Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Einbeziehung einer weiteren Strafe - wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision bleibt der Erfolg versagt.

I. Die Verfahrensrügen sind teilweise unzulässig, teilweise unbegründet.

1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der §§ 140 ff. StPO rügt, trägt er folgendes vor:

Am 3. Verhandlungstag erklärte der Angeklagte, er habe kein Vertrauen mehr zu seinem Verteidiger, da dieser ihm geraten habe, keine Fragen mehr an Zeugen zu stellen. Darin sehe er den Verdacht begründet, daß der Verteidiger ihn genötigt haben könnte. Der Pflichtverteidiger bat daraufhin um seine Entpflichtung, da nach dieser Erklärung des Angeklagten "von dessen Seite das Vertrauensverhältnis gestört" sei. Der Vorsitzende wies den Antrag auf Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung zurück. Daß das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört sei, sei nicht substantiiert dargelegt worden.

a) Die Rüge ist unbegründet. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß die Verfügung des Vorsitzenden, mit der die Aufhebung der Beiordnung des Pflichtverteidigers abgelehnt wird, als Vorentscheidung gemäß § 336 StPO unmittelbar der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, weil das Urteil auf ihr beruhen kann, und die Statthaftigkeit der Rüge nicht davon abhängt, daß der Angeklagte zuvor eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt hat (vgl. BGHSt 39, 310, 311 f. m.w.N.; BGH NStZ 1992, 292; BGHR StPO § 142 I Auswahl 2). Die Entscheidung des Vorsitzenden war nicht rechtsfehlerhaft. Für die Ersetzung des Pflichtverteidigers lag kein wichtiger Grund vor. Die Revision hat keine konkreten Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, daß das Vertrauensverhältnis nachhaltig erschüttert worden und auf Grund dessen zu besorgen gewesen wäre, daß die Verteidigung nicht (mehr) sachgerecht hätte geführt werden können (vgl. BGHSt 39, 310, 312 f. m.w.N.; BGH NStZ 1992, 292, 293). Die Schlußfolgerung der Revision, der Verteidiger habe dem Angeklagten verboten, Fragen zu stellen, widerspricht der Begründung des Entpflichtungsantrags. Auch ist anerkannt, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen Angeklagtem und Verteidiger über das grundlegende Verteidigungskonzept unter Umständen das Vertrauensverhältnis beseitigen können (vgl. BGHR StPO § 142 I Auswahl 2 m.w.N.). Daß es sich so verhielt, ist nicht dargetan. Der Vorwurf des Angeklagten, sein Verteidiger sei einer Nötigung verdächtig, weil er ihm geraten habe, keine Fragen mehr an Zeugen zu richten, belegt eine solche Meinungsverschiedenheit nicht. Der Umstand, daß der Verteidiger seinem Mandanten zu einem bestimmten Prozeßverhalten rät, macht gerade einen wesentlichen Inhalt der Verteidigerstellung aus. Dieser ist zudem Beistand (§ 137 StPO), nicht Vertreter des Angeklagten und an dessen Weisungen nicht gebunden (vgl. BGHSt 12, 367, 369). Seine Aufgabe verlangt von ihm, das Verfahren in eigener Verantwortung und unabhängig vom Angeklagten zu dessen Schutz mitzugestalten (vgl. BGHSt 13, 337, 343; 38, 111, 114). Nach alledem ist die Anordnung des Vorsitzenden, der die Annahme zugrundeliegt, eine Störung des Vertrauensverhältnisses sei nicht substantiiert dargelegt, nicht zu beanstanden.

Auch die - nicht weiter erläuterte - Behauptung des Anwalts, nach der Erklärung des Angeklagten sei von dessen Seite das Vertrauensverhältnis gestört, begründet weder für sich allein (vgl. BGHR StPO § 142 I Auswahl 2) noch in Verbindung mit dem Antrag des Angeklagten eine Verpflichtung, die Pflichtverteidigerbestellung zurückzunehmen.

b) Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht ist unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision meint, das Gericht habe seine Verpflichtung verletzt, dem Angeklagten nochmals die Möglichkeit einzuräumen, der geschädigten Zeugin unterbliebene Fragen zu stellen. Sie teilt jedoch nicht mit, ob die Vernehmung der Zeugin im Zeitpunkt der Zurückweisung des Antrags auf Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestellung bereits abgeschlossen war, ob der Angeklagte dieser Zeugin gegenüber sein Fragerecht bereits ausgeübt hatte, was nach dem Wortlaut des zurückweisenden Beschlusses nahelag, ob der Verteidiger Fragen an die Geschädigte gerichtet hat und gegebenenfalls, welche Fragen der Angeklagte (noch) stellen wollte.

2. Die auf fehlende Anzeichen einer Gewaltanwendung gerichtete Aufklärungsrüge geht ins Leere, weil das Urteil ohnehin vom Fehlen solcher Spuren ausgeht (UA S. 16). Soweit ein Widerspruch zwischen dem Urteil und dem Inhalt der schriftlichen Erklärung der Nebenklägerin im Zusammenhang mit Verletzungen durch Geschlechtsverkehr und Fesselung behauptet wird, fehlt es an der vollständigen Mitteilung der schriftlichen Erklärung (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

3. Auch einer weiteren, die Glaubwürdigkeit der Zeugin betreffenden Aufklärungsrüge bleibt - entgegen der Annahme des Generalbundesanwalts - der Erfolg versagt. Die Revision trägt vor, daß nach der im Ermittlungsverfahren erstellten schriftlichen Darstellung der Zeugin der Angeklagte die verschlossene Wohnungstür nach dem Klingeln einer Nachbarin aufgeschlossen und, nachdem die Zeugin der Nachbarin gesagt hatte, sie habe ein Ferngespräch und deshalb keine Zeit, wieder verschlossen habe.

