Tenor
1. Das Verfahren wird gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II.B.1. der Urteilsgründe wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist; die insoweit entstandenen Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
2. Das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 16. Mai 2018 wird im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Vergewaltigung, Herstellung kinderpornographischer Schriften und mit Zwangsprostitution, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, schuldig ist.
3. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt abgesehen worden ist, sowie
- zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
4. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Strafausspruch, sowie
- im gesamten Ausspruch über die Einziehung; die Einziehung der Sportschuhe, Jeanshose mit Gürtel, Jacke, T-Shirt und Automatikuhr entfällt.
5. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Vergewaltigung, Herstellung kinderpornographischer Schriften und mit Zwangsprostitution, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, sowie wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen und den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt. Von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt hat das Landgericht abgesehen.
Rz. 2
Mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen die Höhe der verhängten Strafen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet nach Teilrücknahme mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Rechtsmittel die unterlassene Maßregelanordnung.
Rz. 3
Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
A.
Rz. 4
1. Nach den Feststellungen nahm der an einer Sexualpräferenzstörung in Form einer Pädophilie leidende Angeklagte Kontakt zu … L. auf, der den acht Jahre alten Sohn seiner Lebensgefährtin im Darknet gegen Entgelt zum sexuellen Missbrauch anbot. Nach vorheriger Verabredung mit … L. fuhr der Angeklagte Anfang des Jahres 2017 in zwei Fällen mit seinem Kraftfahrzeug zu den vereinbarten Treffpunkten nach Staufen und veranlasste den Jungen, teilweise unter Einsatz von Gewalt, zu manuellen und oralen Manipulationen an seinem entblößten Penis bis zum Samenerguss. In beiden Fällen filmte er das Missbrauchsgeschehen abwechselnd mit dem gesondert verfolgten … L., der das Kind in beiden Fällen gleichfalls missbrauchte (Fälle II.B.2. und 3. der Urteilsgründe). In einem Fall beteiligte sich auf Wunsch des Angeklagten auch die Mutter des Tatopfers an dem Missbrauchsgeschehen.
Rz. 5
Darüber hinaus speicherte der Angeklagte mehrere kinderpornographische Aufnahmen, die ein reales Missbrauchsgeschehen zeigten und ihm von dem gesondert verurteilten … L. zeitlich vor den beiden Missbrauchstaten übersandt worden waren, auf einer externen Festplatte (Fall II.B.1. der Urteilsgründe).
Rz. 6
2. Das Landgericht hat Einzelfreiheitsstrafen von sechs Monaten (Tat II.B.1. der Urteilsgründe) und jeweils sechs Jahren (Taten II.B.2. und 3. der Urteilsgründe) verhängt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren gebildet. Die Anordnung der Unterbringung des nicht vorbestraften Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt hat das Landgericht abgelehnt. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen für die – fakultative – Anordnung von Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB) oder deren Vorbehalt (§ 66a Abs. 2 StGB) vor. Die materiellen Voraussetzungen seien jedoch nicht gegeben. Bei dem inzwischen fünfzig Jahre alten, nicht einschlägig vorbestraften Angeklagten sei weder ein Hang zur Begehung von Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern festzustellen noch sei sein Vorliegen wahrscheinlich.
Entscheidungsgründe
B.
Rz. 7
Der Senat hat das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft aus prozessökonomischen Gründen vorläufig eingestellt (§ 154 Abs. 2 StPO), soweit der Angeklagte im Fall II.B.1. der Urteilsgründe wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden ist. Insoweit erscheint fraglich, ob der Grundsatz der Spezialität einer Verfolgung dieser Tat entgegensteht.
Rz. 8
Der Angeklagte wurde aufgrund Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 19. Oktober 2017 von Frankreich an Deutschland ausgeliefert. Der Europäische Haftbefehl bezieht sich auf zwei Taten, die nunmehr als Fälle II.B.2. und 3. der Urteilsgründe abgeurteilt worden sind. Auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität hat der Angeklagte nicht verzichtet.
