Leitsatz (amtlich)
Für eine Verpflichtung des noch im elterlichen Haushalt lebenden Kindes zu unentgeltlichen Dienstleistungen gemäß § 1619 BGB ist dann kein Raum mehr, wenn das Kind seine volle Arbeitskraft für eine anderweitige entgeltliche Erwerbstätigkeit einsetzt.
Normenkette
BGB § 1619
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 1. April 1996 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger verlangen von den Beklagten Ersatz für entgangene Dienstleistungen ihres 1970 geborenen Sohnes, der am 5. Mai 1990 bei einem vom Erstbeklagten als Fahrer eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs, verursachten Verkehrsunfall getötet worden ist. Die Ersatzpflicht der Beklagten steht dem Grunde nach außer Streit.
Der Sohn der Kläger hat bis zu diesem Zeitpunkt auf dem in Vollerwerbslandwirtschaft betriebenen elterlichen Hof gewohnt und nach noch nicht vollständigem Abschluß einer Lehre als Landmaschinentechniker als Arbeiter bei einem in der Nähe seines Heimatorts gelegenen Unternehmen monatlich ca. 2.500 DM brutto verdient. Er hat von den Klägern freie Kost und Logis sowie andere Gegenstände des Lebensbedarfs erhalten und in seiner arbeitsfreien Zeit im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern mitgeholfen. Nach Vorstellung der Kläger sollte er den Hof später übernehmen, hatte dem jedoch noch nicht zugestimmt.
Die Kläger haben mit dem Vorbringen, daß die Mitarbeit des Sohnes auf dem Hof sich monatlich auf 120 Stunden belaufen habe, dieser voraussichtlich bis zum Alter von 25 Jahren in ihrem Haushalt verblieben wäre und eine entsprechende Aushilfskraft monatlich 2.070 DM koste, von den Beklagten Schadensersatz in Höhe von 122.130 DM verlangt, und zwar für die Zeit von Mai 1990 bis einschließlich April 1995. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält den auf § 845 BGB gestützten Anspruch der Kläger für unbegründet, weil es an den Voraussetzungen für eine gesetzliche Verpflichtung des getöteten Sohnes zu Dienstleistungen im elterlichen Betrieb fehle. Eine Dienstleistungspflicht nach § 1619 BGB bestehe nämlich nur dann, wenn die Eltern das dem Haushalt angehörende Kind „unterhielten”, also „im wesentlichen” dessen Unterhalt leisteten. Das ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 1619 BGB, der bei verständiger Auslegung auf den vollen oder jedenfalls den im wesentlichen benötigten Unterhalt abstelle. Andernfalls werde nämlich eine Dienstleistungspflicht bereits bei völlig unbedeutenden Unterhaltsleistungen der Eltern ausgelöst, was mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht vereinbar sei. § 1619 BGB knüpfe die Dienstleistungspflicht allein an die Fortdauer der spezifischen familienrechtlichen Beziehungen, die zu einem wesentlichen Teil in der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem bedürftigen Kind ihren Niederschlag finde. Die Unterhaltspflicht werde jedoch erheblich eingeschränkt und habe in der Regel nur noch eine untergeordnete Bedeutung, wenn ein noch im Hausstand der Eltern lebendes erwachsenes Kind aus einer vom Elternhaus unabhängigen Erwerbstätigkeit ein regelmäßiges Einkommen erziele, das es in die Lage versetze, seinen Unterhalt weitgehend aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Entsprechend der Höhe des Einkommens verringere sich nach § 1602 BGB der Unterhaltsanspruch gegenüber den Eltern. Demnach werde die in der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem Kind begründete spezifische familienrechtliche Beziehung dann beendet, wenn der von den Eltern gewährte Unterhalt nicht mehr wesentlich sei, so daß dann auch kein Bedürfnis mehr für die in § 1619 BGB vorgesehene Dienstleistungspflicht des Kindes als – wenn auch nicht unbedingt gleichwertiger – Ausgleich für die Unterhaltspflicht der Eltern bestehe.
