Verfahrensgang

BPatG (Urteil vom 07.07.1988)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats III) des Bundespatentgerichts vom 7. Juli 1988 abgeändert.

Das Patent 27 31 784 wird in vollem Umfang für nichtig erklärt.

Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Beklagte, der bis Ende 1977 als Angestellter in Diensten der Klägerin stand, ist Inhaber des auf eine von der Klägerin am 14. Juli 1977 eingereichte und später auf ihn umgeschriebene Anmeldung erteilten Patents 27 31 784 (Streitpatents), das eine elektrisch isolierende Einbettungsmasse betrifft.

Die Patentansprüche 1 und 6 lauten:

„1. Elektrisch isolierendes Gemisch aus gekörntem Magnesiumoxid und einem silikatischen Zusatzstoff, dadurch gekennzeichnet, daß der Zusatzstoff ein technisches alkalifreies oder alkaliarmes Glas mit einer Transformationstemperatur im Bereich von 650° C bis 1000° C ist und daß der Gehalt des Gemisches an diesem Zusatzstoff 0,05 bis 5 Gew.-% beträgt.

6. Gemisch nach Anspruch 1 bis 6,

dadurch gekennzeichnet, daß der Zusatzstoff 15 bis 25 Gew.-% Al(2)O(3), 45 bis 60 Gew.-% SiO(2), insgesamt 8 bis 28 Gew.-% BaO, CaO, MgO und B(2)O(3), ggf. bis zu 3 Gew.-% ZrO(2) sowie O bis 2 Gew.-% Alkalioxid enthält.”

Wegen des Wortlauts der Patentansprüche 2 bis 5 und 7 bis 9 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin hat mit der Begründung, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, Nichtigkeitsklage erhoben. Sie hat sich dabei unter anderem auf die deutsche Offenlegungsschrift 25 25 441 gestützt, die eine eigene Patentanmeldung der Klägerin betrifft.

Das Bundespatentgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage das Patent 27 31 784 teilweise für nichtig erklärt, indem es Anspruch 1 durch Zusammenfassung mit Anspruch 6 nur beschränkt aufrechterhalten hat.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien im Umfang ihres Unterliegens Berufung eingelegt.

Der Senat hat über die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage gesondert verhandelt und durch Zwischenurteil vom 15. Mai 1990 die Klage für zulässig erklärt.

Der Beklagte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Nichtigkeitsklage auch im übrigen abzuweisen. Die Klägerin erstrebt die Nichtigerklärung des Streitpatents in vollem Umfang. Beide Parteien bitten um Zurückweisung der gegnerischen Berufung.

Prof. Dr. R. B., geschäftsführender Direktor des Instituts für Nichtmetallische Werkstoffe (Fachbereich 17 Werkstoffwissenschaften) der Technischen Universität B., und Prof. Dr. R. W., Institut für Werkstoff Wissenschaften (Lehrstuhl III: Glas und Keramik) der Friedrich- Alexander-Universität E.-N., haben als gerichtliche Sachverständige Gutachten erstattet.

 

Entscheidungsgründe

Nachdem der Senat durch Zwischenurteil die Klage für zulässig erklärt hat, war über die Berufungen der Parteien in der Sache durch Schlußurteil zu entscheiden. Die Berufung der Klägerin hat Erfolg und führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents in vollem Umfang; das Rechtsmittel des Beklagten ist zurückzuweisen.

I. 1. Das Streitpatent betrifft ein elektrisch isolierendes Gemisch aus gekörntem Magnesiumoxid und einem silikatischen Zusatzstoff sowie die Verwendung dieses Gemisches als Rohrfüllung für elektrische Heizkörper.

