Verfahrensgang
BPatG (Urteil vom 20.10.2021; Aktenzeichen 6 Ni 42/20 (EP)) |
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des 6. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 20. Oktober 2021 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 573 306 (Streitpatents), das am 18. September 2012 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 20. September 2011 angemeldet worden ist. Patentanspruch 1, auf den sich acht weitere Ansprüche zurückbeziehen, lautet in der Verfahrenssprache:
Fenster oder Tür, mit einem Flügelrahmen (2) und einem Blendrahmen (1), an dem der Flügelrahmen (2) bewegbar gelagert ist, und einem Antrieb (3), mittels dem der Flügelrahmen (2) geöffnet und geschlossen werden kann, wobei der Flügelrahmen (2) entriegelbar ist und dann manuell von einer geschlossenen Position in eine Öffnungsposition bewegbar ist, wobei der Antrieb (3) einen Motor (10) und ein Getriebe (12) umfasst und zur Entriegelung des Flügelrahmens (2) mindestens ein Getriebeelement (14) des Getriebes (12) außer Eingriff bringbar ist, wobei der Antrieb (3) in der geschlossenen Position des Flügelrahmens (2) verdeckt liegend und von außen nicht sichtbar in einem Falzraum zwischen dem Blendrahmen (1) und dem Flügelrahmen (2) angeordnet ist, und in einer Schließposition des Flügelrahmens (2) sich der Antrieb (3) an einer Position befindet, die benachbart zu einem Spalt (6) zwischen einem vorstehenden Ausleger (8) eines Profils des Flügelrahmens (2) und dem Blendrahmen (1) ausgebildet ist, wobei in dem Spalt (6) eine Dichtung (7) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Flügelrahmen (2) und der Blendrahmen (1) über mindestens ein Antriebsmittel (20) miteinander verbunden sind und das Getriebe (12) zwischen dem Motor (10) und dem Antriebsmittel (20) wirkt, und dass der Antrieb (3) ein Gehäuse (30, 31) umfasst, innerhalb dessen der Motor (10) und das Getriebe (12) angeordnet sind, und an dem Gehäuse (30, 31) eine Aussparung (32) zum Eingriff eines in den Spalt (6) durch Eindrücken der Dichtung (7) einführbaren Werkzeuges zum Außereingriffbringen des Getriebeelementes (14) vorgesehen ist.
Rz. 2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt und hilfsweise in vier geänderten Fassungen verteidigt.
Rz. 3
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit dessen Gegenstand über die Fassung nach dem vierten Hilfsantrag hinausgeht. Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in drei abermals geänderten Fassungen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.
Rz. 5
I. Das Streitpatent betrifft ein Fenster oder eine Tür mit einem automatischen Antrieb.
Rz. 6
1. Nach der Beschreibung des Streitpatents war im Stand der Technik ein motorisch angetriebenes Fenster bekannt, in dessen Rahmen eine Aussparung für das Antriebsgehäuse vorgesehen ist. Im Falle einer Funktionsstörung könne der Antrieb über einen drehbaren Hebel, welcher an der Außenseite hervorstehe, entkoppelt werden.
Rz. 7
Weiterhin gebe es Antriebe, die an oder auf dem Flügel- oder dem Blendrahmen oder zwischen diesen beiden Bauteilen montiert würden. Für eine manuelle Betätigung zwecks Notentriegelung könne ein mittels eines Stifts fixiertes Koppelungsteil demontiert werden. Die Montage des Stifts sei vergleichsweise aufwändig, zudem werde zusätzlicher Bauraum benötigt und im Betrieb könne es zu versehentlichen Entkopplungen kommen.
Rz. 8
2. Dem Streitpatent liegt das technische Problem zugrunde, einen kompakten Antrieb für ein Fenster oder eine Tür zur Verfügung zu stellen, der auf einfache Weise entriegelt werden kann.
Rz. 9
3. Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor:
0. Fenster oder Tür
1. mit einem Flügelrahmen (2)
2. und einem Blendrahmen (1),
2.1 an dem der Flügelrahmen (2) bewegbar gelagert ist,
3. und einem Antrieb (3), mittels dem der Flügelrahmen (2) geöffnet und geschlossen werden kann.
4. Der Flügelrahmen (2) ist entriegelbar
5. und dann manuell von einer geschlossenen Position in eine Öffnungsposition bewegbar.
