Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechte eines Wohnungseigentümers bei Verzug mit Zahlung von Beiträgen. Voraussetzung von Ungültigerklärung von Beschlüssen
Leitsatz (amtlich)
a) Ein Wohnungseigentümer, der mit der Zahlung von Beiträgen in Verzug ist, kann deswegen nicht von der Wohnungseigentümerversammlung ausgeschlossen werden; ihm kann auch nicht das Stimmrecht entzogen werden.
b) Die Ungültigerklärung von Beschlüssen scheidet in der Regel aus, wenn feststeht, dass sich ein Beschlussmangel auf das Abstimmungsergebnis nicht ausgewirkt hat; anders verhält es sich jedoch bei schwerwiegenden Eingriffen in den Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte, die dazu führen, dass das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht eines Wohnungseigentümers in gravierender Weise ausgehebelt wird.
Normenkette
WEG § 10 Abs. 2 S. 2, § 23; BGB § 134
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des LG Nürnberg-Fürth vom 17.3.2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Beklagten.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien bilden die im Rubrum näher bezeichnete Wohnungseigentümergemeinschaft. § 10 Nr. 4 der Teilungserklärung (TE) lautet:
"Die Versammlung kann einen Wohnungseigentümer, der mit Zahlungen von Beiträgen länger als einen Monat in Verzug ist, von der Teilnahme an der Eigentümerversammlung und der Abstimmung ausschließen. Der Betroffene hat hierbei kein Stimmrecht. Mit vollständiger Zahlung der Rückstände entfällt die Wirkung obigen Beschlusses."
Rz. 2
Auf der Versammlung vom 11.7.2008 beschlossen die Wohnungseigentümer den Entzug des Stimmrechts und den Ausschluss derjenigen Wohnungseigentümer von der Versammlung, die mit ihren Hausgeldzahlungen mehr als einen Monat in Verzug waren. Aufgrund dessen konnte die Klägerin nicht mehr weiter an der Versammlung teilnehmen. Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen sämtliche Beschlüsse, die auf der Versammlung gefasst wurden. Hierzu vertritt sie die Auffassung, die Entziehung des Stimmrechts und der Ausschluss von der Versammlung seien ebenso nichtig wie die nach ihrem Ausschluss gefassten Beschlüsse. Zumindest aber seien sämtliche Beschlüsse für ungültig zu erklären. Darüber hinaus hat sich die Klägerin gegen Regelungen gewandt, die auf einer vorangegangenen Versammlung der Wohnungseigentümer beschlossen worden waren.
Rz. 3
Das AG hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben und - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - die Nichtigkeit sämtlicher am 11.7.2008 gefassten Beschlüsse festgestellt. Auf die u.a. dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das LG die Klage als unzulässig abgewiesen, soweit sich die Klägerin gegen die Entziehung des Stimmrechts gewandt hat. Die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten (TOP) 4 bis 9, 10.1 und 12 bis 15 hat es für ungültig erklärt. Mit der nur insoweit zugelassenen Revision möchten die Beklagten in dem Umfang der Zulassung eine Klageabweisung erreichen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels. Ihre nicht fristgerecht eingelegte Anschlussrevision hat sie zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass das AG die am 11.7.2008 gefassten Beschlüsse zu TOP 4 bis 9, 10.1 und 12 bis 15 zu Recht beanstandet hat. Allerdings griffen keine Nichtigkeitsgründe ein, so dass die Beschlüsse lediglich für ungültig zu erklären seien. Der Ausschluss der Klägerin sei rechtsfehlerhaft. § 10 Nr. 4 TE sei unwirksam. Akzeptabel sei allenfalls eine Entziehung des Stimmrechts. Der völlige Ausschluss von der Teilnahme an Versammlungen greife in den unantastbaren Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte der Wohnungseigentümer ein. In solchen Fällen komme es nicht darauf an, ob die Beschlüsse auch bei einer Mitwirkung des ausgeschlossenen Mitgliedes die erforderliche Mehrheit gefunden hätten.
II.
Rz. 5
1. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass die nach dem Ausschluss der Klägerin gefassten Beschlüsse zu TOP 4 bis 9, 10.1 und 12 bis 15 keinen Bestand haben können. Dabei kann offen bleiben, ob mit dem AG davon auszugehen ist, dass der rechtswidrige Ausschluss der Klägerin von der Versammlung und der Entzug des Stimmrechts zur Nichtigkeit der ohne die Beteiligung der Klägerin gefassten Beschlüsse führt oder ob dies - so das Berufungsgericht - lediglich deren Anfechtbarkeit begründet. Der Senat hat bereits entschieden, dass eine diesbezügliche Unterscheidung entbehrlich ist, wenn die Klage - wie hier - nach § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (Urt. v. 2.10.2009 - V ZR 235/08, BGHZ 182, 307, 314 ff.).