Ein solches Gemisch wird wegen seiner elektrischen Isolationseigenschaft als Isolierstoff zwischen spannungsführenden Heizwendeln und den Rohrmänteln in elektrischen Heizkörpern der Elektrowärme- und Haushaltsgeräteindustrie verwendet. Neben dem hohen elektrischen Widerstand ist eine gute Wärmeleitfähigkeit unter anderem deswegen wichtig, damit sich die Heizwendel nicht zu sehr aufheizt. Hohe Heizleitertemperaturen sind unerwünscht, da sie die Gebrauchsbereitschaft des Heizelementes verkürzen. In der Beschreibung der Streitpatentschrift wird hierauf hingewiesen und weiterhin ausgeführt: Rohrfüllungen aus Magnesiumoxid ohne Zusatzstoffe hätten sich wegen der auftretenden Ableitströme als unbefriedigend erwiesen. Um den Sicherheitsanforderungen zu genügen, habe man zur Senkung der Ableitströme verschiedene Zusätze vorgeschlagen, deren Wirkungsmechanismen noch nicht ganz geklärt seien. Die verbessernde Wirkung dieser Zusätze auf das Ableitstromverhalten reiche jedoch in vielen Fällen nicht aus. Insbesondere bei hochbelasteten Rohrheizkörpern seien die Ableitströme (Leckströme) zu hoch. Die Lebensdauer der Heizelemente sei eingeschränkt bzw. sei eine großzügige Dimensionierung der Rohre erforderlich. Aufgrund der teilweise nicht ausreichenden Wirkung der Zusätze müßten hochreine Magnesiumqualitäten eingesetzt werden, die nur sehr schwer erhältlich seien. Die elektrisch isolierende Wirkung der bekannten Rohrheizfüllungen nehme bei längerem Gebrauch der Rohrheizkörper stark ab. Anzustreben sei daher eine Absenkung der Ableitströme, wodurch eine Verringerung der Isolierschicht und damit eine kleinere Dimensionierung der Rohrheizkörper möglich werde, was technisch und wirtschaftlich vorteilhaft sei (Streitpatentschrift S. 2 Z. 29 bis S. 3 Z. 6).

2. Das der Lehre des Streitpatents zugrundeliegende Problem wird in der Streitpatentschrift darin gesehen, eine wärmeleitende, elektrisch isolierende Einbettungsmasse zur Verfügung zu stellen, die im praktischen Gebrauch verminderte Ableitströme (Leckströme) aufweist.

Zur Lösung schlägt die Streitpatentschrift vor:

  1. Das elektrisch isolierende Gemisch besteht aus:

    1. gekörntem Magnesiumoxid und
    2. einem silikatischen Zusatzstoff.
  2. Der Zusatzstoff ist

    1. ein technisches alkalifreies oder alkaliarmes Glas
    2. mit einer Transformationstemperatur im Bereich von 650° C bis 1000° C und
    3. in dem Gemisch in einer Menge zwischen 0,05 bis 5 Gew.-% enthalten.

3. Nach den übereinstimmenden Ausführungen beider gerichtlicher Sachverständiger konnte der Fachmann durchschnittlichen Könnens am Prioritätstag der Streitpatentschrift entnehmen, daß er zu einer etwaigen Verbesserung der Isoliermasse anstelle bisheriger Zusatzstoffe ein alkalifreies oder alkaliarmes technisches Glas mit einer Transformationstemperatur von 650° C bis 1000° C verwenden konnte. Als Durchschnittsfachmann ist dabei in erster Linie ein an einer Fachhochschule ausgebildeter Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik anzusehen, der über berufliche Erfahrungen auf dem Gebiet der elektrischen Heiztechnik verfügt sowie Grundkenntnisse über thermische und elektrische Eigenschaften metallischer und nichtmetallischer Werkstoffe besitzt. Ein solcher Fachmann hat zwar keine Detailkenntnisse über technische Gläser. Aufgrund seiner Berufstätigkeit weiß er jedoch, daß als Einbettungsmassen auch Gemische mit Zusätzen aus Keramik oder Glas in Betracht kommen. Befaßt er sich mit der Verbesserung einer elektrisch isolierenden Einbettungsmasse für Rohrheizkörper, so wird er einen Chemiker zu Rate ziehen, der mit dem Erschmelzen und den Eigenschaften von Gläsern vertraut ist. Dieser Fachmann versteht unter einem technischen Glas ein anorganisches nichtmetallisches Schmelzprodukt, das bei normaler Abkühlung von etwa 1° C pro Sekunde so geringe Kristallausscheidungen aufweist, daß die Glaseigenschaften nicht merklich beeinflußt werden, d.h. daß der Volumenanteil an kristallinen Bestandteilen kleiner als 1 ppm ist. Er weiß, daß solche speziellen Gläser im optischen, elektrischen, chemischen und medizinischen Bereich Anwendung finden und daß deren Eigenschaften, und zwar auch deren elektrische, weitgehend durch ihre qualitative und quantitative Zusammensetzung im Hinblick auf ihren jeweiligen Anwendungsbereich bestimmt sind. Ein solcher Fachmann versteht die Streitpatentschrift deshalb dahin, daß im Sinne des Streitpatents nicht alle technischen Gläser geeignet sind, sondern nur die auf Seite 3, Zeilen 20 bis 27 der Streitpatentschrift konkret beschriebenen, d.h. solche mit einem möglichst geringen Alkalioxidgehalt und einer bestimmten Transformationstemperatur (650° C bis 1000° C), wie sie in der Technik zur Herstellung geformter Gebilde mit hoher Temperaturbelastbarkeit, z.B. in der Thermometrie und im Apparatebau, eingesetzt werden und die sich durch mangelnde Kristallisationsfähigkeit und dadurch auszeichnen, daß der Wert für den spezifischen elektrischen Volumenwiderstand wenigstens 10 Ohm × cm bei Temperaturen oberhalb 400° C, vorzugsweise oberhalb 550° C beträgt.

