Verfahrensgang
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Sein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.
Die Verurteilung des Angeklagten stützt sich auf die Aussage der Zeugin B., die angegeben hat, der Angeklagte habe mit ihr gewaltsam den Geschlechtsverkehr ausgeführt.
Der Angeklagte behauptet, die Zeugin habe mit ihm freiwillig geschlechtlich verkehrt. Die Aussage der Zeugin B. steht somit gegen die Aussage des Angeklagten. Die Entscheidung über Freispruch oder Verurteilung hängt infolgedessen davon ab, ob die Bekundungen der Zeugin glaubhaft sind. Der Angeklagte darf nicht verurteilt werden, wenn Umstände vorliegen oder (als nicht widerlegbar) zu seinen Gunsten angenommen werden müssen, die aus rationalen (intersubjektiv vermittelbaren und einsichtigen) Gründen nicht den Schluß gestatten, daß die Übereinstimmung von Zeugenaussage und dem tatsächlichen Geschehen in hohem Maße wahrscheinlich ist (Herdegen NStZ 1987, 193 [198]). Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 1980, 2423 [2424]; BGH NStZ 1982, 478 [479]; 1984, 180; BGH VRS 39, 103; BGH bei Holtz MDR 1978, 806; Herdegen a.a.O. § 196) können bloß "abstrakte", "theoretische", "unvernünftige" Zweifel, für die es keine reale Grundlage gibt und "übertriebene" ("überspannte") Anforderungen an die vom Tatgericht zu erlangende Gewißheit das für die Verurteilung "nach der Lebenserfahrung ausreichende Maß an Sicherheit" nicht in Frage stellen. Daraus folgt, daß andererseits Gründe, die zu "vernünftigen Zweifeln" in einer für den Schuldspruch relevanten Frage Anlaß geben, einer Verurteilung entgegenstehen (vgl. BGHSt 25, 365 [367]; 29, 18 [20]; BGH NStZ 1981, 33; 1982, 478 Nr. 31; 1984, 180; BGH StV 1982, 59; 1985, 92; 1986, 515; BGH bei Holtz MDR 1978, 806). Der "vernünftige Zweifel" hat seine Grundlage in rationaler Argumentation, welche die Indizien, die zugunsten des Angeklagten sprechen, vollständig und in ihren sachverhaltsbedeutsamen Aspekten erfaßt. Wo er Platz greift, ist das für eine Verurteilung erforderliche Beweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit nicht zu erreichen.
Im übrigen ist in der Rechtsprechung unbestritten, daß die subjektive Überzeugung des Tatrichters nur dann eine rechtsfehlerfreie Grundlage für die Verurteilung des Angeklagten bilden kann, wenn sich der Tatrichter mit allen wesentlichen für und gegen den Angeklagten sprechenden Umständen auseinandergesetzt hat.
Die Strafkammer verkürzt schon im Ansatz die Grundlage ihrer Würdigung und damit die Basis für in Betracht kommende vernünftige Zweifel. Sie fragt allein nach Rachegefühlen der Zeugin B. und danach, ob Anhaltspunkte dafür zu ersehen sind, daß die Zeugin den Angeklagten zu Unrecht belastete, "um vor dritten Personen einen Entschuldigungsgrund für einen freiwilligen Geschlechtsverkehr zu haben". Auf Rachegefühle und Motive für Entschuldigungsgründe allein kommt es bei der Entstehung des Entschlusses der Zeugin, dem Angeklagten Vergewaltigung vorzuwerfen, nicht entscheidend an.
Der Fehler, der die Glaubwürdigkeitsprüfung der Strafkammer als mangelhaft erscheinen läßt und (möglicherweise) bewirkte, daß vernünftige Zweifel ausblieben, liegt vor allem in der Nichtberücksichtigung oder unzulänglichen rationalen Würdigung von Auffälligkeiten im Verhalten der Zeugin B. vor und nach der "Tat" und ihrer schweren Alkoholisierung.