Deshalb sei der in Literatur und Rechtsprechung einhellig vertretenen Meinung zu folgen, daß auf die Wesentlichkeit der Unterhaltsleistung abzustellen sei. Die von den Klägern herangezogene Auffassung des OLG München (OLG-Report München 1994, 122) betreffe einen besonders gelagerten Einzelfall, weil dort die Tochter den eigenen Verdienst anders als im Streitfall nicht oder nur in unwesentlichem Umfang zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs verwendet habe.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision jedenfalls im Ergebnis stand.
1. Der von den Klägern geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach § 845 Satz 1 BGB hängt davon ab, ob die Mitarbeit des getöteten Sohnes, für welche sie Ersatz verlangen, im Rahmen einer gesetzlichen Dienstleistungspflicht nach § 1619 BGB erfolgt ist. Das hat das Berufungsgericht unter den Umständen des Streitfalls mit Recht verneint.
a) Wie der erkennende Senat schon in einem früheren Urteil (abgedruckt in BGHZ 69, 380, 381 f.) dargelegt hat, ist es Zweck des § 845 BGB, den Ersatz des durch die unerlaubte Handlung tatsächlich entstandenen wirtschaftlichen Ausfalls nicht daran scheitern zu lassen, daß die Vermögensminderung durch die Besonderheit der familienrechtlichen Dienstleistung nicht beim unmittelbar Verletzten entsteht, sondern bei den Eltern, für die das Kind ohne das sonst übliche Entgelt gearbeitet hat (vgl. auch Senatsurteil BGHZ 59, 172, 174). Der Senat hat dort geprüft, ob für einen Anspruch der Eltern aus § 845 BGB noch Raum sei, wenn das Kind seine Arbeitskraft bereits anderweitig für eine eigene Erwerbstätigkeit eingesetzt habe (BGHZ 69, 380, 382). Zwar war der dort zu beurteilende Sachverhalt insoweit anders gelagert, als der Sohn beim Unfall nur verletzt worden war und erst nach dem Unfall und einer verletzungsbedingten Umschulung eine anderweitige Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte, während er vor dem Unfall seine ganze Arbeitskraft im elterlichen Mühlenbetrieb eingesetzt hatte. Deshalb ging es in erster Linie um die Frage, ob neben einem eigenen Verdienstausfallschaden des Sohnes noch ein Anspruch der Eltern aus §§ 845, 1619 BGB für dessen ihnen entgangene Mitarbeit in Betracht kam. Das hat der erkennende Senat (a.a.O.) verneint, weil der Schädiger unter dem Blickpunkt der Schadenseinheit nicht mit einem doppelten Ersatzanspruch belastet werden dürfe. In dieser Weise stellt sich die Frage im Streitfall nicht, weil hier ein eigener Anspruch des Sohnes ausscheidet und nur der auf den Dienstleistungsanspruch gegründete Schadensersatzanspruch der Eltern zu beurteilen ist. Indessen hat der erkennende Senat bereits in jener Entscheidung darauf hingewiesen, daß bei richtiger Betrachtungsweise der auf § 1619 BGB beruhende Dienstleistungsanspruch der Eltern schon dadurch sein Ende gefunden habe, daß der Sohn sich tatsächlich einer erwerbsmäßigen Verwertung seiner früher für die familiär erbrachten Dienste eingesetzten Arbeitskraft zugewendet habe (a.a.O. S. 386; zust. Wussow/Dressler, Unfallhaftpflichtrecht, 14. Aufl., Rn. 1626, vgl. auch Rn. 1807).
b) An dieser Auffassung hält der Senat fest. Sie führt für den Streitfall zum Ergebnis, daß im Unfallzeitpunkt ein Dienstleistungsanspruch der Eltern nach § 1619 BGB nicht mehr bestanden hat und ihnen infolgedessen ein Schadensersatzanspruch nach § 845 BGB nicht zusteht.
aa) Nach § 1619 BGB ist das Kind, solange es dem elterlichen Hausstand angehört und von den Eltern erzogen oder unterhalten wird, verpflichtet, in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in ihrem Hauswesen und Geschäft Dienste zu leisten. Da im vorliegenden Fall der Sohn der Kläger vor dem Unfall noch in deren Haushalt lebte, andererseits aber nicht mehr von ihnen erzogen wurde, kommt eine Dienstleistungspflicht nur in Betracht, wenn er von den Eltern noch „unterhalten” wurde.
