Entscheidungsstichwort (Thema)
gefährliche Körperverletzung
Tenor
1. Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 14. Dezember 2000 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Nebenkläger mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er erstrebt hinsichtlich der ihn betreffenden Tat eine Verurteilung (auch) wegen versuchten Totschlags. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
II. Auch die Sachrüge greift nicht durch.
1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte gemeinsam mit seinem Chef, dem Nebenkläger Rainer B., und den Arbeitern Dieter L. und Peter M. zum Ausheben von Gräben auf einer Baustelle eingesetzt. Der Angeklagte hatte die Aufgabe, den Aushub des L. mit einer Schaufel wegzuräumen. Als dieser bemerkte, daß der Angeklagte ihm, wenn er sich bückte, von hinten mit dem Fuß Erde ins Genick schob, wollte er die Grube verlassen, um den Angeklagten dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Der Angeklagte richtete daraufhin den Strahl einer Sprühdose mit Reizgas auf das Gesicht und gegen das Genick des L., der sich „infolge der starken Augen- und Schleimhautreizung wieder in den Graben herablassen mußte”. Der Nebenkläger hörte laute Schreie des L. und sah, daß der Angeklagte diesen „besprühte”. Er rief dem Angeklagten zu, er solle aufhören, und lief in Richtung des Grabens, um dem Angeklagten „Einhalt zu gebieten”. Als dieser seinen Chef herannahen sah, richtete er die Spraydose gegen ihn; der Nebenkläger konnte jedoch dem Sprühstrahl ausweichen. Er versuchte, den Angeklagten an den Beinen zu fassen und zu Boden zu werfen, konnte ihn aber nicht ergreifen.
„Plötzlich verspürte der Zeuge B. mehrere feste ‚Schläge’ auf seinem Rücken. Der Angeklagte hatte nämlich, von seinem Chef unbemerkt, sein Springmesser mit einer ca. 6,8 cm langen Klinge gezückt und geöffnet und stach dem Zeugen B. damit in schneller Folge neunmal in den hinteren linken Brustkasten. Trotzdem konnte B. dem Angeklagten schließlich die Beine wegziehen und brachte ihn so zu Fall. Dabei ging er selbst mit zu Boden. Während Rainer B. noch mit dem Angeklagten rang, versetzte dieser ihm zwei weitere Stiche, von denen einer in seine linke Flanke und einer in seinen rechten Brustkorb eindrang. Auch bei diesen Stichen nahm der Angeklagte den Tod seines Chefs billigend in Kauf, was ihm in seiner Wut über dessen Eingreifen aber gleichgültig war. Trotz seiner zahlreichen Stichwunden kam Rainer B. aber wieder auf die Beine, konnte indessen den Angeklagten nicht festhalten. Dieser sprang behende über eine neben dem Lkw in der Ausfahrt befindliche Mauer auf die Straße. Sein Chef setzte noch zu seiner Verfolgung an, bemerkte aber, daß ihm die Luft wegblieb, und er sank zu Boden.” … (UA 8/9).
Nachdem Peter M. seinem Arbeitskollegen L. geholfen hatte, aus dem Graben zu steigen, wandte sich dieser dem über Atemnot klagenden Nebenkläger zu. Er erkannte, daß sein Chef am Rücken und im Bauchbereich stark blutete, woraufhin der Notarzt verständigt und der Nebenkläger in ein Krankenhaus verbracht wurde. Zwischenzeitlich war der Angeklagte zu der etwa 800 m von der Baustelle entfernten Polizeidienststelle gelaufen, hatte sich dort gestellt und angegeben, das Messer in Notwehr eingesetzt zu haben. Ohne ärztliche Hilfe hätten die – inzwischen folgenlos verheilten – Verletzungen des Nebenklägers zu dessen Tod geführt.
2. Das Landgericht hat die Tathandlungen zum Nachteil des Dieter L. und des Nebenklägers jeweils als gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 StGB) gewertet. Vom versuchten Tötungsdelikt zum Nachteil des Nebenklägers sei der Angeklagte aus folgenden Gründen strafbefreiend zurückgetreten:
„Die wütende Messerattacke des Angeklagten war bei dem Zeugen B. zunächst ohne äußerlich erkennbare Folgen geblieben. Wegen seiner mehrschichtigen Kleidung – er trug eine gefütterte Stoffjacke, darunter ein Sweatshirt und unter diesem ein Flanellhemd sowie ein Unterhemd – war zunächst äußerlich kein Blut zu sehen, und die Zeugen L. und M. erkannten die Ursache für seine Atemnot erst, als sie ihrem Chef die Jacke auszogen. Rainer B. war auch noch in der Lage gewesen, den Angeklagten eine kurze Strecke zu verfolgen, als er über die Mauer flüchtete. Dieser mußte deshalb nicht annehmen, daß die Messerstiche sein Opfer lebensbedrohlich verletzt hatten. Nach dem Zweifelsgrundsatz mußte deshalb angenommen werden, daß er von weiteren Stichen freiwillig Abstand genommen hat” (UA 11).
3. Diese Würdigung des Landgerichts weist keinen Rechtsfehler auf.
a) Das Schwurgericht geht von einem unbeendeten Versuch aus, weil der Angeklagte nach dem letzten Messerstich nicht mit der Möglichkeit gerechnet habe, der Nebenkläger könne durch die bisher beigebrachten Stiche zu Tode kommen (vgl. hierzu BGHSt 33, 295, 298; 39, 221, 227 [„Rücktrittshorizont”]). Nach den getroffenen Feststellungen ist diese Wertung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden; auch wenn das Landgericht hinsichtlich der abgeurteilten Körperverletzung angenommen hat, daß diese „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung” (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) begangen wurde – sie also dazugeeignet war, eine Lebensgefährdung herbeizuführen (vgl. BGHR StGB § 223a Abs. 1 Lebensgefährdung 2, 3, 7, 8; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 224 Rdn. 12 m.w.N.).
Die Einwendung der Revision, für den Angeklagten sei erkennbar gewesen, daß „eine unmittelbare Gefährdung des Lebens des Opfers eingetreten (gewesen sei)”, findet in den Feststellungen keine Stütze. Ebensowenig trifft die Annahme des Generalbundesanwalts zu, für den Angeklagten habe nach dem letzten Messerstich deshalb die Möglichkeit des Todeseintritts nahe gelegen, weil der Nebenkläger seine Verfolgung nicht habe aufnehmen können, sondern zu Boden „gesackt” sei; denn nach den Feststellungen kam der Nebenkläger nach dem letzten Messerstich trotz seiner Stichwunden „wieder auf die Beine” und verfolgte den flüchtenden Angeklagten, bevor er schließlich zu Boden sank (UA 8 f., 11). Auch der Umstand, daß sich der Angeklagte nach der Tat sofort zur Polizei begeben und dort angegeben hat, er habe in Notwehr gehandelt, läßt keinen Rückschluß darauf zu, daß er glaubte, die dem Nebenkläger beigebrachten Verletzungen könnten zu dessenTod führen.
b) Da das Landgericht zur Frage der Freiwilligkeit des Abstandnehmens von weiteren Messerstichen durch den Angeklagten keine sicheren Feststellungen treffen konnte, hat es zu Recht den Zweifelssatz zu Gunsten des Angeklagten angewendet (vgl. BGH bei Holtz MDR 1986, 271; StV 1992, 224, 225; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 11) – daß dieser nämlich, als er vom Nebenkläger abließ, nicht ausschließbar weiter „Herr seiner Entschlüsse” war (vgl. BGHSt 35, 184, 186).
Unterschriften
Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen