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BGH Urteil vom 10.02.1988 - IVa ZR 227/86

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesamtschuldklage eines Miterbengläubigers gegen die übrigen Miterben vor Auseinandersetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Miterbengläubiger ist die Gesamtschuldklage gegen die übrigen Miterben vor der Auseinandersetzung regelmäßig nicht versagt. Mit der Gesamtschuldklage kann er seinen Anspruch gegen die übrigen Miterben aber nur zum Teil durchsetzen, nämlich vermindert um den Anteil, der seiner eigenen Erbquote entspricht. Eine derartige Kürzung kommt dagegen nicht in Betracht, wenn er den ihm gebührenden Betrag von vornherein nur "aus dem Nachlaß" verlangt (§ 2059 Abs. 2 BGB).

 

Normenkette

BGB §§ 2058, 2059 Abs. 2, 1 S. 1, § 2063 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 3. Juni 1986 aufgehoben, soweit die Berufung wegen eines Zahlungsanspruchs in Höhe von 394.627,47 DM nebst Zinsen (306.893,25 DM Grundstücksveräußerungen und 87.734,22 DM Sonderkonto Hafenbau, sowie wegen der hilfsweise geltend gemachten Mieteinnahmen aus dem Objekt Beerenkamp) zurückgewiesen ist, sowie im Kostenpunkt.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger, die Beklagten zu 2) und 3) und ihr nicht am Verfahren beteiligter Bruder Gunther sind die Kinder des am 21. Juni 1980 verstorbenen Erblassers und der Beklagten zu 1). Aufgrund Erbfolge und Nacherbfolge hatten die vier Brüder von ihren Großeltern väterlicherseits erhebliches Vermögen erlangt; an der gesamten Vermögensmasse war ihrem Vater (im folgenden: Erblasser) durch gemeinschaftliches Testament der Großeltern Nießbrauch und Verwaltung eingeräumt. Jeweils nach Erreichen des Volljährigkeitsalters ließ sich der Erblasser von seinen Söhnen umfassende Vollmachten geben, die ihn auch zu rechtsgeschäftlichen Verfügungen zu eigenen Gunsten ermächtigten.

Der Kläger behauptet, der Erblasser habe aufgrund seiner Vollmachten über zahlreiche Grundstücke verfügt, die im Miteigentum der Brüder zu je 1/4 gestanden hätten, und dafür mindestens 1.227.573 DM erlöst. Davon beansprucht der Kläger 306.893,25 DM für sich.

Weiter behauptet der Kläger, der Erblasser habe seinen Söhnen je 20 % eines "Sonderkontos Hafenbau" zugewendet. Diese Beteiligung des Klägers sei in der Vermögenssteuererklärung für 1984 mit 87.734,22 DM ausgewiesen, aber danach ohne sein Wissen aufgelöst worden. Der Erblasser habe ihm eine derartige Zuwendung aber nicht ohne weiteres nachträglich wieder wegnehmen dürfen.

Mit der Klage, soweit sie für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, verlangt der Kläger wegen dieser beiden Posten - hilfsweise wegen 115.000 DM Mieteinnahmen des Erblassers aus dem Objekt Beerenkamp - Zahlung von 394.627,47 DM nebst Zinsen. Dabei stützt er sich darauf, daß die Beklagten und er selbst Miterben des Vaters zu einem Viertel sind (so der gemeinschaftliche Erbschein vom 27. Mai 1983). Landgericht und Oberlandesgericht halten das Begehren für unbegründet. Mit der Revision verfolgt der Kläger diesen Anspruch weiter. Die Beklagten beantragen Zurückweisung der Revision und bitten vorsorglich, ihnen die Beschränkung ihrer Haftung auf ihren jeweiligen Anteil am Nachlaß vorzubehalten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, den Vollmachten, die der Kläger und seine Brüder dem Erblasser erteilt haben, hätten Auftragsverhältnisse zugrunde gelegen, die den Erblasser verpflichteten, das aus der Geschäftsbesorgung Erlangte an die Auftraggeber herauszugeben (§ 667 BGB). Ob sich daraus die eingeklagten Ansprüche auf Zahlung von 306.893,25 DM und von 87.734,22 DM ergeben, prüft es nicht. Da die Herausgabeverpflichtungen des Erblassers mit dessen Tod aber Nachlaßverbindlichkeiten geworden seien (§ 1967 BGB), könne der Kläger seine Ansprüche nur im Rahmen der Erbauseinandersetzung geltend machen; dem kann sich der Senat nicht anschließen.