Die Zeugin hielt sich noch gegen 3.30 Uhr nachts allein mit dem Angeklagten in der Küche seiner Gaststätte auf. Beide hatten erhebliche Mengen alkoholischer Getränke zu sich genommen. Die Zeugin hatte eine Blutalkoholkonzentration von 2,9 %o, der Angeklagte eine solche von 2,64 %o. Die Zeugin sprach über ihre lesbischen Neigungen. Nach dem Geschlechtsverkehr zog sie sich nicht wieder an, um die Gastwirtschaft zu verlassen, sondern lief - nur mit Schuhen, Strümpfen, Slip und einem Unterhemd bekleidet - zu der ihr fremden Ehefrau des Angeklagten im ersten Stock des Gebäudes, weckte die schlafende Frau und sagte ihr, der Angeklagte habe sie vergewaltigt.
Bei diesem Geschehensablauf hätte sich die Strafkammer vor allem mit der Einlassung des Angeklagten und seiner Erklärung für die Beschuldigungen der Zeugin auseinandersetzen müssen. Der Angeklagte hat behauptet, die - stark angetrunkene - Zeugin sei mit dem - freiwilligen - Geschlechtsverkehr nicht zufrieden gewesen; sein Glied sei - wovon auch das Landgericht ausgeht nicht voll erigiert gewesen. Sie habe gefragt, ob es bei ihm wohl deshalb nicht "klappe", weil seine Frau im Hause sei, und ihn aufgefordert, mit ihr (der Zeugin) wegzufahren, damit ,,man es noch einmal in Ruhe machen könne". Als er das abgelehnt habe, habe sie gesagt: "Stell Dir vor, ich gehe zu Deiner Frau und sage, Du hast mich vergewaltigt." Auf seine Erwiderung, "geh doch!" habe sie ihn bei seiner Ehefrau der Vergewaltigung bezichtigt.
Der kurze Hinweis des Landgerichts, die Zeugin habe bei der Ehefrau des Angeklagten Hilfe finden wollen, ist unzureichend. Offen bleibt, wie sich der Angeklagte nach dem Geschlechtsverkehr verhielt, ob die Zeugin die Möglichkeit hatte, ihre Kleider wieder anzuziehen und das Haus zu verlassen.
Unerörtert bleibt auch die Tatsache, daß die Zeugin B. hinreichenden Anlaß hatte, eine spontan aufgestellte Behauptung über die Erzwingung des Geschlechtsverkehrs auch dann später aufrechtzuerhalten, wenn sie nicht der Wahrheit entsprach, nachdem die Ehefrau des Angeklagten sie wegen dieser Behauptung sofort angegriffen, erheblich mißhandelt und sogleich andere Personen hinzugezogen hatte.
Der Umstand, daß die Zeugin selbst keine Anzeige erstattete, spricht unter diesem Blickwinkel nicht für die Richtigkeit ihrer Angaben, sondern eher dagegen.
Schließlich ergibt sich aus der Schilderung des engeren Tatgeschehens durch die Zeugin keine Präferenz für die Richtigkeit ihrer Angaben gegenüber der Einlassung des Angeklagten. Nach den Feststellungen des Landgerichts konnte der Angeklagte den Geschlechtsverkehr nur mit nicht voll erigiertem Glied vollziehen. Geht man davon aus, dann liegt einvernehmlicher Geschlechtsverkehr sogar näher als die Vergewaltigung einer sich heftig wehrenden Frau, deren Slip nicht ausgezogen, sondern lediglich bis unter die Knie heruntergezogen gewesen sein soll.
Nach allem hat das angefochtene Urteil keinen Bestand.
Fundstellen
Haufe-Index 2992925 |
NJW 1988, 3273 |
BGHR StGB § 177 Abs. 1 - Beweiswürdigung 3 |
BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 7 |
DRsp IV(456)139a-b |
NStZ 1988, 236 |
EzSt StPO § 261 Nr. 21 |
MDR 1988, 425 |
NStE StPO § 261 Nr. 44 |
StV 1988, 191 |