Leitsatz (amtlich)
BNotO §§ 14 Abs. 1, 19 Abs. 1
- Ein Notar, der vor oder während der Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages davon Kenntnis erhält, daß der Verkäufer das Grundstück vor weniger als zwei Jahren erworben hat und die Anschaffungskosten unter dem Verkaufspreis liegen, hat den Verkäufer grundsätzlich auf die Gefahr der Versteuerung eines Spekulationsgewinns hinzuweisen.
- Ein Notar muß die von den Beteiligten eingereichten Unterlagen persönlich zur Kenntnis nehmen, sich über ihren Inhalt unterrichten und diesen – soweit erforderlich – bei der Errichtung der erbetenen Urkunde berücksichtigen.
- Ein Notar darf es nicht dem Büropersonal überlassen zu entscheiden, welche Unterlagen für eine Beurkundung von Bedeutung sein können und welche nicht. Diese Entscheidung muß er sich selbst vorbehalten.
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 06.01.1988) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 6. Januar 1988 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem beklagten Notar Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung, weil er sie nicht auf die Gefahr der Versteuerung eines Spekulationsgewinns hingewiesen habe.
Die Klägerin erwarb von ihrer damals 75 Jahre alten Tante aufgrund Kaufvertrages vom 21. Februar 1983, den der Beklagte beurkundet hatte, ein Hausgrundstück. Als Kaufpreis war eine an die Verkäuferin ab 1. März 1983 auf Lebenszeit zu zahlende Rente von monatlich 500 DM vereinbart. Die Verkäuferin starb im Mai 1983. Mit ebenfalls von dem Beklagten beurkundetem Vertrag vom 29. August 1983 veräußerte die Klägerin das Grundstück an die Eheleute Bö… zu einem Kaufpreis von 160.000 DM. Mit bestandskräftig gewordenem Steuerbescheid vom 15. Oktober 1985 wurde gegen die Klägerin für das Jahr 1983 wegen eines Spekulationsgewinns von 121.893 DM eine Steuermehrzahlung von 56.996,20 DM festgesetzt. Der Betrag wurde von der Klägerin im November 1985 an das Finanzamt gezahlt.
Die Klägerin hat behauptet, ihr Ehemann – der Zeuge Heinrich Jakob O… – habe zur Vorbereitung der Beurkundung des Kaufvertrages vom 29. August 1983 dem Bürovorsteher des Beklagten den notariellen Vertrag vom 21. Februar 1983 vorgelegt.
Die Klägerin hat von dem Beklagten Ersatz der entrichteten Steuermehrzahlung, von Steuerberaterkosten in Höhe von 251,71 DM und 78,76 DM sowie eines aufgrund der Steuerzahlung entstandenen Zinsschadens in Höhe von 9.495,60 DM verlangt und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, 66.822,17 DM nebst 4 % Zinsen aus 57.326,57 DM seit dem 3. Dezember 1985 zu zahlen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht führt aus, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe die Klägerin eine Amtspflichtverletzung des Beklagten nicht bewiesen. Insbesondere habe sie nicht den ihr obliegenden Beweis erbracht, dem Beklagten sei im Zeitpunkt der Beurkundung des Kaufvertrages vom 29. August 1983 noch bewußt gewesen, daß sie das Hausgrundstück erst etwa sechs Monate zuvor erworben habe. Dann aber sei der Beklagte nicht gehalten gewesen, die Klägerin auf die Gefahr der Versteuerung eines Spekulationsgewinns hinzuweisen. Der Notar sei grundsätzlich nicht verpflichtet, den an notariellen Amtshandlungen Beteiligten steuerliche Belehrungen zu erteilen oder nach steuerlich relevanten Vorgängen zu forschen. Einer Beweiserhebung über die Behauptung der Klägerin, ihr Ehemann habe den Vertrag vom 21. Februar 1983 zur Vorbereitung der Beurkundung vom 29. August 1983 dem Bürovorsteher des Beklagten vorgelegt, bedürfe es nicht. Ein Notar hafte bei Fehlern seiner Hilfspersonen nur im Fall eigenen Verschuldens bei der Auswahl