Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Entscheidung über eine im Prozeß erklärte Aufrechnung nach dem Urteil des EuGH vom 13. Juli 1995 (Rs C – 341/93 = NJW 1996, 42).
- Der Bestimmtheitsgrundsatz des § 253 Abs. 2 ZPO gilt auch für die Prozeßaufrechnung.
- Wird im Prozeß mit einer Mehrheit von Forderungen aufgerechnet, so ist der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt, wenn die mehreren Forderungen in einer bestimmten Reihenfolge benannt und im einzelnen hinreichend genau bezeichnet sind.
Normenkette
EuGVÜ Art. 2, 6 Nr. 3; ZPO §§ 33, 253 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 30. August 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, ein in Dänemark ansässiges Unternehmen, verlangt von der Beklagten Bezahlung einer Lieferung von 23,7 t Apfelsaftkonzentrat. Die Beklagte macht im Wege der Aufrechnung und der Widerklage mehrere abgetretene Forderungen geltend. Forderung und Gegenforderungen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin kaufte bei der in Tschechien ansässigen Firma L. wiederholt Apfelsaft- und Orangensaftkonzentrat, das sie sodann an verschiedene deutsche Firmen, unter anderem an die Beklagte, weiterverkaufte. Die Lieferungen erfolgten jeweils unmittelbar von der tschechischen Herstellerin an die deutschen Käuferinnen. Gegenstand der Klage ist – neben außergerichtlichen Auslagen in Höhe von 21,– DM – die Kaufpreisforderung für eine Lieferung Apfelsaftkonzentrat vom 31. Juli 1996, für die die Klägerin der Beklagten unter dem 6. August 1996 eine Rechnung über 20.145,– DM stellte. Diese Rechnung hat die Beklagte bislang – anders als die vorangegangenen Rechnungen – nicht bezahlt.
Mit Urkunde vom 1./13.Juli 1998 trat die Firma L. sechs Forderungen, die ihr angeblich gegen die Klägerin zustanden und die sich auf insgesamt 82.251,– DM beliefen, in Höhe eines Teilbetrages von 70.711,20 DM an die Beklagte ab. Mit diesen Forderungen rechnet die Beklagte bis zur Höhe der Klageforderung auf; den übersteigenden Betrag von 50.545,20 DM macht sie im Wege der Widerklage geltend.
Hinsichtlich der Aufrechnung und der Widerklage hat die Klägerin die internationale Unzuständigkeit der deutschen Gerichte gerügt. Sie ist der Auffassung, daß es an einem Zusammenhang zwischen der Klageforderung und den von der Beklagten geltend gemachten Gegenforderungen fehle und Aufrechnung und Widerklage deshalb unzulässig seien. Überdies seien die Gegenansprüche auch unbegründet, weil die betreffenden Forderungen der Firma L. gegen sie – die Klägerin – durch Aufrechnung bzw. Verrechnung im Rahmen der laufenden Geschäftsbeziehungen erloschen seien.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Aufrechnung und Widerklage hat es mit der Begründung, für eine Entscheidung über die Gegenforderungen fehle es an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, für unzulässig erachtet. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihre Anträge zur Klage und Widerklage in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat – insoweit in Übereinstimmung mit dem Landgericht – die Klage auch unter dem Gesichtspunkt der internationalen Zuständigkeit für zulässig und in der Sache für begründet gehalten. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat es jedoch die internationale Zuständigkeit hinsichtlich der Entscheidung über die Aufrechnung gleichfalls bejaht. Es hat offengelassen, ob es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 13. Juli 1995 (NJW 1996, 42), das für die Geltendmachung einer Forderung als Verteidigungsmittel die Zuständigkeitsbestimmung des Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ für unanwendbar hält und insoweit auf das nationale Recht verweist, für die Entscheidung über eine Prozeßaufrechnung nach deutschem Verfahrensrecht noch einer internationalen Zuständigkeit bedürfe und wie dieses Erfordernis gegebenenfalls zu begründen sei. Jedenfalls sei die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die hierzu die Vorschrift des Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ herangezogen habe, durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes überholt. Unabhängig von dem Meinungsstreit über die Auslegung des Urteils hinsichtlich der Anwendbarkeit des nationalen Rechts sei im vorliegenden Fall die internationale Zuständigkeit zumindest deshalb gegeben, weil die deutschen Gerichte zur Entscheidung über die Aufrechnungsforderung unter dem Gesichtspunkt des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ bzw. § 29 Abs. 1 ZPO (analog) international originär zuständig seien. Die Parteien seien nämlich stillschweigend davon ausgegangen, daß die Ware erst nach der Lieferung zu bezahlen sei. Daher seien gemäß Art. 57 Abs. 1 b CISG, dessen Bestimmungen auf den internationalen Kaufvertrag zwischen der Firma L. und der Klägerin anzuwenden seien, die Forderungen in Deutschland zu erfüllen.