Die Rüge ist unzulässig, weil sich die in Bezug genommene Zeugenbekundung nicht aus dem Urteil ergibt und in der Revisionsbegründung die schriftliche Darstellung der Zeugin nicht vollständig wiedergegeben wird (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Im übrigen kann der Inhalt einer in der Hauptverhandlung gemachten Zeugenaussage grundsätzlich nicht im Revisionsverfahren freibeweislich rekonstruiert werden.

II. Die Sachrüge weist zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen einen behaupteten Beweiswürdigungsmangel. Sie ist der Auffassung, daß die Kammer deshalb eine unzureichende Beweiswürdigung vorgenommen habe, weil sie sich im Zusammenhang mit der Prüfung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin mit einem wesentlichen Umstand nicht auseinandergesetzt habe. Das Landgericht habe die Glaubwürdigkeit mit der hohen Konstanz und Stabilität der Bekundungen der Zeugin und deren sicherem Aussageverhalten begründet, dabei aber nicht berücksichtigt, daß die Detailgenauigkeit in den wiederholten Aussagen ihre Begründung darin finden könnte, daß die Zeugin vor jeder Aussage ihren schriftlichen Bericht zur Hand gehabt habe.

Die ausschließlich an Hand des Urteils zu überprüfende Beanstandung findet in den Gründen des angefochtenen Urteils keine Stütze. Aus ihm ergibt sich nicht, daß die von der Frauenberatungsstelle erstellte Sachverhaltsschilderung, die die Zeugin unterschrieben hat, der geschädigten Zeugin bei ihren späteren Aussagen zur Verfügung stand.

Soweit die Revision in diesem Zusammenhang rügt, das Landgericht habe bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugin nicht berücksichtigt, daß die Zeugin J. gegenüber der Gutachterin und dem Gericht die Schilderung der Zeugin in einem wesentlichen Punkt gerade nicht bestätigt habe (Anwesenheit des Sohnes T. bei Abholung von J.), kann sie mit dieser nicht näher ausgeführten Behauptung im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben. Als Verfahrensrüge würde sie an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO scheitern, als materiell-rechtliche Rüge sich als unzulässige eigene Beweiswürdigung, die im Urteil keine Stütze hat, darstellen.

2. Auch die Strafzumessungsgründe begegnen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Strafkammer hat unter anderem strafschärfend berücksichtigt, daß der Angeklagte die mütterliche Sorge der Nebenklägerin um ihre Kinder "genüßlich" ausgenutzt, anläßlich des Vergewaltigungsvorgangs ein "nahezu sadistisches Vergnügen" empfunden und in der Hauptverhandlung "ein möglichst schlechtes Bild von der Zeugin" zu vermitteln versucht habe, ohne diese - wenig sachgemäßen (vgl. BGHR StGB § 46 I Begründung 2) - Wertungen ausreichend durch im Urteil mitgeteilte Tatsachen belegt zu haben. Der Senat schließt jedoch aus, daß sich dieser Rechtsfehler auf das Strafmaß ausgewirkt hat. Die Höhe der Strafe wird von weiteren erheblichen und rechtsfehlerfrei festgestellten Umständen getragen. Unrechts- und Schuldgehalt der "Geiselnahme" der Zeugin und ihrer Kinder entsprechen dem - vom Landgericht nicht geprüften - Tatbestand des § 239 b Abs. 1 StGB, der die erkannte Freiheitsstrafe von fünf Jahren als Mindeststrafe vorsieht.

Die Revision beanstandet die "vorrangige" Berücksichtigung der Genugtuungsfunktion der Strafe, ohne daß sich das Landgericht zudem mit der Möglichkeit des Bestehens von Schmerzensgeldansprüchen des Opfers gegen den Angeklagten auseinandergesetzt habe. Dabei läßt sie außer acht, daß trotz der Formulierung "vor allem", die das Urteil im Rahmen der Strafzumessung mehrfach verwendet, dieser Strafzweck erkennbar nur als einer von mehreren Zumessungsgründen gewichtet worden ist, wobei die Kammer diesem Grund angesichts der näher dargestellten besonderen Demütigung des Opfers durch den Angeklagten zu Recht eine hervorgehobene Bedeutung beigemessen hat. Das Bestehen möglicher (u.U. nicht realisierbarer) Schmerzensgeldansprüche gegen den Angeklagten stellt daneben einen bestimmenden Umstand im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht dar.

Bei der Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten, der zwei schwere Straftaten zugrundeliegen und bei der die Kammer die für die Höhe der Gesamtstrafe bestimmenden Strafzumessungsgründe dargestellt und nachvollziehbar gegeneinander abgewogen hat, sind ausdrückliche Überlegungen über die "Auswirkungen einer Langzeitinhaftierung", die die Revision vermißt, grundsätzlich entbehrlich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993319

JR 1996, 124

NStZ 1995, 296

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