Rz. 6
a) Die genannten Beschlüsse sind rechtsfehlerhaft zustande gekommen. Das Gesetz weist den Wohnungseigentümern nicht die Befugnis zu, einem Mitglied der Gemeinschaft sein Stimmrecht zu entziehen und diesen wegen Zahlungsverzuges von einer Wohnungseigentümerversammlung auszuschließen. Zwar eröffnet § 10 Nr. 4 TE diese Möglichkeit. Die Regelung ist jedoch nichtig.
Rz. 7
aa) Allerdings lässt das Wohnungseigentumsrecht den Wohnungseigentümern nach § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG weitgehend freie Hand, wie sie ihr Verhältnis untereinander ordnen wollen (st.Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 13.10.2006 - V ZR 289/05, NJW 2007, 213, 2145 m.w.N.). Diese Gestaltungsfreiheit gilt auch dann, wenn der teilende Eigentümer Regelungen der Gemeinschaftsordnung in der Teilungserklärung vorgibt. Schranken für den Inhalt der Gemeinschaftsordnung ergeben sich jedoch aus den Grenzen der Privatautonomie nach §§ 134, 138 BGB (BGH, Beschl. v. 11.11.1986 - V ZB 1/86; BGHZ 99, 90, 93 f.; Merle in Bärmann, WEG, 11. Aufl., § 10 Rz. 104; jeweils m.w.N.). Darüber hinaus unterliegen von dem teilenden Eigentümer einseitig vorgegebene Bestimmungen einer Inhaltskontrolle, bei der lediglich streitig ist, ob die für allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Vorschriften der §§ 307 ff. BGB (früher §§ 9 ff. AGBG) entsprechend anzuwenden sind oder ob sich diese Kontrolle unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls am Maßstab von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auszurichten hat (vgl. dazu BGH BGHZ 151, 164, 173 f. m.w.N. auch zum Streitstand).
Rz. 8
bb) Gemessen daran kann die Regelung der Teilungserklärung keinen Bestand haben. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Gestaltungsfreiheit für Gemeinschaftsordnungen dort endet, wo die personenrechtliche Gemeinschaftsstellung der Wohnungseigentümer ausgehöhlt wird, und dass das mitgliedschaftsrechtliche Element des Wohnungseigentums einen allgemeinen Ausschluss des Wohnungseigentümers vom Stimmrecht verbietet. Hiergegen verstoßende Regelungen sind nach § 134 BGB nichtig (vgl. BGH, Beschl. v. 11.11.1986 - V ZB 1/86, BGHZ 99, 90, 94 m.w.N.). Erst recht ist ein allgemeiner Ausschluss von Versammlungen der Wohnungseigentümer unzulässig, weil dem Mitglied dadurch nicht nur faktisch sein Stimmrecht genommen, sondern ihm darüber hinaus die ebenfalls in den Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte fallende Befugnis abgeschnitten wird, auf die Willensbildung der Gemeinschaft durch Rede und Gegenrede Einfluss zu nehmen (vgl. auch BGH, Urt. v. 13.2.2006 - II ZR 200/04, NJW-RR 2006, 831, 832; Scheel in Hügel/Scheel, Rechtshandbuch WEG, 3. Aufl., Teil 12 Rz. 81 f.). Dasselbe gilt im Grundsatz auch für einen nur vorübergehenden Ausschluss (BayObLG, NZM 1999, 77, 78; LG Regensburg NJW-RR 1991, 1169; LG Stralsund NJW-RR 2005, 313, 314 ff.; Elzer, ZWE 2010, 234, 235; vgl. auch Merle in Bärmann, a.a.O., § 10 Rz. 36; Scheel in Hügel/Scheel, a.a.O.; a.A. für ein Ruhen des Stimmrechts bei Zahlungsverzug wohl BayObLG, NJW 1965, 821, 822; Engelhardt in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 25 WEG Rz. 6; Riecke/Schmid/Riecke, WEG, 3. Aufl., § 25 Rz. 39: Ruhen des Stimmrechts auch bei Vorliegen unverschuldeter Zahlungsrückstände). Ein Eingriff in das Teilnahmerecht ist nur statthaft, wenn auf andere Weise die geordnete Durchführung einer Versammlung nicht gewährleistet werden kann, so etwa, wenn ein Wohnungseigentümer nachhaltig und trotz Androhung des Ausschlusses die Versammlung weiterhin in erheblicher Weise stört (Merle in Bärmann, a.a.O., § 24 Rz. 105 m.w.N.; vgl. auch BGH, Urt. v. 11.11.1965 - II ZR 122/63, BGHZ 44, 245, 251). An dem erforderlichen versammlungsspezifischen Bezug fehlt es indessen, wenn ein Wohnungseigentümer mit der Zahlung von Beiträgen in Verzug ist.
