Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückerstattung von Versicherungsprämien. Nachversicherungsschein. Nicht genehmigte Vertragsänderungen
Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an eine Genehmigung von Vertragsänderungen in Nachtragsversicherungsscheinen
Normenkette
VVG § 5 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 21.11.2000) |
LG München I |
Tenor
Auf die Revision des Klägers und die Anschlussrevision der Beklagten wird das Urteil des 25. Zivilsenats des OLG München v. 21.11.2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rückerstattung von Versicherungsprämien.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der früheren Klägerin (im Folgenden: Schuldnerin), nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss des AG Augsburg v. 30.5.2001. Er begehrt von der Beklagten Rückzahlung von Versicherungsprämien, welche die Schuldnerin über den Zeitraum des Bestehens einer Bauträger-Betriebshaftpflichtversicherung v. 1.4.1988 bis 31.12.1996 an die Beklagte entrichtet hat. Zwischen den Parteien besteht Streit über die Bemessungsgrundlage der Versicherungsprämien. Der Kläger trägt vor, die geschuldete Jahresprämie habe 0,2 Promille der Jahresbausumme zzgl. gesetzlicher Versicherungssteuer betragen, eine Mindestprämie sei nicht vereinbart worden. Nach dem Vortrag der Beklagten habe die geschuldete Jahresprämie sich hingegen auf 0,2 Promille der Jahresumsatzsumme - mindestens aber auf 30.000 DM - zzgl. gesetzlicher Versicherungssteuer belaufen. Die Schuldnerin hat an die Beklagte Versicherungsprämien i. H. v. 323.664,36 DM entrichtet. Bei einer Prämienberechnung nach der Jahresbausumme hätte die Schuldnerin nach Ansicht des Klägers jedoch lediglich Prämien i. H. v. 160.599,41 DM an die Beklagte entrichten müssen. Den Differenzbetrag i. H. v. 163.064,95 DM = 83.373,78 EUR (zzgl. Zinsen) fordert er mit der Klage zurück.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr i. H. v. 70.709,15 DM = 36.153,01 EUR (zzgl. Zinsen) stattgegeben; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Soweit das Berufungsgericht der Klage stattgegeben hat, erhebt die Beklagte Anschlussrevision und wendet sich gegen ihre Verurteilung insgesamt.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsmittel haben Erfolg und führen zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Rückforderungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 (1. Alt.) BGB für das erste Versicherungsjahr 1988/89 sowie für die Versicherungsjahre 1991/92, 1995 und 1996 in - unstreitiger - Höhe von insgesamt 70.709,15 DM für begründet erachtet und der Klage insoweit stattgegeben. Dabei ist es davon ausgegangen, dass dem Versicherungsvertrag die vertraglichen Vereinbarungen zu Grunde zu legen seien, wie sie die Klägerseite vorgelegt hat. Danach ist unter Ziff. 9.1 bestimmt, dass die Prämienberechnung nach der Jahresbausumme - ohne Mindestprämie - zu erfolgen habe. Diese Prämienbemessungsgrundlage habe für die vorgenannten Jahre keine Änderung erfahren. Eine ggü. dieser schriftlichen Vereinbarung vorrangige Individualabrede dahin, dass von der Jahresumsatzsumme auszugehen sei, habe die Beklagte nicht hinreichend vorgetragen.
Für die Versicherungsjahre 1989/90, 1990/91, 1992, 1993 und 1994 hat das Berufungsgericht das Bestehen eines Rückforderungsanspruchs hingegen mit der Begründung verneint, dass die Beitragszahlungen für diese Zeit ihre Rechtsgrundlage fänden in entsprechenden Nachträgen zum Versicherungsschein, durch welche die Prämienbemessungsgrundlage für das jeweilige Versicherungsjahr wirksam gem. § 5 Abs. 1 und 2 VVG auf den Jahresumsatz und für das Versicherungsjahr 1994 auf eine Mindestprämie umgestellt worden sei. Die vorgenommenen Beitragsänderungen seien wirksam, weil die Schuldnerin in den Nachträgen jeweils eine den Anforderungen des § 5 Abs. 2 S. 1 VVG genügende Belehrung erhalten habe, auf die Änderungen besonders aufmerksam gemacht worden sei und ihnen nicht widersprochen habe.
