Leitsatz (amtlich)
a) Wer unter Ausnutzung einer seelischen Zwangslage (hier: Furcht vor einer Strafanzeige gegen einen nahen Angehörigen) zur Abgabe einer Willenserklärung (hier: einer Bürgschaftserklärung) veranlaßt worden ist, kann die Erklärung nicht in entsprechender Anwendung des § 123 BGB anfechten. Das Ausnützen einer seelischen Zwangslage steht der widerrechtlichen Drohung nicht gleich.
b) Ein Rechtsgeschäft, das unter Ausnutzung einer seelischen Zwangslage geschlossen wurde, kann wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein, wenn besondere Umstände hinzutreten, die das Geschäft nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmenden Gesamtcharakter als verwerflich erscheinen lassen. Dazu genügt es nicht, daß lediglich die seelische Zwangslage durch Zeitdruck verstärkt worden ist.
Normenkette
BGB §§ 123, 138
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 13.11.1986) |
LG Stuttgart |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. November 1986 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte nimmt als Widerklägerin die Widerbeklagten aus Bürgschaften in Anspruch, die sie für eine Schadensersatzverbindlichkeit des Wilhelm M. (Hauptschuldner) übernommen haben. Die Klägerin hatte zunächst durch negative Feststellungsklage die Unwirksamkeit der von ihr übemommenenen Bürgschaft geltend gemacht; nach Erhebung der Bürgschaftswiderklage wurde diese Feststellungsklage übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Verfahrensgegenstand ist nur noch die Widerklage.
Der Hauptschuldner ist der Ehemann der Klägerin und Widerbeklagten zu 1), der Sohn der Widerbeklagten zu 2) und der Schwiegersohn der Widerbeklagten zu 3). Er war als stellvertretender Leiter der Lohnbuchhaltung bei der Beklagten angestellt. Von 1975 bis 1981 veruntreute er fortlaufend Gelder der Beklagten, indem er fingierte Lohnzahlungen veranlagte und das Geld an sich brachte. Er wurde deshalb im September 1981 fristlos entlassen und später u.a. wegen Untreue und Urkundenfälschung bestraft.
Nachdem die Beklagte einen Teil der Manipulationen des Hauptschuldners mit einem Schadensvolumen von etwa 300.000 DM entdeckt hatte, forderte sie von ihm erstmals am 14. September 1981 Schadenswiedergutmachung. Der Hauptschuldner erkannte daraufhin am 16. September 1981 in notarieller Urkunde eine Schuld von 350.000 DM an und bestellte zugunsten der Beklagten eine Grundschuld von 200.000 DM an seinem Hausgrundstück. Die Beklagte, die zu diesem Zeitpunkt bereits Anhaltspunkte für weitergehende Schäden besaß, verlangte eine zusätzliche Absicherung ihrer Ansprüche. Am 17. September 1981 unterzeichneten deshalb die Widerbeklagten aufgrund getrennter Verhandlungen mit Vertretern der Beklagten je eine Bürgschaftserklärung, durch die sie gegenüber der Beklagten die selbstschuldnerische Bürgschaft für die Schadensersatzverpflichtung des Hauptschuldners übernahmen, und zwar die Klägerin in unbeschränkter Höhe, die Widerbeklagte zu 2) bis zum Höchstbetrag von 600.000 DM und die Widerbeklagte zu 3) bis zum Höchstbetrag von 700.000 DM. Die Beklagte stellte später fest, daß ihr durch die Veruntreuungen ein Schaden von mehr als 1.000.000 DM entstanden war. Die Widerbeklagten fochten die Bürgschaftserklärungen wegen widerrechtlicher Drohung an, die Widerbeklagten zu 2) und 3) durch Anwaltsschreiben vom 6. September 1982. Die Beklagte, die unter Berücksichtigung von Tilgungsleistungen noch eine restliche Schadensersatzforderung von 356.362,63 DM errechnet hat, hält die Anfechtung für unbegründet. Sie verlangt von den Widerbeklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung eines entsprechenden Bürgschaftsbetrages nebst Zinsen.
