Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherung Unterhalt für minderjährige Kinder. Ausweitung der Erwerbstätigkeit. Ansatz höheren Erwerbseinkommens wegen krankheitsbedingt verkürzten Verdienstes
Leitsatz (amtlich)
a) Zur Frage der gesteigerten Ausnutzung der Arbeitskraft eines Unterhaltspflichtigen zur Sicherung des angemessenen Unterhalts seines minderjährigen Kindes.
b) Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Unterhaltspflichtigen, der krankheitsbedingt seinen früheren Arbeitsplatz aufgegeben hat und nunmehr erheblich weniger verdient als zuvor, ein höheres fiktives Erwerbseinkommen zugerechnet werden kann (im Anschluss an BGH, Urt. v. 15.11.1 995 - XII ZR 231/94, MDR, 1996, 281 = FamRZ 1996, 345).
Normenkette
BGB §§ 1603, 1610 Abs. 3 a. F
Verfahrensgang
AG Zweibrücken |
OLG Zweibrücken |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Pfälzischen OLG Zweibrücken als Familiensenat vom 15.2.2000 wird als unzulässig verworfen, soweit der Beklagte die Aufhebung seiner Verurteilung zur Zahlung von Trennungsunterhalt an die Klägerin zu 1. begehrt.
Auf die Revision des Beklagten wird das oben bezeichnete Urteil im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht den Beklagten unter Änderung und Neufassung des Urteils des Amtsgerichts - Familiengericht - Zweibrücken v. 18.1.1999 verurteilt hat, ab 1.7.1998 einen höheren Kindesunterhalt als monatlich 392 DM zu zahlen, und es die Berufung des Beklagten insoweit zurückgewiesen hat. Die weiter gehende Revision des Beklagten wird als unbegründet zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger machen gegen den Beklagten Ehegatten- bzw. Kindesunterhalt geltend.
Die Klägerin zu 1. und der Beklagte haben im Juli 1982 die Ehe miteinander geschlossen. Seit September/Oktober 1995 leben sie getrennt; sie sind seit 9.11.1999 geschieden.
Aus der Ehe ist der Kläger zu 2., geboren am 17.12.1982, hervorgegangen. Dessen Unterhaltsansprüche hat die Klägerin zu 1. bis zur Volljährigkeit des Klägers zu 2. in Prozess-Standschaft im eigenen Namen geltend gemacht.
Die Klägerin zu 1. war während der Ehe mit dem Beklagten nicht erwerbstätig. Sie bezieht seit 1.5.1998 eine Erwerbsunfähigkeitsrente i. H. v. 1.106,87 DM monatlich. Daneben hat sie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i. H. v. 500 DM, von denen 250 DM dem Beklagten zustehen; sie wohnt mietfrei in einer eigenen Eigentumswohnung.
Der Kläger zu 2., der ohne Einkommen ist, wohnt bei seiner Mutter.
Der Beklagte war bis Juni 1997 bei der B. GmbH als technischer Angestellter im Bereich der Computerwartung mit einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von ca. 4.000 DM tätig. Nachdem er seinen Arbeitsvertrag zum 30.6.1997 gekündigt hatte, bezog er ab 1.7.1997 bis einschließlich Oktober 1997 Arbeitslosengeld von 447 DM wöchentlich. Von November 1997 bis März 1999 übte der Beklagte eine seinem früheren Arbeitsverhältnis entsprechende Tätigkeit selbständig aus. Seit 1.4.1999 ist er bei der Firma C. W. , Netzwerktechnik, deren Inhaberin seine Lebensgefährtin ist, als Techniker angestellt. Er verdient dort monatlich netto 2.019,80 DM (= 1.032,71 EUR).
Das Familiengericht hat den Beklagten, der den Kindesunterhalt i. H. v. 392 DM monatlich für die Zeit ab Juni 1997 anerkannt hat, verurteilt, für den Kläger zu 2. im Zeitraum v. 1.12.1995 bis 31.5.1997 Unterhaltsrückstände zwischen 120 DM und 303 DM monatlich, ab 1.6.1997 einen laufenden monatlichen Unterhalt von 695 DM und ab 1.7.1998 einen solchen von 603 DM monatlich zu bezahlen. Die Klage der Klägerin zu 1. auf Trennungsunterhalt hat es abgewiesen.
Das OLG hat auf die Berufung des Beklagten das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und den vom Beklagten zu zahlenden Kindesunterhalt für die Zeit ab Juli 1997 bis 30.6.1998 auf monatlich 392 DM und für die Zeit danach auf monatliche Beträge zwischen 518 DM und 533 DM herabgesetzt. Auf die Anschlussberufung der Klägerin zu 1. hat es den Beklagten verurteilt, an die Klägerin zu 1. für den Zeitraum v. 1.12.1995 bis 30.4.1998 einen monatlichen Trennungsunterhalt zu zahlen.
Mit der zu seinen Gunsten zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein zweitinstanzliches Begehren weiter, seine Verurteilung auf Zahlung von Kindesunterhalt auf monatlich 142 DM ab 1.7.1997 zu begrenzen; außerdem sucht er die vollständige Abweisung der Klage der Klägerin zu 1. auf Trennungsunterhalt zu erreichen.
Entscheidungsgründe
A
Die Revision ist nicht zulässig, soweit der Beklagte seine Verurteilung zur Zahlung von Trennungsunterhalt durch das OLG angreift; denn hierzu fehlt es an einer Zulassung des Rechtsmittels durch das Berufungsgericht.
Der Entscheidungssatz des Berufungsurteils enthält zwar keinen Zusatz, der die dort zugunsten des Beklagten zugelassene Revision weiter einschränkt. Die Eingrenzung des Rechtsmittels kann sich jedoch auch aus den Entscheidungsgründen ergeben (vgl. nur BGH BGHZ 48, 134 [136]; Urt. v. 29.1.2003 - XII ZR 92/01, MDR 2003, 695 = BGHReport 2003, 536 = FamRZ 2003, 590). Dies ist hier der Fall:
Das OLG hat in den Gründen die Revision unter Bezugnahme auf § 621 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, der u. a. den Kindesunterhalt betrifft, zugelassen. Hingegen ist die Vorschrift des § 621 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, die sich auf die durch die Ehe begründete gesetzliche Unterhaltspflicht bezieht, nicht erwähnt. Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht als Grund der Zulassung der Revision allein die rechtsgrundsätzliche Frage der unterhaltsrechtlichen Bedeutung und der Bestimmung des Mindestbedarfs minderjähriger Kinder angeführt hat. Auch daraus ist ersichtlich, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision auf den geltend gemachten prozessualen Anspruch auf Kindesunterhalt beschränkt hat.
B
Hingegen ist die Revision in Bezug auf die Unterhaltsansprüche des Klägers zu 2. zulässig. Sie ist für die Zeit bis 30.6.1998 allerdings nicht begründet. Für die Zeit ab 1.7.1998 führt sie zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG, soweit der Beklagte zu einer höheren Unterhaltszahlung als monatlich 392 DM verurteilt worden ist.
I.
Das OLG hat ausgeführt, dass sich das Maß des zu gewährenden Unterhalts gem. § 1610 BGB nach der Lebensstellung des Bedürftigen bestimme. Diese Lebensstellung leite sich bei einem minderjährigen Kind aus der wirtschaftlichen Situation des barunterhaltspflichtigen Elternteils ab. Solange der Mindestunterhalt gem. § 1610 Abs. 2 BGB gewährleistet sei, habe das minderjährige Kind deshalb keinen Anspruch auf Ausweitung der Erwerbstätigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils. Der Mindestbedarf bemesse sich bis zum In-Kraft-Treten des Kindesunterhaltsgesetzes zum 1.7.1998 wegen der Verweisung in § 1610 Abs. 3 BGB a. F. nach dem Regelbedarf, dem die erste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle entspreche. Der Beklagte schulde daher ab dem Beginn seiner Arbeitslosigkeit im Juli 1997 bis zum 30.6.1998 monatlich 502 DM abzgl. 110 DM hälftiges Kindergeld, somit 392 DM Unterhalt. Mit dem In-Kraft-Treten des Kindesunterhaltsgesetzes habe sich die Rechtslage grundlegend geändert. Auf die RegelbedarfVO sei, weil § 1610 Abs. 3 BGB a. F. weggefallen sei, nicht abzustellen. Vielmehr entspreche der Mindestunterhalt ab 1.7.1998 dem nach dem Sozialhilfebedarf ermittelten Existenzminimum von Kindern. Dieses belaufe sich in der dritten Altersstufe in etwa - wie das OLG unter Verweis auf sein in FamRZ 2000, 765 abgedrucktes Urteil ausführt - auf die in der 5. Einkommensgruppe der jeweils geltenden Düsseldorfer Tabelle angeführten Beträge. Unter Anrechnung des hälftigen Kindergeldes schulde der Beklagte daher monatlich 533 DM v. 1.7.bis 31.12.1998, 518 DM v. 1.1.bis 30.6.1999, 528 DM v. 1.7.1999 bis 31.12.1999 sowie 518 DM ab 1.1.2000.
