Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 17.09.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. September 2003 im Strafausspruch mit den Feststellungen – ausgenommen diejenigen zur voll erhaltenen Schuldfähigkeit – aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten des schweren räuberischen Diebstahls für schuldig befunden und ihn unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem rechtskräftigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verfahrensrüge, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung des § 59 StPO geltend macht, greift – wie der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift vom 8. Januar 2004 dargelegt hat, nicht durch. Ebenso erweisen sich die sachlich-rechtlichen Angriffe der Revision zum Schuldspruch entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts als unbegründet.
Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die wegen schweren räuberischen Diebstahls verhängte Strafe von sechs Jahren Freiheitsstrafe dem Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB entnommen. Einen minder schweren Fall des § 252 i.V.m. § 250 Abs. 3 StGB hat es verneint. Dabei hat es sowohl für die Strafrahmenwahl als auch für die Strafbemessung im engeren Sinne zu Gunsten des Angeklagten allein berücksichtigt, daß er „wegen eines Gewaltdeliktes noch nicht vorbestraft ist”. Demgegenüber hat es zwar zu Recht als strafschärfend berücksichtigt, daß der Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach wegen Vermögensdelikten verurteilt worden ist und er sich trotz seiner Inhaftierungen nicht von der Begehung weiterer Straftaten hat abhalten lassen. Zur Aufhebung des Strafausspruchs führt hingegen, daß die Strafkammer „zudem” zu seinen Lasten gewertet hat, daß er in der Hauptverhandlung den ihn belastenden Kaufhausdetektiv Thomas M.
„ als einen dreisten Lügner bezeichnet (hat), ohne daß für diese Beschimpfung die geringste Notwendigkeit bestand” (UA 7). Diese Erwägung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die Urteilsgründe stellen nicht klar, ob die Strafkammer hierbei bedacht hat, daß das Prozeßverhalten eines Angeklagten, mit dem er den Angaben eines Belastungszeugen entgegentritt, bei der Strafzumessung nicht ohne weiteres zu seinen Lasten berücksichtigt werden darf (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4).
Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Angeklagter im Rahmen seiner Verteidigung einen Belastungszeugen als unglaubwürdig hinstellen, ohne für den Fall des Mißerfolgs schon deshalb eine schärfere Bestrafung befürchten zu müssen (BGHR aaO Verteidigungsverhalten 1). Jedoch kann im Einzelfall ein Angriff des Angeklagten auf die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen strafschärfendes Gewicht erlangen, wenn er die Grenze angemessener Verteidigung eindeutig überschreitet und sein Vorbringen eine selbständige Rechtsgutsverletzung enthält (BGHR aaO Verteidigungsverhalten 19). Hinweise auf eine besondere Rechtsfeindschaft oder Gefährlichkeit oder eine hiernach unzulässige Herabwürdigung des Zeugen können allein dem Umstand, daß der Angeklagte den Zeugen der Lüge bezichtigt hat, nicht ohne weiteres entnommen werden (vgl. BGH StV 1994, 424; BGH, Beschluß vom 2. Mai 2000 – 1 StR 136/00). Inwieweit solche Angriffe, die die Ehre eines Zeugen berühren, erlaubt sind, beurteilt sich nach § 193 StGB (vgl. BGHSt 14, 48, 51; BGHR aaO Verteidigungsverhalten 14 m.w.N.; BGH StV 1985, 146, 147).
Bei der Beurteilung der Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens können die Umstände des Einzelfalles nicht außer Betracht bleiben. Insoweit ist hier zu berücksichtigen, daß der Angeklagte von vornherein den Vorwurf, in dem Kaufhaus einen Kindercomputer entwendet und den dort tätigen Detektiv, den Zeugen Thomas M., anschließend mit seiner geladenen Schreckschußpistole bedroht zu haben, detailliert bestritten hat. Die ihm drohende Verurteilung wegen eines Verbrechens zu einer hohen Freiheitsstrafe hing nach der Beweislage von der Aussage des ihn belastenden Detektivs ab. Angesichts der konkreten Verfahrenssituation, auf die es bei der Beurteilung zulässigen Verteidigungsverhaltens ankommt (vgl. BVerfG NJW 1991, 29), konnte es aus der Sicht des Angeklagten erforderlich erscheinen, seiner bestreitenden Einlassung dadurch besondere Überzeugungskraft zu verleihen, daß er den Belastungszeugen der Lüge bezichtigte. Daß er sich dazu einer scharfen Ausdrucksweise bediente, rechtfertigt für sich regelmäßig noch keine andere Bewertung, wenn sich der Vorwurf gegen einen Zeugen auf die Aussage zur verfahrensgegenständlichen Tat bezieht und nicht etwa einen vom maßgeblichen „Streitstoff” losgelösten allgemeinen Angriff auf die Ehre des Zeugen beinhaltet (vgl. BVerfG NJW 1991, 2074, 2076). Letzteres ist in der Rechtsprechung beispielsweise in der Bezeichnung eines als Zeuge vernommenen Polizeibeamten als „bedenkenloser Berufslügner” gesehen worden (Hans. OLG Hamburg NStZ-RR 1997, 103 f.). Daß es sich hier so verhält, kann den Urteilsgründen indes nicht entnommen werden. Selbst wenn das Prozeßverhalten des Angeklagten zu beanstanden wäre, ergäbe sich daraus hier noch nicht ohne weiteres ein bestimmender Strafschärfungsgrund, der – wie es das Landgericht getan hat – mit demselben Gewicht in die Strafzumessung einzustellen wäre wie etwa die strafrechtliche Vorbelastung des Angeklagten.
Mit dieser Rechtsprechung wird der berechtigte Anspruch eines Zeugen, ehrverletzenden Äußerungen des Angeklagten im Strafverfahren nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, nicht unangemessen eingeschränkt. Vielmehr ist es Aufgabe des Vorsitzenden im Rahmen seiner Sachleitung, den Zeugen gegen unsachliche Angriffe zu schützen und den Angeklagten in einem solchen Fall zur Mäßigung anzuhalten.
Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht der Strafausspruch, da das Landgericht sowohl die Strafrahmenwahl als auch die Strafbemessung im engeren Sinne ausdrücklich mit dem Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung begründet hat. Über die Strafe ist deshalb neu zu befinden.
Unterschriften
Maatz, Kuckein, Athing, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2558222 |
NStZ 2004, 616 |
DAR 2005, 244 |
NJW-Spezial 2004, 330 |
StV 2004, 370 |