Das Landgericht wies die Widerklage ab. Das Oberlandesgericht erklärte den Widerklageanspruch gegen die Klägerin für dem Grunde nach gerechtfertigt und verwies den Rechtsstreit insoweit zur Entscheidung über die Höhe an das Landgericht zurück. Gegenüber den Widerbeklagten zu 2) und 3) hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Die Annahme der Revision der Klägerin lehnte der Senat ab. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist jetzt nur noch die Revision der Beklagten, mit der sie die Widerklage gegen die Widerbeklagten zu 2) und 3) weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Widerbeklagten zu 2) und 3) hätten ihre Bürgschaftserklärungen wirksam angefochten, so daß diese als von Anfang an nichtig anzusehen seien. Die Angestellten Endl und Hüber der Beklagten hätten die beiden Widerbeklagten zur Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunden veranlaßt, indem sie mit der strafrechtlichen Verfolgung des Sohnes bzw. Schwiegersohnes gedroht hätten. Indem En. und H. gemeinsam die Widerbeklagten zu 2) und 3) in deren privaten Wohnräumen aufgesucht hätten, hätten sie sie in eine besondere psychische Zwangslage gebracht. Beide Widerbeklagten hätten noch unter dem unmittelbaren und schockierenden Eindruck der Nachricht gestanden, daß ihr Sohn bzw. Schwiegersohn bei seinem Arbeitgeber große Geldbeträge veruntreut habe. Die Widerbeklagte zu 2) habe erst wenige Minuten vor dem Eintreffen von En. und H. hiervon erfahren. Die Widerbeklagte zu 3) habe möglicherweise schon etwas längere Zeit vorher, frühestens aber am Vorabend, von den Veruntreuungen Kenntnis erhalten. Beide Frauen seien nach den Bekundungen des Zeugen Endl noch sichtbar schockiert gewesen. In diesem psychischen Ausnahmezustand sei den Widerbeklagten zu 2) und 3) durch die von Endl und Hüber geschaffene Gesamtsituation bewußt vor Augen geführt worden, daß ihrem Verhalten eine entscheidende, weichenstellende Bedeutung zukomme. Dabei könne unterstellt werden, daß En. und H. darauf verzichtet hätten, von sich aus ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Strafanzeige hinzuweisen. Diese Möglichkeit habe aber so nahe gelegen, daß sie auch unausgesprochen für das Verhalten der Widerbeklagten zu 2) und 3) bestimmend im Raum gestanden habe. Nach den Bekundungen der Zeugen En. und H. hätten die Widerbeklagten zu 2) und 3) von sich aus danach gefragt, ob ihr Sohn bzw. Schwiegersohn jetzt ins Gefängnis komme. Die Drohung mit der Strafanzeige sei nicht dadurch entfallen, daß En. und H. zum Ausdruck gebracht hätten, ihnen gehe es um die Schadenswiedergutmachung, an der Strafverfolgung hätten sie kein Interesse. Vielmehr hätten En. und H. durch ihr Verhalten die Beklagten zu 2) und 3) bewußt unter Druck gesetzt und zu sofortigem Handeln veranlaßt. Die mitgebrachten Bürgschaftsurkunden sofort zu unterschreiben, habe den Widerbeklagten zu 2) und 3) als einzige Möglichkeit erscheinen müssen, den Sohn bzw. Schwiegersohn vor Strafverfolgung zu retten. En. und H. hätten eine sofortige Entscheidung verlangt. Während Endl noch am Mittwoch, den 16. September 1981 vom Hauptschuldner verlangt habe, die Bürgschaften seiner Angehörigen bis zum Wochenende beizubringen, habe er ohne äußeren Anlaß am Donnerstag, den 17. September 1981 vormittags eine kurzfristige Abgabe der Bürgschaftserklärungen verlangt. Dieses Drängen habe nur so verstanden werden können, daß die Beklagte je nachdem, wie sich die Widerbeklagten zu 2) und 3) entschieden, alsbald andere Maßnahmen ergreifen oder unterlassen werde; dabei habe unausweichlich eine Strafanzeige im Vordergrund gestanden. Durch dieses gesteigerte Drängen in einer außerordentlich schwierigen seelischen Situation der Widerbeklagten zu 2) und 3) seien Endl und Hüber weit darüber hinausgegangen, die Zwangslage der Widerbeklagten zu 2) und 3) lediglich auszunützen. Ihr Verhalten müsse als Drohung gewertet werden.
Die Drohung mit der Strafverfolgung des Hauptschuldners sei rechtswidrig gewesen. Auch wenn der Zweck des Vorgehens, sich zur Sicherung der Schadenswiedergutmachung Bürgschaften zu beschaffen, und das Inaussichtstellen einer Strafanzeige je für sich nicht rechtswidrig seien, so sei doch die hier vorliegende Verknüpfung von Zweck und Mittel nicht zu billigen. Unter Würdigung aller Umstände, die den Vorgängen ihr Gepräge gäben, wobei auch die Belange der Beklagten zu berücksichtigen seien, müsse festgestellt werden, daß das Vorgehen der Beklagten zur Durchsetzung ihres berechtigten Sicherungsbedürfnisses nach den Kriterien von Treu und Glauben nicht als angemessen bezeichnet werden könne. Es sei zwar nicht in jedem Fall zu beanstanden, wenn ein Geschädigter auch gegenüber den Angehörigen des Täters unter Inaussichtstellen der sonst zu erwartenden Strafanzeige zur Wiedergutmachung des Schadens auffordere. Deshalb sei es noch nicht zu beanstanden, daß die Beklagte überhaupt an die Widerbeklagten zu 2) und 3) mit dem Verlangen herangetreten sei, eine Bürgschaft zu Übernehmen. Obwohl eine irgendwie geartete Beteiligung der Widerbeklagten zu 2) und 3) an der Tat nicht in Betracht gekommen sei und auch keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, daß sie Nutznießer der Straftat gewesen seien, hätten doch andere Gründe, etwa das Angebot familiärer Hilfe bei der Schadenswiedergutmachung und die damit entfallende Notwendigkeit, den Verbleib der veruntreuten Gelder aufzudecken, es rechtfertigen können, unter Androhung einer Strafanzeige an die Widerbeklagten zu 2) und 3) heranzutreten. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich jedoch hier aus der Art und Weise, wie En. und H. bei den Widerbeklagten zu 2) und 3) aufgetreten seien. Die Widerbeklagten zu 2) und 3) seien durch den von Endl und Hüber geschaffenen Zeitdruck überrumpelt worden. Zeit zu reiflicher Überlegung sei ihnen nicht gewährt worden. Auch wann die Widerbeklagte zu 3) noch am Vorabend von dem Verhalten ihres Schwiegersohnes erfahren haben sollte und ihr mitgeteilt worden sei, daß die Beklagte eine Bürgschaft von ihr erwarte, habe sie keine ausreichende Zeit zur Überlegung gehabt. Die Höhe der von ihr geforderten Bürgschaftssumme habe sie nicht wissen können. Es könne nicht hingenommen werden, daß den beiden älteren Damen, die noch sichtlich schockiert unter dem Eindruck der Nachricht von der Straftat gestanden hätten, innerhalb eines kurzen Gesprächs eine Bürgschaft in Höhe von 600.000 DM bzw. 700.000 DM abverlangt worden sei. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß bei diesem kurzen Gespräch die Höhe der eingegangenen Verbindlichkeit und ihr Verhältnis zum eigenen Vermögen der Bürgen nicht angesprochen worden sei. Die Widerbeklagten zu 2) und 3) hätten in ihrer Unüberlegtheit und Bestürzung nicht erkannt, daß sie sich in einer ihr Vermögen übersteigenden Höhe verpflichten sollten. Das hätten Endl und Hüber ausgenutzt. Insbesondere das Lebensalter und die erkennbar fehlende kaufmännische Erfahrung der Widerbeklagten zu 2) und 3) sowie ihre erkennbar verringerte Widerstandskraft in der geschaffenen Ausnahmesituation hätten es als geboten erscheinen lassen, Ihnen nicht nur ausreichend Zeit zur Überlegung zu lassen, sondern ihnen auch hinreichend den Umfang ihrer Verpflichtung vor Augen zu führen. Dies gelte vor allem deshalb, weil die Widerbeklagten zu 2) und 3) hätten meinen können, es sei nur der von dem Hauptschuldner bis dahin eingeräumte Schaden entstanden, den er aus eigenem Vermögen habe wiedergutmachen können. Das Verhalten der Vertreter der Beklagten sei auch dann nicht anders zu werten, wenn man den Vortrag der Beklagten unterstelle, daß die Widerbeklagten zu 2) und 3) auf Veranlassung des Hauptschuldners angesprochen worden seien. Auch wenn der Hauptschuldner die Hilfsbereitschaft seiner Mutter und seiner Schwiegermutter angekündigt habe, hätte die Beklagte auf die erkennbaren Belange der Bürgen Rücksicht nehmen und ihnen eine eigenverantwortliche Entscheidung ermöglichen, ihnen insbesondere den außerordentlichen Druck durch die persönliche Anwesenheit zweier Mitarbeiter ersparen müssen.
Die rechtzeitig binnen Jahresfrist erklärte Anfechtung greife deshalb durch.
Gegen diese Ausführungen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
1. Wer zur Abgabe einer Willenserklärung widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann nach § 123 Abs. 1 BGB die Erklärung anfechten. Die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts ergeben nicht, daß die Widerbeklagten zu 2) und 3) durch Drohung zur Abgabe ihrer Bürgschaftserklärungen veranlaßt worden sind. Auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Widerrechtlichkeit und zur Wahrung der Anfechtungsfrist kommt es deshalb nicht an.
a) Drohung ist die Ankündigung eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt oder Nichteintritt der Drohende einwirken zu können behauptet und daß verwirklicht werden soll, wenn der Bedrohte nicht die von dem Drohenden gewünschte Willenserklärung abgibt (BGHZ 2, 287, 295; BGH, Urt. v. 12. Januar 1978 – III ZR 53/76, LM BGB § 123 Nr. 49; BGB-RGRK/Krüger-Nieland, 12. Aufl. § 123 Rdnr. 39; MünchKomm/Kramer, 2. Aufl. § 123 BGB Rdnr. 33; vgl. auch LK/Schäfer, 10. Aufl. § 240 StGB Rdnr. 51). Das angekündigte Übel kann eine Strafanzeige sein, auch wenn diese sich nicht gegen den Bedrohten selbst, sondern gegen einen nahen Angehörigen richten soll (BGHZ 25, 217, 218 ff). Die Drohung muß nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, kann vielmehr auch versteckt (z.B. durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen) oder durch schlüssiges Verhalten erfolgen (BGH, Urt. v. 30. Januar 1963 – VIII ZR 256/61, BB 1963, 452, 453; BGB-RGRK/Krüger-Nieland aaO; MünchKomm/Kramer aaO; vgl. auch BGHSt 7, 252, 253). Davon geht das Berufungsgericht zutreffend aus.