Diese Beträge habe der Beklagte zu bezahlen, ohne sich, wie das OLG sinngemäß ausführt, auf seine Leistungsunfähigkeit berufen zu können. Vielmehr sei ihm mit Wirkung ab 1.7.1998 ein für die Deckung des Mindestbedarfs des Kindes maßgebliches Einkommen von monatlich netto 3.500 bis 3.900 DM entsprechend der 5. Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle fiktiv zuzurechnen. Denn er habe keine Gründe nachvollziehbar dargetan, die sein Ausscheiden bei seiner früheren Arbeitgeberin unterhaltsrechtlich billigenswert erscheinen lassen könnten. Zwar habe bei ihm am 21.11.1996 eine Blasentumorresektion vorgenommen werden müssen. Nach dem Arztbericht v. 29.11.1996 sei jedoch der postoperative Verlauf komplikationslos gewesen. Danach bleibe unerklärt, warum der Beklagte ein halbes Jahr später seine Arbeitsstelle krankheitsbedingt habe kündigen müssen. Dies sei umso weniger verständlich, als er sich im November 1997 selbständig gemacht habe. Die behauptete Blasenschwäche allein vermöge sein Verhalten nicht zu erklären. Der Beklagte trage auch nicht vor, dass ihn seine Arbeitgeberin zur Kündigung gedrängt habe. Nahe liegend sei, dass der Beklagte einmal im Hinblick auf seine Unterhaltsverpflichtungen und zum anderen wegen seiner persönlichen Beziehungen zu seiner jetzigen Lebenspartnerin und Arbeitgeberin seine frühere nicht selbständige Tätigkeit "aus eigenen Stücken" aufgegeben habe, um sich selbständig zu machen bzw. in den Betrieb seiner Lebensgefährtin einzutreten.
II.
Dies hält den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Zu Unrecht rügt allerdings die Revision, das Berufungsgericht habe gegen § 308 ZPO verstoßen, weil es nicht berücksichtigt habe, dass die Klägerseite in ihrem Berufungsantrag Zahlungen des Beklagten in der Vergangenheit vom verlangten Unterhalt abgezogen habe. Letzteres ist jedoch für die Zeit ab 1.7.1997, auf die sich die Neufassung des Berufungsurteils bezieht, nicht der Fall.
2. Weiterhin hat das OLG zu Recht die Herabsetzung des Unterhalts auf monatlich 142 DM ab 1.7.1997 schon daran scheitern lassen, dass der Beklagte vor dem AG bereits einen Unterhalt von monatlich 392 DM anerkannt hatte. Abgesehen davon, kann der Beklagte mit seinem Anspruch auf Erstattung eines monatlichen Mietzinses von 250 DM gegen die Klägerin zu 1 schon deswegen nicht gegen den Anspruch auf Kindesunterhalt aufrechnen, weil es an der in § 387 BGB vorausgesetzten Gegenseitigkeit der beiden Forderungen fehlt.
3. Was die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Mindestunterhalt minderjähriger Kinder betrifft, ist zwar der Ausgangspunkt des OLG zutreffend, dass es seit dem am 1.7.1998 in Kraft getretenen Kindesunterhaltsgesetzes v. 6.4.1998 (BGBl. I, 666) keine gesetzliche Bestimmung des Mindestbedarfs minderjähriger Kinder im Unterhaltsrecht mehr gibt. Doch ist deswegen - im Gegensatz zur Meinung des Berufungsgerichts - nicht hinsichtlich der Höhe des Mindestbedarfs eines minderjährigen Kindes auf das steuerfrei zu stellende sächliche Existenzminimum minderjähriger Kinder abzustellen, das auf der Grundlage des Sozialhilfebedarfs ermittelt wird und sich je nach Altersstufe im Bereich der Einkommensgruppe 4 bis 6 der Düsseldorfer Tabelle bewegt (vgl. Rühl/Greßmann, Kindesunterhaltsgesetz, Rz. 58 ff.). Denn wie der Senat in seinem Urt. v. 6.2.2002(BGH, urt. v. 6.2.2002 - XII ZR 20/00, MDR 2002, 644 = BGHReport, 2002, 323 = FamRZ 2002, 536 [539] im Einzelnen dargelegt hat, würde eine Gleichsetzung des für steuerliche Zwecke auf der Grundlage des Sozialhilfebedarfs ermittelten Existenzminimums von minderjährigen Kindern mit deren Mindestbedarf der unterschiedlichen Struktur und Funktion des zivilrechtlichen Unterhaltsbedarfs auf der einen S. sowie des Einkommensteuer- und Sozialhilferechts auf der anderen Seite nicht gerecht. Der Gleichsetzung steht insbesondere entgegen, dass das Unterhaltsrecht - im Gegensatz zum Einkommensteuer- und Sozialhilferecht - von einem individuell zu bemessenden Unterhaltsanspruch ausgeht. Wird das Kind wie im vorliegenden Fall von einem Elternteil versorgt und betreut und leistet der andere Teil Barunterhalt, so bestimmt sich die Lebensstellung des Kindes grundsätzlich nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des barunterhaltspflichtigen Elternteils. Danach aber war es rechtsfehlerhaft, dass das Berufungsgericht ohne Rücksicht auf das tatsächliche Einkommen des Beklagten von 1.100 DM bzw. 2.019,80 DM monatlich ab 1.7.1998 von vornherein von einem Unterhaltsbedarf des Klägers zu 2. entsprechend der 5. Einkommensgruppe der jeweils anwendbaren Düsseldorfer Tabelle in der dritten Altersstufe ausgegangen ist.
