Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Feststellungsinteresse auf Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen ungewisser Steuernachforderungen
Leitsatz (amtlich)
Zum Umfang der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Feststellungsinteresse bei Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht; Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten).
Leitsatz (redaktionell)
Soweit das Berufungsgericht weitere Schäden „in steuerlicher Hinsicht” – ohne nähere Begründung – für möglich hält, fehlt hier es bereits an Vortrag der Klägerin dazu, auf welcher tatsächlichen Grundlage mit Steuer(nach)forderungen aufgrund der beanstandeten „Manipulation” zu rechnen ist. Ob und inwieweit steuerliche Nachteile aufgrund der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig, sie insbesondere dem so genannten negativen Interesse zuzuordnen wären, bedarf daher im Streitfall keiner Entscheidung.
Normenkette
BGB §§ 31, 249, 826; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Kammergerichts vom 14. Januar 2020 unter Zurückweisung der Revision im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz festgestellt und die Beklagte verurteilt worden ist, die Klägerin von vorgerichtlichen Kosten in Höhe von 1.121,90 € freizustellen. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 14. Januar 2019 wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs VW Tiguan 2.0 TDI FIN resultieren, richtet, mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Klageantrag unzulässig ist.
Die Sache wird im Übrigen im Umfang der Aufhebung, also hinsichtlich der Hilfsanträge sowie des Antrags auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisions- und Berufungsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die beklagte Automobilherstellerin wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung eines Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Die Klägerin erwarb am 7. April 2015 bei einem von ihr ebenfalls in Anspruch genommenen, am hiesigen Revisionsverfahren nicht mehr beteiligten Autohaus (bis zur Trennung der Prozesse im Revisionsverfahren Beklagte zu 1) einen von der Beklagten hergestellten VW Tiguan 2.0 TDI zu einem Kaufpreis von 25.390 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Dieser Motor enthält werkseitig eine Steuerungssoftware, die zu einer Veränderung der Stickoxid-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren beiträgt und bewirkt, dass auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Werte als im Normalbetrieb ausgestoßen werden.
Rz. 3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin - soweit für das hiesige Revisionsverfahren von Interesse - beantragt, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren. Hilfsweise, soweit das Gericht diesen Klageantrag für nicht zulässig erachte, hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 23.685,85 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw, und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die über diesen Klageantrag hinausgehenden Schäden zu ersetzen, die aus der Manipulation der Schadstoffemissionswerte (Aggregat EA189) des Fahrzeugs durch die Verwendung von im Fahrbetrieb ausgeschalteter Abgaseinrichtungen resultieren. Daneben hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, sie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.121,90 € freizustellen und ihr im Hinblick auf die angedrohte Stilllegung des Fahrzeugs entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 653,15 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Rz. 4
Das Kammergericht hat auf die Berufung der Klägerin hin das landgerichtliche Urteil abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadensersatz, gegebenenfalls abzüglich einer Nutzungsentschädigung, zu zahlen für Schäden, die aus der Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs resultieren. Daneben hat es die Beklagte gesamtschuldnerisch verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Kosten in Höhe von 1.121,90 € freizustellen und an die Klägerin 411,95 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15. Januar 2019 zu zahlen. Im Übrigen hat es die gegen die Beklagte gerichtete Klage abgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht uneingeschränkt zugelassen. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Revision dagegen, dass das Berufungsgericht in seinen Feststellungsausspruch den Vorbehalt des Abzugs einer Nutzungsentschädigung aufgenommen hat. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die vollständige Abweisung der Klage. Über das zwischen der Klägerin und der Verkäuferin des Fahrzeugs geführte Revisionsverfahren hat der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 16. November 2022 - VIII ZR 383/20 entschieden.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der gegen die Beklagte gerichtete Feststellungsantrag sei gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Ein Feststellungsinteresse der Klägerin sei gegeben. Es entfalle insbesondere nicht aufgrund effektiverer Rechtsschutzmöglichkeit (Klage auf Leistung), weil im Zeitpunkt der Klageerhebung nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein aus der schädigenden Handlung - hier dem Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motors EA189 - künftig erwachsender Vermögensschaden anzunehmen und damit die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Schäden kämen etwa in steuerlicher Hinsicht, wegen Inspektionen und Reparaturen sowie wegen Wertverlusten in Betracht.
