Leitsatz (amtlich)
›a) Der Tatrichter muß auf die Aufklärung von Widersprüchen zwischen mehreren Sachverständigen wie auch innerhalb eines einzelnen Sachverständigengutachtens hinwirken.
b) Will der Tatrichter in einer medizinischen Frage seine Beurteilung allein auf die Auswertung von Fachliteratur stützen, so muß er darlegen, daß er die hierfür erforderliche Sachkunde besitzt.‹
Tatbestand
Die Kläger nehmen den zu 1) beklagten Rechtsanwalt - im folgenden: Beklagter - auf Schadensersatz in Anspruch, weil er fehlerhaft Schadensersatzforderungen habe verjähren lassen, die ihnen durch den Tod von Frau L. nach einer operationsbedingten Infektion entstanden seien.
Frau L. war die Ehefrau des Klägers zu 1) und die Mutter der Kläger zu 2) und 3), zugleich Schwester des Beklagten und Schwägerin der früheren Beklagten zu 2). Bei der von den Ärzten Dr. E. und Dr. B. in der Klinik G. GmbH in B. durchgeführten Operation vom 6. September 1983 war ihr wegen des Verdachts auf chronische Blinddarmentzündung der Blinddarm entfernt worden. Die postoperative Betreuung erfolgte durch Dr. E. Nachdem nach der Operation zunächst Temperatur und Pulsfrequenz angestiegen waren und Frau L. über Rückenschmerzen geklagt hatte, verschlechterte sich ihr Zustand in der Nacht vom 10. zum 11. September 1983 so stark, daß Dr. E. ihre Verlegung in das Städtische Klinikum B. veranlaßte, wo Frau L. am 12. September 1983 nachmittags an einem septischen Schock verstarb.
Der Kläger zu 1) hat den Beklagten mit der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen für die Kläger beauftragt. Die im Namen des Klägers zu 2) im Jahr 1989 erhobene Klage ist durch Urteil des Landgerichts wegen Verjährung abgewiesen worden. Die Kläger haben die Auffassung vertreten, der Beklagte habe schuldhaft die Verjährung der Schadensersatzansprüche eintreten lassen und insbesondere den Kläger zu 1) niemals auf die drohende Verjährung hingewiesen. Die Schadensersatzansprüche hätten sich daraus ergeben, daß der Tod von Frau L. auf eine durch die mangelnden hygienischen Verhältnisse in der Klinik verursachte Infektion zurückzuführen sei, bei der Operation elementare hygienische Vorkehrungen nicht getroffen worden seien und die Ärzte nach der Operation den Gesundheitszustand der Patientin falsch beurteilt und zu spät mit lebensrettenden Maßnahmen begonnen hätten.
Die Kläger haben Ersatzansprüche wegen entgangenen Unterhalts geltend gemacht, der Kläger zu 1) daneben auch Ersatz von Beerdigungskosten, und die Feststellung beantragt, daß der Beklagte ihnen zusammen mit seiner Kanzleipartnerin, der früheren Zweitbeklagten, zum Ersatz allen Schadens durch den Verlust von Unterhaltsansprüchen gegen Frau L. verpflichtet sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihre Ansprüche nur noch gegen den Beklagten.
Entscheidungsgründe
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I. Das Berufungsgericht bejaht die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gegen den Beklagten aus positiver Vertragsverletzung des Anwaltsvertrags, weil er nicht rechtzeitig vor Verjährungseintritt Klage erhoben habe. Er könne sich auch nicht darauf berufen, daß die Rechtsschutzversicherung die Deckungszusage verzögert habe und der Kläger zu 1) nicht bereit gewesen sei, einen Kostenvorschuß zu leisten, weil er nicht dargelegt habe, den Kläger zu 1) über das Verjährungsrisiko aufgeklärt zu haben, um ihm damit eine sachgerechte Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob er zur Unterbrechung der Verjährung vorläufig Kosten auf sich nehmen wolle.