Richtig ist allerdings, daß das Reichsgericht dem Miterben, der selbst Nachlaßgläubiger ist, die Gesamtschuldklage (§ 2058 BGB) wegen seiner Forderung während des Bestehens der Erbengemeinschaft beständig versagt hat (RGZ 93, 196, 197 f.; RG JW 1929, 584 mit ablehnender Anmerkung von Hallstein; RG LZ 1930 Sp. 117; RG WarnR 1935, 257, 258). Im Innenverhältnis sollen hiernach die übrigen Miterben dem Miterbengläubiger ohne anderslautende testamentarische Anordnung oder Vereinbarung überhaupt nicht als Gesamtschuldner (§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB) haften, sondern nur zu dem ihrer Erbquote entsprechenden Anteil (RGZ 93, 196, 197; RG WarnR 1935, 258). Diese Auffassung hat aber bereits der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone aufgegeben (OGHZ 1, 42, 46 f.; 1, 161, 163). Der Bundesgerichtshof ist der Linie des Reichsgerichts ebenfalls nicht gefolgt (BGH Urteil vom 24.4.1963 - V ZR 16/62 - NJW 1963, 1611 = JZ 1964, 722, 723 mit zustimmender Anmerkung von Bötticher). Auch der erkennende Senat kehrt zu der Auffassung des Reichsgerichts nicht zurück.

Ein Nachlaßgläubiger hat bis zur Teilung des Nachlasses die Wahl, ob er die Miterben als Gesamtschuldner (§ 2058 BGB) in Anspruch nimmt, oder ob er von ihnen (lediglich) die Befriedigung aus dem ungeteilten Nachlaß (sogenannte Gesamthandklage, § 2059 Abs. 2 BGB) verlangt (BGH JZ 1964, 722). Ob er auf die eine oder auf die andere Weise vorgeht, hat unterschiedliche Folgen im Vollstreckungsrecht: Während ein obsiegendes Urteil gemäß § 2059 Abs. 2 BGB dem Gläubiger Zugriff lediglich auf den Nachlaß eröffnet, kann er mit Hilfe von Leistungsurteilen gegen alle Miterben (Gesamtschuldnerhaftung; § 2058 BGB) nicht nur in den Nachlaß (§ 747 ZPO), sondern auch gegen die Miterben persönlich vollstrecken. Das ist freilich, wie das Reichsgericht in JW 1929, 584 zutreffend hervorgehoben hat, von geringer praktischer Bedeutung, weil jeder Miterbe, wenn er von § 780 Abs. 1 ZPO Gebrauch macht, dem Nachlaßgläubiger entgegenhalten kann, daß er nur mit seinem Anteil am (ungeteilten) Nachlaß hafte (§ 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Das alles ist nicht grundsätzlich anders, wenn der Nachlaßgläubiger zugleich auch Miterbe ist (BGH NJW 1963, 1611 f. = JZ 1964, 722 f.). Der Versuch des Reichsgerichts, die gesamtschuldnerische Haftung der Miterben gegenüber einem Miterbengläubiger für die Zeit bis zur Teilung des Nachlasses zurückzudrängen, dient, wie bereits der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone erkannt hat, nur dem Schutz der übrigen Miterben (OGHZ 1, 47). Eines derartigen Schutzes bedarf es aber nicht, weil die in Anspruch genommenen Miterben sich auf die Beschränkung ihrer Haftung (§§ 2059 Abs. 1 Satz 1, 2063 Abs. 2 BGB) berufen können und berufen werden. Tut das ein Miterbe ausnahmsweise nicht, oder ist er - wie in dem Fall OGHZ 1, 42 - sogar leistungsbereit, dann bietet § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB keine geeignete Grundlage, die in § 2058 BGB angeordnete gesamtschuldnerische Haftung der Miterben im Verhältnis zu Miterbengläubigern allgemein in eine Teilhaftung umzuwandeln (vgl. z.B. MünchKomm-Dütz, BGB § 2058 Rdn. 28). Das schließt nicht aus, daß sich der Miterbengläubiger auch bei der Gesamtschuldklage vor der Teilung mit Rücksicht auf seine Doppelstellung im Einzelfall gemäß § 242 BGB auf die Auseinandersetzung verweisen lassen muß, wenn die frühere Geltendmachung der gesamtschuldnerischen Haftung unter besonderen Umständen gegen Treu und Glauben verstieße (RGZ 93, 196, 197; BGH Urteil vom 14.1.1953 - II ZR 20/52 - LM BGB § 2046 Nr. 1); Anhaltspunkte, die in diese Richtung weisen könnten, sind im vorliegenden Fall bislang aber nicht ersichtlich.