Im übrigen ergäbe sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte auch aus § 33 ZPO oder der analogen Anwendung des Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ, weil die Klageforderung und ein Teil der Aufrechnungsforderung sich auf dieselbe Lieferung bezögen und überdies insgesamt ein natürlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang bestehe, so daß von einer Konnexität der beiderseitigen Forderungen auszugehen sei.
Das Berufungsgericht hält die Aufrechnung aber deshalb für unzulässig, weil sie nach dem insoweit maßgebenden deutschen Prozeßrecht – hier: § 253 Abs. 2 ZPO – zu unbestimmt sei. Die Beklagte habe einen Teilbetrag von 20.166,– DM aus einer Gesamtforderung von 82.251,– DM zur Aufrechnung gestellt, deren „rangersten” Teil in Höhe von 70.711,20 DM sie durch Abtretung erlangt haben wolle. Damit sei unklar, welche von den insgesamt sechs abgetretenen Einzelforderungen sie zur Tilgung der Klageforderung verbrauchen wolle. Obwohl das Oberlandesgericht auf diesen – bereits von der Klägerin gerügten – Gesichtspunkt hingewiesen habe, habe die Beklagte hierzu nichts weiter vorgetragen. Ihr Prozeßbevollmächtigter habe in der mündlichen Verhandlung lediglich erklärt, ihm sei die Problematik bekannt, mangels näherer Information seiner Mandantin „könne und wolle er (aber) nicht angeben, welche Rechnungsforderung er zur Aufrechnung stelle.”
Soweit sich die Berufung der Beklagten gegen die Abweisung der Widerklage gerichtet hat, hält das Oberlandesgericht das Rechtsmittel für unzulässig, weil nur bedingt eingelegt. Die Beklagte habe die Entscheidung zur Widerklage ausdrücklich nur hilfsweise angegriffen. Auch eine Auslegung der Berufungsbegründung ergebe nicht, daß die Beklagte insoweit eine unbedingte Berufung einlegen und begründen wollte.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in den wesentlichen Punkten nicht stand. Hierüber war durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da die Klägerin trotz rechtzeitiger Ladung im Verhandlungstermin nicht vertreten war. Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis der Klägerin, sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 81 f).
1. Soweit das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten bezüglich der Widerklage als unzulässig angesehen hat, ist die Revision kraft Gesetzes zulässig (§ 547 ZPO). Sie ist auch begründet, weil die Berufung entgegen der Meinung des Oberlandesgerichts auch insofern unbedingt eingelegt war und nur die Widerklage zulässigerweise von einer innerprozessualen Bedingung abhängig sein sollte. Den von der Beklagten schriftsätzlich formulierten Anträgen läßt sich nichts dafür entnehmen, daß bezüglich der Widerklage schon die Einlegung des Rechtsmittels mit einer Bedingung verknüpft werden sollte. Obwohl die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung dies nicht ausdrücklich erklärt hat, läßt sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Berufungsanträge sowie des Vorbringens der Beklagten und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der wohlwollenden Auslegung von Prozeßerklärungen (vgl. dazu zuletzt Senatsurteil vom 17. Mai 2000 – VIII ZR 210/99, WM 2000, 1512 = NJW 2000, 3216 unter II 1 m.w.Nachw.) auch hinreichend deutlich erkennen, daß der Hilfsantrag nur für den Fall gestellt sein sollte, daß die Klage auf Grund der Aufrechnung abgewiesen werden würde; diese Abhängigkeit von einer innerprozessualen Bedingung ist unschädlich. Selbst wenn insofern noch Bedenken blieben, hätte das Berufungsgericht die Beklagte hierauf hinweisen müssen (§§ 139, 278 Abs. 3 ZPO); das Unterbleiben eines solchen Hinweises rügt die Revision zu Recht. Die Beklagte hätte dann, wie die Revision weiter ausgeführt hat, ihre Berufungsanträge in dem dargelegten Sinn klargestellt.
