Leitsatz (amtlich)
Die Pflicht des Notars, auf vorhandene Belastungen des zu erwerbenden Eigentums hinzuweisen, soll den Erwerber nicht nur davor schützen, daß er ein belastetes Objekt erwirbt, obwohl er lastenfrei hat erwerben wollen, sondern auch davor, daß die gekaufte Immobilie während der Zeit, in der eine Weiterveräußerung durch die eingetragene Belastung verhindert wird, im Wert sinkt. Sie soll den Erwerber aber nicht davor bewahren, daß er eine Immobilie ankauft, die bereits im Zeitpunkt des Erwerbs – unabhängig vom Inhalt des Grundbuchs – wirtschaftlich gesehen ihren Preis nicht wert ist.
Normenkette
BNotO § 19
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 5. Juli 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den verklagten Notar wegen Amtspflichtverletzung bei einer Beurkundung auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Beklagte beurkundete am 23. Oktober 1992 einen Vertrag, mit welchem die Klägerin von J. F. zwei Eigentumswohnungen für jeweils 140.000 DM kaufte. Das Eigentum sollte frei von in Abteilung III des Grundbuchs eingetragenen Rechten übergehen. Die Klägerin erwarb nicht lastenfrei, weil der Beklagte eine Grundschuld in Höhe von 300.000 DM übersah. Diese löste der Beklagte später mit eigenen Mitteln ab.
Am 14. Dezember 1994 – als die Grundschuld noch eingetragen war – schloß die Klägerin mit der LVG-GmbH & Co KG (im folgenden: LVG) zwei notarielle Kaufverträge. Danach wollte die LVG die Wohnungen für jeweils 160.000 DM erwerben. Für den Fall, daß die Klägerin ihr nicht bis zum Ablauf des 29. Dezember 1994 das Vorliegen der Löschungsbewilligung hinsichtlich der Grundschuld nachweisen würde, behielt sich die LVG Rücktrittsrechte vor. Da die Klägerin die Löschungsbewilligung nicht rechtzeitig erhielt, machte die LVG mit Telefax vom 30. Dezember 1994, 15.10 Uhr, von diesen Rechten Gebrauch.
Die Grundschuld wurde am 29. Mai 1995 gelöscht. Die Klägerin verkaufte die eine Wohnung am 15. August 1995 für 95.000 DM und die andere am 21. Mai 1997 für 84.000 DM weiter.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin von dem Beklagten 141.000 DM für entgangenen Gewinn, 3.152,03 DM für die Kosten der nutzlosen Beurkundungen vom 14. Dezember 1994 und 39.933,76 DM für Zinsbelastungen verlangt. Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme der zuletzt genannten Position stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Verurteilungssumme um 40.000 DM auf 104.152,03 DM gekürzt. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte die vollständige Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – teils durch Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil – folgendermaßen begründet:
Der Beklagte habe eine schuldhafte Amtspflichtverletzung begangen, indem er bei den Beurkundungen nicht auf die vorhandene Belastung hingewiesen habe. Daraus ergebe sich aber kein Anspruch auf entgangenen Gewinn, weil die Klägerin – die nach eigenem Bekunden die Wohnungen nicht gekauft hätte, wenn ihr die Grundschuld bekannt gewesen wäre – bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten nicht in die Lage versetzt worden wäre, die Wohnungen gewinnbringend weiterzuverkaufen. Die vom Landgericht in Höhe von 141.000 DM zugesprochene erste Schadensposition sei deshalb nur in Höhe von 101.000 DM gerechtfertigt. Insofern gehe es nicht um entgangenen Gewinn. Die Klägerin könne auch Ersatz für die Kosten der Beurkundungen vom 14. Dezember 1994 verlangen. Ihr Versuch, die Wohnungen an die LVG weiterzuverkaufen, sei durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert worden und stelle eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf dieses dar.
II.
Entgegen der Ansicht der Revision liegt der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO nicht vor.
