Leitsatz (amtlich)
a) Zur Frage der formellen Beweiswirkung der über eine Hauptversammlung aufgenommenen notariellen Niederschrift.
b) Ein die Satzung einer AG ändernder Hauptversammlungsbeschluß, nach dem die Hauptversammlung ermächtigt wird, den Ort für die Durchführung der nächsten Hauptversammlung mit der erforderlichen Mehrheit zu bestimmen, verstößt gegen Inhalt und Zweck des § 121 Abs. 4 AktG und kann daher nach § 243 Abs. 1 AktG angefochten werden.
Normenkette
AktG § 121 Abs. 4, § 130 Abs. 1; ZPO § 415
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 17.12.1992) |
LG Stuttgart |
Tenor
Die Revision der Beklagten und die Anschlußrevision des Klägers gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 17. Dezember 1992 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden zu 93 % der Beklagten und zu 7 % dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Die Hauptversammlung der Beklagten, einer in L. ansässigen Aktiengesellschaft, faßte am 26. Juni 1991 zu Punkt 5 a) der Tagesordnung folgenden Beschluß:
„Die Hauptversammlung findet an dem Ort statt, den die Teilnehmer der vorausgegangenen Hauptversammlung für die Abhaltung der folgenden Hauptversammlung mit der erforderlichen Mehrheit bestimmt haben.”
Der Kläger, Aktionär der Beklagten, hat die Feststellung der Nichtigkeit dieses Beschlusses, hilfsweise im Wege der Anfechtungsklage seine Nichtigerklärung angestrebt. Zu dem Antrag auf Nichtigerklärung haben die Parteien unter anderem darüber gestritten, ob der Kläger gegen den Beschluß in der Hauptversammlung Widerspruch zu notariellem Protokoll erklärt hat.
Das Landgericht hat der Nichtigkeitsklage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Nichtigkeitsklage abgewiesen, den Beschluß aber auf die Anfechtungsklage für nichtig erklärt und die Kosten der Berufungsinstanz zu 1/5 dem Kläger und zu 4/5 der Beklagten auferlegt. Mit ihrer – zugelassenen – Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Anfechtungsklage. Der Kläger möchte mit seiner Anschlußrevision erreichen, daß der Beklagten die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt werden.
Entscheidungsgründe
Revision und Anschlußrevision sind nicht begründet.
I. Revision der Beklagten:
1. Die Revision ist der Ansicht, die Berufung des Klägers habe als unzulässig verworfen werden müssen, weil in der Berufungsschrift als gesetzlicher Vertreter der Beklagten lediglich der Vorstand aufgeführt worden und die Beklagte daher im Rahmen der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage in der Berufungsinstanz nicht nach den gesetzlichen Vorschriften vertreten gewesen sei. Diese Rüge ist unbegründet.
Zutreffend weist die Revisionserwiderung darauf hin, daß die Berufungsschrift nach dem Gesetz lediglich die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, und die Erklärung enthalten muß, daß gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde (§ 518 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen hat der Kläger mit der von ihm eingelegten Berufung erfüllt. Er hat darüber hinaus auch der Vorschrift des § 518 Abs. 3 ZPO entsprochen, nach der mit der Berufungsschrift eine beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden soll.
