Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachehelicher Unterhalt

 

Leitsatz (amtlich)

Der eheangemessene Bedarf eines unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten kann nicht nach generellen Mindestsätzen bemessen werden. Der Senat hält daran fest, daß für die Bedarfsermittlung von einer Quotierung der die ehelichen Lebensverhältnisse prägenden Einkünfte auszugehen ist und zusätzlich nur konkret geltend gemachte trennungsbedingte Mehrkosten berücksichtigt werden können.

 

Normenkette

BGB § 1578 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 26.05.1993)

AG Lübeck

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Senats für Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 26. Mai 1993 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, wie der Beklagte für die Zeit ab dem 1. Juli 1992 zu weiteren Unterhaltsleistungen an die Klägerin verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.

Die 1955 geborene Klägerin und der 1957 geborene Beklagte haben am 2. April 1982 die Ehe geschlossen. Sie ist im Frühjahr 1988 geschieden worden. Das aus der Ehe stammende, im Oktober 1982 geborene gemeinschaftliche Kind wird von der Klägerin betreut; ihr ist die elterliche Sorge übertragen. Der Beklagte zahlt für das Kind Unterhalt, seit dem 1. Juli 1992 in Höhe von monatlich 350 DM.

Der Beklagte ist Postbeamter. Seine jetzige Ehefrau erzielt ein ausreichendes eigenes Einkommen.

Die Klägerin hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie hatte vor der Eheschließung verschiedene Tätigkeiten ausgeübt; während der Ehe war sie nicht erwerbstätig. Nachdem sich die Parteien im Februar 1986 getrennt hatten, arbeitete sie zeitweise halbtags. Im April 1992 begann sie eine dreijährige Ausbildung für eine Tätigkeit in der Beschäftigungs- und Arbeitstherapie. Während dieses ganztags laufenden Lehrgangs erhält sie bis zum 15. Januar 1995 aus öffentlichen Mitteln monatlich 500 DM als „Zuwendung zur Fortbildung und Umschulung von arbeitslosen Frauen”. Der Sohn besucht die Grundschule und wird nach dem Unterricht von den Eltern der Klägerin, die in ihrer Nachbarschaft wohnen, betreut.

Der Beklagte zahlt freiwillig Unterhalt an die Klägerin, seit Januar 1992 in Höhe von monatlich 286 DM. Die Klägerin begehrt darüber hinaus die Zahlung von weiteren 315,50 DM im Monat. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf ihre Berufung hat das Oberlandesgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin vom 1. Januar 1992 bis zum 30. Juni 1992 jeweils monatlich über freiwillig gezahlten Unterhalt von 286 DM hinaus weitere 33,40 DM und für die Zeit ab dem 1. Juli 1992 die beanspruchten weiteren 315,50 DM zu zahlen.

Mit der zugelassenen Revision bekämpft der Beklagte seine Verurteilung für die Zeit ab dem 1. Juli 1992.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Dem Grunde nach hat das Oberlandesgericht der Klägerin einen Unterhaltsanspruch gemäß § 1570 BGB zugebilligt, weil von ihr wegen der Pflege und Erziehung des gemeinschaftlichen Kindes nicht erwartet werden könne, ganztags erwerbstätig zu sein. Daß der im Oktober 1992 10 Jahre alt gewordene Sohn der Parteien zeitweise von den Großeltern betreut werde, ändere nichts. Die Klägerin treffe indessen im Hinblick auf diese günstigen Betreuungsmöglichkeiten und die schon vor dem hier in Frage stehenden Zeitraum von ihr ausgeübten Tätigkeiten die Obliegenheit, jedenfalls halbtags erwerbstätig zu sein. Daran habe sich durch die im April 1992 aufgenommene Ausbildung zur Beschäftigungs- und Arbeitstherapeutin nichts geändert; diese Ausbildung sei ungeeignet, der Klägerin für die Zukunft eine nachhaltigere Einkommens- und Lebenssicherung zu verschaffen als es durch die ihr zuzumutende Ausübung einer Arbeit etwa in der Alten- und Familienpflege der Fall wäre, in denen sie bereits praktische Berufserfahrungen gesammelt habe. Im Hinblick auf die von Anfang an erkennbaren negativen Berufsaussichten nach einer solchen Ausbildung sei es für den Beklagten auch unbillig, während dieser Ausbildungszeit vollen Unterhalt zahlen zu müssen.