4. Es kann dahinstehen, ob die Lehre des Anspruchs 1 des Streitpatents neu und fortschrittlich ist. Jedenfalls beruht sie nicht auf einer erfinderischen Leistung.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, den schriftlichen Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen und unter Berücksichtigung des Parteivorbringens steht zur Überzeugung des Senats fest, daß ein Fachmann durchschnittlichen Könnens aufgrund des Standes der Technik ohne erfinderisches Bemühen zur Lehre des Streitpatents gelangen konnte.

a) Der wesentliche Stand der Technik ergibt sich aus den nur ein bzw. zwei Jahre vor der Anmeldung des Streitpatents veröffentlichten deutschen Offenlegungsschriften 23 63 790 und 25 25 441, die das gleiche Problem betreffen und bereits deutlich in Richtung auf das Streitpatent weisende Lösungsvorschlage offenbaren. Abgesehen davon, daß in diesen Veröffentlichungen keine Transformationstemperatur genannt wird, unterscheiden sich ihre Lösungsvorschlage nur darin von der Lehre des Streitpatents, daß die jeweils vorgeschlagenen Zusatzstoffe bei sonst gegebener Übereinstimmung nicht als „technisches Glas” bezeichnet werden können. Als Zusatzstoff wird in der deutschen Offenlegungsschrift 23 63 790 ein „ganz oder teilweise glasig erstarrtes” Magnesiumeisenaluminiumsilikat und in der Offenlegungsschrift 25 25 441 ein ähnlich zusammengesetzter Stoff vorgeschlagen, „dessen Körner aus amorphen und mikro- bis kryptokristallinen Phasen bestehen”. Der entscheidende Unterschied besteht mithin darin, daß die vorbekannten Zusatzstoffe noch kristalline Bestandteile enthalten und nicht nur aus einer amorphen Phase bestehen.

b) Eine unmittelbare Anregung, die an sich bekannten Zusatzstoffe für ein elektrisch isolierendes Gemisch in Richtung auf eine rein amorphe Phase und damit in Richtung auf ein technisches Glas im Sinne des Streitpatents zu modifizieren, fand der Fachmann in der deutschen Offenlegungsschrift 25 25 441. Diese Druckschrift beschreibt ein Verfahren zur Herstellung von Rohrfüllungen für elektrische Rohrheizkörper, deren Rohrfüllung einen erhöhten elektrischen Widerstand besitzt und aus gekörntem erschmolzenem Magnesiumoxid und einem feuerfesten oxidischen Zusatzstoff besteht Dabei wird die Richtung des technischen Fortschritts in deutlicher Weise vorgegeben, und zwar nicht nur bezüglich der physikalischen und chemischen Grundlagen, wie Ladungsausgleich an der Oberfläche der Magnesiumoxid-Körner oder die Gleit- und Sinterwirkung des Zusatzstoffes, sondern auch hinsichtlich der Bedeutung des amorphen Anteils, dessen Erhöhung von 15 auf 76 % eine Verringerung der Ableitströme und 14 bis 48 % erbrachte. Es wird beschrieben, daß der Zusatzstoff einerseits eine Zerstörung der Magnesiumoxid-Kristall beim Verdichtungsprozeß (Hämmern, Walzen, Pressen) durch gutte Gleiteigenschaften weitgehend verhindern und andererseits eine hohe topochemische Reaktionsfähigkeit besitzen soll, so daß es bei relativ niedrigen Temperaturen, wie sie z.B. bei Blankglühen von Rohrheizkörpern vor dem Biegen angewendet werden (ca. 800° C – 1050° C), mit den aktiven Leitfähigkeitszentren (Störstellen) an der Oberfläche eines oder mehrerer benachbarter Magnesiumoxid-Kristalle reagiert. Das Leitfähigkeitszentrum wird dadurch neutralisiert und infolgedessen die elektrische Leitfähigkeit an der Kristalloberfläche herabgesetzt. Geeignet sind nach der deutschen Offenlegungsschrift 25 25 441 solche Zusatzstoffe, die Elektronen an das Magnesiumoxid-Gitter leicht abgeben, die durch Sintern oder Schmelzen und anschließendes Abschrecken hergestellt werden und deren Körner eine amorphe Phase sowie mikro- bis kryptokristalline Anteile aufweisen, wobei im kristallinen Anteil die Kristallgröße maximal 10 Mikron nicht übersteigt.

