Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestechlichkeit
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 7. Dezember 1998 mit den Feststellungen aufgehoben hinsichtlich
- des Angeklagten M. in vollem Umfang,
- der Angeklagten P. und B. C., soweit die Anordnung des Verfalls abgelehnt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten P. C. wegen Untreue in 42 Fällen und Bestechlichkeit in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ihm für die Dauer von vier Jahren die Fähigkeit aberkannt, öffentliche Ämter zu bekleiden. Es hat gegen die Angeklagte B. C. wegen Beihilfe zur Vorteilsannahme eine Freiheitsstrafe von acht Monaten verhängt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten M. hat das Landgericht wegen Vorteilsannahme in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision die Verurteilung des Angeklagten M. wegen Bestechlichkeit und wendet sich gegen die unterbliebene Anordnung des Verfalls. Hinsichtlich der Angeklagten P. und B. C. begehrt sie mit ihrer darauf beschränkten Revision die Anordnung des Verfalls. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen waren die Angeklagten M. und P. Cräciunescu bei der Landesversicherungsanstalt Württemberg (LVA) tätig. Bei der LVA handelt es sich um eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung (§ 29 Abs. 1 SGB IV; vgl. Krause in GK-SGB IV 2. Aufl. 1992 § 29 Rdn. 17, 22). Der Angeklagte M. war seit 1993 Leiter des Referats Datenverarbeitung (Ref. 92) in der Abteilung 9 (Organisation und Datenverarbeitung). Er stellte u.a. den Beschaffungsbedarf bezüglich der EDV-Ausstattung (Hard- und Software) fest. Der Angeklagte C. war Hauptsachbearbeiter im Hauptbüro der Abteilung 9 und sowohl direkt dem Abteilungsleiter der Abteilung 9 als auch den Referatsleitern Betriebsorganisation (Ref. 91) und Datenverarbeitung (Ref. 92) „unterstellt”.
Seit 1993 ging die LVA dazu über, die EDV nicht mehr zu kaufen, sondern zu leasen. Der Angeklagte M. holte bei dem jeweiligen EDV-Hersteller ein Kaufangebot ein. Der Angeklagte C., dem das Kaufangebot zugeleitet wurde, hatte für das – bestens – endverhandelte Kaufangebot ein entsprechendes Leasingangebot einzuholen. Die ermittelten Leasingkonditionen (Gebühren, Laufzeit etc.) wurden in einen Beschaffungsantrag aufgenommen. Der Angeklagte M. zeichnete darin für den technischen Bedarf, der Angeklagte C. für die Leasingkonditionen. Den Beschaffungsantrag legte C. über den Abteilungsleiter 9 „mit der Bitte um Genehmigung und Unterzeichnung” dem stellvertretenden Geschäftsführer der LVA vor.
Bereits spätestens Ende April 1990 waren der Angeklagte C. und der bereits rechtskräftig verurteilte Geschäftsführer der CVR Computerhandels- und Leasing GmbH (CVR), C. R., übereingekommen, daß C. bei der Vergabe von Leasingverträgen ausschließlich Angebote der CVR einholen und dafür von dieser „Provisionen” erhalten sollte. In der Folge wirkte der Angeklagte in der vereinbarten Weise an 42 Leasinggeschäften (33 Vertragsschlüsse, 9 Umgestaltungen bestehender Verträge) mit. Dabei war ihm bewußt, daß die CVR aufgrund fehlender Vergleichsangebote von Mitbewerbern in ihrer Preisgestaltung an die marktüblichen Konditionen nicht gebunden war. Das sich daraus ergebende Risiko überteuerter Leasingverträge nahm er billigend in Kauf. Tatsächlich entstand bei der LVA ein Gesamtschaden in Höhe von mindestens 5,6 Millionen DM. Im Zeitraum von Mai 1993 bis Juli 1997 erhielt der Angeklagte in 31 Fällen Zahlungen von insgesamt über 1,2 Millionen DM.
Um die „Provisionen” bei der CVR als Betriebsausgaben deklarieren und die Einkünfte des Angeklagten P. C. gegenüber den Finanzbehörden erklären zu können, schaltete dieser die Einzelfirma seiner Ehefrau, der Angeklagten B. C., ein. Seit Anfang 1994 hielt die Angeklagte es für möglich, daß ihr Ehemann von der CVR finanzielle Vorteile für Diensthandlungen erhielt. Gleichwohl erklärte sie sich weiterhin damit einverstanden, daß die CVR namens der von der Angeklagten betriebenen Firma Rechnungen in Höhe der jeweiligen „Provisionen” erstellte.
Mitte 1995 kamen der Angeklagte C. und der Verurteilte R. überein, auch „das dienstliche Wohlwollen des Angeklagten M. … im Zusammenhang mit den Geschäften zwischen der LVA und der CVR mittels Geldzuwendungen zu erkaufen”. Am 5. Oktober 1995 erhielt dieser anläßlich eines Besuchs bei der CVR erstmalig 10.000 DM in bar von R. ausgehändigt. Bis Juli 1997 folgten weitere fünf Zahlungen in Höhe von insgesamt 45.000 DM. Zudem unternahmen die Angeklagten M. und P. C. „ausgedehnte Einkaufsbummel”, wobei die dabei erworbenen Waren im Wert von rund 10.000 DM ebenfalls von der CVR bezahlt wurden.