Diese Beurteilung, die weitgehend auf einer tatrichterlichen Würdigung beruht, läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Sie wird von der Revision des Beklagten, zu dessen Gunsten sich überdies die Ablehnung eines Anspruchs auf Ausbildungsunterhalt auswirkt, auch nicht angegriffen.

2. Das Berufungsgericht hat den Unterhaltsbedarf der Klägerin für die Zeit ab dem 1. Juli 1992 mit einem Pauschalbetrag von monatlich 1.300 DM angesetzt. Das entspricht den vom Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht angewendeten unterhaltsrechtlichen Leitlinien (Stand 1. Juli 1992, abgedruckt in FamRZ 1992, 907, 909 zu C 3), in denen die Berücksichtigung eines solchen Betrages als notwendiger Bedarf des unterhaltsberechtigten Ehegatten empfohlen wird.

Die Revision macht demgegenüber zu Recht geltend, daß der Ansatz einer solchen Bedarfspauschale nicht im Einklang mit der gesetzlichen Regelung steht (vgl. dazu schon die Senatsurteile vom 25. Januar 1984 – IVb ZR 51/82 – FamRZ 1984, 356, 357 und vom 14. Januar 1987 – IVb ZR 93/85 – FamRZ 1987, 266, 267). Gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt sich das Maß des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats erfordert die Bedarfsermittlung deshalb in jedem Einzelfall eine konkrete Feststellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die bis zum Zeitpunkt der Scheidung den ehelichen Lebensstandard bestimmt haben (vgl. BGHZ 104, 158, 168; zuletzt Urteil vom 27. Januar 1993 – XII ZR 206/91 – FamRZ 1993, 789, 792 unter 2, jeweils m.w.N.). Hat in einem Fall wie dem vorliegenden allein das aus der Erwerbstätigkeit des Unterhaltspflichtigen erzielte Nettoeinkommen die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt, so bildet es auch nach der Scheidung den Ausgangspunkt für die Berechnung des Unterhaltsbedarfs. Nur das, was als verteilungsfähiges Einkommen bis zur Scheidung zu Unterhaltszwecken verwendet werden konnte, kann – gegebenenfalls nach dem rechtlich unbedenklichen Abzug des für ein gemeinschaftliches Kind erforderlichen Unterhaltes (vgl. Senatsurteil vom 25. Februar 1987 – IVb ZR 36/86 – FamRZ 1987, 456) – auch den Maßstab für die Verteilung zwischen den geschiedenen Ehegatten liefern. Dieser Rechtslage entspricht auch im Ausgangspunkt noch die vom Berufungsgericht zunächst angestellte Berechnung, soweit aus dem nach Abzug des Kindesunterhalts verbleibenden anrechnungsfähigen Einkommen des Beklagten in Höhe von 2.298,56 DM der auf die Klägerin entfallende Anteil mit einer Quote von 3/7 in Höhe von 985,10 DM gebildet wird. Dagegen findet die Erhöhung dieses Betrages um über 300 DM auf einen abstrakten tabellarischen Wert von 1.300 DM im Gesetz keine Stütze. Eine Abweichung ist vielmehr nur bei konkreten Feststellungen zu bedarfserhöhenden Umständen – insbesondere zu trennungsbedingten Mehrkosten der Lebensführung – rechtlich zulässig. Der Senat verkennt nicht, daß auch in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien anderer Oberlandesgerichte (Stand jeweils 1. Juli 1992) empfohlen wird, den notwendigen Bedarf eines unterhaltsberechtigten Ehegatten mit dem notwendigen Selbstbehalt eines unterhaltspflichtigen Ehegatten gleichzusetzen. Zumeist wird dabei allerdings der monatliche Eigenbedarf („Existenzminimum”) des Berechtigten ausdrücklich „einschließlich des trennungsbedingten Mehrbedarfs” mit einem festen Regelbedarfssatz angesetzt (z.B. Düsseldorfer Tabelle zu B V – FamRZ 1992, 398, 399; OLG Hamm zu III Nr. 33, FamRZ 1992, 520, 523; OLG Oldenburg zu V 1c – FamRZ 1992, 903, 905; OLG Stuttgart zu II 2 – FamRZ 1992, 1274). Soweit derartige Richtlinien dahin zu verstehen sein sollten, daß es nicht der ausdrücklichen Geltendmachung von konkreten Mehrkosten bedarf, die durch die Trennung unvermeidlich entstanden sind, würden die gleichen Bedenken wie gegenüber den vom Berufungsgericht