Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 23.05.2017) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 23. Mai 2017 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 101 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, und angeordnet, dass – „wegen der langen Verfahrensdauer” zwischen Anklageerhebung und Urteilsverkündung – sechs Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, die sich auf die Sachrüge und vier Verfahrensrügen stützt. Sein Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
Rz. 2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 3
Der Angeklagte war bis Oktober 2011 Angestellter der Verbandsgemeinde B. und dort unter anderem dafür verantwortlich, bei der Ordnungsbehörde die Kasse für mit Bargeld entrichtete Gebühren und Geldbußen sowie für – von der Verbandsgemeinde zugunsten der Stadt B. in bar vereinnahmte – Parkplatzmieten zu führen. Er war zuständig für die wöchentlichen Abrechnungen der Kasse.
Rz. 4
Um sich eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und nicht unerheblicher Dauer zu verschaffen, entnahm der Angeklagte ab Januar 2007 aus dem Kassenbestand Bargeldbeträge; möglicherweise enthielt er auch der Kasse von ihm für die Verbandsgemeinde entgegengenommene Barzahlungen vor. In der Zeit vom 4. Januar 2007 bis zum 15. September 2011 gab der Angeklagte wahrheitswidrig bei 101 wöchentlichen Abrechnungen gegenüber der Zentralkasse nur die um die entsprechenden Fehlbeträge gekürzten Einnahmen an. Durch sein pflichtwidriges Verhalten entstand der Verbandsgemeinde ein Schaden von insgesamt 51.110 EUR.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Das Rechtsmittel des Angeklagten hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, die Strafkammer habe in rechtsfehlerhafter Weise ein Selbstleseverfahren angeordnet und damit § 249 Abs. 2 StPO verletzt.
Rz. 6
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Rz. 7
Im Hauptverhandlungstermin am 21. März 2017 ordnete der Vorsitzende, wie in seiner Verfügung vom 17. März 2017 angekündigt, gemäß § 249 Abs. 2 StPO die Durchführung eines Selbstleseverfahrens an. Die Anordnung lautete – soweit für die revisionsrechtliche Beurteilung von Relevanz – wie folgt:
Rz. 8
„… Folgende Urkunden sind Gegenstand des Selbstleseverfahrens:
Rz. 9
Gegen die Anordnung des Vorsitzenden erhob der Angeklagte unverzüglich Widerspruch, woraufhin die Strafkammer sie durch Beschluss bestätigte. Mit Verfügung vom 24. März 2017 teilte der Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten mit, die in der Selbstleseanordnung vom 21. März 2017 genannten Urkundenkonvolute stünden in der Zeit zwischen dem 28. und dem 30. März 2017 im Gerichtsgebäude zur Einsichtnahme bereit. Der Angeklagte und seine Verteidiger nahmen am 30. März 2017 in die vollständig zur Verfügung gestellten Urkunden, insbesondere in die genannten Fallakten und Ordner, Einsicht.
Rz. 10
In der Hauptverhandlung vom 6. April 2017 traf der Vorsitzende gemäß § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die Feststellung, dass alle in das Selbstleseverfahren einbezogenen Ordner, Fallakten, das Kassenbuch und die Journalrolle sowie zwei Ausfertigungen des Beschlusses vom 21. März 2017 in der Zeit vom 28. bis 30. März 2017 für die Kammermitglieder und alle übrigen Verfahrensbeteiligten zur Einsichtnahme bereit gelegen, die Richter und die Schöffen vom Wortlaut der entsprechenden Urkunden Kenntnis genommen und der Angeklagte, seine Verteidiger und die Staatsanwaltschaft Gelegenheit hierzu gehabt hätten.
Rz. 11
2. Die Revision hat das Vorgehen der Strafkammer als rechtsfehlerhaft gewertet, weil es § 249 Abs. 2 StPO verletzt habe. Denn für die Verfahrensbeteiligten sei aus der Selbstleseanordnung vom 21. März 2017 selbst nicht ersichtlich gewesen, welche Schriftstücke genau vom Selbstleseverfahren erfasst worden seien. Hinsichtlich der Fallakten und Ordner habe der Vorsitzende eine Formulierung gewählt, nach der nur diejenigen Teile dieser Urkundenkonvolute bezeichnet worden seien, die nicht Gegenstand des Selbstleseverfahrens hätten sein sollen. Da in der Verfügung weder der Gesamtinhalt (insbesondere die Seitenzahl) noch der Stand der Aktenbände angegeben sei, sei es auch für das Revisionsgericht nicht möglich nachzuvollziehen, welche einzelnen Dokumente Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen seien. Ihm sei, weil es sich bei der Frage, welche Schriftstücke durch Selbstverlesung in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien, um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 Abs. 1 StPO handele und daher die Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 Satz 1 StPO gelte, der Blick in die Akten verwehrt.
