Entscheidungsstichwort (Thema)

Reduzierung des Trennungsunterhalts durch Haushaltsführung des unterhaltsberechtigten voll erwerbstätigen Ehegatten für einen neuen Partner

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Anrechnung einer Vergütung für Versorgungsleistungen, die der getrenntlebende Ehegatte neben einer Vollzeitbeschäftigung einem neuen Partner erbringt, mit dem er zusammenlebt.

 

Normenkette

BGB §§ 1361, 1577 Abs. 2, § 1361 Abs. 1 S. 1, § 1577 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 03.11.1993)

AG Osnabrück

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats – 2. Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 3. November 1993 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien leben nach fünfjähriger kinderloser Ehe seit Dezember 1992 getrennt. Beide sind – wie schon während ihres Zusammenlebens – voll berufstätig. Seit 1. Juni 1993 lebt die Klägerin mit einem anderen Mann zusammen. Sie begehrt vom Beklagten Trennungsunterhalt, weil dieser ein höheres Einkommen als sie erziele.

Das Amtsgericht – Familiengericht – verurteilte den Beklagten, an die Klägerin ab 1. Dezember 1992 monatlich 249,21 DM zu zahlen. Dabei ging es davon aus, daß die Klägerin 3/7 der Differenz der beiderseitigen Einkünfte als Trennungsunterhalt beanspruchen könne; ein fiktives Einkommen aufgrund des Zusammenlebens mit einem anderen Partner sei ihr nicht anzurechnen, weil sie einer Ganztagsbeschäftigung nachgehe.

Hiergegen legte der Beklagte Berufung ein mit dem Antrag, die Unterhaltsklage für die Zeit ab 1. Juni 1993 abzuweisen. Das Oberlandesgericht wies das Rechtsmittel zurück. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein zweitinstanzliches Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß die Klägerin gemäß § 1361 Abs. 1 Satz 1 BGB den nach den ehelichen Lebensverhältnissen angemessenen Unterhalt verlangen und dieser mit 3/7 der Differenz der beiderseitigen Einkommen bemessen werden kann, ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. etwa Johannsen/Henrich/Voelskow Eherecht 2. Aufl. § 1361 BGB Rdn. 45 m.w.N.) und wird von der Revision auch nicht angegriffen.

2. Daß die Klägerin seit 1. Juni 1993 mit einem anderen Mann zusammenlebt, berührt nach Auffassung des Berufungsgerichts ihren Unterhaltsanspruch nicht. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt: Fiktive Einkünfte für Betreuungsleistungen gegenüber ihrem neuen Lebenspartner seien, soweit sie erbracht würden, deswegen nicht zu berücksichtigen, weil solche Leistungen neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit als „überobligatorisch” anzusehen seien. Soweit sich infolge des Zusammenlebens mit dem neuen Partner ihre Generalunkosten für die allgemeine Lebensführung vermindert haben sollten, sei die auf diese Weise erzielte Ersparnis unterhaltsrechtlich nicht relevant. Denn es bleibe einem Unterhaltsberechtigten unbenommen, durch eine wirtschaftlich günstige Gestaltung seiner Lebensverhältnisse Ersparnisse zu erzielen. Soweit in der Rechtsprechung Abweichendes vertreten werde (Hinweis auf OLG Hamburg FamRZ 1987, 1044, 1045), könne dem nicht gefolgt werden.

Diese Ausführungen vermögen die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu tragen, wie die Revision zu Recht rügt.

a) Das Berufungsgericht hat den Vortrag des Beklagten, daß die Klägerin seit Juni 1993 mit L. in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammenlebt, als wahr unterstellt, ohne dem Beweisangebot der Klägerin nachzugehen, es handle sich ausschließlich um eine Wohngemeinschaft. Daher ist für die Revisionsinstanz davon auszugehen, daß die Klägerin, die in die Wohnung des neuen Partners gezogen ist, diesem auch den Haushalt führt und ihm Versorgungsleistungen erbringt, wie es einer Wirtschaftsgemeinschaft entspricht.

