Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der Aufhebung eines früheren Testaments von dem Widerruf eines früheren Testaments
Leitsatz (amtlich)
- Zur Abgrenzung der Aufhebung eines früheren Testaments gem. § 2258 Abs. 1 BGB von dem Widerruf eines früheren Testaments gem. § 2254 BGB (Anschluß an LM BGB § 2258 Nr. 1).
- Der Tatrichter darf sich seiner Aufgabe, eine Verfügung von Todes wegen auszulegen, grundsätzlich nicht dadurch entledigen, daß er die Schwierigkeiten, die der Feststellung des wirklichen Willens des Erblassers entgegenstehen, aufzeigt und die Beseitigung der aufgekommenen Zweifel für unmöglich erklärt.
Normenkette
BGB §§ 133, 2084, 2254, 2258 Abs. 1
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. März 1980 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beklagten sind die ehelichen Töchter des am 1. September 1976 verstorbenen Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau. Der Erblasser hatte sich vor vielen Jahren von seiner Ehefrau getrennt und über 30 Jahre lang mit Frau Anna H. in W. zusammengelebt. Frau H. ist am 11. Februar 1978 verstorben und von ihrer Schwester, der Klägerin, allein beerbt worden. Aufgrund Testaments des Erblassers vom 14. Dezember 1965 sind dessen Erben zur Zeit unstreitig die Klägerin und die Beklagten. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Erfüllung von Vorausvermächtnissen in Anspruch, die der Erblasser zu ihren Gunsten und zugunsten von Frau Anna H. ausgesetzt habe.
Mit Testament vom 9. Juni 1958 hatte der Erblasser für Frau Anna H. u.a. einen Betrag im Werte von 150.000 DM ausgesetzt, wobei sich dieser Betrag entsprechend einer bestimmten Lohngruppe in der österreichischen Textilindustrie erhöhen sollte und inzwischen auf ein Vielfaches angewachsen sein soll. Hiervon verlangt die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Erbin der Vermächtnisnehmerin einen Teilbetrag von 200.000 DM nebst Zinsen. Außerdem begehrt die Klägerin Auflassung eines Grundstücks in S. (nebst Umschreibungsbewilligung), das der Erblasser ihr mit Nachtrag I vom 31. Juli 1964 zu dem Testament vom 9. Juni 1958 vermacht hatte.
Die Beklagten lassen beide Vermächtnisse nicht gelten.
Der Erblasser habe durch sein Testament vom 14. Dezember 1965 seine sämtlichen Verfügungen von Todes wegen aus der Zeit davor widerrufen und aufgehoben. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klageanträge für begründet gehalten. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie weiterhin die Klageabweisung erstreben.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht geht davon aus, der Erblasser habe einen ausdrücklichen Widerruf nicht erklärt. Es spreche zwar - wie im einzelnen dargelegt wird - einiges dafür, daß der Erblasser seine früheren Verfügungen von Todes wegen im Jahre 1965 habe widerrufen wollen; eine gesicherte Feststellung dieses Willens könne aber nicht getroffen werden. Angesichts des Bestrebens des Erblassers nach Perfektion sei es vielmehr nahezu unvorstellbar, daß der Erblasser die früheren Regelungen habe widerrufen wollen. Eine zweifelsfreie Auslegung des Testaments von 1965 sei aber nicht möglich; deshalb müsse es bei dem Grundsatz des § 2258 BGB verbleiben. Da die geltend gemachten Ansprüche nicht in einem sachlichen Widerspruch zu der Erbeinsetzung von 1965 stünden, seien die Klageansprüche begründet.
Diese Ausführungen begegnen rechtlichen Bedenken.
Die auf das Testament vom 9. Juni 1958 und den Nachtrag vom 31. Juli 1964 gestützten Klageansprüche wären nicht begründet, wenn der Erblasser diese Verfügungen von Todes wegen widerrufen (§§ 2253 ff. BGB) oder aufgehoben (§ 2258 Abs. 1 BGB) hätte.
Widerrufen kann der Erblasser ein Testament (abgesehen von den hier nicht in Betracht kommenden Fällen der §§ 2255 f. BGB) dadurch, daß er seinen Willen, die frühere letztwillige Verfügung außer Kraft zu setzen, in einem späteren Testament zum Ausdruck bringt (§ 2254 BGB). Das Gesetz verlangt hier keinen ausdrücklichen Widerruf; vielmehr genügt es, wenn die Widerrufsabsicht dem Testament im Wege der Auslegung entnommen werden kann (BGH Urteil vom 25. Oktober 1965 - IV ZR 47/64 = LM BGB § 2254 Nr. 1). Dabei hat der Tatrichter, dem die Auslegung regelmäßig obliegt, nach den allgemeinen Grundsätzen der Testamentsauslegung außer dem Wortlaut auch diejenigen Umstände außerhalb des Testaments mit heranzuziehen, die zur Ermittlung des wirklichen Willens des Erblassers von Bedeutung sein können. (Etwas anderes kommt entgegen Rudolf Schmidt JZ 1951, 745 f. auch in dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 10. Mai 1951 - IV ZR 12/50 = JZ 1951, 591 f nicht zum Ausdruck).