Das Berufungsgericht hat gemeint, sich mit solchen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs nicht befassen zu müssen, zu denen sich das Landgericht geäußert habe und die mit der Berufung nicht angegriffen worden seien. Entsprechendes gelte für Einwendungen des Beklagten, die das Landgericht nicht für durchgreifend erachtet habe, soweit es an Angriffen der Berufung hiergegen fehle.
Das offenbart – wie die Revision zutreffend rügt – falsche Vorstellungen über den Prozeßstoff der zweiten Instanz. Was der Prüfung durch das Berufungsgericht unterfällt, ergibt sich nicht aus § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, sondern aus §§ 525 f, 537 ZPO. Durch eine zulässige Berufung wird die erneute sachliche und rechtliche Prüfung des Klageanspruchs uneingeschränkt eröffnet (BGH, Urt. v. 8. November 1991 – V ZR 260/90, BGHR ZPO § 537 – Rechtsanwendung 1; v. 17. März 1994 – IX ZR 102/93, NJW 1994, 1656, 1657 unter III 2). Das Berufungsgericht hat auf das Rechtsmittel des verurteilten Beklagten sein gesamtes Vorbringen zu berücksichtigen, soweit es – durch Vortrag in der zweiten Instanz oder Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen (BGH, Urt. v. 7. Mai 1992 – IX ZR 151/91, BGHR ZPO § 537 – Streitpunkt 1) – Prozeßstoff geworden ist (vgl. ferner Rimmelspacher, in: MünchKomm-ZPO, § 537 Rdnr. 21; Musielak/Ball, ZPO 2. Aufl. § 519 Rdnr. 33 und § 537 Rdnr. 8 f). Eine besondere, auf einzelne Streitpunkte bezogene Rüge ist nicht erforderlich, sofern nur die Berufung zulässig ist. Letzteres hat das Berufungsgericht – zu Recht – nicht in Zweifel gezogen.
Der Rechtsirrtum des Berufungsgerichts wirkt sich jedoch im Rahmen des § 551 Nr. 7 ZPO nicht aus, weil es sich letztlich die Ausführungen im Ersturteil zu eigen gemacht hat. Das angefochtene Urteil enthält deshalb eine vollständige Begründung. Wenn diese in einzelnen Punkten rechtsfehlerhaft ist (vgl. unten III. 2 b, c und f), ist dies für § 551 Nr. 7 ZPO unerheblich (vgl. BGHZ 39, 333, 338; BGH, Urt. v. 11. März 1983 – V ZR 287/81, WM 1983, 658, 660 unter 4 b).
III.
Dennoch hält das Berufungsurteil einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Soweit in dem Übersehen einer im Grundbuch eingetragenen Belastung eine schuldhafte notarielle Amtspflichtverletzung (§ 19 Abs. 1 BNotO, § 21 BeurkG) gesehen worden ist, läßt das Berufungsurteil allerdings keinen Rechtsfehler erkennen. Gegenteiliges macht auch die Revision nicht geltend.
2. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß der Klägerin durch die Amtspflichtverletzung ein Schaden in Höhe von 101.000 DM und 3.152,03 DM entstanden ist.
a) Für die Ermittlung des Vermögensschadens aus einer notariellen Amtspflichtverletzung ist die sogenannte Differenzhypothese maßgeblich. Ein Schaden liegt danach vor, wenn die infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretene Vermögenslage des Betroffenen schlechter ist als diejenige, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 18. November 1999 – IX ZR 402/97, WM 2000, 35, 38; v. 18. November 1999 – IX ZR 153/98, WM 2000, 193, 196; v. 6. Juli 2000 – IX ZR 88/98, WM 2000, 1808, 1809). Maßgebender Zeitpunkt für den Vermögensvergleich ist im Schadensersatzprozeß die letzte mündliche Tatsachenverhandlung (BGH, Urt. v. 14. März 1985 – IX ZR 26/84, NJW 1986, 1329, 1332).
b) Die Klägerin hat geltend gemacht, sie hätte die Wohnungen im Jahre 1992 nicht gekauft, wenn der Beklagte das Bestehen der dinglichen Belastung offengelegt hätte. Dann hätte die Klägerin den Kaufpreis von 280.000 DM – der beim Wiederverkauf nur in Höhe von 179.000 DM an sie zurückgeflossen ist – in ihrem Vermögen behalten.