Deshalb kann das Urteil mit der gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden. Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO a. F.). Vielmehr führt die Revision zur Aufhebung des Urteils, soweit der Beklagte für die Zeit ab 1.7.1998 zur Zahlung eines höheren Kindesunterhalts als monatlich 392 DM verurteilt ist, und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG, damit dieses den Bedarf des Klägers zu 2. feststellen kann.
Für das weitere Verfahren ist auf Folgendes hinzuweisen:
Das Berufungsgericht wird zu beachten haben, dass der Unterhaltsbedarf des Klägers zu 2. nicht ohne weiteres entsprechend dem behaupteten Einkommen des Beklagten von monatlich 1.100 DM bzw. 2019,80 DM zzgl. 250 DM monatliche Mieteinnahmen nach der ersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle anzusetzen ist. Vielmehr konnte - entgegen den Ausführungen des Oberlandesgerichts - schon unter der Geltung des § 1610 Abs. 3 BGB a. F. ein über den Mindestbedarf hinausgehender Unterhalt auch aus einem fiktiv zugerechneten Einkommen hergeleitet werden, wenn, wie hier, die verminderten Einkünfte auf die Aufgabe des Arbeitsplatzes zurückzuführen sind. Denn einerseits kann dem Unterhaltsverpflichteten die Berufung auf seine eingeschränkte Leistungsfähigkeit nach Treu und Glauben verwehrt sein (vgl. BGH, Urt. v. 21.1.1987 - IVb ZR 94/85, FamRZ 1987, 372 [374]). Zum anderen wird die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen nicht nur durch die tatsächlich vorhandenen, sondern auch durch solche Mittel bestimmt, die er bei gutem Willen durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit, unter Umständen auch im Wege eines Orts- oder Berufswechsels, erreichen könnte. Dabei obliegt ihm auf Grund seiner erweiterten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern nach § 1603 Abs. 2 BGB eine gesteigerte Ausnutzung seiner Arbeitskraft, die es ihm ermöglicht, nicht nur den Mindestbedarf, sondern auch den angemessenen Unterhalt der Kinder sicherzustellen (vgl. BGH, Urt. v. 31.5.2000 - XII ZR 119/98, FamRZ 2000, 1358 [1359] m.N.). Diese Grundsätze gelten über das In-Kraft-Treten des Kindesunterhaltsgesetzes hinaus.
Danach wird es zunächst darauf ankommen, ob dem Beklagten ein fiktives Einkommen in Höhe seiner bisherigen Bezüge deshalb zuzurechnen ist, weil er bei der B. GmbH selbst gekündigt hat.
Dabei wird das OLG zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des Senats (BGH, Urt. v. 21.1.1987 - IVb ZR 94/85, FamRZ 1987, 372 [374]) auch eine selbst herbeigeführte Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners, bedingt durch die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit mit erheblicher Einkommenseinbuße, grundsätzlich beachtlich ist, wenn nicht im Einzelfall schwerwiegende Gründe vorliegen, die dem Verpflichteten nach Treu und Glauben die Berufung auf seine eingeschränkte Leistungsfähigkeit verwehren. Ein solcher Verstoß gegen Treu und Glauben kommt im Allgemeinen nur in Betracht, wenn dem Pflichtigen ein verantwortungsloses, zumindest leichtfertiges Verhalten zur Last zu legen ist.