Das hat das Berufungsgericht verneint, weil im Hinblick auf das eigene Arbeitseinkommen des Kindes dessen Unterhalt nicht „im wesentlichen” von den Eltern geleistet worden sei, wie es jedoch für das Bestehen einer Dienstleistungspflicht nach § 1619 BGB vorausgesetzt werde. Hierfür kann sich das Berufungsgericht auf den überwiegenden Teil des Schrifttums stützen (Soergel/Strätz, BGB, 12. Aufl., § 1619 Rn. 4; Staudinger/Coester, BGB, 9. Aufl., § 1619 Rn. 26; Erman/Michalski, BGB, 9. Aufl., § 1619 Rn. 4; MünchKomm/Hinz, BGB, 3. Aufl., § 1619 Rn. 9; Palandt/Diederichsen, BGB, 56. Aufl., § 1619 Rn. 4; Massfeller/Böhmer/Coester, Das gesamte Familienrecht, 3. Aufl., § 1619 Rn. 18; a.A. RGRK-Wenz, BGB, 12. Aufl., § 1619 Rn. 10 und wohl auch Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 4. Aufl. S. 844). Diese Meinung wird auch in der Rechtsprechung mehrfach vertreten (OLG Celle, NZV 1997, 233; LG Paderborn, ZfS 1983, 261; LG Kiel, FamRZ 1989, 1172; vgl. auch OLG Oldenburg, Nds. Rpfl. 1983, 138; OLG Stuttgart, VersR 1990, 902 und OLG Nürnberg, VersR 1992, 188). Demgegenüber beruft sich die Revision auf andere Entscheidungen, nach welchen das eigene Erwerbseinkommen des sog. Hauskindes keine Rolle spiele und dessen – nach Maßgabe der zeitlichen Verfügbarkeit evtl. eingeschränkte – Dienstleistungspflicht auch bei eigener Berufstätigkeit jedenfalls dadurch ausgelöst werde, daß sein wesentlicher elementarer Lebensbedarf wie Unterkunft und Verpflegung tatsächlich von den Eltern geleistet werde (OLG Saarbrücken, VersR 1981, 542; 1989, 757 und OLG München a.a.O.).
bb) Welche Bedeutung dem Begriff „unterhalten” in § 1619 BGB zukommt, kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im angefochtenen Urteil wie auch derjenigen des OLG München – a.a.O. – allein dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnommen werden. Beide Entscheidungen legen dem Wortlaut denn auch unterschiedliche Bedeutung bei. Aufschlußreicher ist hingegen der Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte. Die Motive zu der einschlägigen Gesetzesbestimmung über die Dienstleistungspflicht des Kindes (§ 1499 – später § 1617, nunmehr § 1619 BGB) unterscheiden zunächst zwischen solchen Kindern, die noch unter der Erziehungsgewalt der Eltern stehen, und solchen, bei denen dies nicht mehr der Fall ist (Mot. IV, 715). Während es bei den Erstgenannten nicht darauf ankomme, ob sie von den Eltern oder aus Einkünften des eigenen Vermögens unterhalten würden, weil sich ihre Dienstleistungspflicht bereits aus der abhängigen Stellung solcher Kinder gegenüber den Eltern ergebe (Mot. a.a.O. 714/715), war eine Dienstleistungspflicht für die nicht mehr unter der elterlichen Erziehungsgewalt stehenden Kinder ersichtlich schon damals umstritten. Hierzu heißt es in den Motiven (a.a.O. S. 715), es entspreche der familienrechtlichen Abhängigkeit, daß ein Kind zur Leistung unentgeltlicher Dienste im Sinne von § 1499 BGB (jetzt § 1619 BGB) verpflichtet sei, solange es dem Hausstand der Eltern angehöre und von den Letzteren unterhalten werden müsse, weil es sich selbst zu unterhalten nicht imstande sei. Zweifelhafter sei es, wenn Kinder in der Lage seien, sich selbst zu unterhalten und deshalb eine Unterhaltspflicht nicht mehr bestehe, sie aber gleichwohl noch im Hausstand der Eltern lebten und von diesen unterhalten würden. Diese Fallgruppe solle durch die (später Gesetz gewordene) Regelung in die Dienstleistungspflicht einbezogen werden, insbesondere um die aufgrund der bisherigen Rechtslage häufigen Rechtsstreitigkeiten darüber zu vermeiden, ob solche Kinder ein Entgelt für ihre Dienste fordern könnten. Damit sollte also rechtlich klargestellt werden, daß schon die bisherige Pflicht der Kinder, „den Eltern in deren Wirtschaft und Gewerbe nach ihren Kräften hilfreiche Hand zu leisten” – so Preuß.ALR II 2 § 121 – auf die Leistung unentgeltlicher Dienste gerichtet war.