Rz. 12
3. Die zulässige Verfahrensrüge erweist sich als unbegründet.
Rz. 13
a) Die Rüge richtet sich gegen das von der Strafkammer durchgeführte Selbstleseverfahren allein unter dem Gesichtspunkt der unzureichenden Bezeichnung der Urkunden in der durch Gerichtsbeschluss bestätigten Anordnung des Vorsitzenden, weil die bloße Benennung von Urkundenkonvoluten nicht den Bestimmtheitsanforderungen genüge, jedenfalls wenn er mit einem negativen Ausschluss nicht erfasster Dokumente verbunden sei. Mit dieser Stoßrichtung wird das Selbstleseverfahren selbst beanstandet, indem gerügt wird, die Anordnung des Vorsitzenden sei verfahrensfehlerhaft ergangen. Die hiermit geltend gemachte Verletzung des § 249 Abs. 2 StPO kann einen relativen Revisionsgrund darstellen (vgl. MüKoStPO/Kreicker, § 249 Rn. 82). Eine auf § 261 StPO gestützte Inbegriffsrüge, von der Anordnung des Vorsitzenden seien bestimmt bezeichnete Urkunden nicht erfasst gewesen und dennoch im Urteil verwertet worden, hat der Beschwerdeführer hingegen nicht erhoben.
Rz. 14
b) Mit ihrer Stoßrichtung ist die Rüge zulässig, weil der Sachverhalt, insbesondere die Anordnung des Vorsitzenden, der gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderliche Widerspruch sowie der darauf folgende Gerichtsbeschluss, vollständig vorgetragen worden sind (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 15
c) In der Sache dringt die Verfahrensbeanstandung allerdings nicht durch.
Rz. 16
aa) In rechtlicher Hinsicht ist von Folgendem auszugehen:
Rz. 17
Das Selbstleseverfahren wurde mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 5. Oktober 1978 (BGBl. I S. 1645 ff.) eingeführt. Der neu geschaffene § 249 Abs. 2 StPO sollte vornehmlich dazu dienen, umfangreiche Verfahren zu straffen und den Verfahrensablauf von Ballast zu befreien (vgl. BT-Drucks. 8/976, S. 1). Mit der Neufassung des § 249 Abs. 2 StPO durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 vom 27. Januar 1987 (BGBl. I S. 475 ff.), die eine Selbstlesung erstmals auch gegen den Willen der Verfahrensbeteiligten gestattete, sollte sodann erreicht werden, dass von dieser – für die Verfahrensbeteiligten gleichwertigen (vgl. BT-Drucks. 10/1313, S. 28) – Möglichkeit mehr als bisher Gebrauch gemacht wird (s. BT-Drucks. 10/1313, S. 12). Schließlich wurde durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186 ff.) der Anwendungsbereich des Selbstleseverfahrens erweitert, um Strafverfahren weiter zu vereinfachen und zu beschleunigen (vgl. BT-Drucks. 12/6853, S. 1). Sowohl bei der Einführung des § 249 Abs. 2 StPO als auch bei den späteren Änderungen der Vorschrift hatte der Gesetzgeber die Vereinfachung und Beschleunigung von Großverfahren im Blick (s. BT-Drucks. 8/976, S. 1, 17, 23; BT-Drucks. 10/1313, S. 28; BT-Drucks. 12/6853, S. 33).
Rz. 18
Bereits mit der Einführung des § 249 Abs. 2 StPO wurde § 273 Abs. 1 StPO dahin ergänzt, dass im Hauptverhandlungsprotokoll auch diejenigen Urkunden zu bezeichnen sind, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 StPO abgesehen worden ist. Die Bezeichnung hat dabei so genau zu erfolgen, dass die Urkunden identifizierbar sind (s. SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 249 Rn. 102; KK-Greger, StPO, 7. Aufl., § 273 Rn. 8; SSW-StPO/Güntge, 3. Aufl., § 273 Rn. 7; KMR/v. Heintschel-Heinegg, StPO, 58. EL, § 249 Rn. 49; BeckOK StPO/Peglau, § 273 Rn. 31; LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 273 Rn. 16; MüKoStPO/Valerius, § 273 Rn. 25). Bei umfangreichen Konvoluten kann eine zusammenfassende und pauschale Benennung der nach § 249 Abs. 2 StPO zu behandelnden Urkunden genügen (vgl. LR/Mosbacher, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64, 91; vgl. auch – allerdings nichttragend – BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – 1 StR 587/11, NStZ 2012, 346: „Die im Sonderband TKÜ-Band enthaltenen Gesprächsprotokolle. ..”).