Rz. 9
Zwar hat der Bundesgerichtshof, dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 1. Dezember 2008 – C-388/08 PPU – folgend, für Fallkonstellationen nachträglicher Einbeziehung einer nicht von der Auslieferungsbewilligung umfassten Vorverurteilung entschieden, dass der Grundsatz der Spezialität allein der Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion, nicht bereits der Verfolgung der Tat entgegensteht (§ 83h Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 IRG; vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2011 – 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100; vom 20. Oktober 2016 – 3 StR 245/16; vom 10. November 2015 – 3 StR 400/15; vom 3. März 2015 – 3 StR 40/15, StV 2015, 563; und vom 4. Februar 2013 – 3 StR 395/12, NStZ-RR 2013, 178). Nach erfolgter Teileinstellung des Verfahrens bedarf die Frage, ob der Senat dieser Auffassung auch für eine Fallkonstellation folgen könnte, in der – wie hier – eine von mehreren gleichzeitig zur Aburteilung anstehenden Taten von der Auslieferungsbewilligung bzw. von dem Europäischen Haftbefehl nicht umfasst ist, keiner Entscheidung.
C.
Die Revision des Angeklagten:
Rz. 10
Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Rz. 11
Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafzumessungserwägungen sind lückenhaft.
Rz. 12
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte mit rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens „voraussichtlich aus dem Bundeswehrdienst unter Aberkennung seines Ruhegehalts entlassen werden” wird. Die Strafzumessungserwägungen lassen jedoch in ihrem Gesamtzusammenhang nicht erkennen, dass das Landgericht diese für den Angeklagten mit der Verurteilung zu mehrjähriger Freiheitsstrafe verbundene belastende Wirkung strafmildernd in den Blick genommen hat.
Rz. 13
Die beruflichen Wirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung sind regelmäßig als ein bestimmender Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen, wenn der Angeklagte durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert oder zu verlieren droht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. März 2019 – 5 StR 684/18; vom 12. Juli 2018 – 3 StR 595/17; vom 11. April 2013 – 2 StR 506/12, NStZ 2013, 522; vom 2. Februar 2010 – 4 StR 514/09, StV 2010, 479 f.; und vom 26. März 1996 – 1 StR 89/96, NStZ 1996, 539, jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 16. Dezember 1987 – 2 StR 527/87, BGHSt 35, 148, 149 mit ablehnender Anmerkung Streng, NStZ 1988, 485 ff.).
Rz. 14
Auch wenn das Tatgericht, dem die Gewichtung dieses strafmildernden Gesichtspunkts obliegt, von Rechts wegen nicht gehalten ist, dem Strafmilderungsgrund entscheidendes strafmilderndes Gewicht beizumessen (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 737), vermag der Senat ein Beruhen der Einzelstrafaussprüche auf diesem Erörterungsmangel nicht auszuschließen. Dies zieht die Aufhebung der Einzelstrafaussprüche sowie die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
II.
Rz. 15
Auch die Einziehungsentscheidung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 16
1. Gemäß § 74 Abs. 1 StGB können Gegenstände, die zur Vorbereitung oder zur Begehung einer vorsätzlichen Tat gebraucht oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel), eingezogen werden. Die Entscheidung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts.
Rz. 17
a) Zwar kommt die Einziehung des im Eigentum des Angeklagten stehenden Kraftfahrzeugs BMW 535d nebst Zubehör als Tatmittel in Betracht, weil der Angeklagte es nach den Feststellungen im Fall II.B.3. der Urteilsgründe dazu genutzt hat, den Tatort auszukundschaften. Das Kraftfahrzeug diente damit der Vorbereitung der Tat. Die Ausführungen des Landgerichts („war einzuziehen”) lassen jedoch nicht erkennen, dass das Landgericht sich des Umstands bewusst gewesen ist, eine Ermessensentscheidung zu treffen, und von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat.