b) Das Berufungsgericht unterstellt, daß die Vertreter der Beklagten die Widerbeklagten zu 2) und 3) nicht ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Strafanzeige gegen den Hauptschuldner hingewiesen haben. Davon ist für das Revisionsverfahren auszugehen. Eine ausdrückliche Drohung mit einer Strafanzeige lag somit nicht vor.
c) Das Berufungsgericht stellt auch keine sonstigen Erklärungen (Hinweise, Warnungen, Redensarten oder Andeutungen) der Vertreter der Beklagten fest, denen die Widerbeklagten zu 2) und 3) hätten entnehmen können, daß die Beklagte Strafanzeige erstatten werde, wenn die Widerbeklagten zu 2) und 3) die Bürgschaftserklärungen nicht unterzeichneten. Die Vertreter der Beklagten haben vielmehr nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf die Frage der Widerbeklagten zu 2) und 3), ob der Hauptschuldner jetzt ins Gefängnis komme, ausdrücklich erklärt, ihnen gehe es um die Schadenswiedergutmachung, an der Strafverfolgung hätten sie kein Interesse. Danach scheidet auch eine versteckte Drohung aus.
d) Das Berufungsgericht meint, die Drohung ergebe sich schlüssig aus dem Gesamtverhalten der Vertreter der Beklagten vor Unterzeichnung der Bürgschaftserklärungen. Die festgestellten Umstände tragen jedoch diese Würdigung nicht. Die Tatsachenfeststellungen ergeben nur, daß die Beklagte objektiv die Möglichkeit hatte, Strafanzeige gegen den Hauptschuldner zu erstatten, daß die Widerbeklagten zu 2) und 3) durch Abgabe der Bürgschaftserklärungen den Hauptschuldner vor der Strafanzeige retten wollten und daß alle an den Vertragsverhandlungen Beteiligten sich dessen bewußt waren. Das Berufungsgericht stellt dagegen kein Verhalten der Vertreter der Beklagten fest, aus dem sich unzweideutig die Ankündigung entnehmen ließe, die Beklagte werde die Strafanzeige erstatten, falls die Widerbeklagten zu 2) und 3) die Bürgschaftserklärungen nicht unterzeichneten. Weder der Umstand, daß die Vertreter der Beklagten die Widerbeklagten zu 2) und 3) in deren Wohnung aufsuchten, noch die Tatsache, daß sie auf eine alsbaldige Entscheidung drängten, läßt sich als unzweideutiger Hinweis an die Widerbeklagten zu 2) und 3) verstehen, im Falle einer Verweigerung der Bürgschaften drohe die Strafanzeige. Das gilt umso mehr, als die Vertreter der Beklagten ausdrücklich erklärten, ihnen gehe es um die Schadenswiedergutmachung, an der Strafverfolgung hätten sie kein Interesse.
Aus dem Zusammenhang der Ausführungen des Berufungsgerichts ergibt sich, daß es die Drohung nicht genügend von dem Ausnützen einer Zwangslage abgegrenzt hat. Die Drohung besteht in der Ankündigung eines Übels, erfordert also, daß der Drohende das Übel irgendwie in Aussicht stellt. Es genügt nicht, wenn der Anfechtende bei Abgabe der Willenserklärung lediglich erwartet hat, der andere Teil werde ihm bei Nichtabgabe der Erklärung ein Übel zufügen, wenn sich diese Befürchtung lediglich aus der objektiven Sachlage ergibt, nicht aber von dem anderen Teil hervorgerufen oder bestärkt wird (vgl. BGHSt 7, 252, 253). Es kommt dann lediglich das Ausnützen einer Zwangslage des Erklärenden durch den anderen Teil in Betracht, das den Tatbestand einer Drohung i.S.d. § 123 BGB nicht erfüllt, wie das Berufungsgericht selbst in anderem Zusammenhang ausführt (vgl. BGHZ 2, 287, 295; MünchKomm/Kramer aaO; BGB-RGRK/Krüger-Nieland aaO). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kann den Vertretern der Beklagten nicht mehr als ein solches Ausnützen der Befürchtungen der Widerbeklagten zu 2) und 3) angelastet werden. Eine Drohung durch schlüssiges Verhalten ist danach nicht gegeben.
2. Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, auch eine Willenserklärung, zu der der Erklärende unter Ausnutzung einer Zwangslage veranlaßt worden sei, könne in entsprechender Anwendung des § 123 Abs. 1 BGB angefochten werden; denn die Vorschrift bezwecke den Schutz der freien Willensbetätigung, die auch beim Ausnützen einer Zwangslage beeinträchtigt sei (vgl. MünchKomm/Kramer, § 123 BGB Rdnr. 45 m.w.N.; Sack, NJW 1974, 564, 565). Das widerspricht jedoch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und auch der in der Rechtslehre vorherrschenden Auffassung, daß nur eine durch widerrechtliche Drohung verursachte Zwangslage zur Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB berechtige. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Unter der freien Willensentscheidung, die § 123 Abs. 1 BGB allerdings schützt, ist nur die nicht rechtswidrig beeinflußte Willensentscheidung zu verstehen (vgl. die Begründung zu § 103 des Entwurfs eines BGB in: Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich Bd. I S. 204). Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Einzelnen wird also nicht allgemein gegen jede Art von Beeinträchtigung durch eine Zwangslage geschützt, sondern nur gegen die rechtswidrige Beeinflussung durch arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung (vgl. BAG DB 1983, 1663 ff). Rechtsgeschäftliches Handeln beruht nicht selten auf wirklichen oder vermeintlichen wirtschaftlichen oder persönlichen Zwängen. Die Sicherheit des Rechtsverkehrs würde schwer beeinträchtigt, wenn Willenserklärungen allein deshalb angefochten werden könnten, weil der Erklärende zur Abgabe durch eine dem anderen Teil bekannte Zwangslage veranlaßt wurde.
II.
Das Berufungsgericht führt in einer Hilfsbegründung aus, es teile die Hilfsüberlegung des Landgerichts, daß die Verpflichtungen der Widerbeklagten zu 2) und 3) „aus den dargelegten Gründen” auch sittenwidrig und demgemäß nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam seien.
Auch das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Ob ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, hat das Revisionsgericht anhand des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts in rechtlicher Hinsicht selbst zu prüfen (RGZ 160, 52, 56; BGH, Urt. v. 6. Mai 1954 – IV ZR 53/54, LM BGB § 138 Cd Nr. 2).
2. Das Berufungsgericht verweist zur Begründung seiner Auffassung, daß die Bürgschaftserklärungen der Widerbeklagten zu 2) und 3) gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig seien, auf die Feststellungen, aus denen es das Vorliegen einer widerrechtlichen Drohnung der Vertreter der Beklagten hergeleitet hat. Das genügt zur Feststellung eines Verstoßes gegen die guten Sitten nicht. Die widerrechtliche Drohung hat durch § 123 BGB eine rechtliche Sonderregelung erfahren. Nach dieser ist das Rechtsgeschäft nur anfechtbar und nicht gemäß § 138 BGB nichtig, wenn seine Anstößigkeit ausschließlich auf einer unzulässigen Willensbeeinflussung durch widerrechtliche Drohung beruht (BGH, Urt. v. 22. Dezember 1959 – VIII ZR 9/59, LM BGB § 138 Aa Nr. 7 a; v. 8. März 1966 – V ZR 62/64, WM 1966, 585, 589; BGB-RGRK/Krüger-Nieland, § 123 BGB Rdnr. 84; Soergel/Hefermehl, BGB 12. Aufl. § 123 Rdnr. 60 und § 138 Rdnr. 64). Nur wenn besondere Umstände zu der durch widerrechtliche Drohung bewirkten Willensbeeinflussung hinzukommen, die das Geschäft nach seinem Gesamtcharakter als sittenwidrig erscheinen lassen, kann § 138 Abs. 1 BGB neben § 123 BGB anwendbar sein. Das Berufungsgericht zeigt solche besonderen, vom Tatbestand der widerrechtlichen Drohung noch nicht erfaßten Umstände nicht auf. Das Landgericht, dessen Auffassung sich das Berufungsgericht anschließt, hatte als besonderen, mit dem Anfechtungstatbestand des § 123 BGB noch nicht erfaßten Umstand angesehen, daß die Widerbeklagten zu 2) und 3), obgleich nicht Schuldner der Beklagten, von dieser zur Eingehung von Bürgschaftsverpflichtungen in existenzbedrohender, ja -vernichtender Höhe genötigt worden seien. Auch diese Überlegung kann das Berufungsurteil nicht tragen. Die „Nötigung” gehört zum Tatbestand der Drohung. Der Umstand, daß die Bürgschaftsverpflichtungen das Vermögen der Bürgen überstiegen, ist vom Berufungsgericht als ein die Widerrechtlichkeit der Drohung begründendes Element angesehen worden. Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Landgerichts weist das Berufungsurteil somit keine besonderen, Über § 123 BGB hinausgehenden Gründe aus, die eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB rechtfertigen könnten.
3. Hinzu kommt, daß die Auffassung beider Vorinstanzen in diesem Punkt auf der Ansicht beruht, die Vertreter der Beklagten hätten die Widerbeklagten zu 2) und 3) zur Abgabe der Bürgschaftserklärungen „genötigt”, sie also durch widerrechtliche Drohung dazu veranlaßt. Wie bereits dargelegt wurde, tragen jedoch die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts diese Ansicht nicht. Damit entfällt ein vom Berufungsgericht bei der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB als wesentlich angesehener Umstand.