II. Dagegen wenden sich beide Parteien mit Recht.
1. a) Die Beklagte rügt mit ihrer Anschlussrevision einen Verfahrensfehler des Berufungsgerichts: Der Vortrag der Beklagten, zwischen den Parteien sei bereits vor Übersendung eines Versicherungsscheins als Grundlage für die Prämienberechnung die Jahresumsatzsumme vereinbart worden, habe dem LG für eine Beweiserhebung ausgereicht. Auf der Grundlage einer Vernehmung des von der Beklagten als Zeugen benannten Versicherungsangestellten und einer Würdigung der mit dem Zeugen erörterten schriftlichen Vertragsunterlagen sei es in seinem Urteil zu dem Ergebnis gelangt, die Parteien hätten als Prämienberechnungsgrundlage die Jahresumsatzsumme sowie eine jährliche Mindestprämie von 30.000 DM vereinbart; soweit der ursprüngliche Versicherungsschein davon abweiche, ergäben die dortigen Angaben keinen Sinn. Danach habe das Berufungsgericht nicht ohne erneute Vernehmung dieses Zeugen die Auffassung vertreten dürfen, eine vertragliche Vereinbarung, der Prämienberechnung die Jahresumsatzsumme zu Grunde zu legen, sei der landgerichtlichen Aussage des Zeugen nicht zu entnehmen.
b) Dem ist zuzustimmen.
Zwar weist das Berufungsgericht darauf hin, dass die Schuldnerin dem ihr übersandten Versicherungsschein und den beigefügten Bedingungen nicht widersprochen habe; darin ist unter 9.1 vorgesehen, dass die Prämienberechnung nach der Jahresbausumme erfolge. Diese wird unter 9.2 mit 150.000 DM angegeben; die Jahresprämie sollte dem Wortlaut nach 0,2 Promille davon betragen. Als Nettobetrag der Prämie wird an dieser Stelle aber nicht der sich danach rechnerisch ergebende Betrag von 30 DM, sondern ein Beitrag von 30.000 DM angegeben. Das sind 0,2 Promille der von der Schuldnerin unstreitig als Jahresumsatz angegebenen 150.000.000 DM. Im Hinblick auf diesen in sich widersprüchlichen Text ist trotz des Schweigens der Schuldnerin auf die Übersendung des Versicherungsscheins mit diesen Bedingungen nicht ausgeschlossen, dass die Parteien bei den Vertragsverhandlungen tatsächlich übereinstimmend von einer Bemessung der Prämie auf 0,2 Promille der Jahresumsatzsumme ausgegangen sind. Wenn dies der Fall war, konnte die Schuldnerin auch die ihr zugesandten Vertragsunterlagen nicht anders verstehen. Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH ist - unabhängig von der Regelung des § 5 VVG - der wahre Wille der Erklärenden maßgebend, wenn der Erklärungsempfänger erkannt hat, was der irrtümlich Erklärende in Wahrheit gewollt hat (BGH, Urt. v. 22.2.1995 - IV ZR 58/94, MDR 1995, 1207 = VersR 1995, 648, unter 2).
Da das LG nach Vernehmung des Versicherungsangestellten die Überzeugung gewonnen hat, dass ungeachtet unzutreffender Angaben in den schriftlichen Unterlagen eine Prämienberechnung auf der Grundlage der Jahresumsatzsumme vereinbart worden sei, hätte das Berufungsgericht die protokollierte Aussage des Zeugen nicht anders verstehen oder ihr ein anderes Gewicht beimessen dürfen, ohne den Zeugen noch einmal zu vernehmen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 28.3.2003 - V ZR 47/02, BGHReport 2003, 1109 m. w. N.).