Der Umstand, daß in der Berufungsschrift – offensichtlich in unreflektierter Übernahme des insofern fehlerhaften Rubrums des landgerichtlichen Urteils – als gesetzlicher Vertreter der Beklagten nur deren Alleinvorstand B. aufgeführt ist, hat nicht zur Folge, daß die verklagte Gesellschaft im Berufungsverfahren nicht nach den gesetzlichen Vorschriften vertreten war (§§ 246 Abs. 2 Satz 2, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG). In dem Verfahren vor dem Landgericht war die Beklagte durch Vorstand und Aufsichtsrat vertreten: In der Klageschrift sind beide Gesellschaftsorgane als gesetzliche Vertreter aufgeführt; dementsprechend ist sie den Mitgliedern beider Organe zugestellt worden. Rechtsanwalt C. aus S. hat sich als Prozeßbevollmächtigter der Beklagten gemeldet. Nach §§ 80 Abs. 1, 88 Abs. 2 ZPO ist davon auszugehen, daß ihm für den Rechtsstreit wirksam, d.h. von beiden Organen, Prozeßvollmacht erteilt worden ist. Nach § 81 ZPO ermächtigt diese Prozeßvollmacht zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozeßhandlungen, also auch zur Entgegennahme der Berufungsschrift sowie zur Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten für die Berufungsinstanz bzw., da Rechtsanwalt C. bei dem Berufungsgericht zugelassen ist, zur Vertretung der Beklagten in dem Berufungsverfahren durch ihn selbst (vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., § 81 Rdn. 19; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 81 Rdn. 4; Zöller/Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 81 Rdn. 3; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., § 81 Rdn. 4; MüKo/v. Mettenheim, ZPO, 1992, § 81 Rdn. 4, 5). Da die in der ersten Instanz von beiden Gesellschaftsorganen wirksam erteilte Prozeßvollmacht somit in der Berufungsinstanz fortbestanden hat, ist die Beklagte entgegen der Ansicht der Revision auch hier ordnungsgemäß vertreten gewesen. Das Berufungsgericht hat daher die Berufung des Klägers zu Recht nicht als unzulässig verworfen.
2. Die Revision ist ferner der Ansicht, das Berufungsgericht sei rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger gegen den angefochtenen Hauptversammlungsbeschluß Widerspruch zu notariellem Protokoll erklärt hat.
a) Sie meint, die von dem Berufungsgericht getroffene Feststellung trage materiell-rechtlich die Bejahung der Anfechtungsbefugnis des Klägers nach § 245 Nr. 1 AktG nicht. Dazu reiche es nicht aus, wie das Berufungsgericht ausgeführt habe, daß der Kläger gegen den zu Punkt 5 der Tagesordnung gefaßten Hauptversammlungsbeschluß Widerspruch eingelegt habe. Vielmehr müsse der Widerspruch gegenüber dem Notar derart erklärt werden, daß dieser ihn als solchen erkennen könne und so auffassen müsse, daß nach dem Willen des Aktionärs die Erklärung in die Niederschrift aufzunehmen ist.
Entgegen der Ansicht der Revision erfüllen die von dem Berufungsgericht getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen nach § 245 Nr. 1 AktG. Nach dieser Vorschrift ist jeder in der Hauptversammlung erschienene Aktionär zur Anfechtung befugt, wenn er gegen den Beschluß Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat.
Die Widerspruchserklärung setzt nicht voraus, daß der Aktionär ein Verlangen nach Protokollierung ausdrücklich ausspricht (Hüffer in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1984, § 245 Rdn. 35; Hüffer, AktG, 1993, § 245 Rdn. 15). Es genügt vielmehr, wenn aus dem Verhalten des Aktionärs deutlich wird, daß er die Protokollierung der Tatsache wünscht, er habe rechtliche Bedenken gegen den Beschluß angemeldet. Er muß sich demnach so verhalten, daß der das Protokoll aufnehmende Notar die Erklärung eines Widerspruchs zur Niederschrift erkennen kann (Hüffer in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff a.a.O.; Hüffer, AktG a.a.O.; Zöllner in KK z. AktG, 1985, § 245 Rdn. 35; Schilling in GroßKomm. z. AktG, 3. Aufl. § 245 Anm. 8). Von dieser Voraussetzung geht das Berufungsgericht aus. Es legt seinen Ausführungen als Ausgangspunkt die Vorschrift des § 245 Nr. 1 AktG zugrunde. Es spricht ausdrücklich an mehreren Stellen von der Einlegung eines Widerspruchs. Durch die Wahl des Wortes „einlegen” kommt hinreichend deutlich zum Ausdruck, daß der Widerspruch an denjenigen gerichtet wird, der für seine Entgegennahme zuständig ist. Das ist nach § 245 Nr. 1 AktG der mit der Erstellung der Niederschrift beauftragte Notar. An anderen Stellen der Entscheidungsgründe wird die „Einlegung” des Widerspruchs ausdrücklich mit dem Hauptversammlungsprotokoll in Verbindung gebracht „Protokollvermerk”-BU 18; „Fehleintragungen”, „Einzelblätter”, „Notizen”-BU 19; „Protokoll”-BU 20; „Protokollierungsversehen” und „nicht als Widerspruch … protokolliert”-BU 8; „Protokoll”-BU 9), einmal wird ausdrücklich von „zugerufenem Widerspruch” (BU 8) gesprochen. Unter Berücksichtigung dieser gesamten Umstände ist die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe seine Feststellungen rechtlich nicht daran ausgerichtet, daß der Widerspruch zur Niederschrift erklärt werden müsse, nicht berechtigt.