Rz. 18
b) Hinsichtlich der vom Angeklagten bei der Tat II.B.3. der Urteilsgründe getragenen Bekleidung sowie seiner Uhr ist – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat – eine Verwendung der Gegenstände als Tatmittel nicht festgestellt. Das bloße Tragen von Bekleidung und sonstiger Accessoires anlässlich der Tatbegehung stellt sich als bloßes Benutzen gelegentlich der Tatbegehung dar und vermag eine Einziehung als Tatmittel nicht zu rechtfertigen (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 74 Rn. 13). Weiter gehende Feststellungen, die eine Verwendung dieser Gegenstände als Tatmittel belegen könnten, erscheinen ausgeschlossen. Die Einziehung hatte daher zu entfallen.
Rz. 19
2. Auch die auf die Vorschrift des § 184b Abs. 6 StGB gestützte Einziehung der beiden Laptops Asus R 752N und Toshiba Satellite L 70 hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil den Feststellungen auch in ihrem Zusammenhang ein Tatbezug nicht entnommen werden kann.
D.
Die Revision der Staatsanwaltschaft:
I.
Rz. 20
Die Beschränkung der Revision auf die unterbliebene Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in jeder in Betracht kommenden Form ist unwirksam.
Rz. 21
Zwar ist eine Beschränkung der Revision auf die Frage der Maßregelanordnung möglich; dies gilt auch für die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Zwischen Strafe und Nichtanordnung von Sicherungsverwahrung besteht aufgrund der Zweispurigkeit des Sanktionensystems grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 – 4 StR 643/17, NStZ-RR 2018, 305, 306 mwN). Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Tatgericht Strafe und Maßregel in einen inneren, eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließenden Zusammenhang gebracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2015 – 4 StR 275/15, NStZ 2016, 337, 338; und vom 11. Juli 2013 – 3 StR 148/13 mwN, insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt).
Rz. 22
So liegt es hier. Das Landgericht hat die Maßregelanordnung auch mit Blick auf die Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs und die dadurch zu erwartende Haltungsänderung des Angeklagten abgelehnt. Damit hat es einen inneren Zusammenhang zwischen Strafhöhe und unterlassener Maßregelanordnung hergestellt, der eine getrennte Überprüfung beider Rechtsfolgen ausschließt.
II.
Rz. 23
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Rz. 24
Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen für die fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB rechtsfehlerfrei bejaht. Der Angeklagte wurde wegen zweier Taten der in § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB bezeichneten Art jeweils zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Begründung, mit der das Landgericht einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB (vgl. § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB i.V.m. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB) bzw. die Wahrscheinlichkeit eines Hangs (vgl. § 66a Abs. 2 Nr. 3 StGB) verneint hat, hält hingegen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Prüfung der Hangtäterschaft mit Elementen der Gefahrenprognose vermischt und sich dadurch den Blick für die im Rahmen der Hangtäterschaft erforderliche umfassende Vergangenheitsbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und der von ihm begangenen Taten verstellt.
Rz. 25
1. Das Landgericht hat im Rahmen der Prüfung der Hangtäterschaft zunächst die Ausführungen des Sachverständigen wiedergegeben, der prognostisch ungünstige Umstände und prognostisch günstige Umstände einander gegenübergestellt hat. Als „prognostisch ungünstig” hatte der Sachverständige bewertet, dass der Angeklagte aufgrund seiner Sexualpräferenzstörung, einer „homo- und heterosexuellen Pädophilie mit nachrangigen fetischistischen und dominanzorientierten Anteilen”, „zur vollen sexuellen Satisfaktion auf deviante Reizkonstellationen festgelegt” sei und sich bislang weder mit seiner sexuellen Devianz auseinandergesetzt noch diese akzeptiert oder gar eine belastbare Kompensationsstruktur entwickelt habe. Unter Berücksichtigung der statistischen Basisrate bei Vorliegen einer homo- oder heterosexuellen Pädophilie, wie sie beim Angeklagten vorliege, die jedoch individuelle Gegebenheiten nicht berücksichtige und daher nur beschränkt aussagekräftig sei, müsse mit hoher, wenngleich nicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte zumindest mittelfristig erneut Kinder in vorpubertärem Alter missbrauchen werde.
