Entscheidungsstichwort (Thema)
fahrlässige Tötung
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 13. Juli 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Regensburg zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Der Angeklagte wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Annahme wendet, der Angeklagte habe (nur) fahrlässig gehandelt, hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte am 19. Juni 1998 die 18 Monate alte Tochter seiner Ehefrau aus dem Bett, da ihn das Schreien des Kindes störte. Er schüttelte sie so heftig, daß es zu einem Schütteltrauma kam. Zur Tatzeit war die Ehefrau des Angeklagten abwesend. Der Angeklagte – von Beruf Krankenpfleger und darüber hinaus im Rahmen langjähriger ehrenamtlicher Tätigkeit für das Rote Kreuz als Rettungssanitäter ausgebildet – nahm unmittelbar nach der Tat eine Erstversorgung des alsbald bewußtlos gewordenen Kindes vor und alamierte die Rettungsleitstelle. Das Kind verstarb nach wenigen Tagen an den Folgen des Schütteltraumas.
Das Verhältnis des Angeklagten zu dem von seiner Ehefrau mit in die Ehe gebrachten Kind war, ohne daß dies näher ausgeführt wäre, „problematisch”, es bestand ein „persönlicher Konflikt”.
Bereits früher hatte sich das Kind wiederholt Verletzungen zugezogen, wobei stets der Angeklagte, nicht aber dessen Ehefrau anwesend war: Ende März 1998 fiel es aus einem Hochstuhl und zog sich einen blauen Flecken zu. Ende April 1998 kam es zu Verbrühungen, als der Angeklagte das Kind badete. Drei Tage vor der Tat trat der Angeklagte das unter einem Tisch spielende Kind so heftig, daß es eine Schienbeinfraktur erlitt. Die Strafkammer hält zwar für möglich, daß diese Vorgänge, die nicht Gegenstand des Verfahrens waren, auf Aggressionshandlungen des Angeklagten zurückgehen, sie konnte aber auch eine „unglückliche Häufung” von Unglücksfällen nicht ausschließen, wovon zugunsten des Angeklagten – also nach dem Zweifelssatz – auszugehen sei.
2. Vorsätzliches Handeln des Angeklagten nimmt die Strafkammer nicht an. Zwar hat sie festgestellt, daß auch das Schütteltrauma Gegenstand der genannten Ausbildung beim Roten Kreuz war. Daraus folgert sie rechtsfehlerfrei, „daß der Angeklagte – zumindest von der theoretischen Erfahrung her – um die mit einem solchen heftigen Schütteln eines Kleinkindes vorhandene (gemeint wohl: verbundene) Todesgefahr wußte”. Darüber hinaus geht sie ebenfalls rechtsfehlerfrei davon aus, daß sich „unabhängig von … medizinischen Spezialkenntnissen … für jedermann (ergibt), daß das Schütteln eines Kleinkindes in der vom Angeklagten vorgenommenen außergewöhnlichen Weise … äußerst gefährlich ist und zu tödlichen Verletzungen führen kann”.
Dennoch liege kein Vorsatz vor: Die Strafkammer läßt dabei offen, ob der Angeklagte seine Kenntnisse bei der Tat „abrufbar im Gedächtnis” hatte. Die Annahme vorsätzlichen Handelns scheitere daran, daß sich der Angeklagte „dieser naheliegenden Einsicht verschloß”. Die Gründe hierfür „festzustellen (war) der Kammer nicht möglich”.
3. Die Verneinung vorsätzlichen Handelns hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Es bedarf dabei keiner Entscheidung darüber, ob die Frage nach der Abrufbarkeit im Gedächtnis des Angeklagten (zu diesem auch als „Parathalten unterhalb der aktuellen Bewußtseinsschwelle” oder „sachgedankliches Mitbewußtsein” bezeichneten Element des Vorsatzes vgl. Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 15 Rdn. 3; Cramer in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 15 Rdn. 51 jew. m.w.N.), offen bleiben konnte, oder ob nicht normative Gesichtspunkte der Ablehnung von Vorsatz entgegenstehen, wenn es dem Täter gelingt, sich jedermann offenliegenden (und ihm hier sogar besonders vertrauten) Erkenntnissen zu verschließen (vgl. Friedrich-Christian Schroeder in LK 11. Aufl. § 16 Rdn. 89).
Der Strafkammer sind nämlich schon bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen:
a) Bei der Prüfung des Vorsatzes kommt die Strafkammer auf die Feststellungen zu den früheren Verletzungen des Kindes nicht zurück. Es ist daher zu besorgen, daß sie sich nicht bewußt war, daß Beweisanzeichen, die auf einen feststehenden Kern gestützt sind (hier: das Kind zog sich in Anwesenheit des Angeklagten Verletzungen zu, wobei sich die Vorgänge bis kurz vor der Tat hinzogen und sich in ihrer Intensität steigerten), nicht als Ergebnis einer isolierten Würdigung vorab nach dem Zweifelssatz ausgeschieden werden können. Beweisanzeichen können auch angesichts ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung in einer Gesamtschau die Überzeugung von der Richtigkeit des Anklagevorwurfs begründen (BGH NStZ-RR 1997, 269; Urteil vom 15. Juli 1998 – 1 StR 243/98; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 267 Rdn. 41 m.w.N.).
b) Darüber hinaus genügt für die Feststellung von (hier: inneren) Tatsachen, daß ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, an dem vernüftige Zweifel nicht aufkommen können. Außer Betracht zu bleiben haben solche Zweifel, die keinen realen Anknüpfungspunkt haben, sondern sich auf die Annahme einer bloß abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 1999, 332, 333 m.w.N.).
Die Annahme, daß sich der Angeklagte aus unbekannten Gründen einer jedermann offenkundigen Einsicht verschlossen habe, zeigt mehr als eine solche Möglichkeit nicht auf.
4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Wie der Verteidiger des Angeklagten vor dem Senat vorgetragen hat, hat der Fall in Passau ungewöhnliches Aufsehen erregt. Es erschien dem Senat daher angemessen, die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 (zweite Alternative) StPO an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (vgl. Kuckein in KK 4. Aufl. § 354 Rdn. 37).
5. Der Senat weist auf folgendes hin:
Vorsatz enthält neben einem „Wissens-” auch ein „Wollenselement”. Eine Feststellung, daß der Angeklagte um die (tödlichen) Folgen wußte, die durch sein Verhalten eintreten konnten, würde noch nicht ohne weiteres zwingend ergeben, daß er sie auch wollte oder billigend in Kauf nahm (vgl. für den auch hier vorliegenden Fall gefährlicher Gewalthandlungen gegenüber einem Kleinkind BGH StV 1988, 328 m.w.N.). Bei der insoweit gebotenen Würdigung könnten Feststellungen zu dem bisher nicht näher ausgeführten problematischen Verhältnis des Angeklagten zu dem Kind sowie etwaige Feststellungen zu früherem Verhalten des Angeklagten gegenüber dem Kind einerseits und die Feststellungen zu seinen vergeblichen Rettungsbemühungen andererseits Bedeutung gewinnen.
Unterschriften
Schäfer, Maul, Wahl, Boetticher, Schluckebier
Fundstellen