b) Die Revision ist ferner der Ansicht, das Berufungsgericht habe die von der Beklagten angeregte Vernehmung der Aufsichtsratsmitglieder Dr. D. und Dr. zu der Frage, ob der Widerspruch gegen den Beschluß über das Verfahren der „en-bloc”-Abstimmung oder über den Tagesordnungspunkt selbst zur Niederschrift erklärt worden sei, nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, eine Vernehmung komme im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, zu dem die Vernehmung der von den Parteien benannten Zeugen geführt habe, nicht in Betracht. Denn damit habe das Berufungsgericht die Vermutungswirkung des nach § 130 AktG aufgenommenen Protokolls für die Richtigkeit des von dem Notar Dr. Sch. beurkundeten Vorgangs verkannt, der Kläger habe Widerspruch gegen den Beschluß über das Verfahren der „en-bloc”-Abstimmung erhoben, hingegen sei ein Widerspruch gegen den Beschluß über den Tagesordnungspunkt selbst nicht erhoben worden. Auch diese Rüge kann keinen Erfolg haben.
Die von einem Notar nach § 130 Abs. 1 AktG aufgenommene Niederschrift begründet allerdings, wovon die Revision zutreffend ausgeht, als öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 Abs. 1 ZPO vollen Beweis dafür, daß die in ihr beurkundeten Erklärungen wie niedergelegt und nicht anders abgegeben worden sind (OLG Hamburg, AG 1971, 403, 405; Eckardt in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1973/74, § 130 Rdn. 9; Hüffer, AktG a.a.O. § 130 Rdn. 1; Barz in GroßKomm. z. AktG a.a.O. § 130 Anm. 19). Für den vorliegenden Fall heißt das, die von dem Notar Dr. Sch. aufgenommene Niederschrift begründet vollen Beweis dafür, daß der Kläger, wie in der Urkunde vermerkt, Widerspruch gegen den Beschluß der Hauptversammlung zur Niederschrift erklärt hat, mit dem über das Abstimmungsverfahren zu Punkt 5 der Tagesordnung entschieden worden ist, nicht aber gegen den Beschluß, dessen Abstimmungsgegenstand der Inhalt des Tagesordnungspunkts 5 war. Davon geht ersichtlich auch das Berufungsgericht aus. Zwar nimmt es auf die Vorschrift des § 415 ZPO in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich Bezug. Es macht auch keine gesonderten Ausführungen zur formellen Beweiskraftwirkung dieser Vorschrift. Es setzt sich jedoch unter eingehender Würdigung bestimmter Umstände sowie der Aussagen der von den Parteien benannten und von ihm vernommenen Zeugen damit auseinander, ob der von dem Kläger zur Niederschrift erklärte Widerspruch sowie andere Vorgänge in dem von Notar Dr. Sch. aufgenommenen Protokoll richtig niedergelegt worden oder anders als beurkundet verlaufen sind. Diese Überlegungen zur Widerlegung der Richtigkeit des beurkundeten Vorgangs zeigen, daß das Berufungsgericht die formelle Beweiswirkung des § 415 Abs. 1 ZPO seiner Würdigung zugrunde gelegt hat. Entgegen der von der Revision vertretenen Ansicht kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß das Berufungsgericht die Vorschrift des § 415 Abs. 1 ZPO verkannt hat.
