Entscheidungsstichwort (Thema)
räuberischer Angriff auf einen Kraftfahrer
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 6. Dezember 1999 hinsichtlich beider Angeklagter in den Rechtsfolgenaussprüchen mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat beide Angeklagten des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten Sch. auf eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren erkannt, gegen die Angeklagte E. hat es zwei Freizeitarreste verhängt und ihr die Weisungen erteilt, „sich mit Hilfe der Drogenberatung Lüneburg einer Drogentherapie zu unterziehen und alles zu unterlassen, was die Durchführung der derzeit durchgeführten Jugendhilfemaßnahmen gefährden könnte”.
Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft – zum Nachteil beider Angeklagter – Revision eingelegt. Das auf die Rechtsfolgenaussprüche beschränkte Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die Strafrahmenwahl des Landgerichts weist einen den Angeklagten Sch. begünstigenden Rechtsfehler auf.
Allerdings ist die Strafzumessung – und damit zunächst die Wahl des anzuwendenden Strafrahmens – grundsätzlich Sache des Tatrichters, der auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Täterpersönlichkeit gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen hat (st. Rspr.; s. nur BGHSt 29, 319, 320; 34, 345, 349). Ihm obliegt es daher auch, im Rahmen einer Gesamtwürdigung alle maßgeblichen Umstände, die – sei es dem Tatgeschehen vorausgehend, ihm innewohnend, es begleitend oder ihm nachfolgend – in objektiver und subjektiver Hinsicht die Tat und die Person des Täters kennzeichnen, in wertender Betrachtung für jeden der verwirklichten Straftatbestände zu entscheiden, ob das Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, das etwa die Anwendung eines nach der jeweiligen Strafvorschrift zur Verfügung stehenden Ausnahmestrafrahmens für minder schwere Fälle geboten erscheint (st. Rspr.; s. die zahlr. Nachw. bei Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 46 Rdn. 41 f.). Das Ergebnis seiner Würdigung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar. Dieses vollzieht keine exakte Richtigkeitskontrolle (BGHSt 27, 2, 3) und hat die Bewertung des Tatrichters im Zweifel hinzunehmen (BGHSt 29, 319, 320; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 1). Es kann daher nur dann eingreifen, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht läßt oder sich die Strafe so weit nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, daß sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter bei der Strafzumessung eingeräumten Spielraumes liegt (BGHSt 29, 319, 320; 34, 345, 349; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 1 und 6). Ein derartiger Rechtsfehler liegt hier indessen vor.
Die Angeklagten hatten nach den Feststellungen den Taxiunternehmer M. durch einen Telefonanruf der Angeklagten E. am Abend des 19. Mai 1999 gegen 23.30 Uhr zu der Ilmenauhalle nach Bienenbüttel gelockt, wo der Angeklagte Sch., nachdem beide Angeklagte das Taxi bestiegen hatten, den Taxifahrer veranlaßte, zum Wenden auf einen von der Straße nicht einsehbaren Parkplatz zu fahren. Dort angekommen bedrohte der Angeklagte den Taxifahrer mit einem nicht funktionsfähigen Gasrevolver und verlangte, unterstützt durch die Angeklagte E., die Herausgabe von Geld sowie – um die Verfolgung der Angeklagten zu erschweren – des Funktelefons und der Fahrzeugschlüssel. Aufgrund der Bedrohung übergab der Geschädigte den Angeklagten „gut 500 DM”, das Telefon und die Schlüssel, worauf die Angeklagten flüchteten.