Demgegenüber tritt die Aufhebung gemäß § 2258 Abs. 1 kraft Gesetzes ein. Sie setzt voraus, daß das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch steht. Ist das der Fall, dann ist das frühere Testament soweit aufgehoben, wie der Widerspruch reicht, und zwar ohne daß es einer gerade auf diese Rechtsfolge gerichteten Willenserklärung bedarf (BGH Urteil vom 21. Mai 1953 - IV ZR 230/52 = LM BGB § 2258 Nr. 1).
Ein Widerspruch in diesem Sinne besteht einmal, wenn die Testamente sachlich miteinander nicht vereinbar sind, also die getroffenen testamentarischen Anordnungen nicht nebeneinander Geltung erlangen können, sondern einander entgegengesetzt sind und sich dadurch gegenseitig ausschließen. Aber auch wenn die einzelnen testamentarischen Anordnungen sachlich miteinander in Einklang stehen, kann ein Widerspruch im Sinne von § 2258 Abs. 1 BGB gegeben sein. Das ist der Fall, wenn die kumulative Geltung der mehreren letztwilligen Verfügungen den in einem späteren Testament zum Ausdruck kommenden Absichten des Erblassers zuwiderliefe, etwa weil dieser seine Erbfolge mit seinem späteren Testament abschließend und umfassend (ausschließlich) regeln wollte (BGH LM BGB § 2258 Nr. 1; Heinsheimer DJZ 1906, 796).
Die insoweit gebotene Prüfung, ob ein Widerspruch in dem einen oder anderen Sinne zwischen den verschiedenen Testamenten besteht, macht es erforderlich, daß der Tatrichter die Testamente je für sich nach den allgemeinen hierfür maßgebenden Grundsätzen auslegt und sodann in einem zweiten Schritt die so ermittelten, Jeweiligen Willen des Erblassers zueinander in Beziehung setzt.
Den hiernach zu stellenden Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht.
1.
Das Berufungsurteil hat sich zwar bemüht, durch Auslegung zu ermitteln, ob der Erblasser seine früheren Verfügungen von Todes wegen mit seinem Testament vom 14. Dezember 1965 widerrufen wollte oder nicht (§ 2254 BGB). Es hat seine Prüfung aber nicht zu einem Ergebnis geführt, sondern abgebrochen mit der Begründung, eine zweifelsfreie Auslegung des Testaments von 1965 sei nicht möglich. Dieses Vorgehen ist rechtlichen nicht zu billigen.
Der Tatrichter darf sich seiner Aufgabe, eine Verfügung von Todes wegen auszulegen, grundsätzlich nicht dadurch entledigen, daß er die Schwierigkeiten, die der Feststellung des wirklichen Willens des Erblassers entgegenstehen, aufzeigt und die Beseitigung der aufgekommenen Zweifel für unmöglich erklärt. Gerade die Auflösung solcher Zweifel ist der Zweck der Auslegung. Dabei darf der Tatrichter nicht am buchstäblichen Sinn des Wortlauts haften, sondern hat nach dem wirklichen Willen des Erblassers zu forschen (§ 133 BGB). Gelingt es ihm dennoch - trotz Heranziehung aller zu Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlichen Umstände - nicht, sich von dem wirklichen Willen zu überzeugen, dann muß er sich notfalls damit begnügen, den Sinn zu ermitteln, der dem (mutmaßlichen) Erblasserwillen am ehesten entspricht. Daß das Testament von 1965 so widersprüchlich oder unverständlich wäre, daß es ausgeschlossen erschiene, einen vernünftigen Sinn daraus zu gewinnen, was in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen vorkommen kann, hat auch das Berufungsgericht nicht sagen wollen (vgl. RG JW 1916, 405 ff.).
2.
Das Berufungsgericht ist weiter der Auffassung, die verschiedenen Testamente des Erblassers seien sachlich miteinander vereinbar. Es hat aber nicht hinreichend geprüft, ob der Erblasser seine Erbfolge mit dem Testament von 1965 damals abschließend und umfassend regeln wollte und ob er diesem Testament daher in diesem Sinne einen ausschließlichen Charakter beigelegt hat. Auch insoweit bedarf es der Auslegung des Testaments von 1965, die das Berufungsgericht auch hier nicht vor der Gewinnung eines rechtlich möglichen Ergebnisses abbrechen darf. Erst recht enthält § 2258 Abs. 1 BGB keinen Grundsatz, der eingriffe, wenn die Auslegung nicht gelänge. Die geltend gemachten Vermächtnisse können der Klägerin nicht zugesprochen werden, solange offenbleibt, ob die der Klage zugrundeliegenden Testamente aufgehoben oder widerrufen sind oder nicht.
3.
Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben werden. Das Berufungsgericht wird Gelegenheit haben, im Rahmen der ihm obliegenden Auslegung auch zu den von der Revision hierzu vorgebrachten sonstigen Gesichtspunkte Stellung zu nehmen.
Unterschriften
Dr. Hoegen,
Dehner,
Dr. Schmidt-Kessel,
Rassow,
Dr. Zopfs
Fundstellen
Haufe-Index 1456158 |
NJW 1981, 2745 |