verwendeten Leitlinien bestehen. Zulässig kann es allenfalls sein, zur Feststellung der behaupteten Mehrkosten – denen gerade unter beengten wirtschaftlichen Verhältnissen besondere Bedeutung zukommt – von der Möglichkeit der Schätzung ihres Umfangs großzügig Gebrauch zu machen (§ 287 ZPO); auf die konkrete Darlegung entsprechender tatsächlicher Voraussetzungen kann indessen nicht verzichtet werden. Dieser Rechtslage entsprechen daher die unterhaltsrechtlichen Leitlinien derjenigen Oberlandesgerichte, in denen empfohlen wird, für die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs von einer Quotierung der die ehelichen Lebensverhältnisse prägenden Einkünfte auszugehen und zusätzlich den konkret festgestellten trennungsbedingten Mehrbedarf zu berücksichtigen (z.B. Kammergericht Berlin zu B 34 bis 36 – FamRZ 1992, 900 ff; OLG Celle zu III 1 – FamRZ 1992, 644, 645; OLG Frankfurt am Main zu III 6 – FamRZ 1992, 773, 775; OLG Köln zu Nr. 12, 13 und 47 – FamRZ 1988, 1241 ff und 1992, 520; OLG München zu 3.1 – FamRZ 1992, 648, 650). Daß auf diese Weise auch ein Unterhaltsbedarf ermittelt werden kann, der unter dem Selbstbehalt eines Unterhaltsverpflichteten gegenüber (volljährigen oder sogar minderjährigen) Kindern liegt, veranlaßt keine Korrektur. Der eheliche Lebensstandard ist grundsätzlich individuell angelegt. Er kann wirtschaftlich über oder unter dem Niveau von Tabellenwerten liegen, die in der Regel auf querschnittlich ermittelten Kosten der allgemeinen Lebensführung beruhen und Besonderheiten daher nicht berücksichtigen. Der Bedarf eines unterhaltsberechtigten Ehegatten kann indessen auch nach der Scheidung je nach den Umständen des Einzelfalles beispielsweise dadurch beeinflußt werden, daß infolge gemeinschaftlichen Wirtschaftens mit anderen Personen – etwa Verwandten – die Generalkosten insbesondere für Wohnen niedriger gehalten werden können als im Falle des Alleinlebens. Die Einsparungen können sogar den als Folge der Trennung zunächst aufgetretenen Mehrbedarf des Berechtigten übersteigen. Inhalt der Unterhaltspflicht gegenüber einem geschiedenen Ehegatten ist es auch nicht, dem Berechtigten unter allen Umständen das sogenannte Existenzminimum zu sichern – das ist notfalls Sache des Sozialhilfeträgers –, sondern nach Maßgabe des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB die Fortsetzung derjenigen – möglicherweise auch engen – Lebensverhältnisse zu ermöglichen, die die Ehe geprägt haben. Davon ist im übrigen das Berufungsgericht bei der Unterhaltsbemessung für die Zeit bis zum 30. Juni 1992 – die nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist – auch selbst zu Recht ausgegangen und hat den Unterhaltsbedarf der Klägerin nach einer Quote mit monatlich 1.004,38 DM errechnet. Damit steht aber in unlösbarem Widerspruch, für die anschließende Zeit einen um fast 300 DM höheren Bedarf anzusetzen, ohne daß sich in den tatsächlichen Verhältnissen etwas geändert hat.

Der vorliegende Fall nötigt nicht zu einer Stellungnahme zu der Frage, ob es in einem echten Mangelfall – der durch die mangelnde Fähigkeit des Unterhaltspflichtigen gekennzeichnet ist, den ungedeckten Unterhaltsbedarf eines oder mehrerer gleichrangiger Unterhaltsberechtigter zu befriedigen – gerechtfertigt wäre, vor einer verhältnismäßigen Kürzung aller Unterhaltsansprüche denjenigen eines geschiedenen Ehegatten auf einen tabellarischen Mindestsatz anzuheben, wenn auch die konkurrierenden Ansprüche anderer Berechtigter, etwa gemeinschaftlicher Kinder, mit Tabellenwerten in die Ausgangsberechnung eingestellt werden. Ein derartiger Mangelfall liegt hier nicht vor, denn der Beklagte ist nach den getroffenen Feststellungen ohne weiteres in der Lage, den infolge eines anzurechnenden eigenen Erwerbseinkommens der Klägerin verbleibenden Unterhaltsanspruch neben dem des gemeinschaftlichen Kindes voll zu decken.