Rz. 6
Der Feststellungsantrag sei auch hinreichend bestimmt nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er sei dahin näher auszulegen, dass die Klägerin mit ihrem auf die "Manipulation" bezogenen Antrag die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten begehre, ihr Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Installation derjenigen Software in der Motorsteuerung des in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors EA189 resultierten, bei der es sich nach Ansicht des Kraftfahrt-Bundesamtes um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele.
Rz. 7
Der Feststellungsantrag sei auch weitgehend begründet. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte aus den §§ 826, 31 BGB ein Schadensersatzanspruch in Bezug auf Schäden zu, die aus der Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung resultierten. Mit Rücksicht auf die Notwendigkeit des Abzugs von Nutzungsersatz sei der Feststellungsausspruch jedoch insoweit klarstellend einzuschränken.
Rz. 8
Der Klägerin stehe gemäß §§ 826, 249 BGB auch im geltend gemachten Umfang ein Anspruch auf Freistellung hinsichtlich der durch die Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu, weil es sich insofern um Kosten handele, die aus Sicht der Geschädigten zur Wahrnehmung ihrer Rechte erforderlich und zweckmäßig gewesen seien. Im Hinblick auf die Komplexität der Sach- und Rechtslage, die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung der Instanzgerichte und eine fehlende vollumfängliche Klärung durch den Bundesgerichtshof sei die Beauftragung eines Rechtsanwalts gerechtfertigt gewesen.
Rz. 9
Auch soweit die Klägerin weitere Rechtsanwaltskosten geltend mache, weil sie anwaltliche Beratung im Hinblick auf ein Schreiben des Landratsamtes in Anspruch genommen habe, mit dem die Stilllegung des Fahrzeugs angedroht worden sei, weil die Klägerin das Aufspielen des Software-Updates der Beklagten für das streitgegenständliche Fahrzeug bis dahin unterlassen gehabt habe, handele es sich dem Grunde nach um einen nach §§ 826, 249 BGB ersatzfähigen Schaden. Nach der persönlichen Anhörung der Klägerin vor dem Berufungsgericht sei es so gewesen, dass wegen der Stilllegungsandrohung ein Widerspruchsverfahren stattgefunden habe, in dem sie anwaltlich vertreten gewesen sei. Der Widerspruch sei dann zurückgenommen worden. Es sei nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Klägerin daher davon auszugehen, dass es hier nicht allein um eine einfache Frage des augenscheinlich behördlich für notwendig erachteten, von Seiten der Beklagten für die Klägerin kostenfrei gestalteten Aufspielens der Software zur Beseitigung der fehlerhaften Umschaltproblematik gegangen sei. Vielmehr habe Rechtsrat eingeholt werden können zu der Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, wegen des behördlichen Widerspruchsverfahrens an sich und wegen der sich ergebenden weiteren Abwägungsfragen hinsichtlich eines eventuell zusätzlichen Schadens. Der Anspruch sei allerdings nur in Höhe von 411,95 € begründet. Im Übrigen sei die Klage insoweit abzuweisen.
II.
Rz. 10
1. Die zulässige Revision der Beklagten ist überwiegend begründet.
Rz. 11
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der als Hauptantrag gestellte Feststellungsantrag der Klägerin unzulässig.
Rz. 12
aa) Der Feststellungsantrag ist zwar trotz seiner weiten Formulierung bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, lässt er sich unter Heranziehung des Klagevorbringens dahingehend auslegen, dass es um die Ersatzpflicht der Beklagten für Schäden geht, die daraus resultieren, dass die Beklagte im Fahrzeug die vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässig beanstandete Abschalteinrichtung installierte und das Fahrzeug so in den Verkehr brachte (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 12 f.). Entgegen der Ansicht der Revision ist der Feststellungsantrag - und damit auch der entsprechende Ausspruch des Berufungsgerichts - auch nicht deshalb zu unbestimmt, weil ihn die Klägerin - trotz der daneben gestellten Leistungsanträge hinsichtlich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten - nicht ausdrücklich auf den Ersatz weiterer Schäden eingegrenzt hat. Eine entsprechende Einschränkung ergibt sich bei verständiger Auslegung bereits aus dem Inhalt der Klageanträge, die Gefahr einer "doppelten" Verurteilung hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten besteht nicht.
Rz. 13
bb) Der Feststellungsantrag ist jedoch deshalb unzulässig, weil es am erforderlichen Feststellungsinteresse der Klägerin fehlt (vgl. dazu Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 14 ff.). Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht an, das Feststellungsinteresse ergebe sich vorliegend daraus, dass die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen sei.