Dieser Hinweis war auch nicht deshalb entbehrlich, weil bereits die Klägerin in ihrer Berufungserwiderung die Unzulässigkeit der Berufung beanstandet hatte. Denn die Klägerin hatte ihren Einwand lediglich auf die insoweit angeblich fehlende Berufungsbegründung gestützt; auf die Frage einer bedingten Berufungseinlegung war sie nicht eingegangen.
2. Soweit das Berufungsgericht die Klage für begründet erachtet hat, weil es die Aufrechnung mangels hinreichender Bestimmtheit für unzulässig gehalten hat, kann dem Oberlandesgericht ebenfalls nicht gefolgt werden. Zutreffend ist das Berufungsgericht zwar unter Heranziehung des deutschen Zivilprozeßrechts als der maßgeblichen lex fori (Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 3. Aufl., Rn. 868 b) davon ausgegangen, daß auch für die Prozeßaufrechnung der Bestimmtheitsgrundsatz des § 253 Abs. 2 ZPO gilt. Dieser ist hier jedoch gewahrt; denn die Beklagte hatte – worauf die Revision zu Recht hinweist – bereits in erster Instanz die schriftliche Abtretungsvereinbarung mit der Fa. L. vom 1./13. Juli 1998 vorgelegt. Dieser Vereinbarung war eine Aufstellung beigefügt, in der die sechs abgetretenen Forderungen in zeitlicher Reihenfolge mit Rechnungsdatum, – nummer, und – betrag sowie mit weiteren Einzelheiten vollständig aufgeführt waren. Schon für sich allein, jedenfalls aber in Verbindung mit der Auslegungsregel der §§ 396 Abs. 1 Satz 2, 366 Abs. 2 BGB ist klargestellt, in welcher Reihenfolge die an die Beklagten abgetretenen, im einzelnen individualisierten Forderungen der Fa. L. von ihr nunmehr aufgerechnet werden sollten. Zwar hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten durch seine Bemerkung in der Berufungsverhandlung, er wolle und könne nicht angeben, mit welcher Rechnungsforderung er aufrechne, dies alles wieder in Frage gestellt; dennoch war die Beklagte nicht gehindert, noch in der Revisionsinstanz die gebotene Klarstellung erneut vorzunehmen (BGHZ 11, 192, 195; Musielak/Foerste aaO, § 253 Rdnr. 28).
Aus der schriftlichen Abtretungsvereinbarung vom 1./13. Juli 1998 und der beigefügten Forderungsaufstellung ergibt sich demnach folgende Berechnung: Von dem Gesamtbetrag der in der Aufstellung enthaltenen Forderungen von 82.251,– DM hatte die Fa. L. den „rangersten” Teil in Höhe von 70.711,20 DM an die Beklagte abgetreten, also die Forderungen Nr. 1 bis 5 in Höhe von insgesamt 70.226,– DM jeweils in voller Höhe und die Forderung Nr. 6 (über 12.025,– DM) in Höhe des verbleibenden Restbetrages von 485,20 DM. Von dem abgetretenen Betrag hatte die Beklagte – wiederum entsprechend der numerischen und chronologischen Reihenfolge der Aufstellung – 20.166,– DM, d.h. 14.550,25 DM aus der Forderung Nr. 1 und 5.615,75 DM aus Nr. 2, zur Aufrechnung gegen die Klageforderung, die sich aus der Kaufpreisforderung von 20.145,– DM und außergerichtlichen Auslagen von 21,– DM zusammensetzt, verwandt; der übersteigende Teil der Abtretungssumme (70.711,20 DM ./. 20.166,– DM =) 50.545,20 DM ist Gegenstand der Widerklage.
