Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch von Kindern
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 29. Januar 1999 im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in einem Fall und wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in sieben Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den ihrer Ansicht nach zu milden Gesamtstrafenausspruch. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Revision ist wirksam auf die Anfechtung der Gesamtstrafe beschränkt. Die Staatsanwaltschaft beantragt, „das Urteil unter Aufrechterhaltung der verhängten Einzelstrafen im Gesamtstrafenausspruch aufzuheben”. Eine solche Beschränkung ist grundsätzlich möglich (vgl. Ruß in KK StPO 4. Aufl. § 318 Rdn. 8 a m.w.Nachw.), denn § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB enthält eigene, über § 46 StGB hinausgehende Bewertungsgrundsätze, so daß die Gesamtstrafenbildung grundsätzlich einen gesonderten Strafzumessungsvorgang erfordert (Rissing-van Saan in LK, 11. Aufl. § 54 Rdn. 10 m.w.Nachw.).
Sie ist auch wirksam. Innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs ist die Gesamtstrafenbildung als Beschwerdepunkt von dem nicht angegriffenen Teil des Strafausspruchs hinsichtlich der Einzelstrafen einer getrennten und umfassenden Überprüfung und Beurteilung durch das Revisionsgericht und den neuen Tatrichter jedenfalls dann zugänglich, wenn – wie hier – bei der Bildung der Gesamtstrafe nicht Bezug genommen wird – was zur Vermeidung von Wiederholungen zulässig wäre (vgl. Rissing-van Saan aaO Rdn. 13 m.w.Nachw.) – auf die zur Festsetzung der Einzelstrafen niedergelegten Erwägungen.
2. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe. Das Landgericht hat unter Erhöhung der höchsten Strafe von einem Jahr und neun Monaten, die es in zwei Fällen verhängt hat, und aus weiteren Einzelstrafen von sechs Monaten, zweimal einem Jahr, dreimal einem Jahr und sechs Monaten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gebildet. Es hat mit näherer Begründung „die im unteren Bereich des zur Verfügung stehenden Strafrahmens” von einem Jahr neun Monate bis zehn Jahre sechs Monate liegende Gesamtstrafe für geboten und erforderlich gehalten, dabei aber bestimmende Strafzumessungsgründe von Gewicht nicht erkennbar berücksichtigt und berücksichtigte Strafzumessungsgründe rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten gewertet.
Der Tatrichter hat zu Lasten des Angeklagten nur gewichtet, es handle sich um insgesamt acht Taten, deren Gesamtgewicht damit erheblich sei. Nicht erkennbar berücksichtigt hat er, daß vor der Einstellung eines im Juni/Juli 1995 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens es mit der Nebenklägerin „fast täglich, an mehreren Tagen mehrfach, zum Geschlechtsverkehr kam” (UA S. 6, 15), und von den angeklagten 14 Taten sechs festgestellte in der Hauptverhandlung eingestellt wurden (§ 154 Abs. 2 StPO) (UA S. 7). Das Urteil läßt besorgen, daß sich das Landgericht nicht bewußt war, daß es dieses festgestellte und vom Angeklagten eingeräumte Gesamtgeschehen, auch soweit es nicht Gegenstand des Schuldspruchs war, bei der Gesamtstrafenbildung zum Nachteil des Angeklagten hätte berücksichtigen müssen (vgl. BGH NStZ 1995, 439; NStZ-RR 1997, 130; vgl. aber auch BGH, Beschl. vom 3. August 1999 - 4 StR 228/99).
Zugunsten des Angeklagten wertet die Kammer, daß die Tat ihre Kennzeichnung dadurch erhalten habe, „daß der Angeklagte nicht nur die Befriedigung sexueller Wünsche suchte, sondern eine Liebesbeziehung zu der Nebenklägerin entwickelte und aus seiner Sicht davon ausging, daß die Nebenklägerin seine Gefühle erwiderte” (UA S. 30). Diese vom Landgericht als „in kognitiver Verzerrung” gewertete Sicht ist kein Strafmilderungsgrund, weil die getroffenen Feststellungen eine solche Sicht der Beziehung zwischen Täter und Opfer nicht rechtfertigen. Die Nebenklägerin hatte nämlich bekundet, daß für sie das Verhältnis keine Liebesbeziehung gewesen sei. Sie habe es als einen Zwang empfunden, dem sie sich angesichts des dominanten, gelegentlich auch gewalttätigen Verhaltens des Angeklagten nicht habe entziehen können. Sie sehe sich als Opfer und habe von Mißhandlungen gesprochen. Die Nebenklägerin hatte einen Mitarbeiter des Jugendamtes über das Geschehen unterrichtet, von dem – gegen den Willen der Nebenklägerin – die Polizei dann Kenntnis erhielt. Im Juli 1996 ist sie vor dem Angeklagten mit einem Sprung über den Balkon der Wohnung geflüchtet.
Das Landgericht hat darüber hinaus nicht erkennbar berücksichtigt, daß das Tatgeschehen mehrfach erhebliche Unterbrechungen erfuhr, so, als der Angeklagte von dem später eingestellten gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren erfuhr, als die Nebenklägerin längere Zeit im Krankenhaus lag und als er mehrere Monate ins Ausland dienstversetzt war, so daß insoweit nicht von einem den Angeklagten entlastenden engen zeitlichen Zusammenhang gesprochen werden kann.
Rechtsfehlerhaft ist auch die weitere – als Härteausgleich zugunsten des Angeklagten zu verstehende – Begründung, daß wegen der Tilgung einer Geldstrafe eine gesonderte Gesamtstrafenbildung mit der letzten Tat nicht mehr möglich sei. Wäre dies möglich gewesen, hätten zwei Gesamtstrafen (erste Gesamtstrafe: Fälle III 1 bis 7; zweite Gesamtstrafe: Fall III 8 und Geldstrafe) gebildet werden müssen. Dies hätte sich aber gerade zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt.
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 540533 |
NStZ-RR 2000, 13 |