Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Urteil vom 24.10.2005) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 24. Oktober 2005 im Strafausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt wird.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt wegen einer Verfahrensverzögerung nach Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu einer Herabsetzung der Freiheitsstrafe um drei Monate; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Das Verfahren wurde von Ende Februar 2006 bis Anfang Dezember 2006 um einen Zeitraum von rund neun Monaten verzögert, weil die Fertigung des Revisionsübersendungsberichtes unterblieb, ohne dass es hierfür ausreichende sachliche Gründe gegeben hätte. Nach Eingang der Revisionsbegründung und Zuleitung der Akten an die Staatsanwaltschaft verfügte deren Dezernent am 14. Februar 2006 die Fertigung des Revisionsübersendungsberichts. Die Rechtspflegerin kam dem erst Anfang Dezember 2006 nach, nachdem sie hierzu angewiesen worden war. Sie war der – irrigen – Auffassung, es fehle an gültigen Verteidigervollmachten, da diese kein Ausstellungsdatum enthielten, was wiederum die Unwirksamkeit der Urteilszustellung zur Folge habe.
Rz. 3
2. Die Sachbehandlung durch die Rechtspflegerin war in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft:
Rz. 4
a) Das Fehlen des Ausstellungsdatums war hier unschädlich. Das Urteil ist am 21. Dezember 2005 zugestellt worden. Die Vollmachtsurkunde des Verteidigers Rechtsanwalt C. war bereits am 14. Februar 2005 und die der Verteidigerin Rechtsanwältin S. am 27. Oktober 2005 zu den Akten gelangt. Da nach § 145 a StPO die Zustellung an den gewählten Verteidiger wirksam ist, wenn sich die Vollmacht bei den Akten befindet, kommt es auf das – jedenfalls davor liegende – Ausstellungsdatum hier nicht an. Für den Zeitpunkt der Einreichung zu den Akten bewirkt der Eingangsvermerk der Zuleitung einen ausreichenden Nachweis.
Rz. 5
b) Die Rechtspflegerin hat zudem bei der Kontrolle der Akten übersehen, dass Rechtsanwalt C. in der Hauptverhandlung am 14. September 2005 zum Pflichtverteidiger bestellt worden war. Dieses Versehen wurde dadurch begünstigt, dass auf dem Aktendeckel der Vermerk über die Pflichtverteidigerbestellung unterblieben war, wie dies nach der Beobachtung des Senats leider zunehmend der Fall ist. Damit war zum einen die Zustellung des Urteils nach § 145 a StPO an den bestellten Verteidiger wirksam, ohne dass es einer Vollmacht bedurfte. Gleichzeitig war mit der Pflichtverteidigerbestellung eine Niederlegung des bisherigen Wahlmandats verbunden (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 142 Rdn. 7). Damit war die zuvor überreichte Vollmacht für das Wahlmandat ohnehin bedeutungslos geworden.
Rz. 6
c) Schließlich hätte die Rechtspflegerin den Vermerk des Dezernenten Staatsanwalt Dr. H. vom 15. Mai 2006, in dem sie auf die Unerheblichkeit der Datumsangabe hingewiesen worden war, zum Anlass nehmen müssen, sich dieser Rechtsansicht zu beugen oder wenigstens eine Klärung der Streitfrage etwa durch einen Vorgesetzten herbeizuführen. Dass sie stattdessen die Akten mit Ausnahme einer einzigen erneuten Mahnung an Rechtsanwalt C. bis Anfang Dezember 2006 liegen ließ, war – insbesondere in Anbe-tracht der bereits verstrichenen Zeit – nicht vertretbar.
Rz. 7
3. Insgesamt ist diese in mehrfacher Hinsicht fehlerhafte Sachbehandlung und die Untätigkeit ab Mitte Mai 2006 so gewichtig, dass sie für den gesamten Zeitraum von Ende Februar bis Anfang Dezember 2006 einem rechtsstaatswidrigen säumigen Prozessieren gleichgesetzt werden kann (vgl. dazu BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 27).
Rz. 8
Hierdurch wurde das Recht des Angeklagten auf Behandlung seiner Sache in angemessener Frist nach Art. 6 Abs. 1 MRK verletzt. Der Senat hält zur Kompensation dieses Verstoßes eine Herabsetzung der an sich angemessenen Freiheitsstrafe von sieben Jahren um drei Monate für gerechtfertigt (vgl. zur Zulässigkeit der Kompensation durch das Revisionsgericht BGHR StPO § 354 Abs. 1 a Satz 1 Herabsetzung 1). Dabei hat er berücksichtigt, dass in diesem Verfahrensstand für den Angeklagten nur noch hinsichtlich der Strafhöhe Ungewissheit bestand. Denn er hatte die Begehung des Raubüberfalls gestanden, und seine Revision beanstandete lediglich die Strafhöhe.
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, Winkler, Becker, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2552199 |
wistra 2007, 257 |
NStZ-RR 2010, 197 |