Rz. 9
Eine andere Beurteilung ist auch dann nicht gerechtfertigt, wenn der Beitragsrückstand und die Dauer des Verzuges erheblich sind und der Wohnungseigentümer dadurch in schwerwiegender Weise gegen seine Pflicht verstößt, durch Leistung der auf ihn entfallenden Beiträge an der Sicherung der finanzielle Grundlage der Wohnungseigentümergemeinschaft mitzuwirken. Wie § 25 Abs. 5 Alt. 3 WEG zeigt, tritt ein Verlust des Stimmrechts auch in solchen Fällen erst ein, wenn der betreffende Wohnungseigentümer - anders als hier - unter den strengen Voraussetzungen des § 18 WEG (dazu BGH, Urt. v. 19.1.2007 - V ZR 26/06, BGHZ 170, 369, 372 ff.) rechtskräftig zur Veräußerung seines Wohnungseigentums verurteilt worden ist. Selbst dann bleibt jedoch das Recht auf Teilnahme an Versammlungen bis zur Übertragung des Wohnungseigentums auf den Erwerber bestehen (Merle in Bärmann, a.a.O., § 24 Rz. 62 m.w.N.; Scheel in Hügel/Scheel, a.a.O., Rz. 81).
Rz. 10
b) Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, schlägt der rechtsfehlerhafte Ausschluss der Klägerin auf die nachfolgend gefassten Beschlüsse durch. Zwar scheidet eine Ungültigerklärung in der Regel aus, wenn - wozu hier Feststellungen fehlen - feststeht, dass sich der Beschlussmangel auf das Abstimmungsergebnis nicht ausgewirkt hat (BayObLG NZM 2002, 616; Merle in Bärmann, 11. Aufl., § 23 Rz. 176 u. § 24 Rz. 94 m.w.N.; vgl. auch BGH, Urt. v. 27.3.2009 - V ZR 196/08, NJW 2009, 2132, 2135). Anders verhält es sich jedoch bei schwerwiegenden Verstößen, die dazu führen, dass das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht eines Mitgliedes in gravierender Weise ausgehebelt wird (zum Vereins- und Gesellschaftsrecht vgl. auch BGH, Urt. v. 18.10.2004 - II ZR 250/02, BGHZ 160, 385, 391 f.; Urt. v. 13.2.2006 - II ZR 200/04, NJW-RR 2006, 831, 832; Urt. v. 2.7.2007 - II ZR 111/05, NJW 2008, 69, 73). So liegt es hier. Der Entzug des Stimmrechts und der Ausschluss von der Versammlung der Wohnungseigentümer stellt einen schwerwiegenden Eingriff in den Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte dar, bei dem es nicht darauf ankommt, ob die gefassten Beschlüsse auch bei einer Mitwirkung des (ausgeschlossenen) Mitgliedes die erforderliche Mehrheit gefunden hätten (Merle in Bärmann, 11. Aufl., § 23 Rz. 176 u. § 24 Rz. 94; Elzer, ZWE 2010, 234, 235; a.A. wohl BayObLG, NZM 2002, 616).
Rz. 11
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 Abs. 1, 565 i.V.m. § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Gebrauch gemacht hat.
Fundstellen
Haufe-Index 2620447 |
DStR 2011, 12 |
DStR 2011, 635 |
NJW 2011, 6 |
NJW 2011, 679 |
NWB 2011, 601 |
EBE/BGH 2011, 59 |
MittBayNot 2011, 399 |
NZG 2011, 296 |
NZM 2011, 246 |
WM 2011, 1282 |
ZAP 2011, 288 |
ZMR 2011, 397 |
ZfIR 2011, 321 |
MDR 2011, 414 |
NJ 2011, 5 |
WuM 2011, 125 |
ZWE 2011, 122 |
GuT 2010, 464 |
Info M 2011, 132 |
Info M 2011, 133 |
MietRB 2011, 77 |
MietRB 2011, 78 |
NJW-Spezial 2011, 194 |
NWB direkt 2011, 187 |
RdW 2011, 411 |
BBB 2011, 53 |
IWR 2011, 64 |