Rz. 26
Diesen für eine künftige Straffälligkeit sprechenden Risikomerkmalen hat der Sachverständige mehrere „im Sinne einer langfristig positiven Legalprognose” günstige Faktoren gegenübergestellt. Der Angeklagte werde durch die Sexualpräferenzstörung nicht in seinen Entscheidungs- und Verhaltensoptionen eingeengt, sein „pädosexuelles Interesse” sei vielmehr „durch wirksame kognitive und affektive Strukturen überformt”. Darüber hinaus habe der Angeklagte eine „im Kern unauffällige prädeliktische Persönlichkeitsentwicklung ohne dissoziale Züge” genommen, weise ein hohes Maß an sozialer Kompetenz und Anpassungsfähigkeit mit gutem beruflichen Leistungsvermögen auf und sei erstmals im Alter von 50 Jahren mit pädosexuellen „Hands on”-Delikten straffällig geworden. Diese Einschätzung werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Angeklagte eigenen Angaben zufolge – auch im Rahmen seiner Dienstausübung – ein sexuell expansives, promiskuitives Verhalten an den Tag gelegt habe. Dieses auffällige Sexualverhalten habe der Angeklagte ausschließlich mit und gegenüber Erwachsenen gezeigt; deshalb liege hierin kein besonderes Risikomerkmal bezüglich etwaiger künftiger pädosexueller Delikte. Schließlich seien beim Angeklagten aufgrund seiner guten kognitiven Strukturierung und Introspektionsfähigkeit „gute Voraussetzungen für die Teilnahme an etablierten Behandlungsprogrammen für Sexualstraftäter” gegeben. Er verfüge über ein „grundsätzlich intaktes Normgefüge”, so dass zu erwarten sei, dass er „im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung” durch die nunmehr zu erwartenden erheblichen strafrechtlichen Sanktionen zu beeinflussen sei.
Rz. 27
Die Kammer hat auf der Grundlage der sachverständigen Ausführungen die Annahme bzw. die Wahrscheinlichkeit eines Hangs trotz der festgestellten Sexualpräferenzstörung verneint und auf die vom Sachverständigen aufgezeigten protektiven Faktoren verwiesen. Darüber hinaus hat das Landgericht als gegen die Hangtäterschaft sprechenden Gesichtspunkt angesehen, dass der Angeklagte aus „autonomen Motiven” heraus den Kontakt zu … L. abgebrochen und versucht habe, „einen erheblichen Teil der kinderpornographischen Bilder zu löschen”, die er zuvor gespeichert habe; dies belege seine Fähigkeit zur Verhaltensumkehr.
Rz. 28
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht nicht hinreichend zwischen Hang und Gefährlichkeitsprognose unterschieden hat. Darüber hinaus sind die Erwägungen zur Hangtäterschaft lückenhaft und lassen wesentliche Gesichtspunkte außer Acht.
Rz. 29
a) Hangtäterschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind, wie die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zeigt, keine identischen Merkmale.
Rz. 30
aa) Der Rechtsbegriff des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB bezeichnet einen eingeschliffenen inneren Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Ein Hang liegt bei demjenigen vor, der dauerhaft zur Begehung von Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. September 2018 – 4 StR 192/18; und vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f. mwN). Hangtäter ist auch derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag.
Rz. 31
Das Vorliegen eines Hangs im Sinne eines gegenwärtigen Zustands ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung in eigener Verantwortung wertend festzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 2019 – 5 StR 476/18; und vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; Urteile vom 26. April 2017 – 5 StR 572/16, StraFo 2017, 246; und vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271; Beschluss vom 25. Mai 2011 – 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272, 273).
Rz. 32
bb) Demgegenüber ist im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür einzuschätzen, ob sich der Täter in Zukunft trotz Vorliegens eines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 – 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; Urteil vom 28. April 2015 – 1 StR 594/14; Beschluss vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204). Der Hang ist dabei nur ein – wenngleich wesentliches – Kriterium, das auf eine Gefährlichkeit des Angeklagten hindeutet und als prognostisch ungünstiger Gesichtspunkt in die Gefährlichkeitsprognose einzustellen ist (vgl. BGH, aaO, BGHSt 50, 188, 196).