3. Das Berufungsurteil kann danach nicht aufrechterhalten werden, soweit es angefochten ist. Der Senat kann auch nicht abschließend entscheiden. Es ist nicht auszuschließen, daß die Geltendmachung eines trennungsbedingten Mehrbedarfs seitens der Klägerin unterblieben ist, weil sie darauf vertraut hat, entsprechend den Schleswiger Leitlinien ihren Unterhaltsbedarf für die Zeit ab dem 1. Juli 1992 nicht näher darlegen zu müssen, soweit er den tabellarischen Mindestbetrag nicht übersteigt. Ihr muß daher Gelegenheit gegeben werden, dem Tatrichter insoweit ergänzend vorzutragen. Das veranlaßt die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

4. Für die weitere Verhandlung weist der Senat darauf hin, daß die Angriffe der Revision im übrigen unbegründet sind.

a) Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Oberlandesgericht das fiktive Eigeneinkommen, das es der Klägerin in Höhe von monatlich 800 DM zurechnet, nur in Höhe von 685 DM auf ihren eheangemessenen Unterhaltsbedarf angerechnet hat. Es entspricht der Gleichbehandlung der Eheleute, daß auch dem Unterhaltsberechtigten ein sogenannter Erwerbstätigen-Bonus verbleiben muß, wenn sein Einkommen wie hier auf den ermittelten Unterhaltsbedarf angerechnet wird (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 1985 – IVb ZR 31/94 – FamRZ 1985, 908, 910 unter II 2). Daß es sich im vorliegenden Fall um die Berücksichtigung eines nur fiktiven Einkommens handelt, vermag dabei eine unterschiedliche Behandlung nicht zu begründen.

b) Der Auffassung der Revision, vom Nettoeinkommen des Beklagten müßten 5 % zu seinen Gunsten vorweg als Verdienerabzug abgesetzt werden, kann nicht gefolgt werden. Eine derartige Kürzung ist nicht gerechtfertigt, wenn der mit der Berufstätigkeit verbundene Mehraufwand – neben dem Anreiz für die Erwerbstätigkeit – bereits in einer vom Halbteilungsgrundsatz maßvoll abweichenden Bemessung der anteiligen Quote (hier mit 4/7 für den Beklagten) berücksichtigt wird (vgl. Senatsurteil vom 31. Januar 1990 – XII ZR 21/89 – BGHR BGB § 1578 Abs. 1 Satz 1 Unterhaltsbemessung 20 = FamRZ 1990, 979, 981).

c) Ebenfalls erfolglos beanstandet die Revision, daß das Oberlandesgericht auf den Unterhaltsbedarf der Klägerin nicht die Ausbildungszuwendung angerechnet hat, die die Klägerin bis zum 15. Januar 1995 aus öffentlichen Mitteln in Höhe von monatlich 500 DM erhält. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei um eine Zuwendung mit Lohnersatzfunktion handelt, die nicht subsidiär ist und daher als Einkommen des Berechtigten anrechenbar wäre. Denn der monatliche Betrag dieser Leistungen liegt deutlich unter demjenigen, der der Klägerin als Eigeneinkommen ohnehin aus Erwerbstätigkeit fiktiv angerechnet worden ist. Die Ausbildungsbeihilfe kann die Klägerin nur deshalb in Anspruch nehmen, weil sie ihrer Erwerbsobliegenheit tatsächlich nicht nachkommt. Es geht aber nicht an, ihr neben den fiktiven Einkünften aus einer Erwerbstätigkeit die statt dessen real bezogene Ausbildungsbeihilfe zusätzlich anzurechnen.

 

Unterschriften

Blumenrohr, Zysk, Nonnenkamp, Hahne, Gerber

 

Fundstellen

Haufe-Index 1131005

NJW 1995, 963

Nachschlagewerk BGH

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