II.
A. Revision zuungunsten des Angeklagten M.
Das Landgericht hat eine Beziehung zwischen den dem Angeklagten M. seitens der CVR gewährten Vorteilen und einer pflichtwidrigen Diensthandlung i.S.d. § 332 Abs. 1 StGB verneint. Die von ihm getroffenen Feststellungen stellen jedoch keine tragfähige Grundlage für eine diesbezügliche Prüfung dar. Ihnen läßt sich insbesondere nicht hinreichend deutlich entnehmen, ob der Angeklagte Vorgesetzter des Angeklagten C. war (1.) und welche Bedeutung seine Mitzeichnung des Beschaffungsantrages hatte (2.). Die Verurteilung des Angeklagten M. lediglich wegen Vorteilsannahme in sechs Fällen (§ 331 Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung) kann daher nicht bestehen bleiben. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die des Rechtsfolgenausspruchs nach sich.
1. War der Angeklagte Vorgesetzter des Angeklagten C., so war er im Rahmen der Dienstaufsicht gehalten, wenigstens innerhalb der LVA dem von ihm erkannten pflichtwidrigen Verhalten des ihm unterstellten Mitarbeiters entgegenzutreten, sei es durch Information seiner Vorgesetzten (vgl. BGHSt 43, 82, 84), sei es zunächst durch den Versuch, auf den Angeklagten C. unmittelbar einzuwirken. Denn eine derartige Dienstaufsicht gehört zu den Pflichten eines Vorgesetzten (vgl. BVerwG NJW 1987, 3213; Fürst/Finger/Mühl/Niedermaier GKÖD Bd. I Teil 2a K § 3 Rdn. 12).
Bestand diese Aufsichtspflicht für den Angeklagten, hätte die Erörterung nahegelegen, ob gerade ihre Verletzung – vom Angeklagten erkannt – das mit den Zahlungen seitens der CVR in Verbindung stehende pflichtwidrige Verhalten darstellte. In diesem Fall wäre das für § 332 StGB aF erforderliche Äquivalenzverhältnis zwischen gewährtem Vorteil und pflichtwidriger Diensthandlung, d.h. die „Unrechtsvereinbarung” zu bejahen gewesen (vgl. BGHSt 33, 336, 338).
Vorgesetzter ist, wer einem Beamten (oder sonstigen Untergebenen) für seine dienstliche Tätigkeit Anordnungen erteilen kann. Dies bestimmt sich im Einzelfall nach dem konkreten Aufbau der Verwaltung (§§ 3 Abs. 2 Satz 2 und 3 BBG; 4 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 LBG Baden-Württemberg; vgl. Battis Bundesbeamtengesetz 2. Aufl. 1997 § 3 Rdn. 5) und der jeweiligen Geschäftsordnung (vgl. Müller/Beck/Entenmann, Das Beamtenrecht in Baden-Württemberg § 4 Rdn. 8; Monhemius Beamtenrecht Rdn. 52 a.E.). Das Urteil ist insoweit nicht eindeutig. Es gibt die Geschäftsverteilung der LVA (Abteilung 9) nicht wieder und hebt lediglich hervor, der Angeklagte C. sei jedenfalls auch dem Angeklagten M. „unterstellt” gewesen. Dies steht aber nicht in Einklang mit der an anderer Stelle mitgeteilten Aufgabenverteilung, nach der der Angeklagte M. im Beschaffungsantrag für den technischen Bedarf zeichnete, der Angeklagte C., der im übrigen für das „selbständige und eigenverantwortliche Einholen von Angeboten” zuständig war, dagegen – möglicherweise gleichberechtigt – für die Leasingkonditionen.
2. Soweit das Landgericht feststellt, der Angeklagte M. habe in den Jahren 1996 und 1997 in fünf Fällen – infolge des Vorgehens des Angeklagten C. objektiv pflichtwidrige – Beschaffungsanträge an die Geschäftsleitung mitunterzeichnet, hätte es der Darlegung bedurft, welche Bedeutung diesem Vorgang zukam. Insoweit wäre insbesondere die Aufklärung erforderlich gewesen, ob und in welcher Weise der Angeklagte M. infolge dieses innerbetrieblichen Ablaufs am Zustandekommen der Leasingverträge mit der CVR in eigener Verantwortung – ggf. durch Übernahme der Mitverantwortung auch für die Leasingkonditionen – beteiligt war. Dabei wäre der Gesichtspunkt bedeutsam gewesen, inwieweit die „Weiterleitung” des Beschaffungsantrages an den stellvertretenden Geschäftsführer auch von der Mitzeichnung durch den Angeklagten M. abhing.
