Leitsatz (amtlich)
›Eine Entscheidung ist nicht "mit Gründen versehen", wenn sie nicht aus sich selbst heraus verständlich ist, weil sie auf die Gründe einer Entscheidung Bezug nimmt, die zwar gleichzeitig ergangen ist, aber in einem Verfahren, an dem nur eine der Parteien des Rechtsstreits ebenfalls beteiligt war.‹
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Ehemann der Beklagten S. war bis zum 30. Juni 1986 als Versicherungsvertreter für die Klägerin tätig. Nach seinem Ausscheiden erhielt er eine Ausgleichszahlung. Im Juli 1986 eröffneten die Beklagte und ihr Ehemann ein eigenes Büro, in dem Versicherungsverträge für verschiedene Unternehmen, nicht aber für die Klägerin, vermittelt werden.
Die Klägerin wirft dem Ehemann der Beklagten vor, planmäßig und mit unlauteren Mitteln in ihren Versicherungsbestand einzudringen. Aber auch die Beklagte selbst, so macht sie geltend, handele wettbewerbswidrig, weil sie die Versicherungsagentur gemeinsam mit ihrem Ehemann betreibe und sein wettbewerbswidriges Vorgehen im eigenen wirtschaftlichen Interesse unterstütze. Die Klägerin hat deshalb im Parallelprozeß I ZR 48/89 gegen den Ehemann der Beklagten und in vorliegender Sache gegen diese selbst Klage auf Unterlassung des als wettbewerbswidrig beanstandeten Verhaltens erhoben.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, selbst wenn sich ihr Ehemann wettbewerbswidrig verhalten haben sollte, habe sie dies weder gefördert noch ausgenutzt. Im übrigen hat sie sich das Vorbringen ihres Ehemannes aus dem gegen diesen geführten Parallelverfahren zu eigen gemacht.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin, nachdem deren Klageantrag von den Parteien teilweise für erledigt erklärt worden war, zurückgewiesen. Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt die Klägerin weiterhin die Verurteilung der Beklagten nach den in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträgen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin lege der Beklagten keine Wettbewerbsverstöße zur Last, die diese selbst gegangen habe, sondern wolle sie lediglich für die Wettbewerbsverstöße ihres Geschäftspartners S. mithaften lassen. Das Unterlassungsbegehren der Klägerin scheitere jedoch schon daran, daß der Klägerin gegen ihren früheren Mitarbeiter S. kein Unterlassungsanspruch zustehe. Die Klägerin habe nicht dartun können, daß S. in wettbewerbswidriger Weise in ihren Versicherungsbestand eingedrungen sei. Wegen der Begründung hat das Berufungsgericht auf sein an demselben Tat verkündeten Urteil in dem parallel geführten Rechtsstreit der Klägerin gegen S., der nach Abschluß des Berufungsverfahrens mit der Beklagten die Ehe eingegangen ist, Bezug genommen.
II. Die Revision rügt mit Erfolg, daß das Berufungsurteil keine ausreichenden Entscheidungsgründe enthält, weil es entgegen der Vorschrift des § 313 Abs. 3 ZPO statt einer eigenen Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht, im wesentlichen auf das an demselben Tag verkündete Urteil des Berufungsgerichts im Rechtsstreit gegen S. verweist (§ 551 Nr. 7 ZPO).