Rz. 14
Zwar kann, wenn ein Teil des Schadens bei Klageerhebung schon entstanden, die Entstehung weiterer Schäden aber noch zu erwarten ist, der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht begehren, wobei die zu erwartenden Schäden entgegen der Ansicht der Revisionsbegründung nicht wahrscheinlich, sondern nur möglich sein müssen (Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 24-29). Darauf kann die Klägerin, deren Klage auf die "Rückabwicklung" des Erwerbs des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs, also den sogenannten großen Schadensersatz, gerichtet ist, ihr Feststellungsinteresse jedoch nicht stützen. Denn sie hat nicht dargelegt, dass neben der von ihr als Schadensposition geltend gemachten Kaufpreiszahlung und den bereits bezifferten Rechtsanwaltskosten weitere erstattungsfähige Schäden zu befürchten sind (zur diesbezüglichen Darlegungslast vgl. Senat aaO Rn. 28 mwN).
Rz. 15
(1) Die vom Berufungsgericht insoweit angeführten Reparatur- und Inspektionskosten wären als künftig entstehende Aufwendungen, die zu den gewöhnlichen Unterhaltskosten für das Fahrzeug zählen, nicht ersatzfähig (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 32 mwN). Dass die künftige Wertentwicklung des Fahrzeugs die Höhe des klägerischen Schadensersatzanspruches beeinflussen könnte, wie das Berufungsgericht offenbar meint, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Bei Geltendmachung des großen Schadensersatzes spielt die Wertentwicklung des im Wege des Vorteilsausgleichs vom Anspruchsteller zur Verfügung zu stellenden Fahrzeugs keine Rolle (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 58). Soweit das Berufungsgericht schließlich weitere Schäden "in steuerlicher Hinsicht" - ohne nähere Begründung - für möglich hält, fehlt es bereits an Vortrag der Klägerin dazu, auf welcher tatsächlichen Grundlage mit Steuer(nach)forderungen aufgrund der beanstandeten "Manipulation" zu rechnen ist (zum Erfordernis hinreichenden Sachvortrags im Hinblick auf die behauptete Gefahr von Steuerschäden vgl. auch BGH, Urteile vom 2. Juni 2022 - VII ZR 283/20, juris Rn. 19, und - VII ZR 160/21, juris Rn. 16). Ob und inwieweit steuerliche Nachteile aufgrund der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähig, sie insbesondere dem sogenannten negativen Interesse zuzuordnen wären (vom Senat offengelassen im Urteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, VersR 2022, 1184 Rn. 33), bedarf daher auch im Streitfall keiner Entscheidung.
Rz. 16
(2) Soweit sich die Klägerin in ihrer Revisionserwiderung ergänzend auf behauptete nachteilige Folgen des nach Klageerhebung erfolgten Aufspielens des von der Beklagten angebotenen Software-Updates in Form von höherem Kraftstoffverbrauch und verstopfter AGR-Ventile beruft, kann auch damit das erforderliche Feststellungsinteresse nicht begründet werden. Denn diese Folgen wären dem Erfüllungsinteresse der Klägerin zuzuordnen und im Rahmen der deliktischen Haftung nicht ersatzfähig.
Rz. 17
(a) Die deliktische Haftung erfasst nicht das Erfüllungsinteresse oder positive Interesse, weil sie nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft. Sie beschränkt sich vielmehr auf das "Erhaltungsinteresse" (Senatsurteil vom 18. Januar 2011 - VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8) und damit das negative Interesse (Senatsurteil vom 25. November 1997 - VI ZR 402/96, NJW 1998, 983, 984, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 14. Mai 2012 - II ZR 130/10, NJW 2012, 3510 Rn. 7 ff.; Beschluss vom 9. Juni 2020 - VIII ZR 315/19, NJW 2020, 3312 Rn. 25). Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn sie neben einer vertraglichen Schadensersatzpflicht besteht. Der Käufer kann nur von dem Verkäufer Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Die unerlaubte Handlung eines Dritten kann nicht dazu führen, dass dieser haftungsrechtlich wie ein Verkäufer behandelt wird. Der Geschädigte kann von ihm grundsätzlich nicht verlangen, im Ergebnis so gestellt zu werden, wie wenn der Verkäufer den Kaufvertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte (vgl. Senatsurteile vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, ZIP 2021, 1763 Rn. 14 f.; vom 18. Januar 2011 - VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rn. 8-10).