6. Der Antrieb (3) umfasst
6.1 einen Motor (10)
6.2 und ein Getriebe (12).
7. Zur Entriegelung des Flügelrahmens (2) ist mindestens ein Getriebeelement (14) des Getriebes (12) außer Eingriff bringbar.
8. Der Antrieb (3) ist in der geschlossenen Position des Flügelrahmens (2) verdeckt liegend und von außen nicht sichtbar in einem Falzraum zwischen dem Blendrahmen (1) und dem Flügelrahmen (2) angeordnet.
9. In einer Schließposition des Flügelrahmens (2) befindet sich der Antrieb (3) an einer Position, die benachbart zu einem Spalt (6) zwischen einem vorstehenden Ausleger (8) eines Profils des Flügelrahmens (2) und dem Blendrahmen (1) ausgebildet ist.
10. In dem Spalt (6) ist eine Dichtung (7) angeordnet.
11. Der Flügelrahmen (2) und der Blendrahmen (3) sind über mindestens ein Antriebsmittel (20) miteinander verbunden.
12. Das Getriebe (12) wirkt zwischen dem Motor (10) und dem Antriebsmittel (20).
13. Der Antrieb (3) umfasst ein Gehäuse (30, 31), innerhalb dessen angeordnet sind
13.1 der Motor (10) und
13.2 das Getriebe (12).
14. Zum Außereingriffbringen des Getriebeelements ist an dem Gehäuse (30, 31) eine Aussparung (32) zum Eingriff eines in den Spalt (6) durch Eindrücken der Dichtung (7) einführbaren Werkzeuges (14) vorgesehen.
Rz. 10
4. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung.
Rz. 11
a) Der gemäß Merkmal 6 aus einem Motor (10) und einem Getriebe (12) bestehende Antrieb (3) ist gemäß Merkmal 8 in einem Falzraum zwischen dem Blendrahmen (1) und dem Flügelrahmen (2) angeordnet, und zwar so, dass er in geschlossener Position von außen nicht sichtbar ist.
Rz. 12
Um dennoch eine Entriegelung zu ermöglichen, ist gemäß Merkmal 9 an geeigneter Stelle zwischen Blend- und Flügelrahmen ein Spalt (6) ausgebildet, der gemäß Merkmal 10 eine Dichtung aufweist. Diese Dichtung kann gemäß Merkmal 14 mittels eines Werkzeugs eingedrückt werden.
Rz. 13
b) Um eine Entriegelung zu ermöglichen, kann gemäß Merkmal 7 mindestens ein Getriebeelement außer Eingriff gebracht, also in eine Position verbracht werden, in der es nicht mehr in Eingriff mit den übrigen Antriebselementen dient.
Rz. 14
Bei dem im Streitpatent geschilderten, unter anderem in den unten wiedergegebenen Figuren 4 und 5 dargestellten Ausführungsbeispiel besteht das Getriebe aus mehreren Zahnrädern.
Rz. 15
In der verriegelten Position steht ein erstes Zahnrad (13) in Eingriff mit einem zum Motor (10) gehörenden Schneckenrad (11). Ein zweites Zahnrad (14), das mit dem ersten drehfest verbunden ist, steht in Eingriff mit einem dritten Zahnrad (15) (Abs. 21).
Rz. 16
Zum Entriegeln kann das erste Zahnrad (13) zusammen mit dem zweiten Zahnrad (14) mit Hilfe des durch den Spalt eingeführten Werkzeugs entlang der gemeinsamen Achse (20) nach unten verschoben werden. Dadurch wird der Eingriff beider Zahnräder gelöst, so dass der Kraftfluss unterbrochen ist. Optional kann das erste Zahnrad (13) in Eingriff mit dem Schneckenrad (11) bleiben, weil der Kraftfluss schon dann unterbrochen ist, wenn das zweite Zahnrad (14) nicht mehr in Eingriff mit dem dritten Zahnrad (15) steht (Abs. 22).
Rz. 17
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 18
Der Gegenstand des Streitpatents beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Rz. 19
In der deutschen Offenlegungsschrift 10 2006 013 332 (NK5) sei ein Fensterantrieb mit den Merkmalen 0 bis 6 sowie 8 bis 13 offenbart. Nicht offenbart seien die Merkmale 7 und 14, also das Entriegeln durch Außereingriffbringen eines Getriebeelements mit Hilfe eines durch einen Spalt einführbaren Werkzeugs.
