenklägerin auch annahm. Da der Angeklagte vor der Fahrt zu der Diskothek noch etwas aus seiner in der Nähe liegenden Wohnung holen wollte, gingen sie zunächst dorthin. Die Nebenklägerin, die erst vor dem Haus warten wollte, ließ sich dabei vom Angeklagten in seine Wohnung bitten und stand dort im Flur, während der Angeklagte sich in einem seiner beiden Zimmer aufhielt. Nun entschloß sich die Nebenklägerin – entgegen ihrer zunächst dem Angeklagten gegebenen Zusage –, nicht mehr in die Diskothek, sondern nach Hause zu gehen. Als sie dies dem Angeklagten mitteilte, fiel dieser aus Wut über sie her, drückte sie gewaltsam zu Boden und schlug mit dem Absatz eines in der Nähe stehenden Cowboystiefels, den er ergriffen hatte, auf die Nebenklägerin ein. Der Angeklagte öffnete ihre Jacke, Bluse sowie ihre Hose und drang mit seinem erigierten Geschlechtsteil kurz in ihre Scheide ein. Die Nebenklägerin, die zunächst mit dem ihr körperlich überlegenen Angeklagten kämpfte, redete nunmehr beruhigend auf diesen ein. Es gelang ihr dabei, sich ein Stück zur Wohnungstür hin zu bewegen, diese zu öffnen und ein- bis zweimal laut um Hilfe zu rufen. Der hierdurch in noch stärkeren Zorn versetzte Angeklagte packte daraufhin die Nebenklägerin am Haaransatz über der Stirn und schlug sie mit dem Kopf heftig gegen die Wand oder einen anderen festen Gegenstand. Schließlich drückte er mit seiner Hand links und rechts gegen ihren Hals, so daß die Nebenklägerin Mühe hatte, Luft zu holen und den Kopf nicht mehr ohne Schmerzen zu drehen vermochte. Der Angeklagte setzte sich auf ihre Schultern und erzwang dann den Oralverkehr, den er bis zum Samenerguß durchführte, wobei er in das Gesicht und den Mund ejakulierte. Anschließend gelang es der Nebenklägerin zu fliehen.
Die Nebenklägerin erlitt Schwellungen im Bereich des Kopfes und des Gesäßes. In Folge der Tat litt sie längere Zeit unter Kopfschmerzen und Depressionen. Nach einem Selbstmordversuch, für den das Tatgeschehen mitursächlich war, befindet sie sich noch in therapeutischer Behandlung.
2. Das Landgericht ist im Rahmen der Strafzumessung von der Anwendung des § 177 StGB n.F. als milderem Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) ausgegangen. Es liege zwar der Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 StGB n.F. vor, trotz vollzogenem Vaginal- und Oralverkehr sei jedoch ein minder schwerer Fall gegeben, weil der nicht vorbestrafte Angeklagte alkoholisiert (1,73 [permil]) gewesen sei, die Geschädigte sich leichtfertig verhalten habe, indem sie wenigstens objektiv in dem Angeklagten Hoffnungen geweckt habe, der Angeklagte geständig gewesen sei und sich im Vergleichswege zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 10.000,– DM verpflichtet habe. Innerhalb des sich nach § 177 Abs. 5 zweiter Halbsatz StGB n.F. ergebenden Strafrahmens von einem bis zu zehn Jahren sei die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren angemessen, die zur Bewährung ausgesetzt werden könne.
II.
Die Strafzumessung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Das Landgericht hat allerdings zu Recht das Qualifikationsmerkmal des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB n.F. (in der seit 1. April 1998 geltenden Fassung der 6. Strafrechtsänderungsgesetzes) angenommen. Der vom Angeklagten als Schlaginstrument eingesetzte Cowboystiefel stellt ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift dar (vgl. BGH NJW 1998, 2915, 2916).
