Entscheidungsstichwort (Thema)
Beihilfe zum Angriff auf den Luftverkehr
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Grenzen der Beweiswürdigung bei der Verwertung anonymer Quellen.
2. Ein „in camera”-Verfahren, wie es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig ist, kommt im Bereich des Strafverfahrens zu § 96 Satz 1 StPO nicht in Betracht.
Normenkette
StPO § 96 S. 1, § 261; EMRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. November 1998 wird verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Oberlandesgericht hat die Angeklagte wegen tateinheitlicher Beihilfe zum Angriff auf den Luftverkehr, zur Geiselnahme, zum erpresserischen Menschenraub und zum versuchten Mord in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
I.
Nach den Feststellungen hatte sich die palästinensische Widerstandsorganisation PFLP nach der Entführung des Präsidenten des Arbeitgeberverbandes und des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Dr. Hanns Martin Schleyer, am 5. September 1977 durch die terroristische Vereinigung „Rote Armee Fraktion (RAF)” bereit erklärt, die Forderungen der RAF auf Freilassung von zehn Gefangenen mit einem Lösegeld von je 100.000 DM durch eine Flugzeugentführung zu unterstützen. Hierzu wählte der in der PFLP für die Durchführung solcher Terrorakte zuständige Ha. die PFLP-Mitglieder A., H., Sh. und Sa. als Entführungskommando aus und entsandte sie – aus Sicherheitsgründen getrennt und ohne Bewaffnung – nach Palma de Mallorca. Mit dem Transport der für die Flugzeugentführung benötigten Waffen und des Sprengstoffes beauftragte Ha. die Angeklagte und den PFLP-Angehörigen S.. Die Angeklagte, die zum Symphatisantenkreis der RAF gehört hatte, hatte Ende 1975/Anfang 1976 auf einem Ausbildungscamp der PFLP den Leiter dieses Camps, He., näher kennengelernt und lebte mit diesem – später nach jemenitischem Recht verheiratet – unter dem Namen „Amal” zusammen. Ende Januar 1976 wurde sie im Zusammenhang mit einem von der PFLP geplanten Abschuß einer israelischen Passagiermaschine beim Landeanflug auf den Flughafen Nairobi festgenommen, jedoch alsbald wieder freigelassen. Aus der Verbindung mit He. ist ihre am 17. Juli 1977 geborene Tochter Hanna hervorgegangen.
Die Angeklagte übernahm am 7. Oktober 1977 in Algier von der PFLP zwei Pistolen mit gefüllten Magazinen, mindestens vier Handgranaten und ein Kilogramm Plastiksprengstoff mit Zünder und Zündschnur. Mit dieser Ausrüstung, in einem Radio und in Bonbondosen im Handgepäck versteckt, flog sie in Begleitung von S. und ihrer knapp drei Monate alten Tochter Hanna nach Palma de Mallorca und übergab Waffen und Sprengstoff absprachegemäß an einen Mittelsmann, der sie an das Entführerkommando weiterleitete. Am Folgetag flog die Angeklagte über Paris zurück.
Am 13. Oktober 1977 brachte das Kommando die Lufthansamaschine „Landshut” auf dem Flug von Palma nach Frankfurt unter Androhung des Einsatzes von Waffen und Sprengstoff in ihre Gewalt und erzwang einen mehrtägigen, mit Zwischenlandungen auf verschiedenen Flugplätzen verbundenen Flug, der am 17. Oktober 1977 in Mogadischu endete. Während der Entführung waren Besatzung und Passagiere schwersten physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt, wobei die Entführer eine außergewöhnliche Brutalität an den Tag legten. Der Flugkapitän Schumann war von dem Anführer A. wegen angeblichen „Ungehorsams” vor den Augen der Passagiere erschossen worden. Während der Entführung hatten die PFLP und die RAF mit Schreiben u.a. an die Bundesregierung die Freilassung von elf inhaftierten RAF-Mitgliedern und zwei in der Türkei in Haft befindlichen Palästinensern neben einem Lösegeld von 15 Millionen US-Dollar gefordert.