Das Landgericht hat die Tat des Angeklagten Sch. jeweils als minder schweren Fall des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer (§ 316 a Abs. 1 und 2 StGB) und der schweren räuberischen Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 b und Abs. 3 StGB) angesehen und, da beide Vorschriften denselben Strafrahmen (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren) vorsehen, der Strafzumessung im engeren Sinne den Strafrahmen des § 316 a Abs. 2 StGB zugrundegelegt. Es hat hierzu ausgeführt, daß die Anwendung der Ausnahmestrafrahmen der §§ 316 a Abs. 2 bzw. 250 Abs. 3 StGB deswegen geboten sei, weil die Tat wegen der relativ geringen Beuteerwartung und der tatsächlich auch nur erlangten gut 500 DM lediglich geringes Gewicht habe. Ferner habe der Angeklagte lediglich einen nicht schußbereiten Gasrevolver eingesetzt und habe sich außerdem in einer finanziellen Notlage befunden, die ihm erst kurz vor der Tat durch eine – handgreifliche – Auseinandersetzung mit einem seiner Gläubiger nochmals klargemacht worden sei. Er habe sich daher in einer Ausnahmesituation befunden.
Die Strafrahmenwahl ist schon deswegen rechtsfehlerhaft, weil die Jugendkammer bei der Beurteilung der Frage, ob bezüglich der schweren räuberischen Erpressung der Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 1 oder der Ausnahmestrafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB Anwendung zu finden hat, nicht zugunsten des Angeklagten würdigen durfte, daß er den Taxifahrer lediglich mit einem nicht funktionsfähigen Gasrevolver bedrohte. Denn dies steht im Widerspruch zu der Bewertung des Gesetzgebers, die der Neufassung des § 250 StGB durch das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl I 164, 178) zugrunde liegt (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. StrRG, BTDrucks. 13/8587 S. 44, sowie den Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 13/9064 S. 17 f.). Der gegenüber dem § 250 Abs. 1 StGB a.F. mildere Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB n.F. wurde danach gerade auch für den Fall geschaffen, daß der Täter beim Raub oder der räuberischen Erpressung, wie hier, eine nicht funktionsfähige Schußwaffe mit sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden (vgl. BGH NJW 1998, 2914, 2915; 1998, 3130). Das schließt es aus, das Mitsichführen einer nicht funktionsfähigen Schußwaffe bei der Tat – für sich genommen – als Umstand zu werten, der für die Annahme eines minder schweren Falles i.S.d. § 250 Abs. 3 StGB n.F. sprechen kann (vgl. Kudlich JR 1998, 357, 358 f.; Günther in SK-StGB, 43. Lfg. § 250 Rdn. 55; Tröndle/Fischer § 250 Rdn. 12). Führt der Täter die funktionsunfähige Schußwaffe nicht nur mit sich, sondern setzt er sie, wie hier, bei der Tat zur Bedrohung des Opfers ein, kann dies bei der Bemessung der Strafe vielmehr strafschärfend zu berücksichtigen sein (vgl. BGH NJW 1998, 3130, 3131).
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht von der Annahme eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB abgesehen hätte, wenn es den Einsatz des funktionsunfähigen Gasrevolvers nicht als strafmildernden Umstand bei der Strafrahmenwahl berücksichtigt hätte. In diesem Fall hätte die Strafe des Angeklagten Sch., selbst wenn die Annahme eines minder schweren Falles des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer rechtlich nicht zu beanstanden wäre, nicht dem Strafrahmen des § 316 a Abs. 2 StGB, sondern dem des § 250 Abs. 1 StGB entnommen werden müssen (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB). Sie muß daher neu zugemessen werden. Hierfür weist der Senat darauf hin, daß die Rüge der Beschwerdeführerin, die Jugendkammer habe sowohl bei der Strafrahmenwahl, als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne einseitig nur zugunsten des Angeklagten sprechende Gesichtspunkte berücksichtigt, ohne die sich insbesondere aus dem Tathergang ergebenden strafschärfenden Umstände zu würdigen, berechtigt erscheint.
2. Die Entscheidung des Landgerichts, gegen die Angeklagte E. nicht auf Jugendstrafe zu erkennen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rechtsfehlerfrei und von der Revision unbeanstandet hat das Landgericht allerdings zunächst dargelegt, daß bei der Angeklagten keine schädlichen Neigungen (mehr) vorliegen, die die Verhängung von Jugendstrafe gebieten würden (§ 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG). Zu beanstanden ist jedoch die Auffassung, die Schwere der Schuld der Angeklagten (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG) erfordere den Ausspruch von Jugendstrafe nicht.