Rz. 20
Diese Art der Entkopplung sei aus den deutschen Gebrauchsmustern 298 18 339 (NK7) und 298 04 227 (NK9) bekannt.
Rz. 21
Es habe dem üblichen Handeln des Fachmanns, eines Maschinenbauingenieurs (FH oder Bachelor) mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Konstruktion und Entwicklung von Antriebssystemen für Fenster und Türen, entsprochen, eine Übertragung der aus NK7 und NK9 bekannten Entriegelung auf ein Fenster oder eine Tür gemäß NK5 zu prüfen. Hierbei sei der Fachmann gehalten gewesen, die Notentriegelung weiterhin über einen Spalt zu ermöglichen, was dem Merkmal 14 entspreche.
Rz. 22
Der mit den Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigte Gegenstand gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Das nach diesen Anträgen vorgesehene Zahnrad, das mit einem Schneckenrad auf einer Antriebswelle in Eingriff stehe, ein verschiebbares Getriebeelement bilde und durch die Aussparung zugänglich sei, stehe in den ursprünglichen Unterlagen in einem zwingenden Zusammenhang mit einem Federelement. Dieser Zusammenhang fehle in der Fassung der Hilfsanträge 1 und 2.
Rz. 23
Der erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellte Hilfsantrag 1A sei wegen Verspätung nicht zu berücksichtigen.
Rz. 24
III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren im Ergebnis stand.
Rz. 25
1. Zu Recht hat das Patentgericht den Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 als nicht patentfähig erachtet.
Rz. 26
Dieser Gegenstand war ausgehend von NK5 durch NK7 und NK9 nahegelegt.
Rz. 27
a) NK5 betrifft ebenso wie das Streitpatent ein Fenster- oder Türelement mit einem automatischen Antrieb.
Rz. 28
aa) NK5 nimmt Bezug auf im Stand der Technik bekannte Antriebe für Fenster und Türen und widmet sich dem Problem, dass ein Fenster oder eine Tür im Falle eines Stromausfalls oder eines Antriebsdefekts dennoch manuell zu öffnen sein sollte.
Rz. 29
Üblicherweise würden Antriebe auf dem Rahmen eines Fensters aufliegen und seien damit sichtbar. In diesem Falle könne der Antrieb leicht entkoppelt werden. Ein zwischen Blend- und Flügelrahmen auf der seitlichen Drehachse des Flügels angeordneter Antrieb, welcher den Flügel um die untere Kippachse verschwenke, sei für eine manuelle Öffnung zugänglich, wenn der Flügel um seine seitliche Drehachse aufgeschwenkt werde. Habe der Flügel jedoch nur eine einzige Drehachse, z.B. die untere Kippachse, sei eine manuelle Notöffnung nicht mehr möglich.
Rz. 30
bb) Zur Lösung dieses Problems schlägt NK5 einen im Flügelrahmen angeordneten Antrieb vor, bei dem eine schubfeste Kette (8) zur Kraftübertragung eingesetzt wird.
Rz. 31
Am Ende der Kette (8) ist ein Kupplungsteil (14) angebracht. Dieses weist einen schlittenförmigen Steg (11) auf, der in einem am Blendrahmen befestigten Nutenstein (15) eingeschoben wird. In eingeschobenem Zustand befinden sich eine am Nutenstein (15) ausgebildete Nut (12) und eine am Steg (11) ausgebildete Nut (13) auf derselben Achse. Durch Einschieben eines Sicherungsbolzens (16) können die beiden Bauteile in dieser Position fixiert werden.
Rz. 32
Ein Ausführungsbeispiel ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 3 und 4 dargestellt.
Rz. 33
Zum Entriegeln kann der Sicherungsbolzen (16) mit Hilfe eines Werkzeugs herausgezogen werden (Abs. 65). Dieses kann durch einen zwischen Blend- und Flügelrahmen ausgebildeten Spalt (6) eingeführt werden (Abs. 49 f.). Alternativ kann der Bolzen (16) so ausgebildet werden, dass er aus dem Spalt (6) herausragt. Als weitere Alternative kann ein elektromotorisch oder elektromagnetisch betätigbarer Bolzen als Sicherung eingesetzt werden (Abs. 71-74). Als Betätigungselement kann ferner auch ein von außen an den Rahmen gehaltener Permanentmagnet eingesetzt werden (Abs. 75-79).