Am 18. Oktober 1977 stürmte eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes (GSG 9) das Flugzeug und befreite die Passagiere und den Rest der Besatzung. Bei der Erstürmung war von den Entführern auf die Beamten Hü. und G. in Tötungsabsicht geschossen worden, wobei der Schuß auf Hü. sein Ziel verfehlte und den hinter ihm befindlichen Beamten L. verletzte. Der Schuß auf G. wurde von dessen Schutzweste aufgefangen. Durch einen Handgranatenwurf eines Kommandomitglieds wurden zwei Passagiere verletzt. Von den Entführern überlebte lediglich Sa. schwerverletzt das Feuergefecht.
Die Angeklagte hat eine Beteiligung an dem Waffentransport bestritten und erklärt, Aden zur fraglichen Zeit nicht verlassen zu haben. Das Oberlandesgericht hat seine Überzeugung von der Tatbeteiligung der Angeklagten im wesentlichen auf die Aussage des Mitbeteiligten S. gestützt. Dieser sitzt in einem Gefängnis in Beirut wegen Kollaboration mit Israel ein und mußte dort durch libanesiche Polizeibeamte in Anwesenheit von zwei Beamten des Bundeskriminalamtes, die ihn auch befragen durften, vernommen werden, da die dortigen Behörden eine Überstellung nach Deutschland abgelehnt hatten. Nach anfänglichem Bestreiten hat er schließlich den Transport und die Übergabe von Waffen und Sprengstoff wie festgestellt geschildert. Dabei hat er unter anderem angegeben, daß er einen iranischen Reisepaß unter dem Namen „Kamal Servati” mit einem Lichtbild von ihm benutzt habe, den er von Ha. erhalten hatte. Sie seien zu dritt, mit „Amal” und ihrem Kind, von Algier mit Air Algerie nach Palma geflogen und dort in einem Hotel in zwei nebeneinanderliegenden Zimmern untergebracht worden. Die überbrachte Ausrüstung sei in Bonbondosen und in einem Radiogerät versteckt gewesen. Am nächsten Tag seien sie über Paris nach Bagdad zurückgereist. Die von ihm dabei abgegebene Darstellung des Ablaufs entsprach nicht dem damaligen Erkenntnisstand der deutschen Ermittlungsbehörden, hat sich jedoch später als zutreffend erwiesen. Das Oberlandesgericht hat während der Hauptverhandlung den Zeugen zusätzlich im Wege der Rechtshilfe durch ein libanesisches Gericht vernehmen lassen, wobei nach libanesischem Recht der Angeklagten, ihren Verteidigern und dem Generalbundesanwalt eine Teilnahme nicht ermöglicht werden konnte. Nach der Bewertung des Oberlandesgerichts hat S. hierbei im wesentlichen seine Aussage bestätigt, Abweichungen in einzelnen Punkten seien auf fehlende Vorhalte zurückzuführen.
Das Tatgericht hat die polizeiliche Aussage des Zeugen S. zwar mit erheblicher Vorsicht und Zurückhaltung bewertet, da er weder vor Gericht erscheinen, noch von den Verfahrensbeteiligten befragt werden konnte, sie jedoch gleichwohl für glaubhaft erachtet, weil dieser sich durch die Aussage selbst belastet habe, die Entstehungsgeschichte für ihre Glaubwürdigkeit spreche und der Inhalt der Aussage schließlich durch eine Vielzahl anderer Beweismittel bestätigt werde. Dabei hat das Oberlandesgericht insbesondere folgendes berücksichtigt:
- Der Zeuge P., Leitender Regierungsdirektor beim Bundesamt für Verfassungsschutz, hat von einer Quelle über eine Kontaktperson, die Reisebewegungen der terroristischen Szene im Mittelmeerraum feststellen konnte, Informationen und schriftliche Unterlagen erhalten, die die Angaben von S. über die Anreise der drei Personen von Algier nach Palma bestätigen. Der Zeuge konnte bei einer Überprüfung die Unterlagen als „absolut zuverlässig und beweiskräftig” einstufen. Aus ihnen ergibt sich, daß die Frau unter dem Namen „Cornelia Christina Trubendorffer”, das Kleinkind unter dem Namen „Nicole, geboren am 17. Juli 1977” (dem tatsächlichen Geburtsdatum des Kindes Hanna der Angeklagten) und der Mann unter dem Namen „Kamal Sarvati” gereist ist.