b) Die in diesen Bereich fallenden Leistungen der Klägerin hat das Berufungsgericht als überobligationsmäßig, also unzumutbar, beurteilt, weil die Klägerin daneben voll erwerbstätig sei. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Annahme der Unzumutbarkeit im vorliegenden Zusammenhang nicht schon dann gerechtfertigt ist, wenn nach sonstigen Maßstäben eine Erwerbstätigkeit, etwa wegen Kindesbetreuung oder Alters, unzumutbar wäre; denn Haushaltsarbeit ist erfahrungsgemäß eher mit anderweiten Verpflichtungen vereinbar (vgl. Kalthoener/Büttner, Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 5. Aufl. Rdn. 492). Der Senat hat bereits ausgesprochen, daß die nach ständiger Rechtsprechung anzusetzende Vergütung für Versorgungsleistungen der hier erörterten Art insoweit nicht einem Einkommen aus Erwerbstätigkeit gleichzusetzen ist, daß vielmehr die tatsächliche Übernahme und Ausübung der Versorgungsdienste ein gewichtiges Indiz für deren Zumutbarkeit darstellt (vgl. Urteil vom 20. Mai 1987 – IVb ZR 50/86 – FamRZ 1987, 1011, 1013). Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, daß dann, wenn Betreuungsleistungen in einem eheähnlichen Verhältnis denen in der geschiedenen Ehe entsprechen, es sich nicht um eine unzumutbare Tätigkeit handele (vgl. Soergel/Häberle BGB 12. Aufl. § 1577 Rdn. 12). Es ist daher rechtlich bedenklich, daß das Berufungsgericht im vorliegenden Fall zur Annahme der Unzumutbarkeit gelangt ist, ohne nähere Feststellungen zur Art und Umfang der Versorgungsleistungen sowie zu den näheren Umständen der Erwerbstätigkeit der Klägerin zu treffen.

Jedenfalls hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß auch im Falle der Unzumutbarkeit die Anrechnung der insoweit anzusetzenden Vergütung nicht ohne weiteres vollständig ausscheidet, sondern differenziert gemäß § 1577 Abs. 2 BGB zu beurteilen ist. Diese Vorschrift regelt allgemein die Anrechnung von Einkünften aus unzumutbarer Tätigkeit des Unterhaltsberechtigten (vgl. grundlegend Senatsurteil vom 24. November 1982 – IVb ZR 310/81 – FamRZ 1983, 146). Soweit es sich um die Anrechnung von Vergütungen für nicht zumutbare Versorgungsleistungen der hier erörterten Art handelt, ist die Vorschrift ebenfalls heranzuziehen, und zwar auch im Rahmen des Trennungsunterhalts (vgl. Senatsurteil vom 24. November 1982 a.a.O. S. 149 und vom 20. Mai 1987 aaO; Kalthoener/Büttner aaO; s.a. Erman/Dieckmann BGB 8. Aufl. § 1577 Rdn. 13). Eine Anrechnungsfreiheit nach Satz 1 scheidet aus, weil der Beklagte den vollen Unterhalt leisten kann. Es greift Satz 2 ein, wonach eine Anrechnung insoweit in Betracht kommt, als dies unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Billigkeit entspricht. Die danach erforderliche Billigkeitsabwägung, bei der jede Schematisierung zu vermeiden ist und die nur in seltenen Ausnahmefällen zu einer vollen Anrechnungsfreiheit gelangt (vgl. dazu MünchKomm/Richter 3. Aufl. § 1577 Rdn. 26; BGB-RGRK/Cuny 12. Aufl. § 1577 Rdn. 28), läßt das angefochtene Urteil vermissen. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Umstand, daß der Unterhaltsberechtigte voll berufstätig ist, reicht nicht in jedem Falle aus, um die vollständige Anrechnungsfreiheit zu rechtfertigen (abweichende Stimmen berücksichtigen § 1577 Abs. 2 Satz 2 nicht: OLG Karlsruhe FamRZ 1988, 99, 100; Griesche in FamGB § 1577 Rdn. 13; Schwab/Borth Handbuch des Scheidungsrechts 2. Aufl. Teil IV Rdn. 742). Eine wenigstens teilweise Anrechnung könnten die Grundsätze der Billigkeit hier etwa erfordern, wenn der neue Lebenspartner der Klägerin in gehobenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebte und sie daran teilhaben ließe. Es müßte auf Unverständnis stoßen, wenn sie tatsächlich wirtschaftlich bessergestellt wäre als der Beklagte, gleichwohl aber von ihm noch den ausgeurteilten Aufstockungsunterhalt fordern könnte. Nach dem Sinn des § 1577 Abs. 2 Satz 2 sollen Einkünfte aus unzumutbaren Erwerbsquellen nicht völlig unangetastet bleiben, sondern – bei Sicherung des vollen Unterhalts – in begrenztem Umfang auch zur Entlastung des Unterhaltsschuldners herangezogen werden (vgl. BGB-RGRK/Cuny a.a.O. Rdn. 27).