Rz. 34
b) Damit sind, wie auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, die Merkmale 0 bis 6.1, 8 bis 11 sowie 13 und 13.1 offenbart.
Rz. 35
c) Ob darüber hinaus auch die ein Getriebe betreffenden Merkmale 6.2, 12 und 13.2 offenbart sind, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.
Rz. 36
d) Nicht offenbart sind, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, die Merkmale 7 und 14.
Rz. 37
NK5 offenbart zwar einen Spalt, wie er auch in Merkmal 14 vorgesehen ist. Dieser ist aber nicht dafür vorgesehen, ein Getriebeelement außer Eingriff zu bringen.
Rz. 38
e) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass eine Ergänzung der in NK5 offenbarten Vorrichtung um die nicht offenbarten Merkmale durch NK7 und NK9 nahegelegt war.
Rz. 39
aa) NK7 betrifft einen Kettenschubantrieb, der unter anderem für ausschwenkbare Fensterflügel eingesetzt werden kann.
Rz. 40
NK7 kritisiert an den damals vorbekannten Kettenschubantrieben, dass der Kettenaustritt die auslaufende Kette starr in Hubrichtung leite und nicht in der Lage sei, die Kette in gewünschtem Maße auf Zug und Druck ohne die Gefahr eines Einknickens belasten zu können (S. 1).
Rz. 41
Zur Lösung dieses Problems schlägt NK7 eine bewegliche Auslassführung vor, die die Kette mit weichen Bewegungen und weitgehend ruckfrei ein- und ausfahren lässt (S. 2). Damit sei der Platz- und Bauaufwand erheblich verringert und die Kette könne höhere Schubkräfte über größere Hublängen übertragen (S. 3).
Rz. 42
Als einfache Möglichkeit, um einen Freilauf zu schaffen, der Montage und Demontage bei auf der Baustelle noch fehlender Stromversorgung erleichtert, schlägt NK7 eine ausrückbare Getriebestufe vor (S. 3). Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 13 dargestellt.
Rz. 43
Ein aus zwei Ritzeln unterschiedlicher Größe bestehendes Zahnrad (32) ist axial verschiebbar auf einer Welle (34) gelagert. Das kleinere Ritzel dieses Zahnrads kämmt mit einem abtriebseitig angeordneten Zahnrad (36). Mit Hilfe eines durch Gehäuseöffnungen (37) steckbaren Werkzeugs (38) kann das Zahnrad (32) axial so verschoben werden, dass es den Eingriff zum Zahnrad (36) verliert. Dadurch entsteht für alle abtriebseitigen Getriebeelemente ein Freilauf (S. 13 Z. 21 bis S. 14 Z. 10).
Rz. 44
bb) NK9 betrifft ebenfalls einen Kettenschubantrieb, der für Flügelfenster eingesetzt werden kann.
Rz. 45
NK9 führt aus, ein im Stand der Technik bekannter Kettenschubantrieb weise eine hohe Selbsthemmung auf. Bei elektrischen Antrieben könne mittels einer Handkurbel eine Notbetätigung erfolgen, die parallel zum Motor wirke, so dass dieser mitgedreht werden müsse. Hierbei könnten Platz- und Montageprobleme auftreten.
Rz. 46
Zur Lösung dieses Problems schlägt NK9 eine Trennvorrichtung vor, mit der die Selbsthemmung des Kettenschubantriebs außer Kraft gesetzt wird. Bei einer als bevorzugt bezeichneten Ausführungsform, die in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 dargestellt ist, wird hierzu eine ausrückbare Getriebestufe (17) eingesetzt.
Rz. 47
Die Getriebestufe umfasst ein Zahnrad (9), das auf einer Achse (13) axial verschieblich gehalten ist. Durch ein Stellelement (15), das beispielhaft als Druckknopf ausgebildet ist, kann das Zahnrad ausgerückt werden. Dadurch gerät es außer Eingriff mit dem abtriebseitigen Zahnrad (10) (S. 4 Z. 19-35).