2. Gelangt das Berufungsgericht nach Vernehmung des Zeugen und erneuter Beweiswürdigung wiederum zu dem Ergebnis, dass für die Prämienberechnung nach den ursprünglichen Vertragsgrundlagen die Jahresbausumme maßgebend sein sollte, bleibt zu prüfen, ob auf Grund späterer Nachträge zum Versicherungsschein jedenfalls für diejenigen Jahre von der Jahrsumsatzsumme bzw. einer Mindestprämie auszugehen ist, für die das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hat. Auch insoweit kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben.
Nachträge fallen ebenso wie die ursprüngliche Police unter den Begriff des Versicherungsscheins i. S. v. § 5 Abs. 1 VVG (vgl. BGH, Urt. v. 9.12.1965 - II ZR 165/63, VersR 1966, 129, unter II; OLG Hamm v. 10.6.1992 - 20 U 376/91, OLGReport Hamm 1993, 25 = VersR 1993, 169 f.; Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 5 Rz. 2; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 5 Rz. 1; Schwintowski, BK, § 5 VVG Rz. 5; Bruck/Möller, VVG, 8. Aufl., § 5 Anm. 4). Die Revision macht mit Recht geltend, dass den Anforderungen des § 5 Abs. 2 VVG in den Nachträgen hier nicht genügt sei, so dass trotz fehlenden Widerspruchs der Schuldnerin Abweichungen vom ursprünglichen Vertrag nicht als genehmigt gelten.
Die von der Beklagten übersandten Nachträge enthalten im Wesentlichen eine Prämienabrechnung sowie folgende Belehrung:
Dieser Nachtrag ist ergänzender Bestandteil des Versicherungsscheins. Für ihn gelten die gleichen allgemeinen und besonderen Bedingungen, sofern sie durch Vorstehendes nicht geändert sind. Falls innerhalb eines Monats nach Empfang dieses Nachtrages Einwendungen gegen dessen Inhalt nicht erhoben werden, gilt er als vom Versicherungsnehmer genehmigt.
Aus den Nachträgen zum Versicherungsschein geht aber weder hervor, ob überhaupt vom ursprünglichen Vertragsinhalt abgewichen werden sollte, noch ist erkennbar, welche Abweichungen im Einzelnen als genehmigt gelten sollten. § 5 Abs. 2 S. 2 Halbs. 2 VVG fordert jedoch ausdrücklich, dass auf die einzelnen Abweichungen besonders aufmerksam zu machen ist. Hat der Versicherer den Versicherungsnehmer auf Abweichungen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit hingewiesen, kann schon deshalb nicht von einer fiktiven Genehmigung nach § 5 Abs. 2 S. 1 VVG ausgegangen werden.
Zwar ist in den dem jeweiligen Nachtrag zum Versicherungsschein beigefügten Prämienrechnungen u. a. von der (Jahres-)Umsatzsumme oder von einer Mindestprämie die Rede. Die Beklagte hat aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass auf diesem Wege dem Versicherungsnehmer nachteilige Abweichungen von dem früher geltenden Berechnungsmodus vereinbart werden sollten. Sie hat auch nicht an anderer Stelle klargestellt, dass mit der Verwendung neuer Begriffe aus Anlass der Inrechnungstellung von Versicherungsprämien eine Änderung der Prämienbemessungsgrundlage zum Nachteil der Schuldnerin verbunden sein sollte. Mithin kommt hier eine Genehmigung schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte in den Nachträgen zum Versicherungsschein auf Änderungen der vereinbarten Grundlagen für die Prämienberechnung nicht hinreichend aufmerksam gemacht hat.