Nach § 415 Abs. 2 ZPO ist der Beweis, daß ein Vorgang unrichtig beurkundet worden ist, zulässig. Das Berufungsgericht ist unter eingehender Würdigung der teilweise einander widersprechenden Zeugenaussagen sowie bestimmter, nach dem Vortrag der Parteien unstreitiger Umstände zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger die Unrichtigkeit der Beurkundung des umstrittenen Vorgangs bewiesen hat. Unter diesen Umständen bestand für die Anordnung einer Vernehmung der Aufsichtsratsmitglieder Dr. D. und Dr. nach § 448 ZPO kein Raum. Eine solche ist nur dann zulässig und geboten, wenn die Beweisaufnahme nach Ausschöpfung aller Beweismittel nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der umstrittenen Behauptung erbracht hat und das Gericht durch die Parteivernehmung die Ausräumung seiner restlichen Zweifel erwartet (BGH, Urt. v. 20. Mai 1987 – IV a ZR 36/86, BGHR ZPO § 448 – Ermessensgrenzen 2; Urt. v. 9. März 1990 – V ZR 244/88, BGHR ZPO § 448 – Ermessensgrenzen 4; Zöller/Greger, ZPO, 18. Aufl., § 448 Rdn. 4, 4 a; MüKo/Schreiber, ZPO, 1992, § 448 Rdn. 3; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 448 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 51. Aufl., § 448 Rdn. 2, 7). Diese Voraussetzungen liegen nach dem Ergebnis der von dem Berufungsgericht vorgenommenen Beweiswürdigung nicht vor.
Soweit die Revision die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts im übrigen angreift, insbesondere ausführt, im Rahmen der Würdigung der Aussagen der Zeugen Dr. G., F. und Dr. Fu. sowie der Zeugin N. seien nicht alle in Betracht zu ziehenden Umstände berücksichtigt worden, hat der Senat die Rügen geprüft, aber nicht für durchgreifend gehalten; von einer Begründung wird gemäß § 565 a ZPO abgesehen.
3. Die Revision hält die angefochtene Regelung in der Satzung der Beklagten im Gegensatz zu dem Berufungsgericht für zulässig. Über den Ort der Hauptversammlung entscheide die Satzung, letztlich also die Hauptversammlung nach ihrem freien, nur durch das Willkür- und Mißbrauchsverbot beschränkten Ermessen. Dann müsse die Hauptversammlung aber auch befugt sein, sich das Recht, den Ort der Versammlung zu bestimmen, in der Satzung vorzubehalten und die Bestimmung jeweils durch Beschluß vorzunehmen. Unabhängig davon sei die Frage zu beantworten, ob der Beschluß, mit dem der Hauptversammlungsort bestimmt werde, rechtswidrig sei und daher angefochten werden könne. In diesem Fall stünde den Aktionären hinreichend Zeit zur Verfügung, die Rechtmäßigkeit dieser Bestimmung im Wege der Anfechtungsklage überprüfen zu lassen. Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen.
§ 121 Abs. 4 AktG bestimmt, daß die Hauptversammlung am Sitz der Gesellschaft durchgeführt werden soll oder, wenn die Aktien der Gesellschaft an einer deutschen Börse zum amtlichen Handel zugelassen sind, auch am Sitz der Börse stattfinden kann, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt.