Rz. 18
(b) Die von der Klägerin befürchteten nachteiligen Folgen des Software-Updates sind nach diesen Grundsätzen dem im Rahmen der deliktischen Haftung nicht ersatzfähigen positiven Interesse zuzuordnen. Unabhängig davon, ob diese Schäden unmittelbar aus der ursprünglichen Manipulation der Motorsteuerungssoftware folgen würden oder - nach einem Versuch der "Mangelbeseitigung" durch das Software-Update - nur mittelbar, ginge es bei einem Ersatz dieser Schäden im Ergebnis um einen solchen wegen nicht ordnungsgemäßer (Nach-)Erfüllung, also um den Ersatz von Aufwendungen, die den Kläger gerade aufgrund des Umstandes treffen, dass er Empfänger einer "mangelhaften" Leistung wurde (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 2006 - V ZR 51/05, NJW 2006, 1582 Rn. 24). Diese Schäden kann die Klägerin schon ihrer Art nach von der Beklagten nicht ersetzt verlangen, erst recht nicht - im Wege des sogenannten großen Schadensersatzes - zusätzlich zum Ersatz des bereits eingetretenen Schadens in Form der Kaufpreiszahlung aufgrund des Eingehens einer ungewollten Verbindlichkeit. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Beklagte mit dem Aufspielen des Software-Updates einen eigenständigen Haftungsgrund verwirklicht hätte. Ein solcher wäre aber vom Streitgegenstand des vorliegenden Feststellungsantrags nicht erfasst. Das Berufungsgericht hat aufgrund des Klagevorbringens zu Recht angenommen, dass mit der im Feststellungsantrag genannten "Manipulation" des streitgegenständlichen Fahrzeugs die Verwendung der vom Kraftfahrtbundesamt als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung - also nicht das von der Beklagten später angebotene Software-Update - gemeint ist. Dies wird von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt.
Rz. 19
b) Begründet ist die Revision der Beklagten auch hinsichtlich der erfolgten Verurteilung zur Freistellung der Klägerin von durch die Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Das Berufungsurteil kann in diesem Punkt schon deshalb keinen Bestand haben, weil über diese Nebenforderung nur nach abschließender Entscheidung über die objektive Berechtigung der Hauptforderung befunden werden kann (vgl. Senatsurteil vom 2. November 2021 - VI ZR 731/20, VersR 2022, 252 Rn. 13 mwN) und insoweit vom Berufungsgericht noch über die Hilfsanträge zu entscheiden sein wird. Zudem rügt die Beklagte zu Recht, dass das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit deren außergerichtlichen Vertretung im Verhältnis zur hiesigen Beklagten beauftragt und entsprechend tätig wurde.
Rz. 20
c) Unbegründet ist die Revision der Beklagten dagegen, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Erstattung der von der Klägerin zur Rechtsverteidigung gegen die vom Landratsamt nach Klageerhebung angedrohte Stilllegung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aufgewandten Rechtsanwaltskosten wendet. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin insoweit ein Schadensersatzanspruch nach §§ 826, 31, 249 BGB zusteht, lässt keine Rechtsfehler erkennen.
Rz. 21
aa) Dem Grunde nach steht in Fällen wie dem vorliegenden, in denen vor Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals ein Fahrzeug mit dem Motorentyp EA189 erworben wurde, dessen Abgasreinigung wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung vom Kraftfahrtbundesamt beanstandet worden ist, dem Käufer gegen den Hersteller, hier also der Klägerin gegen die Beklagte, ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach §§ 826, 31 BGB zu (vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.). Die Beklagte macht mit ihrer Revision insoweit auch keine Rechtsfehler geltend.
Rz. 22
bb) Die Bemessung der - hier in Gestalt der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten in Rede stehenden - Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 2. November 2021 - VI ZR 731/20, VersR 2022, 252 Rn. 10 mwN). Das ist hier nicht der Fall:
Rz. 23
(1) Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die für den Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. nur Senatsurteil vom 2. November 2021 - VI ZR 731/20, VersR 2022, 252 Rn. 11 mwN), wobei insoweit die Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation maßgeblich ist (vgl. etwa Senatsurteile vom 26. Mai 2020 - VI ZR 321/19, VersR 2020, 987 Rn. 10; vom 9. April 2019 - VI ZR 89/18, VersR 2019, 953 Rn. 26; jeweils mwN).