Indessen sei den Klägern durch diese Pflichtverletzung kein Schaden entstanden, weil ihnen keine Schadensersatzansprüche gegen die Ärzte Dr. E. und Dr. B. sowie gegen die G. GmbH-Klinik zugestanden hätten. Es könne nämlich nicht festgestellt werden, daß der Tod von Frau L. durch schuldhaftes Verhalten der behandelnden Ärzte oder des Klinikpersonals erfolgt sei. Die Kläger hätten nicht hinreichend dargelegt, daß die Infektion auf mangelnden Hygienemaßnahmen vor oder während der Operation beruhe. Da, wie sie einräumten, auch bei Vornahme eines Einlaufs vor der Operation Keime der Darmflora (wenn auch nur in geringerem Ausmaß) in die Bauchhöhle hätten gelangen können, könne nicht ausgeschlossen werden, daß die später festgestellten Keime auch ohne Sorgfaltsverstoß von Ärzten und Personal eingedrungen seien. Mithin bestehe die ernsthafte Möglichkeit, daß die Infektion nicht durch mangelnde Hygiene verursacht sei. Daß die Infektion ohne äußere Entzündungen zu einem tief in der Bauchhöhle liegenden Abszeß geführt habe, spreche ohnehin gegen die Annahme, daß sie auf Hygienemängel vor oder nach der Operation zurückzuführen sei.
Auch Behandlungsfehler nach der Operation könnten nicht festgestellt werden. Nach den im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten könne nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, daß Dr. E. das Vorliegen einer Infektion früher hätte erkennen können. Der Infektionsherd habe versteckt und von der Operationswunde entfernt gelegen; auch sei die Diagnose durch die außerordentliche Fettleibigkeit der Frau L. erschwert gewesen. Schadensersatzansprüche gegen Dr. E. hätten auch nicht auf die Unterlassung von Laboruntersuchungen gestützt werden können. Selbst wenn solche Untersuchungen hätten vorgenommen werden müssen, lasse sich nicht beweisen, daß ihre Unterlassung für den Tod von Frau L. ursächlich geworden sei. Die Unterlassung von Laboruntersuchungen stelle jedenfalls keinen groben Behandlungsfehler mit der Folge einer Beweislastumkehr dar.
Schließlich treffe auch die Auffassung der Kläger nicht zu, nach der Operation hätten auch ohne deutliche Symptome einer Infektion vorbeugend Breitbandantibiotika verabreicht werden müssen. Der Senat könne diese Frage anhand der von ihm herangezogenen Veröffentlichungen der D. Gesellschaft für Chirurgie selbst dahin beantworten, daß ein Behandlungsfehler dieser Art ausgeschlossen sei. Zwar werde dies, wie weitere herangezogene Fachliteratur zeige, im angelsächsischen Raum teilweise anders gehandhabt. Für die Behandlung im Inland sei jedoch von einer anerkannten Chirurgiepraxis auszugehen, die in den genannten Veröffentlichungen eindeutig dokumentiert sei. Da diese sämtlich erst Jahre nach dem Tod von Frau L. erfolgt seien, komme es auch nicht darauf an, ob sich der Standard seit der letzten Veröffentlichung aus dem Jahr 1990 geändert habe.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht durchweg stand.
1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der Beklagte etwaige Schadensersatzansprüche der Kläger in
schuldhafter Verletzung seiner Anwaltspflichten habe verjähren lassen, wird von der Revision als ihr günstig nicht in Zweifel gezogen. Hiergegen ist auch von Seiten des erkennenden Senats nichts zu erinnern. Nach dem im Revisionsverfahren als richtig zu unterstellenden Klagevortrag war der Beklagte beauftragt worden, Schadensersatzansprüche gegen die Ärzte und die Klinik geltend zu machen. Unter Verletzung seiner Vertragspflicht, vermeidbare Nachteile für - seine Auftraggeber zu verhindern (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 1992 - IX ZR 95/91 - VersR 1992, 827 f. = WM 1992, 742, 743 f.), hat er diese Ansprüche, die sich mangels vertraglicher Beziehung zwischen den Klägern und den Anspruchsgegnern nur aus deliktischer Haftung ergeben konnten und infolgedessen der kurzen Verjährungsfrist des § 852 BGB unterlagen, fahrlässig verjähren lassen. Dabei ist zugunsten der Kläger nach der eine tatsächliche Vermutung begründenden Lebenserfahrung davon auszugehen, daß sie einem Rat des Beklagten, die Verjährung durch rechtzeitige Klageerhebung zu unterbrechen, gefolgt wären (BGH, Urteil vom 6. Februar 1992 - aaO.). Das Berufungsgericht hat jedoch nicht festgestellt, daß ein derartiger Rat oder auch nur ein Hinweis auf die drohende Verjährung erfolgt wäre.