Rz. 48
cc) Damit sind in beiden Entgegenhaltungen die Merkmale 6.2, 7, 12 und 13.2 offenbart. NK7 offenbart darüber hinaus das Einführen eines Werkzeugs von außen, um den Eingriff zwischen zwei Zahnrädern zu lösen.
Rz. 49
dd) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass es nahelag, die in NK7 und NK9 offenbarte Funktion zur Entriegelung auch für Vorrichtungen nach dem Vorbild der NK5 in Betracht zu ziehen und es hierbei wahlweise bei der in NK5 als eine von mehreren Möglichkeiten offenbarten Betätigung mittels eines durch einen Schlitz eingeführten Werkzeugs zu belassen.
Rz. 50
(1) Wie auch die Berufung im Ansatz nicht verkennt, bestand ausgehend von NK5 Anlass, nach alternativen Möglichkeiten zur Entriegelung zu suchen.
Rz. 51
Das in NK5 als einfachstes Ausführungsbeispiel vorgeschlagene Herausziehen eines Sicherungsbolzens mit Hilfe eines Werkzeugs ermöglicht zwar eine einfache Entriegelung, begründet aber Schwierigkeiten bei einer erneuten Verriegelung, weil hierzu die voneinander gelösten Bauteile wieder zusammengefügt werden müssen. Die in NK5 als Alternativen vorgeschlagenen Ausführungsformen vermeiden zwar dieses Problem, erfordern aber vergleichsweise hohen Aufwand.
Rz. 52
(2) Entgegen der Auffassung der Berufung bestand Anlass, ausgehend von NK5 auf der Suche nach Alternativen die in NK7 und NK9 vorgeschlagene Funktionsweise in Betracht zu ziehen, also die in NK5 offenbarte Kombination aus einem Nutenstein und einem damit verriegelbaren Kupplungsteil durch eine ausrückbare Getriebestufe zu ersetzen.
Rz. 53
(a) Alle drei Entgegenhaltungen befassen sich mit elektrisch betätigbaren Fenstern, bei denen der Antrieb entriegelt werden kann.
Rz. 54
Dies gab Anlass, die in NK7 und NK9 offenbarten Entriegelungsmechanismen zu erkunden und darauf zu untersuchen, ob sie auch bei einer Vorrichtung nach dem Vorbild von NK5 einsetzbar sind.
Rz. 55
(b) Entgegen der Auffassung der Berufung sprach der Umstand, dass NK7 und NK9 größere Antriebseinheiten zeigen, die für die in NK5 vorgesehene Einbauart nicht oder allenfalls mit großen Schwierigkeiten eingesetzt werden können, nicht gegen eine Kombination der Entgegenhaltungen.
Rz. 56
Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, ging es nicht darum, die gesamte Antriebseinheit von NK7 oder NK9 auf NK5 zu übertragen, sondern lediglich um die Frage, wie eine einfache Entriegelung erreicht werden kann. Dabei handelt es sich um einen Einzelaspekt, der nicht in zwingendem Zusammenhang mit der sonstigen Ausgestaltung des Antriebs steht. Sowohl aus NK7 als auch aus NK9 ist erkennbar, dass das dort offenbarte Funktionsprinzip der ausrückbaren Getriebestufe unabhängig von der sonstigen Beschaffenheit und von der Größe des Antriebs eingesetzt werden kann.
Rz. 57
(c) Desgleichen ist erkennbar, dass eine ausrückbare Getriebestufe nicht zwingend fünf oder mehr Getriebeebenen erfordert.
Rz. 58
In NK7 und NK9 werden für die ausrückbare Getriebestufe - ebenso wie beim Ausführungsbeispiel des Streitpatents - nur drei Ebenen benötigt. Ein zwingender Zusammenhang zu den weiteren Ebenen, die in den beiden Entgegenhaltungen dargestellt sind, ist nicht ersichtlich.
Rz. 59
(d) Gegen eine Kombination der Entgegenhaltungen sprach auch nicht der Umstand, dass NK5 nicht zeigt, wie ein Antrieb mit Motor und Getriebe für eine Unterbringung im Falzraum konkret auszugestalten ist.
Rz. 60
Nach den Feststellungen des Patentgerichts konnte der Fachmann einen solchen Antrieb aufgrund seines Fachwissens konstruieren, wie es beispielhaft in der ebenfalls zum Stand der Technik gehörenden deutschen Offenlegungsschrift 10 2005 006 314 (NK12) offenbart ist.