- Der Zeuge Ge., Leitender Kriminaldirektor beim Bundeskriminalamt a.D., hat von einer als zuverlässig eingestuften Quelle die Information erhalten, eine Frau mit dem Namen „Amal” sei mit einem PFLP-Angehörigen und einem etwa drei Monate alten Kleinkind mit Waffen und Sprengstoff von Algier nach Palma geflogen. Die Quelle habe die Nummern und Herkunft der verwendeten Reisepässe benennen können, so daß bei einer Überprüfung festgestellt werden konnte, daß der auf Cornelia Vermaesen, geb. Trubendorffer ausgestellte Paß dieser im Januar 1977 in Amsterdam gestohlen worden war und der auf „Kamal Servati” ausgestellte iranische Paß eine Totalfälschung mit den gleichen Fälschungsmerkmalen wie die gefälschten iranischen Pässe des vierköpfigen Entführerkommandos gewesen ist. Die Quelle habe an Hand von Lichtbildern die Angeklagte sicher als „Amal” identifiziert, die den Transport von Waffen und Sprengstoff durchgeführt habe.
- Aus den Passagierlisten der Air Algerie ergibt sich, daß auf dem Flug vom 7. Oktober 1977, Abflug 18.45 Uhr, von Algier nach Palma zwei Passagiere unter den Namen „Cornelia Vermaesen, Alemana” und „Sarvre Kamal, Irani” verzeichnet waren.
- Aus den Hotelrechnungen des Hotels Java in Palma ergibt sich, daß am Abend des 7. Oktober 1977 dort eine Frau „Vermaesen” und ein „Kamal” in zwei getrennten, aber nebeneinanderliegenden Zimmern eingebucht und nach Bezahlung einer gemeinsamen Rechnung am nächsten Morgen wieder abgereist sind.
- Der Direktor dieses Hotels bekundete, einem seiner Angestellten sei aufgefallen, daß „ein Mann mit arabischem Namen in Begleitung einer europäischen Frau und eines Kleinkindes” im Hotel übernachtet hätten.
- Aus den Fluglisten der Iberia für den 8. Oktober 1977 ergibt sich, daß für einen Flug von Palma über Paris nach Belgrad die Namen „Kamalsar. + inf” und „Truhudor.” verzeichnet waren. Hierbei sind die Namen – wie bei dieser Gesellschaft üblich – abgekürzt worden und das Kleinkind nur durch den Zusatz „+inf” gekennzeichnet gewesen. Aus den verzeichneten Ticketnummern ergebe sich, daß diese zusammen bestellt und gekauft worden seien.
- Das als Waffenversteck benutzte Radiogerät wurde an Bord der „Landshut” nach der Erstürmung sichergestellt.