3. Weiter gehende Ansprüche des Klägers, sofern sie überhaupt bestehen, sind jedenfalls nicht wegen Leistung in Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 BGB) noch wegen Verjährung (§ 12 Abs. 1 VVG) ausgeschlossen.
a) Nach § 814 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (siehe etwa BGH v. 28.11.1990 - XII ZR 130/89, BGHZ 113, 62 [70] = MDR 1991, 533; Urt. v. 7.5.1997 - IV ZR 35/96, MDR 1997, 738 = NJW 1997, 2381, unter II 4a) schließt diese Vorschrift eine Kondiktion erst aus, wenn der Leistende im Zeitpunkt der Leistung nicht nur die Tatumstände kennt, aus denen sich ergibt, dass er nicht verpflichtet ist, sondern auch weiß, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. Hierzu hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass sich eine Kenntnis der Schuldnerin von der wahren Rechtslage nicht feststellen lasse. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Schuldnerin wissentlich überhöhte Versicherungsprämien an die Beklagte entrichtet hat.
b) Nach § 12 Abs. 1 S. 1 VVG verjähren die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in zwei Jahren, bei der Lebensversicherung in fünf Jahren. Ob Ansprüche auf Rückzahlung zu viel gezahlter Versicherungsprämien unter § 12 Abs. 1 S. 1 VVG fallen, ist umstritten. Teilweise werden Ansprüche auf Rückzahlung unverdienter Prämie zu den Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag gerechnet (RG JW 1938, 876; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 12 Rz. 6). Teilweise werden sie aber auch dem gesetzlichen Schuldverhältnis der ungerechtfertigten Bereicherung zugeordnet (OLG Düsseldorf v. 14.5.1991 - 4 U 156/90, MDR 1991, 1041 = VersR 1992, 557), auf welches die kurze Verjährungsfrist des § 12 Abs. 1 S. 1 VVG keine Anwendung findet (BGH BGHZ 32, 13 [15 ff.]; Urt. v. 26.3.1992 - IV ZR 339/90, MDR 1992, 1038 = VersR 1992, 479, unter II 3a). Die Entscheidung ist danach zu treffen, ob der Rückzahlungsanspruch im Versicherungsvertrag - insb. in einer Satzung, in Allgemeinen Versicherungsbedingungen oder im Wege ergänzender Vertragsauslegung - eine vertragliche Ausgestaltung erfahren hat oder nicht (vgl. BGH, Urt. v. 25.10.1989 - IVa ZR 221/88, MDR 1990, 319 = VersR 1990, 189; Urt. v. 18.9.1991 - IV ZR 233/90, VersR 1991, 1357, unter II 4; und v. 26.2.1992 - IV ZR 339/90, MDR 1992, 1038 = VersR 1992, 479, unter II 3a und b). Im erstgenannten Fall handelt es sich um einen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag, der nach § 12 Abs. 1 VVG verjährt, im zuletzt genannten Fall liegt ein gesetzlicher Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung vor, auf den die Verjährungsvorschriften des BGB Anwendung finden.
Hier haben die in Rede stehenden Rückzahlungsansprüche keine vertragliche Ausgestaltung erfahren. Auch in § 8 AHB, der Vertragsbestandteil geworden ist, findet sich keine Regelung eines Rückzahlungsanspruchs wegen zu viel gezahlter Versicherungsprämien, obschon diese Bestimmung (u. a.) mit dem Wort "Prämienrückerstattung" überschrieben ist. Die Ansprüche des Klägers unterliegen deshalb der Regelverjährung des § 195 BGB a. F. und sind noch nicht verjährt.
4. Soweit das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangen sollte, dass die Prämie nach der Jahresbausumme zu berechnen war, wird es sich mit dem von der Beklagten geltend gemachten Einwand der Verwirkung auseinander zu setzen und, falls dieser Einwand nicht durchgreift, auch Feststellungen zur Höhe der Jahresbausumme und der danach geschuldeten Prämien zu treffen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1150566 |
BGHR 2004, 1009 |
NJW-RR 2004, 892 |
MDR 2004, 938 |
VersR 2004, 893 |
ZfS 2004, 319 |