Verfahrensgang
LG Ingolstadt (Urteil vom 31.03.2004) |
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 31. März 2004 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Stafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Davon hat er mehr als neun Monate durch Untersuchungshaft verbüßt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkten Revision. Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung materiellen Rechts. Sie hält die Vollstreckung der Strafe zur Verteidigung der Rechtsordnung für geboten. Die Revision wird vom Generalbundesanwalt vertreten. Er meint, die Annahme einer günstigen Sozialprognose werde nicht durch Tatsachen belegt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts griff der Angeklagte am 14. Juni 2003 der damals 8jährigen Geschädigten in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang im Schwimmbad insgesamt dreimal unter dem Badeanzug an die Scheide.
Der Angeklagte wurde 1995 wegen einer exhibitionistischen Handlung (Tatzeit Oktober 1994) zu einer Geldstrafe und im Jahre 2000 wegen sexueller Handlungen vor einem Kind in vier Fällen (Tatzeiten Februar bis Mai 1999) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Der Therapieweisung im Bewährungsbeschluß folgte er und begab sich ca. ein Jahr lang in eine abgeschlossene psychotherapeutische Behandlung. Wenige Tage vor Ablauf der Bewährungszeit beging er die hier abgeurteilte Tat, nachdem er bereits in den Tagen zuvor Mädchen heimlich beim Umziehen in Schwimmbädern fotografiert und deren nackte Geschlechtsteile aufgenommen hatte.
Die durch einen psychiatrischen Sachverständigen beratene Kammer hat festgestellt, daß beim Angeklagten eine sexuelle Deviation in Form einer heterosexuellen Pädophilie vorliegt, so daß von einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit” auszugehen ist, die jedoch zu keiner Einschränkung der Schuldfähigkeit bei der Tat geführt hat.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Annahme einer günstigen Prognose (§ 56 Abs. 1 StGB) durch das Landgericht begegnet keinen durchgreifenden Bedenken.
Das Landgericht hat die gebotene Gesamtwürdigung vorgenommen und dabei alle wesentlichen negativen sowie positiven Prognosekriterien in seine Würdigung einbezogen (UA S. 20 bis 23). Es kommt bei einer Zusammenschau der Kriterien im Anschluß an den Sachverständigen zu dem Ergebnis, „daß bei dem Angeklagten zwar grundsätzlich ein gewisses Maß an Wiederholungsgefahr gegeben sei, daß jedoch zeitnah nur eine geringe Gefahr neuerlicher Übergriffe zu erwarten sein wird. Das weiterhin bestehende Risiko für eine Wiederholung ähnlicher oder gleichartiger Sexualstraftaten sei gegenwärtig als eher gering anzusehen”. Insoweit geht das Tatgericht von einem zutreffenden Maßstab aus. Die Erwartung im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB setzt nicht eine sichere Gewähr für künftiges straffreies Leben voraus. Ausreichend ist, daß die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens größer ist als diejenige neuer Straftaten (BGH NStZ 1997, 594).
Das Landgericht hat nicht verkannt, daß der Angeklagte die Tat unter offener einschlägiger Bewährung begangen hat und dabei einer handlungsbestimmenden pädophilen, bislang therapieresistenten Sexualpräferenz gefolgt ist. Dabei hat es die Umstände der Tat in jeder Form sowie die Vortaten und das Vorleben des Angeklagten berücksichtigt. Die Tatbegehung während des Laufs einer Bewährungszeit schließt aber die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus (BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15). Bei der prognostischen Gesamtwürdigung der früheren Taten und der neuen Tat hat die dem Sachverständigen folgende Kammer aus den Zeitabständen zwischen ihnen rechtsfehlerfrei geschlossen, daß der Angeklagte seine devianten sexuellen Bedürfnisse über längere Zeiträume ausreichend kontrollieren könne und keine sehr schwere Persönlichkeitsstörung aufweise. Das Landgericht hat maßgeblich darauf abgestellt, daß der Angeklagte mehr als neun Monate Untersuchungshaft verbüßt und dort wegen der Beschuldigung des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes derart negative Erfahrungen gemacht hat, daß er „froh sei, daß er noch lebe”. Diese Erfahrungen haben bei dem Angeklagten zu einer über das Geständnis hinausgehenden in der Hauptverhandlung geäußerten Schuld- und Unrechtseinsicht geführt. Ihm sei klar geworden, welche Folgen derartige Delikte für die kindliche Entwicklung haben können, wenn solche auch im konkreten Fall jedenfalls nicht aktenkundig geworden sind. Er meint, er hätte sich jemandem anvertrauen müssen, um so Hilfe zu erlangen. Das Gericht geht daher davon aus, die erfahrene Untersuchungshaft werde den Angeklagten davon abhalten, wieder auftretenden pädophilen Neigungen nachzugehen, er werde ihnen vielmehr durch Inanspruchnahme fremder Hilfe zu begegnen wissen. Diese Erwägungen zur Nachreifung und Stabilisierung des Angeklagten in der Untersuchungshaft tragen die positive Prognoseentscheidung (vgl. BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 11). Auch die übrigen Schlußfolgerungen des Landgerichts hinsichtlich eines festen Arbeitsplatzes und einer gewissen Aussicht auf eine feste Bindung sind möglich, zwingend brauchen sie nicht zu sein.
2. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB ebenfalls ohne Rechtsfehler bejaht.
Es geht davon aus, daß der Angeklagte aufgrund der in besonderem Maße gezeigten Schuldeinsicht und Reue sich nicht nur – wie nach der letzten Verurteilung – in Therapie begeben werde, wozu er bereit ist und was erneut als Bewährungsweisung erteilt wurde, sondern auch ernsthaft an sich arbeiten werde. Das lasse bei der Gesamtbetrachtung und der positiven Sozialprognose die Bewährungschance noch einmal zulässig erscheinen. Diese Wertung liegt innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, selbst wenn eine zum umgekehrten Ergebnis führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre (BGH NStZ 1981, 389, 390).
3. Entgegen der Auffassung der Revision gebietet auch die Verteidigung der Rechtsordnung nicht die Vollstreckung der erkannten Strafe. Zutreffend geht die Strafkammer davon aus, daß die Möglichkeit der Strafaussetzung keinesfalls für bestimmte Deliktsgruppen – sexueller Mißbrauch von Kindern – generell ausgeschlossen werden kann (BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 2). Mit Rücksicht auf die vom Landgericht angestellten Erwägungen ist auszuschließen, daß durch die Strafaussetzung zur Bewährung im vorliegenden Fall die Rechtstreue der Bevölkerung ernsthaft beeinträchtigt und sie von der Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen wird (BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 7 und 9).
Unterschriften
Wahl, Kolz, Hebenstreit, Elf, Graf
Fundstellen
Haufe-Index 2557548 |
NStZ-RR 2005, 38 |