Entscheidungsstichwort (Thema)

Substantiierung einer Schadensersatzklage gegen Geschäftsführer wegen Fehlbeständen

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen an die Substantiierung einer Klage, mit der die Gesellschaft vom Geschäftsführer Schadenersatz wegen erheblicher Fehlbestände bei den Warenvorräten verlangt.

 

Orientierungssatz

1. Es kann für einen auf GmbHG § 43 Abs 2 gestützten Anspruch nicht verlangt werden, daß die Klägerin darlegt, wie es während der Amtszeit des Geschäftsführers zu dem Fehlbestand gekommen ist.

2. Sollte festgestellt werden, daß ein nicht nur unerheblicher Fehlbestand eingetreten ist, während der Beklagte die Geschäfte tatsächlich führte, würde er gemäß GmbHG § 43 Abs 2 haften, sofern er nicht darlegt und erforderlichenfalls beweist, daß er alle für einen ordentlichen Geschäftsmann gebotene Sorgfalt angewandt hat, um die mißbräuchliche und unkontrollierte Entnahme von Waren zu verhindern, oder der Fehlbestand auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre oder ihm die Einhaltung des Sorgfaltsgebots unverschuldet unmöglich war.

 

Tatbestand

Die klagende GmbH, deren einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beklagte seit ihrer Gründung im Jahre 1971 bis zu seiner Abberufung im Frühjahr 1976 war, nimmt diesen auf Schadensersatz in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die GmbH führte als Komplementärin der am 31. Januar 1972 gegründeten Tabakwaren-Handelsunion-GmbH & Co KG (nachstehend: Kommanditgesellschaft) deren Geschäfte. Mit Vertrag vom 2. Mai 1976 verkaufte die Kommanditgesellschaft ihr Sachanlagevermögen und den Warenbestand an die Zigarren-S.-GmbH & Co KG; der Preis für den verkauften Warenbestand in Fahrzeugen, Zigarettenautomaten und im Lager der Kommanditgesellschaft war der Erwerberin entsprechend dem Ergebnis einer gemeinsamen Bestandsaufnahme in Rechnung zu stellen. Am 21. Juni 1976 wurden die GmbH und die Kommanditgesellschaft durch Beschluß ihrer Gesellschafter aufgelöst.

Die Klägerin behauptet, daß während der Amtszeit des Beklagten als Geschäftsführer bei der Kommanditgesellschaft ein Warenfehlbestand von mindestens 240.000 DM entstanden sei. Für diesen Schaden müsse der Beklagte einstehen. Sie – Klägerin – habe nach der für die Kommanditgesellschaft beschlossenen Art der Auseinandersetzung den Erlös aus der Veräußerung an die Firma S. sowie die übrigen Forderungen der Kommanditgesellschaft einziehen und verwalten sowie die Verbindlichkeiten der Kommanditgesellschaft abdecken und den Überschuß an die Gesellschafter verteilen sollen. Hierbei sei sie auch ausdrücklich mit der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Kommanditgesellschaft gegen den Beklagten beauftragt worden. Sie macht – soweit noch von Belang – mit ihrer Klage den angeblichen Schadensersatzanspruch der Kommanditgesellschaft in Höhe eines Teilbetrags von 60.000 DM nebst Zinsen geltend.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche der Kommanditgesellschaft zur Zahlung an sich selbst geltend. An ihrer Klagebefugnis bestehen keine Zweifel. Denn einerseits ist nicht festgestellt, daß der streitbefangene Anspruch auf die Firma S. übergegangen ist. Andererseits hat die Klägerin schlüssig behauptet, daß sie ermächtigt worden sei, den Anspruch zur Zahlung an sich selbst einzuklagen; ihr insoweit noch erforderliches eigenes rechtliches Interesse ergibt sich schon daraus, daß sie persönlich haftende Gesellschafterin der Kommanditgesellschaft ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat sie auch hinreichend substantiiert solche Tatsachen vorgetragen, die einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten wegen des Fehlbestands beim Warenvorrat zu begründen vermögen.

1. Ein Anspruch der Kommanditgesellschaft kann sich aus der Verletzung von Vertragspflichten ergeben, die dem Beklagten auch ihr gegenüber oblagen. Nach dem Prozeßstoff bestand sogar ein unmittelbares Vertragsverhältnis zwischen dem Beklagten und der Kommanditgesellschaft. Dies ergibt sich aus den Protokollen über Gesellschafterversammlungen der GmbH und der Kommanditgesellschaft vom 17. Dezember 1975, an denen der Beklagte teilgenommen hat. Danach wurde der Gesellschaftsvertrag der Kommanditgesellschaft geändert und vereinbart, daß die Geschäftsführer und Prokuristen der GmbH bei der Kommanditgesellschaft angestellt werden und von dieser ihre Tätigkeitsvergütung erhalten. Demgegenüber würde es nicht einmal darauf ankommen, daß in einer GmbH & Co KG, in der die wesentliche Aufgabe der Komplementär-GmbH in der Geschäftsführung für die Kommanditgesellschaft besteht, die Schutzwirkung der Haftung eines Geschäftsführers aus seinem Dienstverhältnis zur GmbH grundsätzlich auch auf die Kommanditgesellschaft zu erstrecken ist (vgl BGHZ 75, 321, 324 = WM 1980, 30; das zum Abdruck in BGHZ bestimmte SenUrt v 24.3.80 – II ZR 21/77 unter III, WM 1980, 589, 592).