c) Der Beklagte hat u.a. geltend gemacht, daß die Klägerin durch das Zusammenleben mit ihrem neuen Partner Mietaufwand erspare, ohne daß sich die Klägerin zu diesem Punkt substantiiert eingelassen hätte. Sie hat sich darauf beschränkt, eine Wohngemeinschaft mit L. einzuräumen, durch die aber nach ihrer Darstellung „verbrauchsabhängige Kosten wie Strom, Gas, Wasser oder Telefon nicht erspart” würden. Insbesondere fehlt Vortrag zu der Frage, wie der Mietzins aufgebracht wird. Wenn die Mietzinsen allein von ihrem neuen Partner getragen würden, könnte sie nicht den vollen Unterhalt verlangen, sondern nur einen solchen, der aufgrund der anderweitigen Deckung ihres Wohnbedarfs reduziert ist; auf konkrete Absprachen mit dem Partner zu diesem Punkt oder darauf, ob er den Beklagten zu entlasten gewillt ist, kommt es nicht an (vgl. Senatsurteil vom 23. April 1980 – IVb ZR 527/80 – FamRZ 1980, 665, 668; MünchKomm/Richter a.a.O. § 1577 Rdn. 13; s.a. Senatsurteil vom 8. Dezember 1983 – IVb ZR 331/81 – FamRZ 1983, 150, 152). Da die Darlegungs- und Beweislast für ihre Bedürftigkeit die Klägerin trägt (vgl. Senatsurteile vom 28. November 1990 – XII ZR 1/90 – FamRZ 1991, 670, 673 und vom 30. November 1994 – XII ZR 226/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen; Griesche in FamGB § 1577 Rdn. 17; Göppinger/von Eis Unterhaltsrecht 6. Aufl. Rdn. 1007), treffen sie die nachteiligen Folgen einer insoweit verbleibenden Ungewißheit. Infolgedessen kann sie nach dem bisherigen Sach- und Streitstand auch unter diesem Gesichtspunkt keinen ungekürzten Unterhalt verlangen.

d) Soweit die Revision geltend macht, über die vorstehend behandelten Punkte hinaus müsse eine Ersparnis von Generalunkosten berücksichtigt werden, die durch das Zusammenleben in einer Haushaltsgemeinschaft regelmäßig eintrete (vgl. OLG Hamburg FamRZ 1987, 1044, 1045: regelmäßig 20 bis 25 % der Lebenshaltungskosten), kann dem nicht gefolgt werden. Der nach § 1361 Abs. 1 Satz 1 BGB geschuldete Unterhalt knüpft an das Zusammenleben während der Ehe und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Vorteile an und ist demgemäß in der Regel bereits unter Einschluß dieser Vorteile bemessen. Nur wenn im Einzelfall bei der Bestimmung des Unterhalts sog. trennungsbedingter Mehrbedarf zugebilligt worden ist, wird dieser infolge der Begründung einer Wirtschaftsgemeinschaft mit einem neuen Partner regelmäßig entfallen (ebenso Soergel/Häberle aaO; Griesche in FamGB § 1577 Rdn. 18; FamK-Rolland/Hülsmann § 1577 BGB Rdn. 48; s.a. MünchKomm/Richter a.a.O. § 1578 Rdn. 16 a; Senatsurteil vom 20. Juli 1990 – XII ZR 73/89 – FamRZ 1990, 1085, 1088). Hier ist der Unterhalt der Klägerin im Wege der sog. Differenzmethode bemessen worden, die trennungsbedingten Mehrbedarf eines Ehegatten nicht besonders berücksichtigt (vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 1984 – IVb ZR 43/82 – FamRZ 1984, 358, 360; MünchKomm/Richter aaO). Daher ist es nicht gerechtfertigt, auch unter dem Blickwinkel der Ersparnis von Generalunkosten eine Reduzierung des Unterhalts der Klägerin zu erwägen.

3. Aufgrund der vorstehend unter 2 b) und c) dargelegten rechtlichen Beurteilung kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, weil die Sache erneuter tatrichterlicher Würdigung bedarf. Zu diesem Zwecke ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Soweit rechtliche Gesichtspunkte erstmals im Revisionsverfahren hervorgetreten sind, muß die Klägerin Gelegenheit haben, ihren bisherigen Vortrag gegebenenfalls zu ergänzen.

 

Unterschriften

Blumenröhr, Zysk, Nonnenkamp, Hahne, Gerber

 

Fundstellen

Haufe-Index 1131008

NJW 1995, 962

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