Leitsatz (amtlich)
Der Forderungsübergang nach § 1542 RVO ist bei Schädigungen unter Familienangehörigen, die in häuslicher Gemeinschaft mit dem Versicherten leben, durch den Schutzzweck der Versicherungsleistung in der Art des § 67 Abs. 2 VVG ausgeschlossen.
Normenkette
RVO § 1542
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Urteil vom 04.10.1962) |
LG Freiburg i. Br. |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 4. Oktober 1962 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte fuhr am Morgen des 8. Oktober 1957 im Anschluß an das Kaiserstühler Weinfest in Oberrotweil, bei dem er als Polizeimeister dienstlich eingesetzt gewesen war, mit seinem Volkswagen nach Eichstetten, um in Begleitung seiner Ehefrau zwei ihm bekannte Frauen nach Hause zu bringen. Auf der Rückfahrt von Eichstetten nach Oberrotweil herrschte, wie auch schon auf der Hinfahrt, Nebel, der stellenweise sehr stark war. Gegen 5.45 Uhr geriet der Beklagte in einer Linkskurve vor Oberbergen mit dem Wagen, auf die linke Straßenseite und stieß frontal mit einem entgegenkommenden Personenkraftwagen zusammen. Neben anderen Personen wurde auch die Ehefrau des Beklagten verletzt. Die Klägerin, bei der die Ehefrau des Beklagten pflichtversichert ist, hat 1 018,26 DM für Heilungskosten und Krankengeld aufwenden müssen und mit der Klage Erstattung dieses Betrages vom Beklagten gefordert (§ 1542 RVO). Sie hat diesem vorgeworfen, grob fahrlässig den Unfall verursacht zu haben. Der Beklagte habe nach dreitägigem anstrengendem Dienst übermüdet die unnötige Fahrt angetreten und sei dann am Steuer eingeschlafen.
Der Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten. Er hat bestritten, im übermüdeten Zustand gefahren zu sein. Zwar sei der Dienst beim Weinfest an den vorhergegangenen Tagen anstrengend gewesen, er habe aber vor Antritt der Fahrt vier Stunden in einem Bereitschaftsraum der Polizei geschlafen. Danach habe er sich wieder frisch gefühlt. Er sei nicht am Steuer eingeschlafen. Vielmehr habe er infolge des starken. Nebels die Sicht verloren. Da er die Unfallkurve gekannt und gewußt habe, daß auf deren rechten Seite eine 1½ m tiefe Böschung gewesen sei, habe er, um nicht über die Böschung zu kommen, den Wagen mehr nach links gelenkt. Wegen der schlechten Sicht sei er dann auf die Gegenfahrbahn geraten. Der Beklagte ist der Ansicht, zwischen ihm und seiner Ehefrau sei stillschweigend auf eine Haftung verzichtet worden. Jedenfalls aber stehe die Vorschrift des § 1359 BGB dem Anspruch entgegen.
Die Klägerin ist dieser Auffassung entgegengetreten.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Anspruch weiter.
Entscheidungsgründe
1.) Beide Vorinstanzen nehmen an, daß Eheleute in der Regel stillschweigend auf Schadensersatzansprüche aus fahrlässig zugefügter Körperverletzung verzichten. Das Oberlandesgericht erstreckt den stillschweigenden Verzicht auch auf eine Haftung aus grober Fahrlässigkeit, wenn bei Antritt einer gemeinsamen Autofahrt von Eheleuten Umstände gegeben sind, die es nahe legen, daß ernstere Verkehrsverstöße eines Ehegatten bei der Führung des Wagens vorkommen können (Ermüdung, ungünstige Fahrbedingungen). Das Oberlandesgericht unterläßt daher eine Prüfung, weshalb der Beklagte mit dem Wagen auf die linke Fahrbahnseite gekommen ist und ob ihm eine leichte oder eine schwere Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Für entscheidend sieht es an, daß der Ehefrau des Beklagten Umstände bewußt gewesen seien, die eine Gefährdung nahe gelegt hätten. Sollte nur eine leichte Fahrlässigkeit des Beklagten vorgelegen haben, so ist dieser nach der Auffassung beider Vorurteile auch auf Grund des. § 1359 BGB von der Haftung freigestellt. Die vertragliche oder gesetzliche Haftungsbefreiung des Beklagten ist, wie beide Vorinstanzen annehmen, der Klägerin gegenüber wirksam, die nach § 1542 RVO Ansprüche nur als Rechtsnachfolgerin der Verletzten geltend machen kann.
Daher ist die Klage abgewiesen worden.
2.) Wie die Revision zutreffend rügt, bestehen erhebliche Bedenken, die Haftung des Beklagten gegenüber seiner Ehefrau auf Grund der Annahme eines stillschweigend geschlossenen Vertrags über eine Haftungsfreistellung zu verneinen. Mit beachtlichen Gründen wird darauf hingewiesen, daß es sich bei dieser Annahme um eine recht künstliche, mit dem Mittel der Willensfiktion arbeitende Rechtskonstruktion handelt, deren Ergebnis – die Verneinung der Rechtspflicht zur Wiedergutmachung – überdies fragwürdig sei (vgl. auch das Senatsurteil VI ZR 115/60 vom 14. März 1961 = LM BGB § 254 [Da] Nr. 12 = VersR 196/J, 427; ferner BGHZ 39, 156). Einer Vertiefung dieses Problems bedarf es an dieser Stelle nicht. Auch braucht nicht auf die bestrittene Frage eingegangen zu werden, wie weit sich der Anwendungsbereich des milderen Haftungsmaßstabes des § 1359 BGB erstreckt und ob die Haftungsprivilegierung auch gilt, wenn ein Ehegatte allgemeine Verkehrssorgfaltspflichten verletzt und hierdurch den anderen Ehegatten körperlich geschädigt hat (§ 823 BGB).
