Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Gewerkschaft ihrem Mitglied Rechtsschutz für die Erhebung einer Schadenersatzklage im Ausland versagen darf.
Normenkette
EGBGB Art. 6; ZPO § 286
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 27. März 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadenersatz wegen unterlassener Rechtsschutzgewährung in Anspruch.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und Mitglied der Beklagten, einer Gewerkschaft, die ihm gemäß ihrer Satzung und Rechtsschutzordnung Rechtsschutz zu gewähren hat. Im Jahre 1991 stand er zu einer Reederei in H. in einem Vertragsverhältnis, nach dem er als Kapitän die Führung eines unter zypriotischer Flagge laufenden Bergungschleppers in P. übernommen hatte. Nach seinem Vorbringen erlitt der Kläger Anfang August 1991 bei der Dienstausübung einen Unfall (Bruch des linken Handgelenks), weshalb er mehrfach seine Ablösung verlangt habe. Sein Reeder habe diese jedoch verweigert. Infolgedessen habe er sich kurz darauf erneut an der – noch nicht ausgeheilten – Hand verletzt, was zu einer Erwerbsminderung geführt habe. Im Oktober/November 1991 kam es zu einer Auseinandersetzung des Klägers mit der Reederei auch über eine Heuerforderung. Der Kläger wandte sich deshalb an die Beklagte und bat – zunächst deswegen – um Rechtsschutz. Die Beklagte schaltete den in P. ansässigen Rechtsanwalt Dr. Po. ein, der das in P. -City liegende Schiff durch gerichtliche Schritte „an die Kette legen” ließ, worauf die Reederei die Heuerforderung beglich. Im November 1991 bat der Kläger – über Rechtsanwalt Dr. Po. – auch in der Unfallsache um Rechtsschutz, um die Reederei in P. wegen der Folgen der Handverletzung auf Schadenersatz in Anspruch nehmen zu können. Eine Vollstreckung sollte in gleicher Weise, mit dem noch „an der Kette liegenden” Schiff als Druckmittel, erreicht werden. Es kam diesbezüglich zu Kontaktaufnahmen und einer schriftlichen Korrespondenz zwischen dem Kläger bzw. Rechtsanwalt Dr. Po. und der Beklagten; eine Klage wegen der Unfälle wurde jedoch nicht erhoben, obwohl Rechtsanwalt Dr. Po. einen dem Kläger nach dem Recht P.s daraus möglicherweise zustehenden Anspruch von ca. 397.000,– DM errechnet hatte. Nach dem Vorbringen des Klägers veranlaßte die Beklagte vielmehr die Freigabe des Schiffes und informierte ihn erst später, wodurch sie ihn vor vollendete Tatsachen gestellt habe.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die auf Schadenersatz in dieser Höhe gerichtete Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache.
I.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Beklagte bereits deshalb zur Rechtsschutzverweigerung berechtigt war, weil eine Klage in P. – wie vom Landgericht angenommen – wegen „forum-shopping” unzulässig gewesen wäre. Entscheidend sei, daß die beabsichtigte Klage nicht auf den vom Kläger behaupteten abstrakt berechneten Verdienstausfall, sondern auf eine Forderung gerichtet gewesen sei, deren Verwirklichung gegen den inländischen ordre public (Art. 6 EGBGB) verstoßen hätte. Der Kläger habe aus dem Arbeitsunfall „Kapital schlagen” und einen Anspruch auf sog. „punitive damages”, also auf einen über den Ausgleich materiellen und immateriellen Schadens hinausgehenden Strafschadenersatz, durchsetzen wollen. Eine mögliche Pflichtverletzung der Beklagten könne andererseits auch nicht darin gesehen werden, daß sie den Kläger nicht unmißverständlich darüber informiert habe, sie werde keinen Rechtsschutz gewähren. Dies ergebe sich bereits aus der vom Kläger selbst vorgelegten Korrespondenz, aus der nicht ersichtlich sei, daß die Beklagte den Kläger durch Inaussichtstellen von Rechtsschutz davon abgehalten habe, die Unfallklage auf eigene Kosten zu erheben.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand; insbesondere begegnet die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe sogenannte „punitive damages” geltend machen wollen, durchgreifenden Bedenken.
1. Nach Art. 6 Satz 1 EGBGB ist eine ausländische Rechtsnorm nicht anzuwenden, wenn dies zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist. Das ist nur dann der Fall, wenn das ausländische Recht den Kernbestand der inländischen Rechtsordnung antasten würde, seine Anwendung also den der deutschen Regelung zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellungen so stark widerspricht, daß es nach deutschem Rechtsempfinden untragbar erscheint (vgl. z.B. BGHZ 123, 268, 270 m.w.N. aus der Rspr.).