4. Wie sich aus § 138 Abs. 2 BGB ergibt, kann auch ein durch Ausnutzung einer Zwangslage geschlossenes Geschäft wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein (vgl. BGB-RGRK/Krüger-Nieland, § 123 BGB Rdnr. 39; Soergel/Hefermehl, § 123 BGB Rdnr. 40). Das bloße Ausnützen der Zwangslage genügt jedoch zur Anwendung des § 138 BGB nicht. In den Fällen des Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) kommt hinzu, daß jemand unter Ausbeutung der Zwangslage sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung stehen, Wucher scheidet jedoch hier aus, weil er ein Austauschverhältnis voraussetzt, bei dem sich Leistung und Gegenleistung gegenüberstehen. Daran fehlt es bei einer Bürgschaftsverpflichtung, die wegen einer Zwangslage des Hauptschuldners übernommen wird (RG HRR 1932 Nr. 1430; Soergel/Hefermehl, § 138 BGB Rdnr. 74). Hier müßten deshalb andere besondere Umstände festgestellt sein, die eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB rechtfertigen können. Umstände, die ausschließlich die Art und Weise des Zustandekommens der Bürgschaftsverträge betreffen, genügen dazu nicht. Das Zustandekommen eines Vertrages gehört nicht zum Regelungsbereich des § 138 BGB; die Vorschrift bezieht sich vielmehr auf die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts selbst (vgl. Soergel/Hefermehl, § 138 BGB Rdnrn. 29, 65; Sack, NJW 1974, 564). Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmenden Gesamtcharakter gegen die guten Sitten verstößt (BGHZ 86, 82, 88). Das kann nur aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller Umstände, die den Vertrag kennzeichnen, der objektiven Verhältnisse, unter denen er zustandegekommen ist, seiner Auswirkungen sowie der subjektiven Merkmale wie dem verfolgten Zweck und dem zugrundeliegenden Beweggrund beurteilt werden (vgl. Soergel/Hefermehl, § 138 BGB Rdnr. 19). Umstände, die beim Vorliegen einer Drohung lediglich zur Anfechtbarkeit der Willenserklärung nach § 123 BGB führen würden, können beim Fehlen einer Drohung nicht die stärkere Nichtigkeitsfolge des § 138 Abs. 1 BGB nach sich ziehen. Das schließt nicht aus, bei der Würdigung des Gesamtcharakters des Rechtsgeschäfts auch die Art und Weise seines Zustandekommens mit zu berücksichtigen.
An einer Gesamtwürdigung, die an den Maßstäben des § 138 Abs. 1 BGB ausgerichtet ist, fehlt es. Schon deshalb muß das Berufungsurteil aufgehoben werden.
5. Im Hinblick darauf, daß die Umstände, die das Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt der widerrechtlichen Drohung gewürdigt hat, auch für die Gesamtabwägung nach § 138 Abs. 1 BGB bedeutsam sein können, ist auf folgendes hinzuweisen:
a) An sich ist es nicht zu beanstanden, daß die Beklagte an die Widergeklagten zu 2) und 3) herangetreten ist, um sie zu einer Bürgschaft für die Schadensersatzverbindlichkeit des Hauptschuldners zu veranlassen. Davon geht das Berufungsgericht zutreffend aus. Das Vorgehen der Beklagten war nicht bereits deshalb widerrechtlich, weil sie gegen die Widerbeklagten zu 2) und 3) keinen Anspruch auf Übernahme der Bürgschaften hatte (vgl. BGHZ 25, 217, 219 ff). Die Beklagte hatte ein berechtigtes Interesse an der Wiedergutmachung des durch den Hauptschuldner angerichteten Schadens und auch an einer Absicherung ihres darauf gerichteten Anspruchs, weil sie Grund zu der Befürchtung hatte, das Vermögen des Hauptschuldners werde für den Schadensersatz nicht ausreichen. Hatte der Hauptschuldner – wie das Berufungsgericht unterstellt – der Beklagten die Hilfe seiner Familie, insbesondere der Widerbeklagten zu 2) und 3), bei der Schadenswiedergutmachung in Aussicht gestellt, so kann es nicht sittlich mißbilligt werden, daß die Beklagte sich mit den Widerbeklagten zu 2) und 3) in Verbindung gesetzt hat, um von ihnen darüber eine rechtsverbindliche Zusage zu erhalten. Das Wissen der Beklagten, daß die Hilfsbereitschaft der Widerbeklagten zu 2) und 3) auf den verwandtschaftlichen Gefühlsbindungen zum Hauptschuldner und dem Bestreben beruhte, diesen vor einer drohenden Strafverfolgung zu bewahren, läßt die Interessenwahrnehmung der Beklagten ebenfalls nicht als anstößig erscheinen. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Widerbeklagten zu 2) und 3) in keiner Weise an der Straftat des Hauptschuldners beteiligt gewesen waren oder Vorteil daraus gezogen hatten (vgl. zur Drohung BGHZ 25, 217, 220 ff; BGH, Urt. v. 16. März 1973 – V ZR 38/71, WM 1973, 574, 575; Soergel/Hefermehl, § 138 BGB Rdnr. 22; Staudinger/Dilcher, BGB 12. Aufl. § 123 Rdnr. 64; Flume, Allgem. Teil des Bürgerlichen Rechts 2. Bd. 3. Aufl. § 28, 2 c).
b) Demgemäß mißbilligt das Berufungsgericht nur die Art und Weise, in der die Vertreter der Beklagten die Widerbeklagten zu 2) und 3) zur Abgabe der Bürgschaftserklärungen bewegt haben.