Rz. 19
bb) Eingedenk all dessen begegnet die von der Strafkammer mit Beschluss vom 21. März 2017 bestätigte Anordnung des Vorsitzenden vom selben Tag über die Durchführung des Selbstleseverfahrens als solche keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das ergibt sich aus Folgendem:
Rz. 20
(1) Primärer Zweck der Bezeichnung der Urkunden, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 StPO abgesehen werden soll, ist sicherzustellen, dass bei den Verfahrensbeteiligten über Gegenstand und Umfang der Beweisverwendung kein Zweifel entstehen kann (vgl. LR/Mosbacher, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64). Die Urkunden sind also dergestalt zu bezeichnen, dass sie von den Verfahrensbeteiligten ohne weiteres individualisiert werden können (vgl. SK-StPO/Frister, 5. Aufl., § 249 Rn. 64; s. auch MüKoStPO/Kreicker, § 249 Rn. 54 [”exakt”]). Der Hinweis, dass der außerhalb der Hauptverhandlung in der Sonderform des § 249 Abs. 2 StPO gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann, richtet sich an die Verfahrensbeteiligten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10, NStZ 2010, 712, 713; vom 15. Oktober 2010 – 5 StR 119/10, juris Rn. 7). Können also die Verfahrensbeteiligten nach dem Wortlaut der Anordnung die Urkunden leicht identifizieren, die zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, genügt die Anordnung dem Bestimmtheitserfordernis des § 249 Abs. 2 StPO.
Rz. 21
(a) Die als „Kassenbuch ab 2007” und „in der Kasse sichergestellte Journalrolle” bezeichneten Schriftstücke sind in der Anordnung positiv benannt worden. Etwaige Unklarheiten, welche konkreten Urkunden mit diesen (Sammel-)Bezeichnungen gemeint sind, sind von der Revision, die auf diese beiden Punkte der Anordnung nicht weiter eingeht, nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich.
Rz. 22
(b) Mit Blick auf die in der Anordnung benannten Ordner und Fallakten hat die Revision vorgetragen, diese hätten im Gerichtsgebäude „tatsächlich und vollständig zur Einsichtnahme” bereitgestanden. Der Angeklagte und seine Verteidiger hätten am 30. März 2017 über einen Zeitraum von fünf Stunden und 30 Minuten Einsicht genommen. Den Ausführungen in dem Beschluss der Strafkammer vom 21. März 2017, dass die in der Anordnung entsprechend bezeichneten Ordner und Fallakten eindeutig beschriftet und daher leicht identifizierbar seien, hat der Beschwerdeführer nicht widersprochen.
Rz. 23
Vor diesem Hintergrund erweist sich die Benennung von Urkundenkonvoluten mit dem negativen Ausschluss nicht erfasster Dokumente in der durch Gerichtsbeschluss bestätigten Vorsitzendenanordnung vom 21. März 2017 als für die Verfahrensbeteiligten hinreichend bestimmt. Bei ihnen, insbesondere dem Angeklagten und seinen Verteidigern, konnte – trotz der im Widerspruch gegen die Anordnung pauschal behaupteten Unzulänglichkeiten derselben – im Konkreten kein Zweifel daran bestehen, welche Urkunden Gegenstand der Beweisaufnahme waren. Die Anordnung hat somit für die Verfahrensbeteiligten zu einer eindeutigen Benennung der vom Selbstleseverfahren erfassten Schriftstücke geführt.
Rz. 24
(2) Dass die für § 249 Abs. 2 StPO ausreichende Individualisierung von Erkenntnisquellen außerhalb des Hauptverhandlungsprotokolls abhängig ist, steht ihr nicht entgegen. Insbesondere aus § 273 Abs. 1 StPO, wonach die Sitzungsniederschrift die Bezeichnung der Schriftstücke enthalten muss, von deren Verlesung abgesehen worden ist, folgt nicht, dass auf solche Erkenntnisquellen nicht zugegriffen werden dürfte.
Rz. 25
(a) Im zu beurteilenden Fall enthält das Hauptverhandlungsprotokoll die Anordnung des Vorsitzenden ebenso wie den bestätigenden Gerichtsbeschluss jeweils im vollen Wortlaut. Damit ist durch das Protokoll – unmittelbar und mit der Beweiskraft des § 274 Satz 1 StPO versehen – nachgewiesen, dass ein Selbstleseverfahren angeordnet worden ist. Ebenso ist bewiesen, dass die entsprechenden Urkunden für die Verfahrensbeteiligten leicht identifizierbar bezeichnet worden sind.
Rz. 26
Anhand der Ordner und Fallakten lässt sich unschwer nachvollziehen, dass die Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz ohne weiteres imstande waren festzustellen, welche Urkunden von der Selbstleseanordnung erfasst waren. Die Ordner und Fallakten sind, wie die Strafkammer in ihrem Beschluss vom 21. März 2017 zu Recht ausgeführt hat, eindeutig beschriftet; die von der Selbstleseanordnung betroffenen Urkunden konnten daher leicht identifiziert werden. Hierfür war – anders als von der Revision gefordert – nicht zwingend erforderlich, in der Anordnung den Gesamtinhalt der Ordner und Fallakten oder den Stand der Aktenbände mitzuteilen.