Zutreffend ist zwar der Ausgangspunkt der Jugendkammer, daß bei der Beurteilung der Schuldschwere i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat („äussere Schwere”, UA S. 19) keine selbständige Bedeutung zukommt. Entscheidend ist vielmehr die innere Tatseite, d.h. inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (BGHSt 15, 224, 226; 16, 261, 263; BGHR JGG § 18 Abs. 2 Tatumstände 2).
Mit Recht rügt die Revision jedoch, daß das Landgericht eine Bewertung des Unrechtsgehalts der Tat unterlassen und daher auch keine Feststellungen dazu getroffen hat, inwieweit aus diesem ein Schluß auf die Persönlichkeit der Angeklagten und die Höhe ihrer Schuld möglich ist. Das Landgericht hat sich damit begnügt, die Verneinung von Schuldschwere i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG damit zu begründen, daß die Angeklagte nicht zum eigenen finanziellen Vorteil gehandelt habe und der Tatentschluß spontan gefaßt worden sei, nachdem der Angeklagte Sch. von einem seiner Gläubiger „drangsaliert” worden war. Dies läßt eine Auseinandersetzung mit dem objektiven Tatgeschehen sowie dem Tatbeitrag der Angeklagten und daran anschließend insbesondere eine Bewertung des Tatunrechts am Maßstab der gesetzlichen Strafandrohungen des Erwachsenenstrafrechts vermissen, die bei dem Rückschluß vom objektiven Unrechtsgehalt der Tat auf die zurechenbare Schuld des jugendlichen Täters jedenfalls nicht unberücksichtigt bleiben darf (BGH NJW 1972, 693; StV 1982, 335, 336 m.w.Nachw.). Daher ist zu besorgen, daß der Rechtsfehler, der der Jugendkammer bei der Einordnung der Tat des Angeklagten Sch. als minder schwerer Fall der schweren räuberischen Erpressung unterlaufen ist, sich letztlich auch bei der Bewertung der Schwere der Schuld der Angeklagten E. ausgewirkt hat.
Der Rechtsfolgenausspruch gegen die Angeklagte E. kann daher keinen Bestand haben, denn der Senat vermag nicht auszuschließen, daß das Landgericht bei Beachtung obiger Grundsätze Schuldschwere i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG bejaht hätte. Auch kann der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht mit der gebotenen Sicherheit entnehmen, daß selbst dann, wenn die Schuld der Angeklagten als schwer i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG einzustufen wäre, die Verhängung von Jugendstrafe deshalb nicht in Betracht kommen kann, weil dies aus erzieherischen Gründen nicht erforderlich ist (vgl. BGHSt 15, 224, 225 f.; 16, 261, 263; BGH StV 1998, 332, 333).
Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Jugendkammer wiederum nur auf Zuchtmittel und Erziehungsmaßregeln erkennen, wird sie Gelegenheit haben, gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 JGG die Laufzeit der zu erteilenden Weisungen im Urteil festzulegen (Brunner/Dölling, JGG 10. Aufl. § 11 Rdn. 1), sie inhaltlich mit der erforderlichen Klarheit und Bestimmtheit zu fassen (vgl. Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG 3. Aufl. § 10 Rdn. 25; Eisenberg, JGG 8. Aufl. § 10 Rdn. 7; Brunner/Dölling § 10 Rdn. 3) und gegebenenfalls das Vorliegen der nach § 10 Abs. 2 JGG erforderlichen Zustimmungs- bzw. Einverständniserklärungen in den Urteilsgründen mitzuteilen.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Winkler, Pfister, von Lienen, Becker
Fundstellen
Haufe-Index 512728 |
NStZ-RR 2001, 215 |