Rz. 33
b) Das Tatgericht hat in eigener Verantwortung zunächst das Vorliegen oder die Wahrscheinlichkeit eines Hanges unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und der Anlasstaten maßgeblichen Umstände vergangenheitsbezogen festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juli 2017 – 4 StR 245/17, BGHR StGB § 66a Abs. 1 Nr. 3 nF Voraussetzungen 1; und vom 25. März 2011 – 4 StR 87/11, NStZ-RR 2011, 272). Prognostische Erwägungen sind erst in einem zweiten Schritt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose anzustellen.
Rz. 34
3. Gemessen hieran halten die Ausführungen, mit denen das Landgericht einen Hang des Angeklagten bzw. die Wahrscheinlichkeit eines Hangs im Sinne des § 66a Abs. 2 Nr. 3 StGB verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 35
a) Das Landgericht hat die Ablehnung eines Hangs mit prognostischen Erwägungen und unter Bezugnahme auf eine Reihe von protektiven Faktoren begründet. Dies gilt beispielhaft für die Erwägung, der Angeklagte bringe aufgrund „guter kognitiver Strukturierung und Introspektionsfähigkeit gute Voraussetzungen für die Teilnahme an etablierten Behandlungsprogrammen für Sexualstraftäter” mit. Insoweit hat das Landgericht eine nur möglicherweise zu erwartende zukünftige Entwicklung zur Verneinung der Hangtäterschaft herangezogen und damit verkannt, dass mögliche positive Wirkungen eines künftigen erstmaligen längeren Strafvollzugs sowie die Wirkungen von Therapieangeboten in der Haft zur Verneinung eines Hanges nicht herangezogen werden dürfen. Für die Hangtäterschaft ist maßgeblich auf den Urteilszeitpunkt abzustellen; künftige, noch ungewisse Entwicklungen haben außer Betracht zu bleiben.
Rz. 36
b) Darüber hinaus fehlt es an der erforderlichen umfassenden Erörterung der prädeliktischen Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten sowie an einer Auseinandersetzung mit den Besonderheiten der verfahrensgegenständlichen Anlasstaten. Im Hinblick auf die prädeliktische Persönlichkeitsentwicklung und die spezifische Tatvorgeschichte hätte das Landgericht in den Blick nehmen müssen, dass der Angeklagte ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen im Laufe der vergangenen Jahre immer rastloser auf der Suche nach sexuellen Kontakten war und seit dem Jahr 2012 bzw. 2013 nahezu täglich im Internet nach sexuellen Kontakten suchte. Darüber hinaus hätte bedacht werden müssen, dass der Angeklagte, der im Darknet unter Vorspiegelung einer falschen Identität Kontakt zu … L. aufgenommen hatte, das spätere Missbrauchsgeschehen vor den Taten mit diesem im Einzelnen abgesprochen hatte und die Mutter des Tatopfers auf seine Initiative in das Tatgeschehen im Fall II.B.3. der Urteilsgründe einbezogen wurde. Auch das Verhalten des Angeklagten gegenüber dem Tatopfer, das sich nicht nur durch ein auffällig hohes Maß an Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid des Kindes auszeichnete, sondern mit einer Herabwürdigung des Tatopfers durch verschiedene drastische Äußerungen verbunden war, hätte der Erörterung bedurft.
Rz. 37
4. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im unterbliebenen Maßregelausspruch führt angesichts der Verknüpfung zwischen Strafe und Maßregelausspruch zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
Rz. 38
5. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird außerdem Gelegenheit haben, den Anrechnungsmaßstab für die in Frankreich erlittene Freiheitsentziehung zu bestimmen (vgl. § 51 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB).
Unterschriften
Sost-Scheible, RinBGH Roggenbuck ist im Urlaub und daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible, Bender, Quentin, Bartel
Fundstellen
Haufe-Index 13241133 |
NStZ-RR 2020, 10 |
StV 2020, 468 |