Es stellt dabei vor allem darauf ab, daß die Widerbeklagten zu 2) und 3) unter erheblichen Zeitdruck gesetzt wurden und vor Abgabe der Bürgschaftserklärungen keine angemessene Überlegungsfrist hatten. Die dagegen gerichtete Rüge der Revision, die Beklagte sei davon ausgegangen, daß der Hauptschuldner die Widerbeklagten zu 2) und 3) rechtzeitig informiert habe und diese zur Übernahme von Bürgschaften bereit seien, greift nicht durch. Die Revision setzt sich damit in Widerspruch zum Ergebnis der Beweisaufnahme und zum eigenen Vortrag der Beklagten in den Vorinstanzen. Danach ist dem Hauptschuldner erst am Tage vor der Abgabe der Bürgschaftserklärungen mitgeteilt worden, daß die Vertreter der Beklagten die Widerbeklagten zu 2) und 3) am nächsten Tage aufsuchen würden. Mehr als ein Tag stand dem Hauptschuldner daher nicht zur Verfügung, um die Widerbeklagten zu 2) und 3) auf den bevorstehenden Besuch der Vertreter der Beklagten vorzubereiten. Nach der bindenden Feststellung des Berufungsgerichts ist die Widerbeklagte zu 3) frühestens am Vorabend informiert worden, so daß ihr nicht einmal 24 Stunden überlegungsfrist blieben. Was die Widerbeklagte zu 2) angeht, so hatte der Zeuge Endl durch ein Telefongespräch mit dem Hauptschuldner am Morgen des 17. September 1981 erfahren, daß dieser mit seiner Mutter bis dahin noch nicht gesprochen hatte; als H. und En. bei der Widerbeklagten zu 2) eintrafen, war der Hauptschuldner noch anwesend und hatte sie soeben erst unterrichtet, so daß sie bei den Verhandlungen mit den Vertretern der Beklagten noch unter dem unmittelbaren Eindruck von der Straftat ihres Sohnes stand. Ihr war also, wie die Vertreter der Beklagten bei den Verhandlungen wußten, praktisch überhaupt keine Überlegungszeit geblieben. Die Vertreter der Beklagten haben dennoch sowohl bei der Widerbeklagten zu 2) als auch bei der Widerbeklagten zu 3) auf eine alsbaldige Entscheidung gedrängt. Mit ihrer abweichenden Darstellung setzt sich die Revision in Widerspruch zu der bindenden Feststellung des Berufungsgerichts, ohne insoweit einen Verfahrensfehler aufzuzeigen.
Der Zeitdruck kann im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 138 Abs. 1 BGB zu Ungunsten der Beklagten berücksichtigt werden (vgl. RGZ 112, 226, 229; ferner für die Drohung BGH, Urt. v. 16. März 1973 – V ZR 38/71, aaO; Flume aaO). Er genügt jedoch für sich noch nicht, um den Vorwurf der Sittenwidrigkeit zu begründen. Der Zeitdruck verstärkte die seelische Zwangslage, in der sich die Widerbeklagten zu 2) und 3) aufgrund der Mitteilung von der Straftat des Hauptschuldners ohnehin befanden. Bei wertender Betrachtung kann der Zeitdruck im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB jedenfalls nicht stärker ins Gewicht fallen, als eine – hier nicht genügend festgestellte – widerrechtliche Drohung. Es müssen deshalb weitere Umstände vorliegen, die die unter Zeitdruck zustande gekommenen Bürgschaftsverträge nach Inhalt und Zweck als sittenwidrig erscheinen lassen.
c) In den Ausführungen zur Widerrechtlichkeit der Drohung berücksichtigt das Berufungsgericht neben der angenommenen Drohung mit einer Strafanzeige und dem Zeitdruck, daß bei den Verhandlungen über die Bürgschaftsübernahme die Höhe der eingegangenen Verbindlichkeit und ihr Verhältnis zum Vermögen der Bürgen nicht angesprochen worden seien. Die Widerbeklagten zu 2) und 3) hätten deshalb nicht erkannt, daß sie sich in einer ihr Vermögen übersteigenden Höhe verpflichten sollten. Das Lebensalter und die erkennbar fehlende kaufmännische Erfahrung der Widerbeklagten zu 2) und 3) habe in der gegebenen Ausnahmesituation erfordert, daß ihnen ihre Verpflichtung hinreichend vor Augen geführt werde, zumal die Widerbeklagten zu 2) und 3) hätten annehmen können, der Schaden der Beklagten übersteige den von dem Hauptschuldner eingeräumten Betrag nicht.