Allerdings wären der Klägerin dann auch die Mieteinnahmen, die von ihr selbst mit 820 DM monatlich angegeben worden sind, entgangen. Die Nichtberücksichtigung dieser Einnahmen durch das Berufungsgericht ist – wie die Revision mit Recht geltend macht – fehlerhaft.
c) Nach der Behauptung des Beklagten, die das Berufungsgericht – wie die Revision zu Recht rügt – übergangen hat, hätte die Klägerin die Wohnungen trotzdem gekauft. Für diesen – in der Revisionsinstanz zu unterstellenden – Fall hat die Klägerin nicht vorgetragen, daß der im Rahmen der Differenzhypothese vorzunehmende Vermögensvergleich ebenfalls einen Schaden ergäbe.
d) Daß die Klägerin im Jahre 1992 für den Erwerb der Wohnungen tatsächlich 280.000 DM aufgewendet hat, ist nicht in erheblicher Weise bestritten. Der Vortrag, ein Kaufpreisanteil von 80.000 DM sei an die Ehefrau des Geschäftsführers der Klägerin gezahlt worden, gestattet nicht ohne weiteres den Schluß darauf, die Klägerin habe im wirtschaftlichen Ergebnis nur 200.000 DM gezahlt.
e) Ein vom Landgericht erhobenes Sachverständigengutachten hat die Behauptung des Beklagten bestätigt, daß die Wohnungen von der Klägerin überteuert angekauft worden sind. Sie waren am 23. Oktober 1992 insgesamt nur 184.000 DM (91.000 DM und 93.000 DM) wert.
Auch dieser Umstand ist für die Schadensermittlung unerheblich. Nach Ansicht der Revision soll die notarielle Pflicht, die Urkundsbeteiligten auf grundbuchmäßige Belastungen des Kaufgegenstands hinzuweisen, den Erwerber nicht davor schützen, daß er eine Immobilie ankauft, die – unabhängig von der dinglichen Belastung – ihren Preis nicht wert ist. Diese Meinung teilt der Senat nicht. Bei den Beurkundungen am 23. Oktober 1992 hatte der verklagte Notar über die Voraussetzungen zu belehren, von denen der allseits gewünschte rechtliche Erfolg des Geschäfts – lastenfreie Übertragung des Eigentums – abhing (§ 17 Abs. 1 BeurkG). Die vorhandene Belastung stand diesem Erfolg entgegen. Sie verhinderte, wenn es dem Verkäufer nicht gelang, die Belastung zur Löschung zu bringen, auch einen gewinnbringenden Weiterverkauf. Die Aussicht darauf darf dem Käufer selbst dann nicht genommen werden, wenn sie – weil er überteuert erworben hat – gering erscheint. Im vorliegenden Fall wäre es der Klägerin Ende 1994 beinahe gelungen, die Wohnungen zu einem Preis zu veräußern, der nicht nur den Schaden beseitigt, sondern sogar einen Gewinn abgeworfen hätte.
f) Erheblich ist demgegenüber der Mitverschuldenseinwand. Wenn die – für die Klägerin äußerst günstigen – Kaufverträge vom 14. Dezember 1994 durchgeführt worden wären, wäre aus dem Notarfehler über den Schaden hinaus, den der Beklagte durch Ablösung der Grundpfandlast beseitigt hat, kein Nachteil entstanden. Daß die Verträge gescheitert sind, kann auf dem Mitverschulden der Klägerin beruhen (§ 254 Abs. 2 Alt. 2 BGB).