Soweit die gesetzliche Vorschrift eine anderweitige Regelung in der Satzung zuläßt, kann ihrem Wortlaut allerdings nicht entnommen werden, wie diese Regelung zu gestalten ist. Danach wäre es nicht nur zulässig, einen Versammlungsort in die Satzung aufzunehmen oder von vornherein mehrere Orte zu bestimmen, aus denen ein zu bestimmendes Organ frei oder nach Vorgabe bestimmter Kriterien den jeweils in Betracht kommenden Versammlungsort auszuwählen befugt ist, sondern es könnte auch eine Regelung getroffen werden, nach der die Festlegung des Ortes, an dem die Hauptversammlung stattfinden soll, für den jeweiligen Fall dem Vorstand als Einberufungsorgan, dem Aufsichtsrat oder der Hauptversammlung überlassen wird (zur Interpretation des Wortlautes der Vorschrift vgl. Werner in GroßKomm. z. AktG, 4. Aufl., § 121 Rdn. 45 ff.; Barz in GroßKomm. z. AktG a.a.O., § 121 Anm. 15; Schmidt in GroßKomm. z. AktG, 1939 § 105 Anm. 10; Schmidt/Meyer-Landrut in GroßKomm. z. AktG, 2. Aufl., § 105 Anm. 10; Möhring/Schwartz/Rowedder/Haberlandt, Die Aktiengesellschaft und ihre Satzung, 1966, S. 179). Dementsprechend ist auch vereinzelt die Ansicht vertreten worden, die Satzung könne dem Einberufenden die Bestimmung des Versammlungsortes überlassen, weil darin nur die ausdrücklich für zulässig erklärte Ausschaltung der gesetzlichen Vorschrift liege (Godin/Wilhelmi, AktG, 4. Aufl., § 121 Anm. 10; Möhring/Schwartz, Satzungsgestaltung nach neuem Aktienrecht, 1938, S. 114). Eine solche allein am Wortlaut orientierte Auslegung der Vorschrift läßt jedoch den mit ihr verfolgten Zweck unberücksichtigt. Ziel der Aufnahme dieser Regelung in das Aktiengesetz vom 30. Januar 1937 als § 105 Abs. 3, die nahezu unverändert in das Aktiengesetz vom 6. September 1965 übernommen worden ist, war es, den Streit darüber zu beenden, ob die Hauptversammlung an jeden Ort in Deutschland einberufen werden konnte. Grundsätzlich sollte sie am Sitz der Gesellschaft stattfinden (Begründung zum Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien v. 30. Januar 1937, Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937, Nr. 28 S. 3). Dem lag die Absicht zugrunde, zum Schutz der Beteiligten, namentlich der Minderheitsaktionäre, solle eine willkürliche Auswahl des Versammlungsortes unterbunden werden (LG Berlin, DJ 1938, 234 f.; Eckardt in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff a.a.O., § 121 Rdn. 39 f.). Überwiegend wird heute die Ansicht vertreten, dieser Schutzzweck werde dann nicht gefährdet, wenn die Satzung einen anderen als den gesetzlich bestimmten Versammlungsort festlege, mehrere Orte aufführe, unter denen das Einberufungsorgan auswählen könne, oder wenn für die Auswahl des Versammlungsortes lediglich eine regional begrenzte geographische Vorgabe gemacht werde (Hüffer, AktG a.a.O., § 121 Rdn. 13; Zöllner in KK z. AktG a.a.O., § 121 Rdn. 34; Eckardt in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff a.a.O., § 121 Rdn. 40; Werner in GroßKomm. z. AktG a.a.O., § 121 Rdn. 47; enger, unter Ablehnung der regional begrenzten geographischen Vorgabe OLG München, HRR 1939, 1476; Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., § 121 Rdn. 9; Schlegelberger/Quassowski, AktG, 3. Aufl., § 105 Rdn. 11; Möhring/Schwartz/Rowedder/Haberlandt a.a.O., S. 179; Dietrich, JW 1937, 852, 855; für Zubilligung eines beschränkten Auswahlermessens unter mehreren aufgeführten Orten an den Aufsichtsrat Barz in GroßKomm. z. AktG a.a.O., § 121 Anm. 15).