2. Ob die Geltendmachung der vom Berufungsgericht angeführten „punitive damages” in diesem Sinne gegen den deutschen ordre public verstößt, kann offenbleiben:
a) „Punitive damages” werden nach US-amerikanischem Recht als weiterer Geldbetrag zum rein ausgleichenden Schadenersatz zuerkannt, wenn dem Täter als erschwerender Umstand zu einem allgemeinen Haftungstatbestand ein absichtliches, bösartiges oder rücksichtsloses Fehlverhalten zur Last fällt. Dieses Rechtsinstitut soll u.a. zu einer Bestrafung des Täters für sein rohes Verhalten führen, auch um mögliche Racheakte des Opfers zu verhindern (siehe näher BGHZ 118, 312, 334 ff. m.w.N.).
b) Die Begründung des Berufungsgerichts, die beabsichtigte Klage sei ihrem Inhalt nach auf ein solches Ziel gerichtet gewesen, ist rechtsfehlerhaft. Sie beruht auf unvollständiger Würdigung des Sachverhalts (unter aa) und ist nicht frei von Widersprüchen (unter bb).
aa) Das Berufungsgericht ist schon nicht auf die Behauptung des Klägers in der Berufungsinstanz eingegangen, das Recht P.s kenne „punitive damages” überhaupt nicht, weil es auf spanischen und französischen Einflüssen beruhe, während dieses Rechtsinstitut eine Wesenseigentümlichkeit des US-amerikanischen Rechts sei (vgl. BGHZ 118, 334 ff.). Davon abgesehen würdigt es den Vortrag des Klägers in der Klageschrift nur unzureichend. Es trägt nicht hinreichend seinem Vorbringen Rechnung, das Recht P.s sehe Schadenersatz bei Unfällen wie dem hier behaupteten in Form einer fiktiven Verdienstausfallberechnung bis zum Erreichen der üblichen Altersgrenze sowie einen Schmerzensgeldanspruch vor. Darin mag eine – mangels Berechnung eines konkreten Verdienstausfalles – dem deutschen Rechtsverständnis ungewohnte Form eines Schadenersatzes liegen. Warum es sich um „punitive damages” im Sinne der oben genannten Definition handeln soll, bleibt jedoch offen.
bb) Nicht frei von Widersprüchen ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe bei verständiger Würdigung der vorgerichtlichen Korrespondenz, insbesondere der Behauptung des Klägers, die Klage in P. könne „erfolgreich” sein, entnehmen können und dürfen, er wolle „punitive damages” geltend machen. Nach seinem Vortrag kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Klage deshalb Erfolg haben konnte, weil das panamaische Recht möglicherweise die dargestellte abstrakte Art der Schadenersatzberechnung kennt. Es trifft nicht zu, daß deren einzige Rechtfertigung in einer zivilrechtlichen Bestrafung gesehen werden kann, wie das Berufungsgericht meint.
Im übrigen ist die Beklagte nach dem Inhalt der vorgerichtlichen Korrespondenz hiervon auch nicht ausgegangen; der Gedanke der „punitive damages” wurde vielmehr erst Jahre später vom Landgericht erstmals erwähnt (GA 106 unten). Dies hat das Berufungsgericht übersehen.
III.
Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die einzelnen Voraussetzungen des geltend gemachten Schadenersatzanspruches zu prüfen, insbesondere die Fragen, worin ein haftungsbegründendes Verhalten der Beklagten liegen kann und ob deren Beweggründe für eine Rechtschutzverweigerung rechtlich haltbar sind.
Dabei besteht Veranlassung, auf folgendes hinzuweisen:
Das Landgericht hat die Klage unter anderem wegen „forum-shopping” als unzulässig angesehen. Dem kann nicht ohne weiteres gefolgt werden. Abgesehen davon, daß das Gericht in P. auch für die – erfolgreiche – Heuerklage zuständig war, hat der Kläger vorgetragen, sowohl der (wesentlich sachnähere) Rechtsanwalt Dr. Po. als auch ein Richter des Seegerichts hätten eine Zuständigkeit angenommen. Zudem habe das Schiff seinen Warteplatz in P. -City gehabt. Unter diesen Umständen liegt die Annahme eines sog. „forum-shopping” eher fern.
Keinem Zweifel unterliegt die grundsätzliche Pflicht der Beklagten, Rechtsschutz auch für Prozesse im Ausland zu gewähren. Die Rechtsschutzordnung differenziert bei der Art der beabsichtigten Rechtsverfolgung weder zwischen In- und Ausland noch enthält sie Einschränkungen für den Fall, daß ein Verfahren im Ausland geführt werden soll.
Das Berufungsgericht wird ferner seine Auffassung zu überprüfen haben, wonach die Beklagte dem Kläger rechtzeitig und unmißverständlich erklärt habe, sie werde in der Unfallsache keinen Rechtsschutz gewähren; insoweit weist die Revision zu Recht darauf hin, der Kläger habe mehrfach und unter Beweisantritt vorgetragen, daß er von einer Weisung der Beklagten an Rechtsanwalt Dr. Po. erst später, nach Freigabe des Schiffes, erfahren habe (GA 7, 33, 59, 153, 203); zu diesem Zeitpunkt sei er bereits wieder in Deutschland gewesen. Eine etwaige Kenntnis des von der Beklagten ausgewählten Rechtsanwaltes Dr. Po. könne nicht über § 278 BGB dem Kläger zugerechnet werden. Im übrigen wird auf das Senatsurteil vom 9. Juli 1984 – II ZR 60/84, NJW 1985, 44 hingewiesen, wonach eine Gewerkschaft bei Unklarheiten über zu gewährenden Rechtsschutz gegebenenfalls auf eine Klärung des Sachverhalts hinzuwirken hat.
Unterschriften
Röhricht, Henze, Goette, Kurzwelly, Münke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 08.05.2000 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538648 |
BGHR |
NJW-RR 2000, 1372 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 1507 |
IPRax 2001, 586 |
RIW 2000, 872 |
RIW 2001, 135 |
VRS 2000, 174 |
VersR 2002, 1564 |