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. W. hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt, der Fachmann erkenne beim Studium der deutschen Offenlegungsschrift 25 25 441, daß der vorgeschlagene Zusatzstoff, der in seiner mineralogischen Zusammensetzung innerhalb des Systems MgO-SiO(2)-Al(2)O(3) liege, kein technisches Glas sei. Ein Material, dessen amorphe und röntgenamorphe Phase entsprechend Anspruch 4 zwischen 50 bis 95 Gew.-%, vorzugsweise zwischen 65 und 80 Gew.-% betrage, besitze zwar noch einen hohen kristallinen Anteil. Der Fachmann habe jedoch der Druckschrift entnehmen können, daß man auf der Suche nach einem Zusatzstoff mit besseren Wirkungen zunächst den durch die ältere deutsche Patentschrift 19 21 789 vorgezeichneten Weg (d.h. Verwendung von Zusatzstoffen mit möglichst vollständiger kristalliner Zusammensetzung) zu verlassen habe und daß das beizusetzende Material ein Gleitmittel mit hoher topochemischer Reaktionsfähigkeit sein müsse. Der Zusatzstoff müsse deshalb einen überwiegenden Anteil an amorphen Bestandteilen haben. Der Fachmann habe auch erkennen können, daß für die erfindungsgemäße Wirkung des Zusatzstoffes nach der Lehre der Veröffentlichung allein die amorphe Phase wichtig sei, wobei ein bestimmter kristalliner Anteil lediglich als unschädlich hingenommen werden könne, weil dieser solange nicht störe, als er sich in gewissen Grenzen halte. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. W. hat weiter ausgeführt, die Offenlegungsschrift offenbare zwar nicht, aufgrund welcher chemisch-physikalischer Reaktionen es letztlich auf den amorphen Anteil ankomme. Aus den Mengenangaben über diesen Anteil habe der Fachmann jedenfalls aber nicht den Schluß gezogen, zur Erreichung der erfindungsgemäßen Wirkung des Zusatzstoffes sei ein merklicher Anteil an kristalliner Phase erforderlich. Er habe vielmehr annehmen müssen, daß ein möglichst hoher amorpher Anteil anzustreben sei.

Abgesehen davon, daß der Fachmann beim Nacharbeiten der in der deutschen Offenlegungsschrift 25 25 441 beschriebenen Beispiele zu einem Glas als Zusatzstoff gelangen konnte, wie der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. W. zur Überzeugung des Senats dargelegt hat, wußte der Fachmann bereits aus der deutschen Offenlegungsschrift 23 63 790, daß eine möglichst einheitliche Phase anzustreben war und daß die Kristallisierung der glasigen Masse des Zusatzstoffs (– im Gegensatz zur noch älteren Lehre der deutschen Patentschrift 19 21 789 –) keine Vorteile bringt. Diese Druckschrift, die sich ebenfalls mit einem Verfahren zur Herstellung einer elektrisch isolierenden Einbettungsmasse befaßt, schlägt vor, dem körnigen Magnesiumoxid als Zusatzstoff Magnesiumeisenaluminiumsilikat zuzusetzen, das ganz oder teilweise glasig erstarrt ist. Es wird ausgeführt (Umdruck S. 4 Abs. 2 übergehend S. 5): Zur Erzielung eines optimalen Effektes sei es wesentlich, daß das erfindungsgemäß zuzusetzende Magnesiumeisenaluminiumsilikat möglichst homogen aufgebaut sei. Grundsätzlich könne man die glasige Masse, z.B. durch Tempern, zum Kristallisieren bringen. Dies bringe aber keinen wesentlichen Effekt. Ausschlaggebend für die gewünschte Wirkung scheine die Homogenität zu sein, wobei die Wirkungsweise unklar sei.

Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. W. hat dies als deutlichen Hinweis darauf gewertet, daß der Fachmann, der auf der Suche nach einem geeigneten Material für den Zusatzstoff sich mit der Offenlegungsschrift 23 63 790 befaßt habe, in naheliegender Weise zu der Erkenntnis gelangt sei, zur Erzielung einer optimalen Wirkung müsse er ein technisches Glas verwenden. Um von einem teilkristallinen cordieritglasähnlichen Zusatzstoff von 76 % Glasanteil entsprechend den Lehren nach den Offenlegungsschriften 25 25.441 und 23 63 790 zu einem 100 %igen Glas zu finden, habe der Fachmann sich nur noch nach einem technischen Glas umsehen müssen, das die für die gewünschte Wirkung erforderlichen Eigenschaften besitze. Zur Auffindung eines solchen Glases habe es, den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zufolge, keines erfinderischen Bemühens bedurft. Daß dieses Glas alkalifrei bzw. alkaliarm sein und eine Transformationstemperatur im Bereich von 650° C bis 1000° C aufweisen, also im noch sicheren Bereich erweichen müsse, sei selbstverständliche Folge der erstrebten Wirkungen des Zusatzstoffes. Ein Glas mit diesen Eigenschaften sei vor dem Prioritätstag als SUPREMAX-Glas bekannt gewesen.

Der Senat folgt den in sich geschlossenen und überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen. Dieser hat zwar auf Befragen durch den Beklagten bestätigt, daß die deutsche Offenlegungsschrift 23 63 790 im Gegensatz zur Lehre des Streitpatents kein bestimmtes Glas und keine bestimmte Transformationstemperatur für die Erweichung des Glases vorschreibe. Es sei auch nicht ersichtlich, daß der Transformationstemperatur in dieser Druckschrift überhaupt Bedeutung beigemessen werde. Auch sei es bei den in den genannten Entgegenhaltungen beschriebenen Verfahren möglich, daß beim Blankglühen nicht erwünschte kristalline Erscheinungen aufträten, die bei Verwendung eines technischen Glases entsprechend der Lehre des Streitpatents zwar nicht ausgeschlossen, wohl aber weitgehend unterdrückt werden könnten. Der Sachverständige hat hierin keinen erfinderischen Schritt gesehen, weil der Fachmann die Eigenschaften der Gläser kenne. Werde er durch die Druckschrift 25 25 441 auf die Bedeutung des amorphen, d.h. nach der Offenlegungsschrift 23 63 790 glasigen Anteils zur Erreichung der gewünschten Wirkungen des Zusatzstoffes hingewiesen, so erfordere es keine erfinderische Leistung, anhand der Parameter ein geeignetes Glas zu finden.

c) Dem Antrag des Beklagten auf eine neue Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen war nicht stattzugeben weil der technische Sachverhalt hinreichend und für den Senat verständlich aufgeklärt ist. Es liegen keine Gründe vor die ausnahmsweise die Beauftragung eines weiteren Gutachter oder eines Obergutachters gebieten.

Soweit der Beklagte meint, der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. W. sei bei der Frage nach der Qualifikation des hier in Betracht kommenden Durchschnittsfachmann und hinsichtlich der Bedeutung des kristallinen Anteils bei der Lehre nach der deutschen Offenlegungsschrift 25 25 441 deutlich von den Ausführungen seines schriftlichen Gutachtens abgewichen, so vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Befragung des Sachverständigen durch das Gericht und die Parteien in der mündlichen Verhandlung haben zu einer nachvollziehbaren und insgesamt überzeugenden Ergänzung und Präzisierung seines schriftlichen Gutachtens geführt. Seine Aussagen und Ergebnisse stimmen zudem mit den schriftlichen Erläuterungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. und den Ausführungen des sachkundig besetzten Bundespatentgerichts überein, so daß auch insoweit keine Veranlassung gegeben war, ein weiteres Gutachten einzuholen.

5. Der Patentanspruch 1 des Streitpatents hat damit keinen Bestand. Mit ihm fallen auch die Ansprüche 2 bis 9. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, daß keiner dieser Ansprüche erfinderische Qualität besitzt. Dies hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. W. ebenso beurteilt. Die abweichenden Ausführungen des angefochtenen Urteils hat sich der Beklagte nicht mehr zu eigen gemacht.

II. Auf die Berufung der Klägerin ist deshalb das angefochtene Urteil abzuändern und das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Die Berufung des Beklagten ist zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 110 Abs. 3 PatG, 91 ZPO.

 

Unterschriften

Rogge, Jestaedt, Maltzahn, Broß, Greiner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1237753

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