Leitsatz (amtlich)
Ein Grundstücksverkauf für Straßenbauzwecke ist kein Vergleich, wenn der Verkauf vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens (§§ 17–19 Bundesfernstraßengesetz) vorgenommen wird, weil zu dieser Zeit noch kein Rechtsverhältnis im Sinne des § 779 BGB zwischen den Parteien besteht.
Normenkette
BGB § 779; BRAGO § 23
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 03.06.1971) |
LG Essen |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Hamm vom 3. Juni 1971 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Vom Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte plante den Bau der Bundesstraße B 227. Sie trat an den Eigentümer eines Grundstücks in Essen-Kupferdreh Heinz T. heran, um dieses Grundstück für den Straßenbau zu erwerben. T. beauftragte den Kläger mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Durch notariellen Vertrag vom 23. Februar 1970 verkaufte T., ohne zu dieser Zeit ein Planfeststellungs- oder Enteignungsverfahren eingeleitet war, das Grundstück zum Preis von 227.200 DM an die Beklagte. Diese verpflichtete sich ferner, ihm einen Abschlag von 13.000 DM auf noch zu erwartende Entschädigungsansprüche zu zahlen. Die Beklagte übernahm auch die Kosten des Vertrages und seiner Ausführung. Sie zahlte dem Kläger zwei Gebühren gemäß § 118 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAGebO nach einem Geschäftswert von 242.200 DM.
Mit der Klage hat der Kläger, dem T. seinen Anspruch gegen die Beklagte auf Freistellung vom den Anwaltskosten insoweit abgetreten hat, von der Beklagten Zahlung einer Vergleichsgebühr zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von 1.819,87 DM verlangt.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen.
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Klageanspruch auf Zahlung einer Vergleichsgebühr nach §23 BRAGbO scheitere schon daran, daß zwischen den Parteien vor Abschluß des notariellen Vertrages kein Rechtsverhältnis im Sinne des § 779 BOB bestanden habe (so auch RG in Recht 1912 Nr. 1778).
Die Revision meint, zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 779 sei ein „Vorrechtsverhältnis” als genügend anzusehen; ein solches sei darin zu finden, daß die Beklagte die Möglichkeit gehabt habe, gegen den Grundstückseigentümer T. ein Enteignungsverfahren durchzuführen. Sa sei unerheblich, daß im vorliegenden Fall noch keine Planfeststellung eingeleitet worden sei.
Der Auffassung der Revision ist nicht beizutreten.
1. Nach § 17 Abs. 1 des Bundesfernstraßengesetzes in der Fassung vom 6. August 1961 (BGBl I 1742) dürfen neue Bundesfernstraßen nur gebaut werden, wenn vorher der Plan festgestellt ist. Die Planfeststellung ersetzt alle nach anderem Rechtsvorschriften notwendigen öffentlich-rechtlichen Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Zustimmungen, Durch sie werden alle öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Träger der Straßenbaulast und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt. Erst nach Durchführung des Planfeststellungsverfahrens und Entscheidung über alle etwaigem Einwendungen der Betroffenen gegen den Plan (§ 18) haben die Träger der Straßenbaulast nach den Vorschriften des § 19 zur Erfüllung ihrer Aufgaben das Enteignungsrecht. Die Enteignung ist zulässig, soweit sie zur Ausführung eines nach § 18 Abs. 5 festgestellten Bauvorhabens notwendig ist. Dem Enteignungsverfahren ist der festgestellte Plan zugrunde zu legen, er ist für die Enteignungsbehörde bindend.
Aus diesen Vorschriften ergibt sich, daß das Planfeststellungsverfahren den Zweck hat, endgültig festzustellen, welche Grundstücke für dem beabsichtigten Straßenbau benötigt werden. Dadurch konkretisiert sich das Enteignungsrecht des Trägers der Straßenbaulast auf bestimmte Grundstücke.
2. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte das Grundstück von T. bereits vor Einleitung der Planfeststellung erworben. Aus dem während der Verhandlungen geführten Schriftwechsel ergibt sich zwar, daß dabei schon von der Möglichkeit einer Enteignung im Falle des Nichtzustandekommens eines Kaufvertrages die Rede war. Das genügt aber nicht, um schon ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien im Sinne des § 779 BGB anzunehmen. Das Berufungsgericht hat vielmehr mit Recht die Auffassung vertreten, die für die Beklagte bestehende Aussicht, die Überlassung des Grundstücks möglicherweise durch Enteignung erzwingen zu können, habe sich im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages noch nicht zu einer rechtlich erheblichen Position verdichtet.
3. Weder der Versuch der Revision, den Begriff eines sogenannten „Vorrechtsverhältnisses” einzuführen, noch die Ausführungen von Schmidt in NJW 1970 S. 229 sind zu einer im Interesse der Rechtssicherheit erwünschten klaren Abgrenzung der hier in Betracht kommenden Tatbestände geeignet. Es kann nicht, wie Schmidt meint, als zur Begründung eines Rechtsverhältnisses ausreichend angesehen werden, daß bei den Verhandlungen zwischen dem Träger der Straßenbaulast und einem Grundstückseigentümer irgendwie erkennbar wird, im Falle der Weigerung einer freiwilligen Abgabe des Grundstücks werde möglicherweise das Enteignungsverfahren betrieben werden. Durch eine solche Ankündigung allein wird der Grundstückseigentümer in seiner Entschließungsfreiheit noch nicht in rechtserheblicher Weise eingeschränkt. Der Auffassung von Schmidt tritt auch Reinhardt in NJW 1970, 697 entgegen.
Ob überhaupt ein bestimmtes Grundstück für den Straßenbau benötigt wird, ergibt rechtsverbindlich erst die Planfeststellung, an die sich dann gegebenenfalls das Enteignungsverfahren anschließt, für die Frage, ob zwischen dem Träger der Straßenbaulast und einem Grundstückseigentümer bereits ein Rechtsverhältnis vorliegt, kann nicht darauf abgestellt werden, ob im Zeitpunkt eines Vertragsabschlusses schon mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit oder gar sicher damit zu rechnen ist, daß ein Grundstück für den geplanten Straßenbau benötigt wird. Die Entstehung eines Rechtsverhältnisses zwischen den Genannten kann rechtlich einwandfrei nur nach den dafür geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere nach den vorerörterten §§ 17–19 des Bundesfernstraßengesetzes beurteilt werden. Frühestens mit der Einleitung des dort vorgesehenen Verfahrens konkretisiert sich die Gefahr einer Enteignung in rechtserheblicher Weise. Die bloße Möglichkeit einer künftigen Enteignung und deren Ankündigung bei den Verhandlungen vermag dagegen vor der Einleitung des Planfeststellungsverfahrens noch kein Rechtsverhältnis zwischen den Verhandlungspartnern im Sinne des § 779 BGB zu begründen.
4. Das Urteil des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 14. Oktober 1971 (NJW 1972, 157) steht der jetzigen Entscheidung nicht entgegen; dort war eine Einigung über Landabgabe und Entschädigung erst im Enteignungsverfahren zustande gekommen. Auch das Oberlandesgericht in Frankfurt hatte in seiner Entscheidung NJW 1972, 166, in der es ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 779 BGB bejaht hat, über einen Fall zu befinden, in dem ein Enteignungsverfahren bereits eingeleitet war.
Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Grundstücksverkauf für Straßenbauzwecke, der vor dem Enteignungsverfahren, aber im Laufe des Planfeststellungsverfahrens erfolgt, einen Vergleich darstellen kann, braucht nicht entschieden zu werden. Keinesfalls ist ein Vergleich anzunehmen, wenn, wie hier, ein Grundstück bereits vor Einleitung des Planfeststellungsverfahrens verkauft wird.
Die Revision ist daher als unbegründet mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Vogt, Rietschel, Finke, Girisch, Recken
Fundstellen
Haufe-Index 1130421 |
BGHZ |
BGHZ, 69 |
NJW 1972, 1318 |
Nachschlagewerk BGH |
VerwRspr 1973, 144 |
VerwRspr 1973, 626 |