2. Erfolgreich bekämpft die Revision die Auffassung des Berufungsgerichts, daß Schadensersatzansprüche der Kläger aus dem Todesfall auch im Fall ihrer rechtzeitigen Geltendmachung unbegründet gewesen seien. Für die Frage, ob die Kläger in diesem Fall mit ihren Ersatzansprüchen hätten durchdringen können, sind, wie das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkennt, im Anwaltshaftungsprozeß grundsätzlich die für den Vorprozeß geltenden Regeln über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zu beachten (BGH, Urteile vom 2. Juli 1987 - IX ZR 94/86 - NJW 1987, 3255 und vom 28. Juni 1990 - IX ZR 209/89 - NJW-RR 1990, 1241, 1244 m.w.N.). Mithin oblag den Klägern gemäß § 286 ZPO der Beweis dafür, daß der Tod von Frau L. durch schuldhaftes ärztliches Fehlverhalten verursacht worden ist.
Gegen diesen rechtlichen Ausgangspunkt erhebt die Revision keine Bedenken und wendet sich auch nicht mehr dagegen, daß das Berufungsgericht die Ermittlungsakten, welche Gegenstand der Berufungsverhandlung waren, im Weg des Urkundenbeweises verwertet hat. Sie rügt jedoch, daß dem Berufungsgericht bei Verwertung der in diesen Akten enthaltenen Sachverständigengutachten Verfahrensfehler unterlaufen sind.
a) Erfolglos bleibt die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe entgegen § 286 ZPO den Klägervortrag dazu, daß sich durch Unterlassung des an sich gebotenen Einlaufs vor der Operation das Infektionsrisiko erhöht habe, nicht hinreichend gewürdigt und insbesondere das von den Klägern hierzu beantragte Sachverständigengutachten nicht eingeholt. Hierauf kommt es nicht an, weil die Kläger mit der Unterlassung des Einlaufs der Sache nach einen Behandlungsfehler geltend machen und ihnen deshalb der Nachweis obliegt, daß dieser Fehler für den Tod von Frau L. ursächlich war. Diesen Nachweis können sie, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, nicht führen, weil sie einräumen, daß auch bei Durchführung dieser Maßnahme Keime - wenn auch nur in geringerem Umfang - in die Bauchhöhle eingedrungen wären, so daß der unterlassene Einlauf für die Infektion und den hierdurch verursachten Tod von Frau L. nicht ursächlich sein muß. Deshalb kann auch dahinstehen, ob der Beklagte die Unterlassung des Einlaufs rechtzeitig bestritten hat.
b) Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, für die postoperative Phase könne ein ärztlicher Fehler nicht festgestellt werden.
aa) Soweit das Berufungsgericht meint, Dr. E. habe das Vorliegen einer Infektion nicht früher erkennen können, geht es selbst davon aus, daß nach Auffassung aller drei Sachverständiger die bei Frau L. einen Tag nach der Operation aufgetretenen Symptome ungewöhnlich gewesen seien. Die Revision weist mit Recht darauf hin, daß der Sachverständige Prof. Dr. B. einen diagnostischen Fehler der behandelnden Ärzte als unübersehbar bezeichnet und auch Prof. Dr. Pe. die Auffassung vertreten hat, die Symptome seien als erste Anzeichen der beginnenden Katastrophe zu werten gewesen, wobei insbesondere die Pulsbeschleunigung zu vermehrter Wachsamkeit habe mahnen müssen. Damit zeigt die Revision einen Widerspruch zu der vom Berufungsgericht allein herangezogenen Auffassung von Prof. Dr. Pi. auf, daß gleichwohl weiterführende diagnostische Maßnahmen nicht dringend erforderlich gewesen seien. Diesem Widerspruch hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen.
Der erkennende Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß gerade in Arzthaftungsprozessen Äußerungen medizinischer Sachverständiger kritisch auf ihre Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit zu prüfen sind. Das gilt sowohl für Widersprüche zwischen einzelnen Erklärungen desselben Sachverständigen (vgl. etwa Senatsurteile vom 17. September 1985 - VI ZR 12/84 - VersR 1985, 1187, 1188 und vom 7. April 1992 - VI ZR 216/91 - VersR 1992, 747, 748) als auch für Widersprüche zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger (Senatsurteile vom 3. Oktober 1989 - VI ZR 319/88 - VersR 1989, 1296, 1297 und vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93 - Umdruck S. 11). Vorliegend war es bereits veranlaßt, die Beurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. Pi. kritisch zu hinterfragen, soweit er weiterführende diagnostische Maßnahmen nicht für dringend erforderlich gehalten, andererseits aber eingeräumt hat, daß die klinische Untersuchung in Form einer täglichen Wundkontrolle wegen der starken Fettleibigkeit von Frau L. unzureichend sein konnte. Weiter ergeben sich Widersprüche in der Bewertung diagnostischer Versäumnisse zumindest gegenüber dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B., aber auch demjenigen von Prof. Dr. Pe., der die Symptome als deutliches Alarmzeichen gewertet hat.