Rz. 27
Dass das Landgericht die dem Selbstleseverfahren unterfallenden Urkundenkonvolute in den sieben Tagen zwischen dessen Anordnung und Durchführung noch verändert hätte, kann ausgeschlossen werden.
Rz. 28
(b) Der Revision ist zwar zuzugeben, dass es aufgrund des Vorgehens der Strafkammer allein anhand der Sitzungsniederschrift nicht möglich ist, die Schriftstücke zu bestimmen, die Gegenstand der Beweisaufnahme waren. Solches wird jedoch weder von § 249 Abs. 2 StPO noch von § 273 Abs. 1 StPO gefordert:
Rz. 29
Auch im Fall einer positiven Benennung einer Urkunde ist eine Feststellung, welche Urkunde konkret gemeint ist, ausschließlich anhand der Sitzungsniederschrift nicht möglich. Erforderlich ist vielmehr zumindest die Heranziehung des Schriftstücks selbst, um die Übereinstimmung festzustellen. Für den Fall der auszugsweisen Verlesung einer Urkunde wird auch eine Kenntlichmachung der verlesenen Teile auf dem Dokument durch die Anbringung von Klammern empfohlen (so BGH, Beschluss vom 21. November 2006 – 1 StR 477/06, NStZ-RR 2007, 52); dies dürfte im Einzelfall auch genügen.
Rz. 30
Darüber hinaus entspricht es allgemeiner Meinung, dass Feststellungen im Hauptverhandlungsprotokoll auslegungsfähig sind und für die Auslegung auch außerhalb desselben liegende Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen (s. BGH, Urteil vom 5. Mai 2004 – 2 StR 492/03, NStZ-RR 2004, 237; zur freibeweislichen Klärung in Fällen der teilweisen Verlesung von Urkunden vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2003 – 1 StR 34/03, NStZ 2004, 279; vom 8. Juni 2010 – 1 StR 181/10, juris); hierzu gehören insbesondere die Akten. Die Beweiskraft des Protokolls wird hierdurch nicht beseitigt (vgl. LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 274 Rn. 11; MüKoStPO/Valerius, § 274 Rn. 25).
III.
Rz. 31
Der Senat braucht nicht über die Erfolgsaussichten einer – hier nicht erhobenen – Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) zu entscheiden, mit der geltend gemacht wird, im Urteil sei eine bestimmte Urkunde verwertet worden, auf die sich das Selbstleseverfahren nicht erstreckt habe. Wie dargelegt (s. oben II. 3. a)), hat der Beschwerdeführer kein Schriftstück konkret bezeichnet, das nicht Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen, von der Strafkammer aber dennoch ihrer Überzeugungsbildung zugrunde gelegt worden sei.
Rz. 32
Im Rahmen der Prüfung einer Inbegriffsrüge könnte allerdings in einem Fall wie dem hiesigen vom Revisionsgericht die Selbstlesung einer bestimmten Urkunde gegebenenfalls nicht mehr zuverlässig festgestellt werden; denn die in die Hauptverhandlung mittels Urkundenbeweis eingeführten Aktenteile (Beweismittelbände etc.), die den Verfahrensbeteiligten auf der Grundlage der entsprechenden Anordnung im Selbstleseverfahren zugänglich waren, könnten in der regelmäßig erheblichen Zeitspanne nach dessen Durchführung verändert worden sein. Die dem Revisionsgericht vorgelegten Akten entsprächen dann ihrer Ordnung und ihrem Umfang nach nicht mehr denjenigen, auf die sich die Selbstleseanordnung bezogen hat.
Rz. 33
Sollte in einem solchen Fall eine sichere Identifizierung der Urkunde unmöglich sein, etwa weil eine nachträgliche Veränderung nicht als solche kenntlich gemacht worden ist, so wäre insbesondere zu erwägen, ob eine Inbegriffsrüge trotz Nichterwiesenheit dieser Verfahrenstatsache gleichwohl – ausnahmsweise – begründet wäre, weil die konkrete Ausgestaltung der Selbstleseanordnung im alleinigen Verantwortungsbereich der Justiz läge (s. LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 51; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 337 Rn. 12; BeckOK StPO/Wiedner, § 337 Rn. 48).
Unterschriften
Schäfer, Spaniol, Wimmer, Berg, RiBGH Hoch ist erkrankt und deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer
Fundstellen
Haufe-Index 13027707 |
NStZ 2019, 422 |
NStZ-RR 2019, 5 |
StraFo 2019, 282 |