III. Nach alledem ist das Berufungsurteil insgesamt aufzuheben.
1. Die der Klage stattgebende Entscheidung erweist sich nicht deshalb als richtig (§ 563 ZPO), weil die Aufrechnung mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte zur Entscheidung über die Gegenforderung unzulässig wäre. Zu Recht hat das Oberlandesgericht die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den Fall bejaht, daß man eine solche Zuständigkeit im gegebenen Fall voraussetzt.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist für die Entscheidung über eine im Prozeß erklärte Aufrechnung die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte erforderlich, so daß eine Aufrechnung mit bestrittenen, inkonnexen Gegenforderungen unzulässig ist, mit einer konnexen Gegenforderung aber in entsprechender Anwendung des § 33 ZPO geltend gemacht werden kann (vgl. Senatsurteil vom 12. Mai 1993 – VIII ZR 110/92, NJW 1993, 2753 unter B II m.w.Nachw.; MünchKommZPO-Peters, ZPO, 2. Aufl., § 145 Rdnr. 37). Für den Geltungsbereich des EuGVÜ hat der Senat die Aufrechnung mit bestrittenen, inkonnexen Gegenforderungen in entsprechender Anwendung des Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässig angesehen (aaO unter III 2 b). An dieser Rechtsprechung kann, soweit es den Anwendungsbereich dieses Übereinkommens anbetrifft, nicht mehr uneingeschränkt festgehalten werden. Sie ist, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 13. Juli 1995 (C-341/93, NJW 1996, 42) überholt. Dort hat der Europäische Gerichtshof ausgesprochen, daß Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ nur den Fall einer Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung regelt, nach deutschem Rechtsverständnis also für eine Widerklage gilt. Die Vorschrift ist jedoch, wie der Europäische Gerichtshof weiter klargestellt hat, nicht für den Fall heranzuziehen, daß ein Beklagter eine Forderung gegenüber dem Kläger als bloßes Verteidigungsmittel in das Verfahren einführt. Die Verteidigungsmittel, die geltend gemacht werden können, und die Voraussetzungen, unter denen dies geschehen kann, bestimmen sich – so führt der Europäische Gerichtshof aus – vielmehr nach nationalem Recht.
Wie dieser Hinweis auf das nationale Recht zu verstehen ist, ist, auch bei Heranziehung der Ausführungen des Generalanwalts (vgl. Coester-Waltjen, Festschrift für G. Lüke 1997, S. 35 f, 46/47), umstritten. Teilweise wird die Ansicht vertreten, der Europäische Gerichtshof habe für den Fall, daß der Rechtsstreit den Regelungen des EuGVÜ unterliege, das Erfordernis einer internationalen Zuständigkeit für die Aufrechnung verneint und mit dem Verweis auf das nationale Recht das nationale materielle Recht gemeint, oder es wird darüber hinaus – unabhängig vom Geltungsbereich des EuGVÜ – empfohlen, grundsätzlich auf das Erfordernis einer internationalen Zuständigkeit für die Gegenforderung zu verzichten (Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, Dissertation Konstanz 1998, S. 184 f, 217; Roth, RIW 1999, 819; Busse, MDR 2001, 729 unter II 2 a und b, IV 2, Coester-Waltjen, aaO S. 48; offengelassen: Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 6. Aufl., Art. 6 EuGVÜ Rdnr. 41 f; vgl. auch Soergel/von Hoffmann, BGB, 12. Aufl., Art. 32 EGBGB Rdnr. 52). Die Gegenmeinung hält weiterhin ohne Einschränkung eine internationale Zuständigkeit nach deutschem internationalem Prozeßrecht, auch im Geltungsbereich des EuGVÜ, für erforderlich (Wagner, IPRax 1999, 65, 71 f, 76; Jayme-Kohler, IPRax 1995, 349; Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 3. Aufl. Rdnr. 868 c; Schlosser, EuGVÜ 1996, Art. 2 Rdnr. 15; Bülow/Böckstiegel/Auer, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen 1997, Art. 6 Rdnr. 60). Nach dieser Auffassung ist das genannte Urteil des Europäischen Gerichtshofes dahin zu verstehen, daß das EuGVÜ sich insoweit nur mit der Widerklage befassen, die Regelung der Aufrechnung aber ebenso wie diejenige der sonstigen Verteidigungsmittel den nationalen Prozeßordnungen überlassen will.
Die Streitfrage bedarf jedoch keiner Entscheidung. Selbst wenn man die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Aufrechnung der Beklagten mit den ihr von der Firma L. abgetretenen Forderungen für erforderlich hält, ist sie jedenfalls deshalb zu bejahen, weil die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 33 ZPO erfüllt sind. Aus dem Grundgedanken der für die Widerklage geltenden Vorschrift des § 33 ZPO ist herzuleiten, daß eine internationale Zuständigkeit für die aufrechnungsweise geltend gemachte Gegenforderung stets dann gegeben ist, wenn der Gegenanspruch – anders als in dem vom Senat entschiedenen Fall (Urteil vom 12. Mai 1993 aaO unter III 2 b) – mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln in Zusammenhang steht. Ein solcher Zusammenhang liegt nach herrschender Meinung dann vor, wenn zwischen den beiderseitigen Ansprüchen eine rechtliche Verbindung besteht, wobei dieser Begriff weit auszulegen ist (BGHZ 53, 166, 168). Dies ist beispielsweise bei Verträgen im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen anzunehmen (MünchKomm/Patzina aaO § 33 Rdnr. 21; Musielak/Smid, ZPO, 2. Aufl., § 33 Rdnr. 2; Busse aaO S. 730; ähnlich Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 33 Rdnr. 15).