Der Beklagte hat hierzu im Wesentlichen vorgetragen, dass er seine Tätigkeit bei der B. GmbH wegen seines Gesundheitszustands aufgegeben habe. Nach der Entfernung eines bösartigen Blasentumors im November 1996 habe er an einer gravierenden Blasenschwäche gelitten. Diese habe es ihm unmöglich gemacht, seine Arbeit, bei der er täglich vier Stunden habe im Auto sitzen müssen, weiter auszuführen. Bei seiner selbständigen Tätigkeit arbeite er hingegen den ganzen Tag am selben Ort, was mit seiner Blasenschwäche zu vereinbaren sei. Seinen Gesundheitszustand hat der Beklagte unter Sachverständigenbeweis gestellt.
Das Berufungsgericht hat sich, wie die Revision zu Recht rügt, mit dem genannten Vortrag nicht auseinander gesetzt. Dies ist nachzuholen. Insbesondere dürfte auch das beantragte Gutachten einzuholen sein. Denn sollte der Vortrag des Beklagten richtig sein, hätte er in Bezug auf seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kläger zu 2. weder verantwortungslos noch leichtfertig gehandelt. Vielmehr ist einem Arbeitnehmer, der aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeit nicht mehr verrichten kann, auch unterhaltsrechtlich nicht zuzumuten, die Kündigung seines Arbeitgebers abzuwarten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der betreffende Arbeitnehmer im Anschluss an die Kündigung, wie hier, den Regelbedarf seines minderjährigen Kindes sicherstellt.
Weiter wird zu prüfen sein, ob der Beklagte während der anschließenden Zeit, in der er zunächst selbständig und danach in abhängiger Stellung in der Firma seiner Lebensgefährtin tätig war, stattdessen in der Lage war, den angemessenen Unterhalt seines Kindes durch die Aufnahme einer anderen Tätigkeit, bei der er ggf. ein höheres Einkommen hätte erzielen können, sicherzustellen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 31.5.2000 - XII ZR 119/98, FamRZ 2000, 1358 [1359]). Dabei wird insbesondere eine Rolle spielen, ob der Beklagte angesichts der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und seiner persönlichen Eigenschaften (Alter, Gesundheitszustand und Ähnliches) überhaupt eine reale anderweitige Beschäftigungschance hatte und ob ihm ggf. die Aufgabe seiner bisherigen Tätigkeit angesichts seines Gesundheitszustandes zumutbar war (vgl. - für den Fall des Unterhaltsbedürftigen - BGH, Urt. v. 1.4.1987 - IVb ZR 33/86, MDR 1987, 918 = FamRZ 1987, 691 [693]; v. 8.4.1987 - IVb ZR 39/86, FamRZ 1987, 912 [913] jew. m. w. N.; - für den Fall des Unterhaltspflichtigen - Urt. v. 15.11.1995 - XII ZR 231/94, MDR 1996, 281 = FamRZ 1996, 345 [346]; OLG Hamm v. 23.1.1998 - 10 UF 55/97, OLGReport Hamm, 1998, 99 = FamRZ 1998, 623; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Aufl. Rz. 622; Heiß/Heiß, Unterhaltsrecht, I 3. Kap., Rz. 170; Wendl/Scholz, Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 2 Rz. 145). Die Zurückverweisung gibt den Parteien Gelegenheit, hierzu weiter vorzutragen.
Schließlich wird das OLG auch zu berücksichtigen haben, dass ab dem Eintritt der Volljährigkeit des Klägers zu 2. im Dezember 2000 seine Mutter ihm gegenüber, auch wenn er i. S. v. § 1603 Abs. 2 S. 2 BGB privilegiert sein sollte, grundsätzlich ebenfalls barunterhaltspflichtig ist (vgl. BGH, Urt. v. 9.1.2002 - XII ZR 34/00, MDR 2002, 826 = BGHReport 2002, 498 = FamRZ 2002, 815 [817]). Dabei wird auch zu prüfen sein, wie sich der Umstand, dass der Kläger zu 2. mietfrei wohnt, auf seinen Bedarf auswirkt.
Fundstellen
Haufe-Index 971094 |
NJW 2003, 3122 |
BGHR 2003, 1207 |
FamRZ 2003, 1471 |
FuR 2004, 30 |
FPR 2003, 667 |
MDR 2003, 1182 |
FF 2003, 213 |
ZFE 2003, 345 |