Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 18.11.2014) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 18. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Feststellungen zu der der Maßregelanordnung zugrundeliegenden rechtswidrigen Tat bleiben jedoch aufrechterhalten.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen leidet die zur Tatzeit 53 Jahre alte Beschuldigte seit vielen Jahren an einer „paranoiden-halluzinatorischen Psychose”. Nach ihrem Erleben wurde sie 1985 in den Niederlanden vergewaltigt. Ob diese Vergewaltigung tatsächlich stattgefunden hat, konnte aus psychiatrischer Sicht nicht geklärt werden. „Der Vergewaltiger” prägt ihr Krankheitsbild; sie hört seine Stimme, sieht ihn und findet Zeichen von ihm auf der Straße. Im Jahr 1993 hielt sie sich erstmals freiwillig in der psychiatrischen Abteilung der E. Kliniken in G. auf. 1995 wurde sie dort erneut behandelt, nachdem sie ihre Medikamente abgesetzt und eine Tasse nach ihrer Mutter geworfen hatte. 2005 begab sie sich in das El. -Krankenhaus in G., als sie nach dem Absetzen ihrer Medikamente spürte, dass sie kurz davor stand, das Mobiliar zu zertrümmern. 2011 war sie wiederum in den E. Kliniken in stationärer Behandlung.
Rz. 3
Die Beschuldigte bewohnte zur Tatzeit bereits seit 20 Jahren eine eigene Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Gr. straße in G.. Ihren Nachbarn ist sie in dieser Zeit nicht durch Besonderheiten aufgefallen. Zwei bis drei Monate vor der Tat hatte die Beschuldigte ihre Medikamente abgesetzt, weil diese zu einem Tremor im Arm geführt hatten.
Rz. 4
Am Abend des 10. Juni 2014 sah die Beschuldigte fern. Die Geräusche aus dem Fernseher nahm sie als Stimmen wahr, die ihr Befehle gaben. Sie wurde aggressiv und bekam Angst. An ein Ausschalten des Fernsehers dachte sie nicht; vielmehr nahm sie einen Hammer und schlug ein Loch in den Bildschirm. Sie beschloss, dass entweder sie oder „der Vergewaltiger” „draufgehe”. Sie verschüttete einen Liter Terpentinersatz in ihrer Wohnung und zündete diesen an. Dann verließ sie die Wohnung mit ein paar Sachen und ihrem Meerschweinchen, die sie zuvor in eine Tasche gepackt hatte. Dass andere Menschen durch den Brand zu Schaden kommen könnten, war ihr egal. Hausbewohner alarmierten die Polizei und die Feuerwehr, die den Brand löschte. Im Schlafzimmer der Beschuldigten war die Matratze verbrannt, das Bett beschädigt. In allen Räumen hatte sich Ruß niedergeschlagen; wegen der notwendigen Renovierungsarbeiten war die Wohnung für mehrere Tage nicht bewohnbar.
Rz. 5
Das Landgericht hat die Tat als vollendete schwere Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1 2. Alternative StGB gewertet. Durch die starke Verrußung sei die Wohnung für eine beträchtliche Zeit unbewohnbar gewesen, so dass ein teilweises Zerstören eines für das Wohnen von Menschen bestimmten Gebäudeteils vorliege. Die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB lägen nicht vor. Zwar sei davon auszugehen, dass die Einsichts- und die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten bei der Begehung der Anlasstat aufgrund einer akuten Phase der bei ihr seit vielen Jahren bestehenden und zuletzt medikamentös unbehandelten „paranoiden-halluzinatorischen Psychose” aufgehoben gewesen sei, doch könne ihr die für eine Unterbringung erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden.
Rz. 6
2. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 7
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf allerdings nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für neuerliche schwere Störungen des Rechtsfriedens besteht. Dass der Täter trotz bestehenden Defekts lange Zeit keine Straftaten begangen hat, ist regelmäßig ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten. Andererseits kann aber auch schon eine erste Straftat belegen, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist. Ob dies der Fall ist, muss aufgrund einer umfassenden Würdigung der Person des Täters, seines Vorlebens und der Symptomtat unter Ausschöpfung der erreichbaren Beweismittel geprüft werden (BGH, Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Rz. 8
a) Das Urteil ist in einem wichtigen Punkt lückenhaft. Das Landgericht ist den beiden Sachverständigen bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit der Beschuldigten in vollem Umfang gefolgt. Bei der Prüfung der Gefährlichkeit der Beschuldigten sind die Sachverständigen, die eine Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung befürwortet haben, davon ausgegangen, dass die Beschuldigte aufgrund des Wahnerlebens sich zukünftig aggressiv verhalten werde. Ob die Sachverständigen unter „aggressivem Verhalten” Handlungsweisen wie die früher aufgetretenen – das Werfen einer Tasse nach einem Menschen oder die Zerstörung von (eigenem) Mobiliar – verstehen oder ob sie darüber hinausgehende Handlungsweisen – wie im vorliegenden Fall eine schwere Brandstiftung – erwarten und ob das Landgericht ihnen auch insoweit folgt, ist in diesem Zusammenhang nicht erläutert worden. Der Tatrichter, der in einer schwierigen Frage den Rat eines Sachverständigen in Anspruch genommen hat und der diese Frage im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, muss aber die Darlegungen des Sachverständigen im Einzelnen wiedergeben, insbesondere dessen Stellungnahme zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 20. März 2008 – 4 StR 5/08 Rn. 6 und vom 16. Dezember 1992 – 2 StR 440/92, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5 jeweils mwN).
Rz. 9
b) Zum anderen lässt das Landgericht bei seiner Würdigung, die Annahme der Sachverständigen könne die Gefährlichkeitsprognose nicht tragen, außer Acht, dass der Sachverständige Prof. Dr. L. – dem es sich angeschlossen hat – der Ansicht war, die Beschuldigte werde bei Nichteinnahme der Medikamente wieder wahnhaft agieren. Unter diesen Umständen begegnet die Annahme des Landgerichts, es gebe keine Anhaltspunkte für eine erneute produktiv-psychotische Episode und damit einhergehende schwerwiegende Straftaten, durchgreifenden Bedenken. Dies gilt auch für die Einschätzung der Strafkammer, dass eine „Steigerung in Form von aggressivem Verhalten oder sonstigen Ausfällen” nicht bestehe. Eine solche Steigerung liegt offensichtlich mit der Anlasstat vor.
Rz. 10
3. Über die Unterbringung und deren Vollstreckung muss deshalb erneut entschieden werden. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der der Maßregelanordnung zugrundeliegenden schweren Brandstiftung können jedoch aufrechterhalten bleiben.
Unterschriften
Mutzbauer, Roggenbuck, Cierniak, Franke, Bender
Fundstellen