Rz. 61
Dass es danach der Kombination von drei Entgegenhaltungen bedurfte, um zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen, führt schon deshalb nicht zu einer abweichenden Beurteilung, weil diese Entgegenhaltungen unterschiedliche technische Aspekte betreffen, die unabhängig voneinander betrachtet und gelöst werden können.
Rz. 62
(3) Entgegen der Auffassung der Berufung bestand ferner Anlass, als Betätigungselement für den Entriegelungsmechanismus nicht nur die in NK7 und NK9 offenbarten Varianten in Betracht zu ziehen, sondern auch die in NK5 aufgezeigten Möglichkeiten.
Rz. 63
Die drei Entgegenhaltungen zeigen unterschiedliche Möglichkeiten, einen nicht ohne weiteres zugänglichen Entriegelungsmechanismus von außen zu betätigen. Auch insoweit war erkennbar, dass die Auswahl unter diesen Mechanismen nicht zwingend damit zusammenhängt, ob die Entriegelung durch Ausrücken einer Getriebestufe oder durch Lösen von zwei miteinander verbundenen Teilen der Antriebskette erfolgt. Angesichts dessen lag es nahe, grundsätzlich alle in den drei Entgegenhaltungen offenbarten Mechanismen in Betracht zu ziehen.
Rz. 64
2. Das Streitpatent erweist sich auch in der Fassung von Hilfsantrag 1 nicht als rechtsbeständig.
Rz. 65
a) Nach Hilfsantrag 1 soll Patentanspruch 1 um folgende Merkmale ergänzt werden:
15. Das Getriebe (12) umfasst mindestens ein drehbares Getriebeelement (14), das für eine Entriegelung verschiebbar gelagert ist, um den Kraftfluss zwischen dem Motor (10) und einem Antriebsmittel (20) zu unterbrechen.
16. Das mindestens eine drehbare Getriebeelement (14) ist als Zahnrad ausgebildet, das verschiebbar auf einer Achse (20) gelagert ist.
17. Der Motor (10) weist auf einer Abtriebswelle ein Schneckenrad (11) auf, das in Eingriff mit dem Zahnrad (13) steht.
18. Dieses Zahnrad (13) ist durch die Aussparung (32) zugänglich und bildet eine Einheit mit dem als verschiebbares Getriebeelement (14) ausgebildeten Zahnrad sowohl in Drehrichtung als auch in axialer Richtung.
Rz. 66
Ferner wird Merkmal 6 dahin konkretisiert, dass der zum Antrieb gehörende Motor ein Elektromotor ist.
Rz. 67
b) Ob Hilfsantrag 1 - wie auch die weiteren Hilfsanträge - der Präklusion unterliegen und ob der mit ihnen verteidigte Gegenstand über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht, bedarf keiner Entscheidung.
Rz. 68
c) Hilfsantrag 1 beruht jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Rz. 69
aa) Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat und auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, sind die Merkmale 6', 15 und 16 in NK7 und in NK9 offenbart.
Rz. 70
Auch insoweit bestand Veranlassung, die in NK5 offenbarte Vorrichtung um diese Merkmale zu ergänzen.
Rz. 71
bb) Wie die Berufungserwiderung unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin zu Recht geltend macht, war der Einsatz eines Schneckenrads auf der Antriebswelle des Motors bei einer Kombination von NK5 mit NK7 oder NK9 ebenfalls nahegelegt.
Rz. 72
(1) Da NK5 nicht weiter erläutert, wie der einzusetzende Antrieb im Einzelnen beschaffen ist, bestand Anlass, insoweit übliche Ausgestaltungen in Betracht zu ziehen. Zu diesen gehörte der etwa in NK12 und in der internationalen Patentanmeldung 01/94732 (NK13) offenbarte Einsatz eines Schneckenrads auf der Antriebswelle des Motors.
Rz. 73
Dass NK7 und NK9 ein solches Element nicht offenbaren, ist schon deshalb unerheblich, weil es, wie bereits oben dargelegt wurde, nicht darum ging, die gesamte Antriebseinheit aus diesen Entgegenhaltungen auf NK5 zu übertragen.