Auch diese Erwägungen genügen in Verbindung mit dem Zeitdruck nicht, um den Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB zu erfüllen. Das Lebensalter der Widerbeklagten zu 2) und 3) und das Fehlen einer besonderen kaufmännischen Erfahrung sind als solche unerheblich. Ein lebenserfahrener Erwachsener wie die Widerbeklagten zu 2) und 3) ist im allgemeinen auch ohne besondere kaufmännische Erfahrung in der Lage, sich ein Urteil darüber zu bilden, daß eine ihm abverlangte Bürgschaft ein riskantes Geschäft ist. Unerfahrenheit i.S.d. § 138 Abs. 2 BGB stellt das Berufungsgericht nicht fest (vgl. dazu Soergel/Hefermehl, § 138 BGB Rdnr. 79 m.w.N.); insbesondere ist den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen, daß bei den Widerbeklagten zu 2) und 3) infolge ihres Alters bereits die geistigen Kräfte nachgelassen hatten (vgl. BGB-RGRK/Krüger-Nieland/Zöller, § 138 BGB Rdnr. 61). Bis zu welcher Höhe die Widerbeklagten zu 2) und 3) das Bürgschaftsrisiko übernehmen sollten, ergab sich eindeutig aus den Höchstbeträgen, die die Vertreter der Beklagten in die Bürgschaftserklärungen eingesetzt hatten. Falls die Widerbeklagten zu 2) und 3) das Bürgschaftsrisiko als geringer ansahen, beruhte dies nach den Ausführungen des Berufungsgerichts auf den beruhigenden Erklärungen des Hauptschuldners, der zu diesem Zeitpunkt nur einen Teil des von ihm verursachten Schadens zugab. Ein dadurch bei den Widerbeklagten zu 2) und 3) verursachter Irrtum über das Bürgschaftsrisiko kann der Beklagten nicht angelastet werden. Denn der Hauptschuldner war nicht ihr Verhandlungsgehilfe. Eine eigene Aufklärungspflicht über das Bürgschaftsrisko oblag der Beklagten gegenüber den Widerbeklagten zu 2) und 3) nicht. Nach fester Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Gläubiger grundsätzlich nicht verpflichtet, den Bürgen Über das Bürgschaftsrisiko aufzuklären. Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Gläubiger – für ihn erkennbar – einen Irrtum des Bürgen über das Bürgschaftsrisiko verursacht hat. Dieser Ausnahmefall ist hier nicht festgestellt.
Dem Gläubiger obliegt gegenüber dem Bürgen auch keine Verpflichtung, sich vor Abschluß des Bürgschaftsvertrages zu vergewissem, ob das übernommene Bürgschaftsrisiko nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen für den Bürgen tragbar ist. Eine Vergewisserung darüber liegt im eigenen Interesse des Gläubigers; unterläßt dieser sie, so kann ihm der Bürge daraus in der Regel keinen Vorwurf machen.
Das Ausnützen einer seelischen Zwangslage kann allerdings einen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die andere Vertragspartei sich bewußt einen übermäßigen Vorteil verschafft. Das ist indessen hier nicht der Fall. Wie die weitere Entwicklung gezeigt hat, entspricht der der Beklagten entstandene Schaden in etwa der Höhe der Bürgschaftsverpflichtungen der Widerbeklagten zu 2) und 3). Die Beklagte hat sich auch lediglich mit einer Sicherung der damals ihrer Höhe nach noch nicht feststehenden Schadensersatzansprüche durch vom Bestand der Hauptschuld abhängige Bürgschaften begnügt, und nicht etwa die Anerkennung eines überhöhten Schadensbetrages verlangt.
Das Berufungsgericht hat auch nicht in einer dem § 138 Abs. 1 BGB genügenden Weise die Interessen der Beklagten gewürdigt. Dazu reicht der allgemeine Hinweis auf das Sicherungsinteresse der Beklagten nicht aus. Das Berufungsgericht geht Überhaupt nicht auf die Frage ein, ob möglicherweise die Beklagte ein berechtigtes Interesse daran hatte, von den Widerbeklagten zu 2) und 3) eine rasche Entscheidung zu fordern. Die Veruntreuung von mehr als 1.000.000 DM durch einen Mitarbeiter kann bei einem mittelständischen Bauunternehmen, das auf erhebliche Bankkredite angewiesen ist, zu einer gefährlichen Beeinträchtigung der Kreditwürdigkeit führen. Das kann für das Unternehmen die Notwendigkeit begründen, den Kreditgebern innerhalb kurzer Zeit den Nachweis zu führen, daß die Schadenswiedergutmachung gesichert ist. Ob dies oder andere Umstände die Beklagte zu raschem Handeln zwangen, hat das Berufungsgericht in seine Prüfung nicht einbezogen und daher die für § 138 Abs. 1 BGB erforderliche Gesamtabwägung der beiderseitigen Belange nicht im erforderlichen Maß durchgeführt.
III.
Das Berufungsurteil wird deshalb aufgehoben, soweit es die Widerbeklagten zu 2) und 3) betrifft, und die Sache insoweit zur erneuten tatrichterlichen Prüfung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Bei der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens, die dem Berufungsgericht ebenfalls Übertragen wird, wird zu berücksichtigen sein, daß die Revision der Widerbeklagten zu 1) keinen Erfolg hatte.
Unterschriften
Merz, Gärtner, Winter, Schmitz, Kreft
Fundstellen
Haufe-Index 1237703 |
NJW 1988, 2599 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1988, 1469 |