Rz. 24
(2) Nach diesen Maßstäben ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Kosten, die der Klägerin durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts im Hinblick auf das vom Landratsamt eingeleitete Stilllegungsverfahren entstanden sind, als im Rahmen des großen Schadensersatzes ersatzfähige Schadensposition angesehen hat.
Rz. 25
(a) Die Androhung der Stilllegung war eine adäquate Folge der haftungsbegründenden Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung. Mit ihr konkretisierte sich das von der Beklagten verursachte Risiko einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung, das bereits bei Abschluss des Kaufvertrages über das bemakelte Fahrzeug zu einem - primären - Schaden des Käufers führte (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44 ff.). Die durch die Konkretisierung oder Verwirklichung des Stilllegungsrisikos verursachten Kosten - hier in Form der Kosten der Rechtsverteidigung gegen die Stilllegung - könnten zwar nicht gesondert neben dem sogenannten kleinen Schadensersatz geltend gemacht werden. Denn sie wären in diesem Fall bereits in die Bemessung des Minderwertes des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses "eingepreist" (vgl. Senatsurteile vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, ZIP 2021, 2553 Rn. 17, 33; vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, ZIP 2021, 1763 Rn. 33 f.). Richtet sich das Klagebegehren wie vorliegend jedoch auf den sogenannten großen Schadensersatz, sind diese Kosten neben dem Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises grundsätzlich eine eigenständig ersatzfähige Schadensposition. Anders als die Beklagte meint, sind Kosten, die auf der Konkretisierung oder Verwirklichung des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung beruhen, rechtlich anders zu behandeln als Aufwendungen, die zu den gewöhnlichen Unterhaltskosten für das Fahrzeug zählen und nach der Senatsrechtsprechung, wie bereits ausgeführt, nicht ersatzfähig sind.
Rz. 26
(b) Zu Recht hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass die Inanspruchnahme von anwaltlicher Beratung bezüglich der angedrohten Stilllegung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus Sicht der Klägerin in ihrer speziellen Situation erforderlich und zweckmäßig war. Die Klägerin musste entscheiden, ob sie die behördliche Anordnung akzeptieren und entweder das von der Beklagten angebotene Software-Update aufspielen lassen oder das Fahrzeug stilllegen sollte. Dabei waren auch die möglichen - rechtlichen - Auswirkungen dieser Entscheidung auf die bereits gegen die Beklagte geltend gemachten Ansprüche und die tatsächlichen - wirtschaftlichen - Folgen von Bedeutung. In dieser komplexen Situation ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Vertretung im behördlichen (Widerspruchs-)Verfahren nachvollziehbar.
Rz. 27
Entgegen der Auffassung der Beklagten steht der Erstattungsfähigkeit der Rechtsanwaltskosten auch nicht entgegen, dass die Klägerin die förmliche Androhung der Stilllegung durch ein rechtzeitiges Aufspielen des Software-Updates hätte vermeiden können. In der Entscheidung der Klägerin, das Software-Update zunächst nicht aufspielen zu lassen, liegt kein anspruchsminderndes oder -ausschließendes Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB, selbst wenn, wie die Beklagte geltend macht, mit dem Update keinerlei negative Auswirkungen verbunden gewesen wären. Denn gerade im Hinblick auf die von der Klägerin nicht ohne weiteres zu beantwortende Frage, ob das Aufspielen der Software für sie mit rechtlichen oder tatsächlichen Nachteilen verbunden sein könnte, war aus Sicht der Geschädigten eine anwaltliche Beratung erforderlich und zweckmäßig.
Rz. 28
(c) Hinsichtlich der vom Berufungsgericht als berechtigt zuerkannten Höhe der Rechtsanwaltskosten erhebt die Beklagte keine Einwendungen. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
Rz. 29
2. Die Revision der Klägerin, die sich gegen den Vorbehalt des Abzugs einer Nutzungsentschädigung im Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts richtet, hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Feststellungsantrag - wie oben dargelegt - unzulässig ist.
III.
Rz. 30
Die angegriffene Entscheidung ist daher im ausgesprochenen Umfang aufzuheben. Hinsichtlich des isolierten Feststellungsantrags (Hauptantrag) ist die Sache zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies gilt nicht für die Hilfsanträge der Klägerin und den Antrag auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Sie macht in zulässiger Weise mit dem Leistungsantrag den großen Schadensersatz geltend und beantragt zusätzlich die Feststellung der Ersatzpflicht weiterer Schäden. Deshalb ist die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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Fundstellen
Haufe-Index 15555050 |
BB 2023, 321 |