Unter diesen Umständen kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

1.

Ob der Kläger gemäß § 2058 BGB oder gemäß § 2059 Abs. 2 BGB vorgehen will, ist nicht ganz klar. Einerseits geht der Berufungsantrag zu 1) auf eine Verurteilung zu gesamtschuldnerischer Zahlung. Andererseits deutet der Antrag zu 3) darauf hin, daß Leistung aus dem Nachlaß gefordert wird. Der Revisionsantrag enthält den Zusatz "als Gesamtschuldner" nicht mehr. Diese Frage wird mit den Parteien zu erörtern sein.

2.

Bei der Fassung der Anträge wird auch zu erwägen sein, daß der Miterbengläubiger zugleich auch Mitschuldner eines etwa mit der Gesamtschuldklage geltend gemachten, auf den ganzen Betrag gehenden Anspruchs ist und daß er daher nach den in RGZ 150, 344 entwickelten Grundsätzen mit der Gesamtschuldklage gemäß § 2058 BGB gegen die Gesamtschuldner persönlich nur zum Teil durchsetzen kann, nämlich vermindert um den Anteil, der seiner eigenen Erbquote entspricht. Eine derartige Kürzung kommt dagegen nicht in Betracht, wenn er den ihm gebührenden Betrag von vornherein ausdrücklich nur "aus dem Nachlaß" verlangt (vgl. MünchKomm-Dütz, BGB § 2059 Rdn. 25; a.M. v. Lübtow, Erbrecht S. 1205 f.). Ein Miterbengläubiger, der Wert auf vollständige Erfüllung seines Anspruchs gegen den Nachlaß legt, wird daher bei ausreichendem Nachlaßvermögen in der Regel gut daran tun, Zahlung ausdrücklich "aus dem Nachlaß" zu verlangen.

Allerdings kommt im vorliegenden Fall die Besonderheit hinzu, daß die gegen den Beklagten zu 2) als Testamentsvollstrecker erhobene Duldungsklage (§ 2213 Abs. 3 BGB) vom Berufungsgericht rechtskräftig abgewiesen ist. Die Rechtskraft dieses Urteils könnte einer sogenannten Gesamthandklage (§ 2059 Abs. 2 BGB) des Klägers im Hinblick auf § 327 Abs. 2 ZPO möglicherweise entgegenstehen, während die Gesamtschuldklage gemäß § 2058 BGB mit ihrer Zielrichtung gegen das Privatvermögen der Beklagten und ihrem anderen Streitgegenstand davon unberührt bliebe. Zwar haben die Beklagten inzwischen beantragt, ihnen die Beschränkung ihrer Haftung auf ihren Anteil am Nachlaß vorzubehalten (§ 780 ZPO in Verb. mit § 2059 Abs. 1 Satz 1 BGB). Aber auch bei einer entsprechenden Beschränkung der Haftung bliebe dem Kläger immer noch die Möglichkeit, mit Hilfe eines Gesamtschuldtitels gegen die Beklagten in deren Erbteile zu vollstrecken; diese unterliegen nicht der Testamentsvollstreckung.

 

Unterschriften

Dr. Hoegen

Dr. Lang

Dehner

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. v. Ungern-Sternberg

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456187

NJW 1988, 1976

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