2. Hat der Beklagte die hiernach der Kommanditgesellschaft gegenüber bestehenden Pflichten verletzt, so haftet er ihr gemäß § 43 Abs 2 GmbHG. Die Klägerin behauptet dazu schlüssig, daß bei einer körperlichen Bestandsaufnahme der Warenvorräte der Kommanditgesellschaft am 8. Mai 1976 ein Fehlbestand von rund 240.000 DM ermittelt worden sei. Zu den Ursachen für den Fehlbestand stellt sie verschiedene Vermutungen an; so könne er darauf beruhen, daß der Beklagte den Außendienst nicht ordnungsgemäß überwacht oder Manipulationen zu seinen Gunsten vorgenommen habe (Schriftsatz v 10.3.78 S 5). Das Berufungsgericht sieht hierin jedenfalls keine für ein Fehlverhalten des Beklagten hinreichend substantiierten Tatsachenbehauptungen. Indes kann für einen auf § 43 Abs 2 GmbHG gestützten Anspruch nicht verlangt werden, daß die Klägerin darlegt, wie es während der Amtszeit des Beklagten, der sich letztmals am 7. Mai 1976 in den Geschäftsräumen der Kommanditgesellschaft aufgehalten hat, zu dem Fehlbestand gekommen ist. Zwar muß die Gesellschaft die Tatsachen vortragen und beweisen, aus denen sich ergibt, daß der Geschäftsführer einer ihm obliegenden Pflicht objektiv nicht ausreichend nachgekommen und der Gesellschaft hierdurch ein Schaden entstanden ist (vgl § 93 Abs 2 Satz 2 AktG; RG HRR 1941 Nr 132 unter II; SenUrt v 9.5.74 – II ZR 50/72 unter IV 2., insoweit allerdings LM GmbHG §§ 43, 41 Nr 5 u NJW 1974, 1468 nicht abgedr; Fleck, GmbHRdsch 1974, 224 unter B I 1; Mertens in Hachenburg, GmbHG 7. Aufl § 43 RdNr 66). Im vorliegenden Fall spricht jedoch die Art des behaupteten Schadens so stark für den Zusammenhang mit einem pflichtwidrigen Verhalten oder Unterlassen des verklagten Geschäftsführers, daß von der Klägerin eine weitergehende Darlegung einstweilen nicht verlangt werden kann. Wenn nämlich die Kommanditgesellschaft etwa ein Drittel ihres durchschnittlichen Warenvorrats (vgl die Anlage zum Bericht der Steuerberater, BeiA Bl 49) in der für ihren Zuschnitt bedeutenden absoluten Größenordnung von rund 240.000 DM einbüßt, entspricht es der Lebenserfahrung, daß die Ursache hierfür jedenfalls auch im Verantwortungsbereich des Beklagten zu suchen ist, dessen Geschäftsführungsaufgaben die Sorge für die ordnungsmäßige Lagerung und Sicherung des Warenbestands mitumfaßten. Hier würde die Darlegungslast der Klägerin überspannt werden, wenn sie substantiieren müßte, welche konkrete Handlung oder Unterlassung des Beklagten zu dem Fehlbestand geführt hat. Die Erklärung kann bei einem solchen Sachverhalt ebenso darin liegen, daß der Geschäftsführer Ware beiseite geschafft hat, wie im Fehlen einer funktionsfähigen Bestandskontrolle oder ihrer nachlässigen Handhabung. Auch in den beiden letztgenannten Fällen wäre eine pflichtwidrige Verhaltensweise des Beklagten anzunehmen. Zwar liegt es auf der Hand, daß selbst vom Geschäftsführer eines kleineren Handelsunternehmens nicht erwartet werden kann, daß er die laufende, jede Bewegung erfassende Bestandskontrolle ausübt. Es gehört aber sehr wohl zu seiner Pflicht, die Vermögensinteressen der Gesellschaft wahrzunehmen, daß er nach den für einen ordentlichen Geschäftsmann geltenden Grundsätzen die Kontrolle einrichtet und ihre Einhaltung überwacht.

Sollte festgestellt werden, daß ein nicht nur unerheblicher Fehlbestand eingetreten ist, während der Beklagte die Geschäfte tatsächlich führte (also bis zum 7. Mai 1976), würde er gemäß § 43 Abs 2 GmbHG haften, sofern er nicht darlegt und erforderlichenfalls beweist, daß er alle für einen ordentlichen Geschäftsmann gebotene Sorgfalt angewandt hat, um die mißbräuchliche und unkontrollierte Entnahme von Waren zu verhindern, oder der Fehlbestand auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre oder ihm die Einhaltung des Sorgfaltsgebots unverschuldet unmöglich war (vgl Mertens aaO). Hiermit werden die Anforderungen an die Darlegungslast und Beweislast des Geschäftsführers nicht überspannt. Denn er hat die unmittelbare Kenntnis davon, was er veranlaßt hat, um seinen Pflichten als Geschäftsführer nachzukommen. Entspricht dies – sofern unstreitig oder bewiesen – der von ihm zu fordernden Sorgfalt, ist er entlastet, so daß er nicht etwa für jeden unaufgeklärten Fehlbestand einzustehen hat.

Da nach alledem die Gründe des Berufungsurteils die Klagabweisung nicht tragen und das Urteil sich auch nicht mit anderer Begründung aufrechterhalten läßt (§ 563 ZPO), ist es aufzuheben und der Rechtsstreit zurückzuverweisen, damit das Berufungsgericht unter den zuvor aufgezeigten rechtlichen Gesichtspunkten noch die erforderlichen Feststellungen trifft. Die Parteien werden auch Gelegenheit haben, insoweit ihren bisherigen Vortrag zu ergänzen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 648029

ZIP 1980, 776

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