cc) Von diesen Fallgruppen, bei denen nach den Vorstellungen des Gesetzgebers eine Pflicht zur unentgeltlichen Dienstleistung bestehen sollte, unterscheidet sich der Streitfall dadurch in maßgeblicher Weise, daß das Kind seine volle Arbeitskraft außerhalb des elterlichen Betriebs für eine eigenständige Erwerbstätigkeit eingesetzt hat. Wie die historische Entwicklung des Anspruchs aus § 1619 BGB zeigt, wird nämlich die Dienstleistungspflicht dadurch geprägt, daß das Kind auf familienrechtlicher Basis seine Arbeitskraft gegen Gewährung des Unterhalts unentgeltlich dem elterlichen Hauswesen oder Betrieb zur Verfügung stellt. Diesem Zusammenspiel von unentgeltlicher Arbeitsleistung und Unterhaltsgewährung im familiären Bezug muß bei Beurteilung der Dienstleistungspflicht des § 1619 BGB Rechnung getragen werden. Vom familienbezogenen Charakter der Dienstleistungspflicht ist auch der erkennende Senat stets ausgegangen und hat in älteren Entscheidungen sogar das Bestehen einer Vermutung dafür angenommen, daß die Mitarbeit des Hauskindes aufgrund familienrechtlicher Beziehungen im Sinn des § 1619 BGB erfolge und deshalb unentgeltlich sei (Senatsurteile vom 27. Oktober 1959 – VI ZR 159/58 – VersR 1960, 132; vom 5. Mai 1961 – VI ZR 187/60 – VersR 1961, 694 und vom 12. Oktober 1965 – VI ZR 91/64 – VersR 1965, 1202 f.; vgl. auch Urteil des V. Zivilsenats vom 16. März 1973 – V ZR 34/71 – FamRZ 1973, 298 f.). Hiervon ist er in neueren Entscheidungen abgerückt, weil die Mitarbeit erwachsener Hauskinder auf rein familienrechtlicher Grundlage unter dem Einfluß moderner Anschauungen selten geworden sei und deshalb hierfür keine Vermutung mehr sprechen könne, sondern es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles ankomme (Senatsurteile vom 7. Dezember 1971 – VI ZR 153/70 – VersR 1972, 301; BGHZ 69, 380, 383 sowie vom 6. November 1990 – VI ZR 37/90 – VersR 1991, 428).