Nach dem – bislang, soweit ersichtlich, unbestritten gebliebenen – Vortrag des Beklagten wurde er von der Klägerin nicht über den genauen Inhalt der beiden am 14. Dezember 1994 beurkundeten Kaufverträge unterrichtet. Insbesondere hatte er von der knapp bemessenen Rücktrittsfrist keine Kenntnis. Den Zeitpunkt des Fristablaufs durfte die Klägerin dem Beklagten nicht vorenthalten. Zwar hatten ihre Anwälte ihm unter dem 28. November 1994 geschrieben, die Klägerin werde die Immobilien bis spätestens 15. Dezember 1994 veräußern. Gleichzeitig hatten sie angekündigt, dem Käufer werde ein Rücktrittsrecht für den Fall eingeräumt werden, daß der Erwerb nicht lastenfrei erfolgen könne. Die Länge der Frist, innerhalb deren das Rücktrittsrecht auszuüben war, hatten sie aber nicht mitgeteilt. Es bestand deshalb die Gefahr, daß der Beklagte die Freistellung der Immobilien von der Grundschuld nicht fristgemäß bewirkte, obwohl ihm dies grundsätzlich möglich gewesen wäre. Daß der Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 8. Dezember 1994 in Aussicht gestellt hatte, die Abwicklung werde „noch in diesem Jahr” erfolgen, durfte die Klägerin nicht zum Anlaß nehmen, dem Beklagten zu verschweigen, daß die von ihr mit dem Erwerber vereinbarte Frist bereits am 29. Dezember 1994 ablaufe.
Erheblich ist ferner der – unbestritten gebliebene – Vortrag des Beklagten, seine Anwälte hätten mit Schreiben vom 27. Dezember 1994 den gegnerischen Anwälten mitgeteilt, die Löschungsbewilligung sei „heute bei uns eingegangen”. Man dürfe aber erst darüber verfügen, wenn die Abfindungszahlung, deren Überweisung sofort veranlaßt worden sei, bei der Grundpfandgläubigerin eingegangen sei. Sobald die Grundpfandgläubigerin den Eingang der Zahlung bestätige, werde die Löschungsbewilligung an die Anwälte der Klägerin weitergeleitet werden. Dies werde innerhalb weniger Tage der Fall sein. Dieses Schreiben ist am 29. Dezember 1994 bei den Anwälten der Klägerin eingegangen. In Anbetracht des Umstands, daß der Beklagte und seine anwaltlichen Vertreter nicht wissen konnten, daß die Rücktrittsfrist an eben diesem Tage ablief, wären die Anwälte der Klägerin verpflichtet gewesen, die Gegenseite – telefonisch, durch Fax oder E-Mail – darauf aufmerksam zu machen, daß alles, was später erfolgte, zu spät sein würde. Eine solche Nachricht ist unterblieben. Wäre sie erfolgt, hätte die Zahlung möglicherweise – zum Beispiel durch „Blitz-Giro” – beschleunigt werden können. Wäre sie spätestens am 30. Dezember 1994 bei der Grundpfandgläubigerin eingegangen und hätte der Beklagte daraufhin der LVG noch an diesem Tage – vor Absendung des Telefax – bestätigt, daß ihm die Löschungsbewilligung „verfügungsfrei” vorliege, wäre die Ausübung des Rücktrittsrechts bereits ausgeschlossen gewesen (§ 3 C Abs. 1 Satz 3 der Kaufverträge).
IV.
Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, weil noch nicht entscheidungsreif, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird nunmehr zu prüfen haben, ob die Einwendungen des Beklagten (oben III 2 c und f) begründet sind.
Unterschriften
Kreft, Stodolkowitz, Zugehör, Ganter, Raebel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 09.11.2000 durch Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 519115 |
NJW-RR 2001, 1428 |
Nachschlagewerk BGH |
ZNotP 2001, 76 |