Die Voraussetzungen des § 33 ZPO hat das Berufungsgericht zu Recht bejaht. Die Klageforderung bezieht sich auf die Bezahlung von Apfelsaftkonzentrat, das die Firma L. im Auftrag der Klägerin an die Beklagte geliefert hat und dessen Bezahlung die Firma L. ihrerseits mit der an die Beklagte abgetretenen Forderungen begehrt. Überdies standen die Parteien und die Firma L. durch gegenseitige Absprachen über die einzelnen Lieferungen und über die Zahlungswege wie bei einem zweiseitigen Rahmenvertrag – hier ist ein Zusammenhang im Sinne des § 33 ZPO jedenfalls vorhanden (Busse aaO S. 730) – in laufender geschäftlicher Verbindung.
Nach alledem ist die Aufrechnung der Beklagten auch dann zulässig, wenn man für die Entscheidung über die geltend gemachten Gegenforderungen eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte fordert. Auf die Frage, ob sich diese Zuständigkeit auch aus dem Gesichtspunkt des Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ) ergibt und ob, wie die Revision annimmt, die Abtretung der Kaufpreisforderung aus einem internationalen Kaufvertrag Einfluß auf die Bestimmung des Erfüllungsortes nach Art. 57 CISG hat (vgl. dazu Schlechtriem/Hager, CISG, 3. Aufl., Art. 57 Rdnr. 8 m.w.Nachw.; Achilles, Kommentar zum UN-Kaufrecht, Art. 57 Rdnr. 4 a.E.), kommt es demnach nicht mehr an.
2. Auch die für die Entscheidung über die Widerklage gemäß Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ erforderliche internationale Zuständigkeit ist gegeben. Diese setzt voraus, daß die Widerklage auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage gestützt wird. Zwar kann insoweit nicht unmittelbar auf die deutsche Rechtsprechung zu § 33 ZPO zurückgegriffen werden; denn das EuGVÜ ist als internationales Abkommen im Interesse einer einheitlichen Anwendung in seinem Geltungsbereich autonom, d.h. aus sich selbst heraus auszulegen. Ob der Begriff des für die Anwendung des Art. 6 Nr. 3 erforderlichen Zusammenhangs enger einzugrenzen ist als im Anwendungsbereich des § 33 ZPO (vgl. dazu Kropholler aaO Rdnr. 35; Musielak/Weth aaO, EuGVÜ Art. 6 Rdnr. 7; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 22. Aufl., EuGVÜ Art. 6 Nr. 5; für eine weite Auslegung ausdrücklich Zöller/Geimer aaO, EuGVÜ Art. 6 Rdnr. 4; ähnlich MünchKomm-ZPO/Gottwald, EuGVÜ Art. 6 Rdnr. 16), kann hier dahinstehen. Angesichts der einem Rahmenvertrag vergleichbaren engen rechtlichen Beziehungen zwischen der Fa. L., der Klägerin und der Beklagten sowie des unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs sämtlicher den Forderungen zugrundeliegender Einzellieferungen ist auch das Merkmal der Konnexität im Sinne des Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ zu bejahen. Sämtlichen, von der Beklagten widerklageweise geltend gemachten Forderungen liegen Lieferungen der Fa. L. zugrunde, für die die Beklagte bereits das Entgelt an die Klägerin geleistet hat.
3. Das Berufungsgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – nicht geprüft, ob die im Wege der Aufrechnung und der Widerklage geltend gemachten Gegenforderungen der Beklagten begründet sind. Der Senat ist insoweit an einer eigenen Entscheidung gehindert, weil es hierzu weiterer Feststellungen bedarf. Gemäß § 565 Abs. 1 ZPO war die Sache daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Beyer, Wiechers, Dr. Wolst, Dr. Frellesen
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 07.11.2001 durch Kirchgeßner, Justizobersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 664987 |
BGHZ |
BGHZ, 120 |
BB 2002, 14 |
NJW 2002, 2182 |
BGHR 2002, 171 |
BGHR |
EBE/BGH 2001, 412 |
EWiR 2002, 249 |
JR 2002, 501 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 102 |
WuB 2002, 379 |
ZAP 2002, 259 |
ZIP 2002, 821 |
IPRax 2002, 299 |
JZ 2002, 605 |
JuS 2002, 1024 |
MDR 2002, 410 |
RIW 2002, 146 |
IHR 2002, 31 |
KammerForum 2002, 91 |