dd) Bezeichnenderweise war all diesen Fällen gemeinsam, daß vor dem Schadensereignis jeweils die volle Arbeitskraft des Kindes im elterlichen Betrieb eingesetzt worden war, das Kind also noch keine von den Eltern unabhängige Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte. In solchen Fällen kann in der Tat eine Abhängigkeit des Kindes von den elterlichen Unterhaltsleistungen nicht von vornherein verneint werden, so daß in Einklang mit den oben dargelegten gesetzgeberischen Vorstellungen vom Ansatz her eine rechtliche Verpflichtung zu unentgeltlicher Dienstleistung im Sinne des § 1619 BGB in Betracht kommt. Freilich ist infolge des bereits erörterten Wegfalls der Vermutung für ein familienrechtliches Abhängigkeitsverhältnis im Einzelfall stets zu prüfen, ob der Einsatz der Arbeitskraft des Kindes im elterlichen Betrieb tatsächlich auf einem solchen Abhängigkeitsverhältnis beruht und deshalb unentgeltlich ist oder ob ihm vertragliche Abmachungen zugrunde liegen, die den Charakter der Unentgeltlichkeit beseitigen (Senatsurteil vom 6. November 1990 – a.a.O.). Der Senat hat in diesem Zusammenhang auch mehrfach darauf hingewiesen, daß die Dienstleistungspflicht nach § 1619 BGB insofern unvollkommen ist, als sie jederzeit durch eine Vergütungsabrede zwischen Eltern und Kind ersetzt oder vom Kind durch das Verlassen des elterlichen Haushalts einseitig beendet werden kann (BGHZ 69, 380, 383/384 sowie Senatsurteile vom 27. Oktober 1959 – VI ZR 159/58 – VersR 1960, 132, 131 und vom 7. Dezember 1971 – a.a.O.).
c) Nach diesen Grundsätzen ist indes für eine Pflicht zur unentgeltlichen Dienstleistung jedenfalls dann kein Raum mehr, wenn das Kind seine Arbeitskraft anderweitig zum Erwerb in einem Umfang einsetzt, der in dem betreffenden Berufszweig üblicherweise die volle Erwerbsarbeitskraft ausschöpft. Dann fehlt es auch an der weiteren Voraussetzung des § 1619 BGB, daß das Kind „nach seinen Kräften und seiner Lebensstellung” zur unentgeltlichen Dienstleistung gehalten ist. Insoweit muß nämlich auf die berufliche Situation des Kindes abgehoben werden, so daß es nicht ausschlaggebend sein kann, wenn etwa im elterlichen Betrieb ein zeitlicher Einsatz über die normale Berufstätigkeit hinaus üblich ist. Dies folgt auch aus der oben erörterten Wechselbeziehung, die der Regelung des § 1619 BGB zugrunde liegt. Wird nämlich die gesetzliche Dienstleistungspflicht des Kindes vom unentgeltlichen Einsatz seiner Arbeitsleistung geprägt, weil hierdurch der andernfalls bestehende Vergütungsanspruch ausgeschlossen wird, so entfällt diese familienrechtliche Besonderheit, sobald das Kind seine Arbeitskraft in vollem Umfang für eine eigenständige Erwerbstätigkeit nutzt. Danach kann sich seine stundenweise Mitarbeit im elterlichen Betrieb während der Freizeit im Rechtssinn nur noch als freiwillig darstellen, auch wenn sie im Hinblick auf sein Verbleiben im Haushalt einem Anstandsgefühl entsprechen mag. Dem kann zwar in solchen Fällen die Gewährung von Kost und Unterkunft durch die Eltern als typische Gegenleistung für die zeitweise freiwillige Mithilfe gegenüberstehen. Das stellt jedoch kein „Unterhalten” i.S.d. § 1619 BGB dar, weil das Kind mit der Aufnahme einer eigenständigen Erwerbstätigkeit aus jenem besonderen familiären Abhängigkeitsverhältnis ausgeschieden und damit die Grundlage für seine gesetzliche Dienstleistungspflicht in Wegfall geraten ist. Deshalb kommt es in Fällen wie dem Streitfall nicht darauf an, ob und inwieweit das Kind von den Eltern Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs erhalten hat, so daß sich schon vom Ansatz her nicht die Frage stellt, ob es sich bei den vom Berufungsgericht erörterten Leistungen um den „wesentlichen” Unterhalt handelt.