In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, daß nicht nur die Bezugnahme auf eine Entscheidung, die zwischen denselben Parteien - auch an demselben Tag - ergangen ist, sondern auch die Bezugnahme auf eine sonstige nicht zwischen denselben Parteien ergangene Entscheidung, sofern sie Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, keinen Verstoß gegen § 551 Nr. 7 ZPO darstellt (vgl. BGHZ 39, 333, 345 f. - Warmpressen; BGH, Beschl. v. 2.10.1970 - I ZB 9/69, GRUR 1971, 86, 87 - Eurodigina; Urt. v. 18.4.1988 - II ZR 251/87, WM 1988, 895, 897). Diese Voraussetzungen für eine zulässige Bezugnahme auf eine in einem anderen Rechtsstreit ergangene Entscheidung liegen hier jedoch nicht vor, weil das Urteil, auf das die angefochtene Entscheidung Bezug nimmt, in einem Verfahren ergangen ist, an dem zwar die Klägerin, nicht aber auch die Beklagte als Partei beteiligt war und nicht davon ausgegangen werden kann, daß das Urteil im Parallelprozeß Gegenstand der mündlichen Verhandlung in der vorliegenden Sache war (s. Sitzungsniederschrift des Berufungsgerichts vom 15. November 1988, GA 147). In einem Fall dieser Art kann die Bezugnahme in den Gründen der Entscheidung auf das Urteil des anderen Verfahrens nicht zugelassen werden. Selbst wenn die Parteien, wie auch hier die Beklagten beider Verfahren, jeweils durch dieselben Prozeßbevollmächtigten vertreten werden, kann in einem solchen Fall nicht davon ausgegangen werden, daß die in Bezug genommene Entscheidung der an diesem Verfahren nicht beteiligten Partei alsbald bekannt wird. Denn die in dem anderen Verfahren vorzunehmende Zustellung der Entscheidung an den gemeinsamen Prozeßbevollmächtigten ist nur eine Zustellung an die dort vertretene Partei. Es besteht daher die Möglichkeit, daß die nicht an beiden Verfahren beteiligte Partei durch die Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des anderen Verfahrens in der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte behindert wird. Darauf, ob dies auch im Streitfall so ist, kann aus Gründen der Rechtssicherheit nicht abgestellt werden. Durch die Bezugnahme auf die Entscheidung des anderen Verfahrens wird auch nicht nur die an einem der beiden Verfahren nicht beteiligte Partei, sondern möglicherweise auch ihr Prozeßgegner in seiner Rechtsstellung berührt, auch wenn ihm selbst die in Bezug genommene Entscheidung durch deren Zustellung bekannt wird. Denn nach § 552 ZPO beginnt die Revisionsfrist erst mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils, weil der durch das Urteil Beschwerte mindestens einen Monat zur Verfügung haben soll, um sich über die Anfechtung des Urteils schlüssig zu werden. Nimmt das Berufungsurteil, wie dies hier geschehen ist, zur Begründung seiner Entscheidung auf die Entscheidungsgründe einer anderen Entscheidung Bezug, bedeutet dies, daß die Zustellung des Berufungsurteils die Revisionsfrist für diejenige Partei nicht in Lauf setzt, die an dem der anderen Entscheidung zugrundeliegenden Verfahren nicht beteiligt war (vgl. BGH, Beschl. v. 2.10.1970 - I ZB 9/69, GRUR 1971, 86, 87 - Eurodigina; Zöller/Schneider, ZPO, 16. Aufl., § 552 Rdn. 2).
Es ist daher keine bloße Förmelei, wenn die Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe eines anderen Verfahrens, an dem nicht dieselben Parteien beteiligt sind, nicht zugelassen wird. Das Berufungsgericht hätte die Möglichkeit gehabt, das Verfahren in den beiden an demselben Tag mit denselben Prozeßbevollmächtigten verhandelten Verfahren durch Prozeßverbindung gemäß § 147 ZPO zu vereinfachen. Da es davon keinen Gebrauch machte, hätte es jedem Urteil eine selbständige, aus sich selbst heraus verständliche Begründung geben müssen (vgl. dazu RG JW 1926, 815 mit Anm. Heinsheimer).
III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993057 |
BB 1991, 506 |
LM § 551 Ziff. 7 ZPO Nr. 20 |
BGHR ZPO § 313 Abs. 3 Bezugnahme 1 |
BGHR ZPO § 551 Nr. 7 Bezugnahme 1 |
BGHR ZPO § 552 Vollständige Form 1 |
NJW-RR 1991, 830 |
GRUR 1991, 403 |
AnwBl 1992, 41 |
VersR 1991, 898 |