Diese Bedenken werden auch nicht dadurch ausgeräumt, daß der Sachverständige Prof. Dr. B. als Rechtsmediziner hinsichtlich der Frage, ob ein ärztlicher Sorgfaltsverstoß vorliege, auf die Kompetenz der Chirurgen verwiesen hat und die auf diesem Gebiet tätigen Sachverständigen Prof. Dr. Pe. und Pi. im Ergebnis einen Sorgfaltsverstoß verneint haben. Waren nämlich nach Auffassung aller Sachverständigen, denen das Berufungsgericht sich insoweit anschließt, die Symptome ungewöhnlich, andererseits jedoch auch nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Pi. die Erkenntnismöglichkeiten einer klinischen Untersuchung wegen der Fettleibigkeit von Frau L. stark eingeschränkt, so hätte zumindest diesem Sachverständigen, auf dessen Sachkunde das Berufungsgericht sich ersichtlich in besonderem Maß gestützt hat, unter dem Blickpunkt hinreichender Sachaufklärung Gelegenheit gegeben werden müssen, seinen Standpunkt näher zu erläutern, weshalb gleichwohl weiterführende diagnostische Maßnahmen nicht geboten gewesen seien. Dabei hätte er näher darlegen müssen, weshalb er im Gegensatz zum Sachverständigen Prof. Dr. B. die Unterlassung von Laboruntersuchungen nicht für fehlerhaft gehalten hat, obwohl er eingeräumt hat, daß derartige Untersuchungen das Krankheitsbild bei positiver Aussage der Befunde hätten verdeutlichen können. Daß solche Untersuchungen im Einzelfall enttäuschend sein können, erklärt noch nicht, weshalb außer der möglicherweise unergiebigen täglichen Wundkontrolle trotz der bedenklichen Symptome gar keine weiteren diagnostischen Maßnahmen erforderlich gewesen sein sollen.
bb) Mit Recht rügt die Revision ferner, das Berufungsgericht habe auch der Frage der Ursächlichkeit von Versäumnissen bei der Diagnostik für den Tod von Frau L. weiter nachgehen müssen. Prof. Dr. B. hat die Auffassung vertreten, daß bei rechtzeitiger Diagnose mit großer Wahrscheinlichkeit der Tod von Frau L. vermieden worden wäre. Demgegenüber hat der Sachverständige Prof. Dr. Pe. gemeint, daß - auch bei früherer Diagnose ein anderer Verlauf außerordentlich fraglich gewesen wäre, und der Sachverständige Prof. Dr. Pi. hat die Auffassung vertreten, ein septischer Schock hätte nicht mit Sicherheit vermieden werden können. Bei dieser Sachlage hätte das Berufungsgericht darlegen müssen, weshalb es auch insoweit der Auffassung der Sachverständigen Prof. Dr. Pe. und Pi. gegenüber Prof. Dr. B. den Vorzug gegeben hat (Senatsurteil vom 23. September 1986 - VI ZR 261/85 - VersR 1987, 179, 180), da dieser Sachverständige - wie oben dargelegt - nur wegen der im chirurgischen Bereich zu stellenden Sorgfaltsanforderungen, nicht jedoch auch wegen der Frage der Vermeidbarkeit des Todes von Frau L. an die Kompetenz der Chirurgen verwiesen hat.