oder Überwachung oder wenn er den Bürobetrieb nicht so eingerichtet habe, daß Rechtssuchende vor Schaden bewahrt würden. Diese Haftungsgrundsätze würden verletzt, wenn dem Beklagten eine etwaige Kenntnis seines Bürovorstehers von einem Grundstückserwerb in steuerschädlicher Zeit als eigenes Wissen zugerechnet würde, etwa weil er sein Büro nicht so organisiert habe, daß die (angebliche) Kenntnis des Bürovorstehers rechtzeitig an ihn weitergegeben worden sei. Da der Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, sich Kenntnis von dem Zeitpunkt des ersten Kaufvertrages zu verschaffen, habe sich auch sein Bürovorsteher nicht um die Kenntnis dieser Daten bemühen müssen. Dann aber habe für den Beklagten keine Verpflichtung bestanden, etwa durch eine generelle Betriebsanweisung dafür zu sorgen, daß sein Büropersonal Sachverhalte für das eventuelle Eingreifen von Steuertatbeständen ermittele und ihm solche mitteile.
II.
1. Soweit das Berufungsgericht eine Verpflichtung des Beklagten zur Belehrung über die mögliche Versteuerug eines Spekulationsgewinns deshalb verneint, weil er sich im Zeitpunkt der Beurkundung des Vertrages vom 29. August 1983 an den Vertrag vom 21. Februar 1983 nicht erinnert und mithin keine Kenntnis davon gehabt habe, daß die Klägerin das Hausgrundstück erst wenige Monate zuvor käuflich erworben hatte, läßt das angefochtene Urteil Rechtsfehler nicht erkennen (vgl. BGH; Urt. v. 2. Juni 1981 – VI ZR 148/79, VersR 1981, 1029; Urt. v. 5. Februar 1985 – IX ZR 83/84, VersR 1985, 501, 502). Die Revision greift das Urteil insoweit nicht an.
2. Zuzustimmen ist dem Berufungsgericht auch in der Annahme, der Notar brauche sich eine Kenntnis seines Bürovorstehers von den eine Steuer auslösenden Umständen nicht zurechnen zu lassen. Denn der Bürovorsteher ist – soweit die Erfüllung einer Amtspflicht des Notars in Betracht kommt – weder dessen (Wissens-)Vertreter noch dessen Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe (vgl. RGZ 162, 24, 28; BGH, Urt. v. 4. Oktober 1956 – II ZR 41/55, DNotZ 1958, 33, 34; Urt. v. 25. Juni 1963 – VI ZR 309/62, DNotZ 1964, 434, 435; Urt. v. 3. Februar 1976 – VI ZR 86/74, DNotZ 1976, 506, 508; Arndt, BNotO 2. Aufl. § 19 Anm. II 1.2. = S. 231 f; Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars 2. Aufl. Rdnr. II 111).
3. Rechtlich nicht haltbar ist das Berufungsurteil indessen insoweit, als es der Behauptung der Klägerin, dem Bürovorsteher des Beklagten sei der Kaufvertrag vom 21. Februar 1983 vorgelegt worden, eine rechtserhebliche Bedeutung nicht beimißt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. insbesondere Urt. v. 2. Juni 1981 aaO; Urt. v. 5. Februar 1985 aaO) ist ein Notar aufgrund der ihm obliegenden allgemeinen Betreuungspflicht gehalten, über steuerliche Folgen eines von ihm zu beurkundenden Vertrages aufzuklären oder einem Beteiligten anheim zu geben, sich steuerliche beraten zu lassen, wenn er aufgrund der besonderen Umstände des Falles Anlaß zu der Vermutung haben muß, einem Beteiligten drohe ein Schaden, weil er sich der Gefahr des Entstehens einer besonderen Steuerpflicht nicht bewußt ist. Auf die Möglichkeit der versteuerung eines Spekulationsgewinns (§ 2 Abs. 1 Nr. 7, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 4 EStG), die den Rechtssuchenden weithin unbekannt ist, muß der Notar grundsätzlich hinweisen, wenn er vor oder während der Beurkundung des Kaufvertrages davon Kenntnis erhält, daß der Verkäufer das Grundstück vor weniger als zwei Jahren erworben hat und die Anschaffungskosten unter dem Verkaufspreis liegen. Eine Verletzung der Neutralitätspflicht kann darin nicht gesehen werden.