Die Revision kann nämlich selbst dann keinen Erfolg haben, wenn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts eine Ersatzpflicht des Beklagten seiner Ehefrau gegenüber auf Grund unerlaubter Handlung zu bejahen ist. Das Ergebnis der Klageabweisung erweist sich aus einem anderen Rechtsgrund als zutreffend (§ 563 ZPO).
3.) Im vorliegendem Fall würde die Anwendung des § 1542 RVO zu dem nach Ansicht des Senats anstößigen Ergebnis führen, daß der Träger der Krankenversicherung den gleichen Betrag vom Ehemann der Versicherten zurückfordern kann, den er dieser kraft gesetzlicher Verpflichtung für Arbeitsausfall und Heilungskosten zahlen muß. Ist die Gewährung der Versicherungsleistung in dieser Art mit einer Schmälerung des Familienunterhalts verknüpft, so erfüllt die Leistung nicht den Versicherungszweck. Die gesetzliche Zwangsversicherung soll nach ihrer sozialen Aufgabe nicht nur den Versicherten selbst vor der durch die Wechselfälle des Lebens bedingten wirtschaftlichen Not sichern, sie soll darüber hinaus auch verhindern, daß der Versicherte infolge Krankheit und Not seiner Familie zur Last fällt. Die gesetzliche Krankenversicherung ist sogar aus sozialen Gründen dahin ausgebaut worden, daß sie auch Familienangehörigen des Versicherten Krankenhilfe gewährt, die nicht einen anderweiten gesetzlichen Anspruch auf Krankenhilfe haben (vgl. § 205 RVO). In dieser Erweiterung der Krankenversicherung kommt der Gedanke des mit ihr bezweckten Familienschutzes besonders zum Ausdruck (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung 16. Aufl. Anm. … vor § 205 RVO).
Zwar enthält § 1542 RVO keine dem § 67 Abs. 2 VVG entsprechende Bestimmung, die den Übergang der Ersatzforderung des Versicherungsnehmers aus fahrlässiger Schädigung auf den Schadensversicherer ausdrücklich ausschließt, wenn der Anspruchsgegner ein mit dem Versicherungsnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebender Familienangehöriger ist. Diese Vorschrift will im ideellen Interesse der Erhaltung des häuslichen Familienfriedens verhindern, daß solche Streitigkeiten über die Verantwortung von Schadenszufügungen gegen Familienangehörige ausgetragen werden. Gleichzeitig will sie vermeiden, daß der Versicherte durch den Rückgriff selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Dabei geht die Vorschrift davon aus, daß die in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebenden Familienangehörigen meist eine gewisse wirtschaftliche Einheit darstellen und daß bei der Durchführung des Rückgriffs der Versicherte im praktischen Ergebnis das, was er mit der einen Hand erhalten hat, mit der anderen wieder herausgeben müßte (vgl. BGH Urteil – II ZR 237/59 vom 2. November 1961 = LM VVG § 67 Nr. 18 = NJW 1962, 41; ferner Prölss VVG 14. Aufl. Anm. 8 zu § 67; Clauss FamRZ 1959, 41 [43]). Angesichts der oben hervorgehobenen Zwecksetzung der gesetzlichen Sozialversicherung müssen für deren. Träger erst recht die Schranken gelten, die sich aus dem Schutz der Familienbelange ihrer Mitglieder ergeben. Daran ändert es nichts, daß der Versicherungsträger, im Sozialversicherungsrecht im übrigen stärkere Rechte beim Rückgriff gegen den Schädiger eingeräumt worden sind, als sie dem Versicherer im Privatversicherungsrecht zustehen. Eine dem § 67 Abs. 2 VVG entsprechende Beschränkung der Rückgriffsbefugnis ist den Sozialversicherungsträgern, die mit ihren Leistungen einen durch Beitragszahlung verdienten Anspruch erfüllen, nach Ansicht des Senats durchaus zuzumuten. Andererseits wird der Schädiger nicht ungebührlich bevorzugt, da Schadensregelungen unter Familienangehörigen, die in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben, infolge der Verflechtung der Interessen durchweg nach anderen Gesichtspunkten abgewickelt werden, als sie sonst bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen maßgebend sind.
Nach allem müssen, um in solchen Fällen ein Leerlaufen der Sozialversicherung zu vermeiden und ihrem sozialen Schutzzweck gerecht zu werden, auch für den Rückgriffsanspruch des Sozialversicherungsträgers aus § 1542 RVO die Schranken gelten, die der spätere Gesetzgeber des Versicherungsvertragsgesetzes für den privaten Schadensversicherer ausdrücklich ausgesprochen hat (§ 67 VVG). Sollte im Einzelfall bei einer Schadenszufügung unter Familienangehörigen für den Schädiger der Schutz einer privaten Haftpflichtversicherung eingreifen, so würde hierdurch an dem Ergebnis nichts geändert, daß der Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger ausgeschlossen ist. Schon weil der Haftpflichtversicherungsschutz durch besondere Leistungen erkauft werden muß, geht es nicht an, in dieser Richtung die haftpflichtversicherten Schadensfälle anders zu behandeln als die nichtversicherten.
Die Klage ist daher im Ergebnis mit Recht als unbegründet abgewiesen worden, so daß die Revision der Klägerin zurückzuweisen war.
Unterschriften
Hanebeck, Dr. Bode, Dr. Hauß, Heinrich, Meyer, Dr. Pfretzschner
Fundstellen
Haufe-Index 892343 |
BGHZ, 79 |
NJW 1964, 860 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1964, 316 |