Hingegen wird es mit dem Schutzzweck der gesetzlichen Vorschrift als nicht vereinbar angesehen, wenn in die Satzung eine Bestimmung aufgenommen wird, die Vorstand oder Aufsichtsrat das Recht einräumt, den Versammlungsort nach seinem Ermessen zu bestimmen (LG Berlin, DJ 1938, 234, 235; Huffer, AktG a.a.O., § 121 Rdn. 13; Eckardt in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff a.a.O., § 121 Rdn. 40; Werner in GroßKomm. z. AktG a.a.O., § 121 Rdn. 50; Zöllner in KK z. AktG a.a.O., § 121 Rdn. 34; Barz in GroßKomm. z. AktG a.a.O. § 121 Anm. 15; Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., § 121 Rdn. 9; Teichmann/Koehler, AktG, 3. Aufl., § 105 Anm. 5; Schmidt/Meyer-Landrut, AktG a.a.O., § 105 Anm. 10; Schmidt in GroßKomm. z. AktG a.a.O., § 105 Anm. 10; Schlegelberger/Quassowski, AktG a.a.O. § 105 Rdn. 11; Dietrich, JW 1937, 852, 855; Herbig, DJ 1938, 235; Möhring/Schwartz/Rowedder/Haberlandt a.a.O., S. 179 f.).
Der dem § 121 Abs. 4 AktG zugrundeliegende Zweck, grundsätzlich den Sitz der Gesellschaft zum Hauptversammlungsort zu machen und eine abweichende Regelung nur unter den dargelegten erschwerten Voraussetzungen in der Satzung zuzulassen, steht auch einer Regelung entgegen, nach der die Auswahl des Hauptversammlungsortes der Bestimmung durch die Hauptversammlung mit der „erforderlichen” Mehrheit überlassen werden soll. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob dieser Beschluß, wie die Beklagte meint, mit einfacher (§ 133 Abs. 1 AktG) oder, wofür eine hier nach objektiven Gesichtspunkten vorzunehmende Auslegung sprechen könnte, mit der für Satzungsänderungen erforderlichen Mehrheit (§ 179 Abs. 2 AktG) zu fassen wäre. Entscheidend für die Gewährung eines ausreichenden Schutzes gegenwärtiger und künftiger (Minderheits-) Aktionäre ist, daß der Ort oder der geographische Raum, an bzw. in dem die Hauptversammlungen durchgeführt werden können, in der Satzung verankert und damit gewährleistet ist, daß von dieser Regelung nicht – und wenn, dann nur um den Preis einer Satzungsänderung – abgewichen wird. Das erhöht die Rechtsbeständigkeit und bietet den Aktionären daher ein weit höheres Maß an Rechtssicherheit als das dann der Fall ist, wenn die Ortsbestimmung lediglich von einem – wenn auch mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden – Hauptversammlungsbeschluß abhängig gemacht wird. Zudem ist eine in die Satzung aufgenommene Regelung für die Aktionäre transparenter und leichter nachprüfbar als dann, wenn die Bestimmung des nächsten Hauptversammlungsortes lediglich in einen Hauptversammlungsbeschluß aufgenommen wird, mag dieser auch in dem bei dem Registergericht nach § 130 Abs. 5 AktG einzureichenden Hauptversammlungsprotokoll enthalten sein (im Ergebnis ebenso, aber ohne nähere Begründung für die Beschlußfassung mit einfacher Mehrheit Hüffer, AktG a.a.O., § 121 Rdn. 13).
Die angegriffene Satzungsbestimmung widerspricht demnach dem Gesetz (§ 121 Abs. 4 AktG). Das Berufungsgericht hat der Anfechtungsklage daher zu Recht stattgegeben. Die Revision der Beklagten ist somit unbegründet.
II. Anschlußrevision des Klägers
Die Anschlußrevision ist der Ansicht, der Umstand, daß im Berufungsverfahren die vom Kläger primär erhobene Nichtigkeitsklage – rechtskräftig – abgewiesen worden sei und daß nur die hilfsweise erhobene Anfechtungsklage Erfolg gehabt habe, rechtfertige nicht die vom Berufungsgericht vorgenommene Kostenquotelung. Da sich Unterschiede nur für die Klagefristen und die Klagegründe ergäben, Ergebnis und Wirkung der Nichtigkeitsfeststellungs- und der Anfechtungsklage aber vollkommen übereinstimmten, sei es gerechtfertigt, der Beklagten die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Der Senat vermag dem für den vorliegenden Fall nicht zu folgen.
