Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 25.01.2005) |
Tenor
Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 25. Januar 2005 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin. Beide rügen die Verletzung sachlichen Rechts, die Nebenklägerin beanstandet die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten Mord. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
I.
Revision der Nebenklägerin
1. Nach den Feststellungen fügte der Angeklagte der ihm flüchtig bekannten Nebenklägerin nach gemeinsamem erheblichem Alkoholkonsum aus ungeklärter Motivation in deren Wohnung in der Zeit zwischen 12.30/13.00 Uhr und 20.00 Uhr vorsätzlich vielfältige Verletzungen zu, wobei er unter anderem ein Messer und eine leere Weinbrandflasche einsetzte. Das Opfer erlitt massiv blutende Kopfverletzungen und eine 9 cm lange Schnittwunde im oberen Halsbereich, die weit auseinanderklaffte und ebenfalls stark blutete; außerdem trug es durch stumpfe Gewaltanwendung einen Nasenbeinbruch und Prellungen im Augen- und Brustbereich davon. Hilferufe unterband der Angeklagte dadurch, dass er der Frau mittels eines Kopfkissens so lange die Möglichkeit zum Atmen nahm, bis sie bewusstlos wurde und Unterblutungen in der Mundhöhle sowie unter den Ohren erlitt. Während des gesamten Tatgeschehens verlor das Opfer mehrfach das Bewusstsein.
Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt stellte der Angeklagte seine Übergriffe auf die Frau ein. Schließlich erklärte er, er werde ihr nichts mehr tun, und forderte sie auf, ein Bad zu nehmen, was diese aus Angst vor ihm ablehnte. Gegen 20.00 Uhr gelang es der Nebenklägerin, aus der in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung zu fliehen und an einer Wohnungstür zu klingeln; danach brach sie auf einem Treppenabsatz zusammen. Der Angeklagte hatte mittlerweile die Flucht seines Opfers bemerkt und verließ an der am Boden Liegenden vorbeigehend das Haus. Nahezu zeitgleich sorgten Hausbewohner für ärztliche Hilfe, so dass die Nebenklägerin gerettet werden konnte.
2. Das Schwurgericht hat den Angeklagten nur der gefährlichen Körperverletzung und nicht auch, wie angeklagt, des versuchten Mordes für schuldig befunden. Dabei hat es letztlich dahinstehen lassen, ob der Angeklagte – insbesondere beim Zufügen der Schnittverletzung am Hals – mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt habe, da er jedenfalls durch freiwilliges Absehen von weiteren, ihm möglichen Tathandlungen von dem unbeendeten Versuch mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten sei.
3. Diese Würdigung ist, wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das Landgericht konnte die Frage des (bedingten) Tötungsvorsatzes, der bei einer so gefährlichen Gewalthandlung, wie sie ein Schnitt in den Hals darstellt, allerdings nahe liegt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 42), offen lassen, weil es auf Grund einer möglichen Beweiswürdigung einen strafbefreienden Rücktritt von einem etwa vorliegenden Tötungsversuch angenommen hat.
Die Erwägungen, auf Grund derer das Landgericht von einem unbeendeten Versuch ausgegangen ist, von dem der Angeklagte durch bloßes Unterlassen weiterer Tathandlungen zurücktreten konnte, weisen letztlich keinen Rechtsfehler auf. Ein unbeendeter Versuch ist nach ständiger Rechtsprechung dann gegeben, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges rechnet und die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich erscheint (vgl. BGHSt 39, 221, 227 m.w.N.; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 31); ein beendeter Versuch liegt dagegen vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt in seiner subjektiven Vorstellung den Erfolgseintritt für möglich hält (vgl. BGHSt aaO; 31, 170, 171) oder sich – namentlich nach besonders gefährlichen Gewaltanwendungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben – keine Vorstellungen über die Folgen seines Handelns macht (vgl. BGHSt 40, 304 f.).
Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte zu dem Zeitpunkt, als er die Gewalthandlungen einstellte und der Nebenklägerin erklärte, er werde ihr nichts mehr tun, davon ausgegangen ist, sie werde ohnehin an den ihr zugefügten Verletzungen sterben. Es hat dabei berücksichtigt, dass diese Verletzungen nicht so schwerwiegend waren, dass sie unverzüglich oder innerhalb kürzester Frist zum Tode führen mussten, sondern dass die konkrete Gefahr des Todes erst durch den kontinuierlichen Blutverlust eingetreten ist. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass das Landgericht nicht festzustellen vermochte, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des insgesamt etwa siebenstündigen Aufenthalts in der Tatwohnung die einzelnen Verletzungshandlungen vorgenommen wurden. Es hat, wenngleich an anderer Stelle des Urteils, zu Gunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen, dass dieser seinem Opfer alle schweren Verletzungen bereits in der Anfangsphase zugefügt hat [UA 92]. Hiervon ausgehend, hätte der Angeklagte bereits zu einem Zeitpunkt von weiteren Verletzungshandlungen abgesehen, zu dem die Auswirkungen seiner Tat für ihn als medizinischem Laien möglicherweise noch nicht erkennbar waren, weil der lebensgefährliche Blutverlust erst allmählich eintrat. Schließlich kann zwar die Tatsache, dass der Angeklagte sich beim Verlassen des Wohnhauses nicht um das erneut zusammengebrochene Opfer kümmerte, auf eine gewisse Gleichgültigkeit diesem gegenüber hindeuten; den Schluss, er habe sich auch bei und nach Einstellung der Tätlichkeiten aus Gleichgültigkeit keine Vorstellungen über die – möglicherweise tödlichen – Folgen seines vorangegangenen Tuns gemacht, musste das Gericht entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin daraus allerdings nicht ziehen.
Die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts beruht somit auf einer rechtsfehlerfreien Würdigung des festgestellten Sachverhalts durch das Tatgericht. Diese ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, auch wenn eine andere Würdigung möglich gewesen wäre oder sogar näher gelegen hätte.
Entscheidungsgründe
II.
Revision des Angeklagten
Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Seine Revision hat daher ebenfalls keinen Erfolg.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2556940 |
NStZ-RR 2006, 101 |