I.
d) Eine andere Beurteilung könnte sich lediglich dann ergeben, wenn eine Aufspaltung der Arbeitskraft des Kindes in die selbst genutzte Erwerbsarbeitskraft und eine restliche Arbeitskraft für die Freizeit vorzunehmen wäre und die letztere Gegenstand einer begrenzten Dienstleistungspflicht nach § 1619 BGB sein könnte. Eine solche Aufspaltung kommt indes aus tatsächlichen wie auch aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht. Zum einen hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 6. November 1990 – a.a.O. – darauf hingewiesen, daß bei Beurteilung der Dienstleistungspflicht nach § 1619 BGB den natürlichen Verhältnissen des Lebens Rechnung zu tragen und eine ganzheitliche Betrachtungsweise angezeigt ist. Setzt nämlich das Kind seine Arbeitskraft voll für eine eigene Erwerbstätigkeit ein, so liegt auf der Hand, daß für die Mitarbeit im elterlichen Betrieb nur ein Aufopfern von Freizeit in Frage kommt. Daß eine Aufspaltung der Arbeitskraft des „Hauskindes” in Erwerbsarbeitskraft einerseits und Dienstleistungspflicht in der Freizeit andererseits auch in rechtlicher Hinsicht verfehlt wäre, wird im übrigen durch die Überlegung bestätigt, daß andernfalls Schadensersatzansprüche sowohl der Eltern nach §§ 1619, 845 BGB als auch des in seiner eigenen Erwerbsfähigkeit betroffenen Kindes in Betracht kämen, wenn dieses beim Unfall lediglich verletzt worden ist. Die Möglichkeit eines solchen doppelten Schadensersatzanspruchs hat der erkennende Senat jedoch, wie eingangs zu a) dargelegt, bereits in dem in BGHZ 69, 380 ff. abgedruckten Urteil aus Rechtsgründen verneint.
2. Die Revision bleibt auch insoweit ohne Erfolg, als sie eine Dienstleistungspflicht des Sohnes der Kläger aus § 1618a BGB herleiten will.
Diese Vorschrift zeigt nach allgemeiner Auffassung das gesetzliche Leitbild für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern auf, nämlich gegenseitige Fürsorge, wie sie in einer intakten Familie auch ohne besondere gesetzliche Vorschrift geübt wird (OLG Bamberg, VersR 1985, 290 mit Nichtannahmebeschluß des erkennenden Senats vom 20. November 1984 – VI ZR 48/84). Das OLG Bamberg hat – a.a.O. – zu Recht darauf hingewiesen, daß die durch § 1618a BGB begründete Verpflichtung zu gegenseitigem Beistand nicht ständige Dienste im Haushalt und Gewerbebetrieb umfasse, sondern sich hieraus allenfalls unter ganz besonderen Umständen und auch dann nur vorübergehend eine Mitarbeitspflicht ergeben könne. In der a.a.O. abgedruckten Begründung des Nichtannahmebeschlusses hat der erkennende Senat für jenen Fall, der einen Anspruch der Kinder auf entgangene Dienste durch ihre Mutter betraf, offengelassen, ob sich aus § 1618a BGB überhaupt ein klagbarer Anspruch ergeben könne (vgl. hierzu Soergel/Strätz a.a.O., § 1618a Rn. 3; RGRK/Wenz a.a.O., § 1618a Rn. 3; Staudinger/Coester a.a.O., § 1618a Rn. 8). Der vorliegende Fall nötigt erst recht nicht zu einer Entscheidung dieser Frage, da es hier um den Anspruch der Eltern auf Dienstleistungen durch das Kind geht und die Voraussetzungen dieses besonderen Anspruchs selbständig in § 1619 BGB geregelt sind, nach den Darlegungen oben zu 1) für den Streitfall jedoch nicht bejaht werden können. Hat aber im Zeitpunkt des Unfalls ein Anspruch der Eltern auf unentgeltliche Dienstleistungen durch das Kind schon bei richtigem Verständnis des § 1619 BGB nicht mehr bestanden, so liegt auf der Hand, daß ein derartiger Anspruch auch nicht aus der ergänzenden Leitbildvorschrift des § 1618a BGB hergeleitet werden kann.
III.
Da sich nach alledem das angefochtene Urteil im Ergebnis als richtig erweist, war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Groß, Bischoff, Dr. v. Gerlach, Dr. Müller, Dr. Dressler
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.10.1997 durch Weschenfelder Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 604938 |
BGHZ, 1 |
NJW 1998, 307 |
FamRZ 1998, 101 |
JZ 1998, 362 |
MDR 1998, 49 |
RdL 1998, 10 |
VRS 1998, 81 |