Allerdings ist die Einlegung einer Anschlußrevision, beschränkt auf die Anfechtung der Kostenentscheidung, zulässig (BGHZ 17, 392, 397; BGH, Urt. v. 3. Dezember 1957 – VI ZR 25/56, ZZP 71 (1958), 368; Thomas/Putzo, ZPO a.a.O., § 99 Rdn. 7; § 521 Rdn. 4; Zöller/Schneider, ZPO a.a.O., § 521 Rdn. 24; Zöllner/Herget, ZPO a.a.O., § 99 Rdn. 11; MüKo/Rimmelspacher, ZPO a.a.O., § 521 Rdn. 17; MüKo/Belz, ZPO a.a.O., § 99 Rdn. 14; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO a.a.O., § 99 Rdn. 5).
Sie kann aber in der Sache keinen Erfolg haben. Ob bei der Erhebung einer denselben Beschlußgegenstand betreffenden Nichtigkeits- und Anfechtungsklage im Verhältnis der Gleichrangigkeit (vgl. § 249 Abs. 2 Satz 2 AktG) oder im Stufenverhältnis überhaupt Entscheidungen mit unterschiedlichem Ergebnis gefällt werden können, ist davon abhängig, ob der Streitgegenstand der beiden Klageverfahren identisch ist. Davon hängt es auch ab, ob die Kostenentscheidung einheitlich getroffen werden muß oder eine Kostenquotelung vorgenommen werden kann (MüKo/Belz, ZPO a.a.O., § 92 Rdn. 2).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 79, 245, 248 f.; 85, 367, 374; BGH, Urt. v. 18. November 1982 – IX ZR 91/81, NJW 1983, 388, 389; Urt. v. 13. Dezember 1989 – IV b ZR 19/89, NJW 1990, 1795, 1796) ist zur Bestimmung des Streitgegenstandes nicht nur der prozessuale Antrag, sondern auch der zu seiner Begründung vorgetragene Lebenssachverhalt heranzuziehen. Hat danach der Kläger die Nichtigkeitsklage auf andere Umstände gestützt als die Anfechtungsklage, liegt der Nichtigkeitsklage auch ein anderer Streitgegenstand zugrunde als der Anfechtungsklage (vgl. Hüffer in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff a.a.O., § 249 Rdn. 7; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 7. Aufl., § 45 Rdn. 48, 152). Das war im Berufungsverfahren der Fall. Der Kläger hatte die gegen Punkt 5 a) gerichtete Nichtigkeitsklage unter anderem auf die Verletzung des § 20 Abs. 7 AktG gestützt und zur Begründung ausgeführt, die Münchener Großaktionäre seien nach dieser Vorschrift nicht stimmberechtigt, weil sie als Unternehmen im Sinne dieser Bestimmung ihren Mitteilungspflichten über den Aktienbesitz an der Beklagten nicht nachgekommen seien. Hingegen ist die gegen diesen Beschlußgegenstand erhobene Anfechtungsklage darauf gestützt worden, daß die in § 15 der beschlossenen Satzung getroffene Regelung gegen § 121 Abs. 4 AktG verstoße.
Da das Berufungsgericht die Nichtigkeitsklage abgewiesen, der Anfechtungsklage hingegen stattgegeben hat, hat es bei unterschiedlichem Streitgegenstand für Nichtigkeits- und Anfechtungsklage die Entscheidung über die Kosten zu Recht an der Entscheidung in der Hauptsache ausgerichtet. Entgegen der von der Anschlußrevision vertretenen Ansicht kommt eine andere Kostenentscheidung auch nicht nach § 92 Abs. 2 ZPO in Betracht, da von einer verhältnismäßigen Geringfügigkeit des Differenzbetrages nicht ausgegangen werden kann. Diese Wertung trifft auch für die Revisionsinstanz zu.
Die Anschlußrevision des Klägers ist daher nicht begründet.
Unterschriften
Boujong, Dr. Hesselberger, Dr. Henze, Stodolkowitz, Dr. Greger
Fundstellen
Haufe-Index 1778282 |
BB 1994, 22 |
NJW 1994, 320 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1993, 1867 |
DNotZ 1994, 615 |