Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 11.09.2009) |
Tenor
1.
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 11. September 2009 aufgehoben, soweit ein Vorwegvollzug von sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Raub und mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der Geldstrafen aus zwei Strafbefehlen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen sind und dass dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Rz. 2
Der Angeklagte beanstandet mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision die Verurteilung wegen eines tateinheitlich begangenen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer im Fall II. 1 der Urteilsgründe, die den Verurteilungen wegen Diebstahls zu Grunde liegende Beweiswürdigung und die Maßregelaussprüche. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision, die sie auf die Aussprüche über die Einzelstrafen im Fall II. 1 der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe beschränkt hat, die Annahme eines minder schweren Falles des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer.
Rz. 3
Die Rechtsmittel haben zum Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzuges Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet.
Rz. 4
1. Die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs der Strafe vor der gemäß § 64 StGB angeordneten Maßregel hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 5
Das Landgericht hat zur Bestimmung der Dauer des gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB angeordneten Vorwegvollzugs eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe lediglich ausgeführt, dass dieser mit sechs Monaten zu bemessen war, „so dass nach Beendigung der Maßregel eine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht kommen könnte”. Dem lässt sich, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, weder entnehmen, ob sich das Landgericht bei der Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs, wie gemäß § 67 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 StGB geboten, am Halbstrafenzeitpunkt orientiert hat (vgl. BGH, Beschl. vom 8. Januar 2008 – 1 StR 644/07, NStZ-RR 2008, 142), noch lassen die Urteilsausführungen erkennen, ob das Landgericht, wie erforderlich, eine präzise Prognose hinsichtlich der voraussichtlich notwendigen Dauer des Maßregelvollzuges zu Grunde gelegt hat (vgl. BGH, Beschl. vom 20. Mai 2008 – 1 StR 233/08 – StV 2008, 638 m.N.). Weil der Sachverständige nach den auch insoweit knappen Urteilsausführungen eine stationäre „Langzeittherapie” für erforderlich gehalten hat, ist nicht ohne weiteres auszuschließen, dass die notwendige Dauer des Maßregelvollzugs ein Jahr und zwei Monate überschreitet. Bei einem Vorwegvollzug von sechs Monaten der Strafe wäre der Halbstrafenzeitpunkt (ein Jahr und acht Monate) aber überschritten.
Rz. 6
2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung des Angeklagten zu den Schuld- und Strafaussprüchen sowie zu den Maßregelaussprüchen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 25. Februar 2010.
Rz. 7
3. Auch die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen weiter gehenden Erfolg. Die sachlich-rechtliche Nachprüfung der Aussprüche über die im Fall II. 1 der Urteilsgründe verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten und die Gesamtstrafe hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 8
a) Entscheidend für das Vorliegen eines minder schweren Falles ist, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung dieses Strafrahmens geboten erscheint. Für die Prüfung dieser Frage ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (st. Rspr.; vgl. nur die Nachweise bei Fischer StGB 56. Aufl. § 46 Rdn. 85). Die Erschwernis- und Milderungsgründe auf diese Weise nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen, ist Sache des Tatrichters. Seine Wertung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar. Weist sie keinen Rechtsfehler auf, ist sie deshalb auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre oder vielleicht sogar näher gelegen hätte (vgl. Senat, Urt. vom 6. November 2003 – 4 StR 296/03, NStZ-RR 2004, 80 und vom 7. Dezember 2006 – 4 StR 355/06).
Rz. 9
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Annahme minder schwerer Fälle des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer und des Raubes rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Landgericht, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift, auf die insoweit Bezug genommen wird, im Einzelnen dargelegt hat, alle für die Strafrahmenwahl bestimmenden Zumessungsgesichtspunkte mitgeteilt. Insbesondere lassen die Urteilsgründe mit Blick auf die strafschärfende Wertung der Brutalität der Gewalteinwirkung des Angeklagten auf das ihm deutlich unterlegene Opfer bei der Wegnahme der Sachen nicht besorgen, dass das Landgericht bei der Strafrahmenwahl nicht auch die tateinheitlich verwirklichten Delikte der vorsätzlichen Körperverletzung und des Raubes berücksichtigt haben könnte.
Rz. 10
b) Auch der bei der Bildung der Gesamtstrafe vorgenommene Härteausgleich begegnet im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung die Geldstrafen aus den Strafbefehlen vom 22. Juni 2009 (60 Tagessätze) und vom 31. März 2009 (15 Tagessätze) einbezogen. Wäre die Geldstrafe von 80 Tagessätzen aus dem Strafbefehl vom 23. Dezember 2008 nicht erledigt, hätten jedoch insgesamt 140 Tagessätze, und nicht lediglich 75 Tagessätze Geldstrafe einbezogen werden können.
Unterschriften
Tepperwien, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann, Mutzbauer
Fundstellen