Rz. 74
(2) Entgegen der Auffassung der Berufung kam der Einsatz eines Schneckenrads auch unter beengten Raumverhältnissen in Betracht.
Rz. 75
NK13 zeigt zwar eine Anordnung mit relativ großem Platzbedarf. NK12 zeigt aber, dass ein Schneckenrad auch in einem Antrieb eingesetzt werden kann, der im Falzraum zwischen den Rahmenelementen angeordnet ist. Die Beschreibung der NK12 offenbart dazu auch eine Variante, die unter Schrägstellung des Motors ein unmittelbares Anbringen des Schneckenrads an dessen Antriebswelle vorsieht (Abs. 53).
Rz. 76
(3) Weiterhin stand einer solchen Anordnung des Schneckenrads sowie dem in Abtriebsrichtung unmittelbar darauffolgenden verschiebbar gelagerten Getriebeelement nicht das Auftreten axialer Kräfte zwischen diesen beiden Getriebeelementen entgegen.
Rz. 77
In NK7 und NK9 ist offenbart, dass das ausrückbare Zahnrad gegen die Wirkung einer Feder auf seiner Welle verschiebbar gelagert ist (NK7 S. 13 Z. 22-25) und im normalen Betrieb durch die Feder in die Eingriffsposition mit den restlichen Getriebeteilen gebracht wird (NK9 S. 4 Z. 23-26). Daraus ergab sich die Anregung, die Federkraft bei Bedarf so auszugestalten, dass sie auch den bei Kopplung mit einem Schneckenrad auftretenden axialen Kräften standhält.
Rz. 78
cc) Aus entsprechenden Gründen war auch Merkmal 18 nahegelegt.
Rz. 79
Eine Einheit aus zwei Zahnrädern ist in NK7 offenbart. Die beiden Ritzel des dort eingesetzten verschiebbaren Zahnrads (32) bilden zwei miteinander verbundene Zahnräder im Sinne von Merkmal 18.
Rz. 80
Die Verbindung eines solchen Zahnrads mit einem Schneckenrad lag aus den bereits zu Merkmal 17 angeführten Gründen nahe.
Rz. 81
3. Das Streitpatent ist auch nicht in der Fassung des Hilfsantrags 2 rechtsbeständig.
Rz. 82
a) Nach Hilfsantrag 2 sollen in Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 die Merkmale 17 und 18 durch folgende Merkmale ersetzt werden:
17'. Das Getriebe (12) umfasst ein erstes Zahnrad (13), das in Eingriff mit einem Schneckenrad (11) steht.
18.' Dieses Zahnrad (13) ist drehfest mit einem zweiten Zahnrad als drehbares Getriebeelement (14) mit kleinerem Durchmesser verbunden, das in Eingriff mit einem dritten Zahnrad (15) steht.
Rz. 83
b) Auch der damit verteidigte Gegenstand beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Rz. 84
aa) Merkmal 17' ist weiter gefasst als Merkmal 17, weil das Schneckenrad nicht mehr zwingend auf einer Abtriebswelle des Motors angeordnet sein muss.
Rz. 85
Diese Erweiterung vermag nicht zur Bejahung der erfinderischen Tätigkeit zu führen.
Rz. 86
bb) Zwei drehfest miteinander verbundene Zahnräder, die in Eingriff mit einem dritten Zahnrad stehen, sind in NK7 offenbart.
Rz. 87
4. Schließlich erweist sich das Streitpatent auch in der Fassung des erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrags 3 nicht als rechtsbeständig.
Rz. 88
a) Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von den Hilfsanträgen 1 und 2 dadurch, dass Merkmal 6 wie in der erteilten Fassung lauten soll und die Merkmale 17 und 18 wie folgt gefasst sind:
17''. Ein Zahnrad (13) ist benachbart zu einer Schneckenwelle (11) axial verschiebbar gelagert,
18''. um zusammen mit dem als Zahnrad ausgebildeten Getriebeelement (14) einen Kraftfluss zwischen dem Motor (10) und einem Antriebsritzel (19) zu unterbrechen.
Rz. 89
b) Der damit verteidigte Gegenstand ist weiter als derjenige, der mit den Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigt wird. Er ist deshalb aus den bereits dargelegten Gründen ebenfalls nicht patentfähig.
Rz. 90
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO.
Bacher |
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