Im Streitfall hätte der Beklagte diese Kenntnis gehabt, wenn ihm bei der Beurkundung des Vertrages vom 29. August 1983 die Vertragsurkunde vom 21. Februar 1983 vorgelegen und er sich über deren Inhalt unterrichtet hätte. Beides ist zu Lasten des Beklagten anzunehmen, wenn man mit dem Berufungsgericht unterstellt, daß die Urkunde vom 21. Februar 1983 dem Bürovorsteher zur Vorbereitung des Vertrages vom 29. August 1983 von seiten der Klägerin übergeben wurde. In diesem Fall kann der Beklagte sich mit Erfolg weder darauf berufen, ihm persönlich habe die Urkunde vom 21. Februar 1983 nicht vorgelegen, noch darauf, er hätte ihrem Inhalt keine Beachtung geschenkt.
Ein Notar ist kraft seines Amtes verpflichtet, die Einrichtung seines Büros so zu gestalten, daß die Rechtssuchenden vor Schaden bewahrt werden (RGZ 162, 24, 29). So darf er nicht dulden, daß eine Angelegenheit, deren Erledigung – wie etwa die Erteilung von Rechtsrat – das Gesetz dem Notar persönlich übertragen hat, von seinen Angestellten besorgt wird (vgl. RGZ aaO; BGH DNotZ 1958, 33, 37; BGHZ 31, 5, 9; BGH, Urt. v. 14. März 1963 – III ZR 178/61, VersR 1963, 671, 673; Arndt, aaO § 14 Anm. II B 7. = S. 191). Um der ihm obliegenden Verpflichtung zur Erforschung des Willens der Beteiligten und zur Aufklärung des Sachverhalts sowie der daraus resultierenden Belehrungspflicht gerecht werden zu können, ist der Notar gehalten, die von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen persönlich zur Kenntnis zu nehmen, sich über ihren Inhalt zu unterrichten und diesen – soweit erforderlich – bei der Errichtung der erbetenen notariellen Urkunde zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 14. März 1963 aaO). Dieser Verpflichtung kann er nicht gerecht werden, wenn er es unterläßt, durch entsprechende Anweisungen an das Büropersonal und dessen Überwachung dafür Sorge zu tragen, daß von den Beteiligten eingereichte Unterlagen ihm vorgelegt werden (vgl. auch OLG Köln, DNotZ 1975, 369, 370). Der Notar darf es nicht dem Büropersonal überlassen zu entscheiden, welche Unterlagen für eine vorzunehmende Beurkundung von Bedeutung sein können und welche nicht. Diese Entscheidung muß er sich selbst vorbehalten.
Daraus folgt: Sollte der Zeuge O… den Vertrag vom 21. Februar 1983 dem Bürovorsteher überreicht, dieser ihn aber dem Beklagten mangels einer entsprechenden generellen Anweisung nicht vorgelegt haben, läge darin die schuldhafte Verletzung einer dem Beklagten gegenüber der Klägerin obliegenden Amtspflicht. Dies träfe nicht nur zu, wenn die Urkunde vom 21. Februar 1983 bis zum Beurkundungstermin am 29. August 1983 im Büro des Beklagten verblieben wäre, sondern auch dann, wenn – was nach dem Vortrag der Klägerin nicht auszuschließen ist – der Bürovorsteher dem Zeugen O… die Urkunde wieder mitgegeben hätte, nachdem er hieraus die von ihm für nötig gehaltenen Daten, insbesondere die Grundstücksbezeichnungen, in den Entwurf des neuen Vertrages übernommen hatte. Erhebliche Unterschiede zwischen der Nichtvorlage einer im Büro verbliebenen Unterlage an den Notar und der Rückgabe einer Urkunde an einen Beteiligten (dessen Vertreter) vor deren Vorlage an den Notar bestehen grundsätzlich nicht.
4. Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Eine Entscheidung durch das Revisionsgericht in der Sache selbst kommt nicht in Betracht, weil es an ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen fehlt (vgl. § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Insbesondere läßt sich ein Verschulden des Beklagten nicht verneinen. Der Grundsatz, daß dem Notar ein Verschuldensvorwurf regelmäßig nicht zu machen ist, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht sein Verhalten aufgrund sorgfältiger Prüfung des Sachverhalts als objektiv rechtmäßig gebilligt hat (vgl. BGH, Urt. v. 24. Oktober 1985 – IX ZR 91/84, VersR 1986, 444, 446, insoweit in BGHZ 96, 157, 169 nicht abgedruckt), greift hier nicht ein, weil das Berufungsgericht den Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 29. Oktober 1987 – IX ZR 181/86, NJW 1988, 1143, 1144; Urt. v. 6. Oktober 1988 – IX ZR 142/87 – z.V.b.).
5. Das Berufungsgericht wird den von den Parteien angetretenen Zeugenbeweis zu der Behauptung der Klägerin, dem Bürovorsteher des Beklagten sei der Vertrag vom 21. Februar 1983 vorgelegt worden, zu erheben haben. Dies wird – entgegen einer im Berufungsurteil anklingenden Auffassung – nicht deshalb hinfällig, weil der von der Klägerin benannte Zeuge Otterbach bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht lediglich in allgemeiner Form bekundet hat, zur Vorbereitung des notariellen Vertrages vom 29. August 1983 “die Unterlagen” zum Büro des Beklagten gebracht und dort dem Bürovorsteher übergeben zu haben. Das Unterbleiben einer näheren Bezeichnung dieser Unterlagen muß nicht auf mangelnder Kenntnis des Zeugen, sondern kann darauf beruhen, daß die Frage, welche Unterlagen dem Bürovorsteher im einzelnen übergeben wurden, nicht Gegenstand des Beweisthemas war.
Sollte das Berufungsgericht aufgrund der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis kommen, daß der Vertrag vom 21. Februar 1983 dem Bürovorsteher des Beklagten überreicht wurde und dieser mangels einer entsprechenden generellen Anweisung und/oder deren Überwachung davon abgesehen hat, die Urkunde dem Beklagten vorzulegen, wird es sich mit dem Vorbringen des Beklagten zur Kausalität der unterlassenen Belehrung für den geltend gemachten Schaden, zu einem Mitverschulden der Klägerin (vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 2. Juni 1981 aaO) und zur Schadenshöhe zu befassen haben. Dabei wird auch zu prüfen sein, ob es sich bei dem Vertrag vom 21. Februar 1983 um eine gemischte Schenkung handelt (vgl. BGHZ 59, 132; BGH, Urt. v. 27. Mai 1981 – IV a ZR 132/80, NJW 1981, 2458) und wie sich dies auf einen Spekulationsgewinn und die darauf entfallende Steuer auswirkt (vgl. Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer § 23 EStG Anm. 17; Littmann/Grube, Das Einkommensteuerrecht 14. Aufl. § 23 Rdnr. 26).
Unterschriften
Merz, Henkel, Fuchs, Gärtner, Kreft
Fundstellen
Haufe-Index 1384498 |
NJW 1989, 586 |
DNotZ 1989, 452 |
AusR 1989, 38 |