Selbst wenn Prof. Dr. B. auch diese Frage der abschließenden Beantwortung der Chirurgen überlassen wollte, begegnet das Berufungsurteil gleichwohl Bedenken. Zwar bedarf es nicht der Einholung des von den Klägern beantragten Gutachtens eines Sachverständigen für medizinische Mikrobiologie und Immunologie, weil das Berufungsgericht schon aufgrund der bisherigen Gutachten verfahrensfehlerfrei davon ausgehen konnte, daß eine Anaerobie-Sepsis häufig letal endet. Auch ergeben, soweit das Berufungsgericht für den Ursachenzusammenhang zwischen unterlassenen diagnostischen Maßnahmen und dem Tod von Frau L. die Zubilligung von Beweiserleichterungen verneint hat, weil die Unterlassung von Laboruntersuchungen nicht als grober Behandlungsfehler zu werten sei, die bisherigen tatrichterlichen Feststellungen keinen Anhaltspunkt für eine abweichende Beurteilung. Die Revision weist jedoch zutreffend darauf hin, daß selbst dann, wenn die erforderliche Ergänzung der Beweisaufnahme nicht zu einer anderen Beurteilung dieser Frage führen sollte, Beweiserleichterungen geboten sein könnten, wenn nämlich eine gebotene Diagnostik in erheblichem Ausmaß unterblieben ist, so daß die erforderlichen Daten zur Aufklärung des Behandlungsverlaufs nicht zur Verfügung stehen (Senatsurteile BGHZ 99, 391, 396 f.; vom 10. November 1987 - VI ZR 39/87 - VersR 1988, 293, 294 und vom 28. Juni 1988 - VI ZR 217/87 - VersR 1989, 80, 81). Das würde allerdings voraussetzen, daß durch die Mängel bei der Befunderhebung die Aufklärung eines immerhin wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs zwischen ärztlichem Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden erschwert worden wäre, was auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellung nicht abschließend beantwortet werden kann.
c) Schließlich sieht die Revision mit Recht einen durchgreifenden Verfahrensfehler darin, daß das Berufungsgericht zum Vortrag der Kläger, auch ohne deutliche Anzeichen einer Infektion hätte vorbeugend ein Breitbandantibiotikum verabreicht werden müssen, nicht das hierzu beantragte Sachverständigengutachten eingeholt, sondern einen Behandlungsfehler ausschließlich aufgrund eigener Würdigung von Fachliteratur verneint hat.
Wie der Senat schon in den Urteilen vom 10. Januar 1984 - VI ZR 122/84 - VersR 1984, 354, 355 und vom 2. März 1993 -aaO. ausgeführt hat, ist der Hinweis auf medizinische Fachliteratur grundsätzlich nicht geeignet, die erforderliche Sachkunde des Gerichts zu begründen, da das Studium derartiger Literatur infolge der notwendigerweise generalisierenden Betrachtungsweise dem medizinischen Laien nur bruchstückhafte Kenntnisse vermitteln kann.
Zwar kann die eigene Unterrichtung anhand der Fachliteratur für den Tatrichter im Einzelfall geboten sein, um etwa ärztliche Gutachten kritisch zu überprüfen. Will er jedoch sein Urteil in einer medizinischen Frage hierauf allein stützen, so muß er darlegen, daß er die für die Auswertung der Fachliteratur erforderliche medizinische Sachkunde besitzt. Daran fehlt es hier. Deshalb ist es verfahrensfehlerhaft, daß das Berufungsgericht aufgrund der von ihm herangezogenen Veröffentlichungen einer bestimmten chirurgischen Gesellschaft zur Auffassung gelangt ist, ein Behandlungsfehler der von den Klägern behaupteten Art könne ausgeschlossen werden, zumal der Hinweis auf weitere, nicht näher bezeichnete Fachliteratur zeigt, daß diese Auffassung jedenfalls im Ausland nicht unumstritten ist. Von daher begegnet es durchgreifenden Bedenken, wenn das Berufungsgericht aufgrund jener Veröffentlichungen von einer anerkannten Chirurgiepraxis im Inland ausgehen will, zumal diese Veröffentlichungen - wie das Berufungsgericht selbst erkennt - erst mehrere Jahre nach dem Tod von Frau L. erfolgt und deshalb für den medizinischen Standard im Jahr 1983 nicht ohne weiteres aussagekräftig sind.
III. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben, soweit ein Anspruch gegen den Beklagten zu 1) verneint worden ist, und die Sache insoweit gemäß § 565 Abs. 1 ZPO zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 2993695 |
NJW 1994, 2419 |
BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Beweisantrag, Ablehnung 13 |
BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Beweiserleichterung 1 |
BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Sachverständigenbeweis 20 |
DRsp I(125)436c-d |
MDR 1994, 890 |
VersR 1994, 984 |