2. Die Bestimmung des Strafrahmens durch das Landgericht und die Strafzumessung begegnen jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Bedeutung des Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB n.F. weder im Rahmen der Bestimmung des Strafrahmens nach § 177 Abs. 5 StGB n.F. noch bei der konkreten Strafzumessung bedacht wurde.
a) Das Vorliegen dieses Regelbeispiels schließt die Annahme eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 5 zweiter Halbsatz StGB n.F. nicht grundsätzlich aus (so aber wohl Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl. § 177 Rdn. 35), wird aber vielfach der Annahme eines minder schweren Falles entgegenstehen.
Für die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann, ist – wie sonst auch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – maßgebend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorhandenen Fälle so sehr abweicht, daß die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (BGHR StGB § 177 Abs. 2 – Strafrahmenwahl 1, 5, 6, 8, 10). Dabei ist als tatbezogener Umstand auch die Verwirklichung eines Regelbeispiels als schulderschwerender Gesichtspunkt in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen (BGH, Beschluß vom 12. Januar 2000 – 3 StR 363/99 –). Der in dem Regelbeispiel benannte Strafschärfungsgrund kann aber dennoch durch strafmildernde Gesichtspunkte in einer Weise überlagert werden, daß die Annahme eines minder schweren Falles möglich bleibt. Der Qualifikationstatbestand des Absatzes 4 der Neufassung des § 177 StGB knüpft an der Verwirklichung des Grundtatbestandes des Absatzes 1 an, der durch ein besonders gefährliches und brutales Vorgehen des Täters sein Gepräge erlangt. Deshalb kann im Zusammenhang mit weiteren Milderungsgründen, wenn etwa die Gewaltkomponente vom Durchschnitt der vorkommenden Fälle erheblich abweicht, die Annahme eines minder schweren Falles auch dann gerechtfertigt sein, wenn die im Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB n.F. vorausgesetzte besondere Intensität der erzwungenen sexuellen Handlung erreicht ist.
Soweit der Tatrichter im Falle der Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des Absatzes 4 einen minder schweren Fall im Sinne des Absatzes 5 annehmen will, hat er, wenn ein Regelbeispiel nach Absatz 2 gegeben ist, besonders darauf Bedacht zu nehmen, daß Absatz 2 einen schärferen Strafrahmen als Absatz 5 zweiter Halbsatz vorsieht. Andernfalls entstünde nämlich ein Wertungswiderspruch, weil derjenige Täter, der zusätzlich noch einen Qualifikationstatbestand erfüllt, im Falle der Verwirklichung eines Regelbeispieles günstiger gestellt wäre als derjenige Täter, der kein Qualifikationsmerkmal verwirkt hat. Bei dem Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB n.F. liegt die Rechtfertigung für die regelmäßig erhöhte Strafe in der besonderen Schwere der erzwungenen sexuellen Handlung, während der Qualifikationstatbestand des Absatzes 4 eine Vergewaltigung nicht voraussetzt.
b) Wählt der Tatrichter danach den Strafrahmen des Absatzes 5, so hat er die Untergrenze des § 177 Abs. 2 StGB n.F. zu beachten, wenn dieser Strafrahmen ohne das Vorliegen der Qualifikation des Absatzes 4 gegeben wäre. Mit diesem systematischen Zusammenhang hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Aufgrund des im vorliegenden Fall vollzogenen Vaginal- und Oralverkehrs war das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB n.F. (zweifach) erfüllt. Im Hinblick auf das Gewicht der erzwungenen sexuellen Handlungen sind keine schuldmindernden Umstände erkennbar, die eine Abweichung von der in Absatz 2 vorgesehenen Strafuntergrenze rechtfertigen könnten.
3. Auch bei der Anwendung des älteren Rechts (in der Fassung vom 1. Juli 1997) wäre eine Unterschreitung des durch das Vorliegen eines Regelbeispiels (§ 177 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB a.F.) ausgelösten Strafrahmens – wie sie der Tatrichter hier für vertretbar erachtet hat – rechtsfehlerhaft. Insoweit verbietet es sich aufgrund des Tatbildes ebenfalls, ausnahmsweise von der Anwendung des Strafrahmens nach § 177 Abs. 3 StGB a.F. abzusehen.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Nack, Tepperwien, Raum
Fundstellen
Haufe-Index 556878 |
NStZ 2000, 419 |
StV 2000, 306 |
www.judicialis.de 2000 |