War dies der Fall, hätte – unabhängig von der Frage der Vorgesetzteneigenschaft – die Annahme nahegelegen, daß mit den Zuwendungen seitens der CVR der Angeklagte M. dazu veranlaßt werden sollte, nach der Einholung eines – im Zweifel höheren – Kaufangebots den Antrag für die Beschaffung im Wege des EDV-Leasing mitzuzeichnen. Das Landgericht hätte erörtern müssen, ob es den Angeklagten darum ging, daß sie nach einer scheinbar fachlichen Prüfung über die Alternative Kauf oder Leasing in den Fachreferaten und einer Überprüfung durch den Abteilungsleiter zu einer möglichst reibungslosen Entscheidung über den Beschaffungsantrag und zur Unterzeichnung der jeweiligen Leasingverträge durch den stellvertretenden Geschäftsführer der Abteilung 9 gelangen würden. Denn die Mitzeichnung des Beschaffungsantrags durch den Angeklagten M. erfolgte, obwohl dieser wußte, daß der Angeklagte C. als Empfänger von Zahlungen der CVR zuvor bei der Auswahl des Leasinggebers „sachwidrige Erwägungen” hatte einfließen lassen.
B. Revision zuungunsten der Angeklagten P. und B. C.
Die Staatsanwaltschaft hat ihre zuungunsten dieser beiden Angeklagten eingelegte Revision wirksam auf die Nichtanordnung des Verfalls beschränkt (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 270, 271 m. w. Nachw.). Das Rechtsmittel hat Erfolg, weil die Begründungen, mit denen das Landgericht die Anordnung des Verfalls abgelehnt hat, durchgreifenden Bedenken begegnen.
1. In bezug auf den Angeklagten P. C. hat es gemeint, einer Verfallsanordnung stünde § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegen. Dies ist – ebenso wie beim Angeklagten M. – unzutreffend. Denn Verletzter i.S.d. Vorschrift kann nur derjenige sein, dessen Individualinteressen durch das vom Täter übertretene Strafgesetz geschützt werden sollen (vgl. BGHR StGB § 73 Verletzter 1). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Der Angeklagte hat die finanziellen Vorteile seitens der CVR durch Bestechlichkeit in 31 Fällen erlangt. Schutzgut der §§ 331, 332 StGB ist aber nicht das Vermögensinteresse der Anstellungskörperschaft, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes (vgl. BGHSt 30, 46, 48; 33, 37, 38; BGH NStZ 1987, 326, 327).
Die LVA war allerdings Verletzte der durch den Angeklagten in 42 Fällen begangenen Untreue (§ 266 StGB). Aus diesen Delikten hat der Angeklagte aber wiederum nichts (unmittelbar) erlangt. Daß er im Rahmen der mit der CVR getroffenen „Unrechtsvereinbarung” für die Untreuehandlungen zum Nachteil der LVA finanzielle Zuwendungen erhielt, führt nicht zur Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, weil sich diese Vorschrift nicht auf ein „für die Tat” geleistetes Entgelt bezieht (vgl. BGHSt 30, 46, 47).
Das Landgericht hätte jedoch – wie beim Angeklagten M. zutreffend in Betracht gezogen – die Anwendbarkeit des § 73 c Abs. 1 Satz 2 StGB prüfen müssen. Daß dessen Voraussetzungen nicht vorlagen, verstand sich nicht von selbst, weil der Angeklagte P. C. mit dem Ziel der Schadenswiedergutmachung gegenüber der LVA ein notarielles Schuldanerkenntnis über rund 1,3 Millionen DM abgegeben hat. Die danach erforderliche Ermessensentscheidung kann der Senat nicht nachholen (vgl. BGH StV 1995, 635); sie richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGHSt 33, 37, 40). Auch bedarf es weiterer Feststellungen, ob das Erlangte noch im Vermögen des Angeklagten vorhanden ist.
2. Die Strafkammer hat für die Angeklagte B. C. den Verfall mit der Begründung nicht angeordnet, daß diese aus der Tat keinen (unmittelbaren) Vermögenszuwachs erlangt, über die erfolgten Zahlungen vielmehr allein ihr Ehemann verfügt habe. Dem Urteil läßt sich jedoch entnehmen, daß die Eheleute C. im Tatzeitraum mehrere Eigentumswohnungen als Miteigentümer erworben haben. Im Hinblick darauf hätte es der Prüfung bedurft, ob die Wohnungen mit den von der CVR erlangten Geldern finanziert wurden und die Angeklagte dadurch etwas erlangt hat.
War dies der Fall, hätte – wie bei den übrigen Angeklagten – § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB der Verfallsanordnung nicht entgegengestanden. Jedoch hätte die Strafkammer dann die Voraussetzungen des § 73 c StGB erörtern müssen.
III.
Die Sache bedarf danach im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die neue Strafkammer wird insbesondere Gelegenheit zur Prüfung haben, ob die Einlassung des Angeklagten M. zutrifft, er habe nicht damit gerechnet, daß die vom Angeklagten P. C. vermittelten Leasinggeschäfte mit der CVR Vermögensnachteile für die LVA bringen würden.
Unterschriften
Schäfer, Granderath, Brüning, Wahl, Boetticher
Fundstellen
Haufe-Index 540012 |
NStZ 1999, 560 |
wistra 1999, 384 |