Das Oberlandesgericht hat diese Beweislage für die Bildung seiner Überzeugung von der Tatbeteiligung der Angeklagten bereits als ausreichend erachtet und ausgeführt, daß dieses Ergebnis zusätzlich durch die insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen B. bestätigt werde. Dieser war damals Mitglied der RAF und hatte am 25. September 1977 im Auftrag der RAF nach der Entführung Schleyers zusammen mit M. in Bagdad Kontakt mit der PFLP aufgenommen, um eine sichere Aufenthaltsmöglichkeit nach Beendigung der Entführung zu erkunden. Bei dieser Gelegenheit, bei der auch der Entschluß zur Entführung der Landshut durch die PFLP gefaßt worden war, hat der Zeuge nach seinem Bekunden die ihm bekannte Angeklagte in einem Haus in Bagdad zufällig getroffen, wobei er den Eindruck hatte, ihr sei das Zusammentreffen unangenehm, da sie ihn weder angesprochen, noch gegrüßt hatte, sondern sogleich verschwunden ist. Der Aufenthalt der Angeklagten in Bagdad in einem Haus der PFLP gerade zu dem Zeitpunkt, in dem die Entführung der Landshut beschlossen und vorbereitet worden war, belegt nach der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht nur, daß ihre Einlassung, damals nur in Aden gewesen zu sein, nicht richtig ist, sondern gibt zudem einen Hinweis darauf, daß auch ihr Besuch bei der PFLP in Bagdad der Durchführung der Entführungsaktion diente (UA S. 161).
II.
Die Beschwerdeführerin beanstandet mit ihrer auf die Sachrüge und mehrere Verfahrensrügen gestützten Revision, daß insgesamt von einem ordnungsgemäß, nach den Regeln der Strafprozeßordnung durchgeführten Verfahren nicht gesprochen werden könne, dieses vielmehr „fremdgesteuert” gewesen sei.
Das Rechtsmittel ist nicht begründet; insbesondere halten auch Beweisaufnahme und Beweiswürdigung einer rechtlichen Nachprüfung stand. Hinsichtlich der einzelnen Verfahrensrügen nimmt der Senat auf die eingehenden und zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 11. Oktober 1999 Bezug. Der näheren Begründung bedarf nur folgendes:
1. Die Rüge, die Verwertung der Aussagen der Zeugen P. (Bundesamt für Verfassungsschutz) und Ge. (Bundeskriminalamt) verstoße gegen Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. d MRK, weil die Befragung der Quellen nicht möglich gewesen sei, ist unbegründet. Soweit diese Zeugen über eigene Überprüfungsergebnisse und die Beurteilung übergebener Unterlagen Angaben gemacht haben, kommt ein solcher Verstoß ohnehin nicht in Betracht. Aber auch die Einführung der von den nicht aufgedeckten Quellen stammenden Informationen verstößt unter den hier gegebenen Umständen weder gegen die Strafprozeßordnung noch gegen Art. 6 Abs. 1 und 3 Buchst. d MRK.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen Angaben von Gewährspersonen, deren Identität dem Gericht nicht bekannt ist, regelmäßig nur Grundlage einer Verurteilung werden, wenn sie zum einen einer besonders kritischen Prüfung unterzogen und zudem durch andere Beweisanzeichen bestätigt werden (vgl. BGHSt 42, 15, 25 m.w.Nachw.; BVerfG NStZ 1995, 600). Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts, das mehrfach zu erkennen gegeben hat, daß es diese Angaben nur mit großer Vorsicht bewertet und ihnen nur einen begrenzten Beweiswert zumißt. Letztlich hat es die Informationen nur als Bestätigung zur Abrundung des durch die Aussage des Zeugen S. und sonstige Beweismittel gefundenen Beweisergebnisses herangezogen und insbesondere berücksichtigt, daß die Angaben der Quellen von im Umgang mit solchen Gewährspersonen erfahrenen Beamten einer sorgfältigen Überprüfung an Hand mitgeteilter und dann bestätigter Details, z.T. sogar an Hand übergebener beweiskräftiger schriftlicher Unterlagen, unterzogen werden konnten.
b) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), insbesondere der von der Revision zitierten Entscheidung vom 23. April 1997 i.S. van Mechelen (StV 1997, 617; vgl. hierzu Renzikowski JZ 1999, 605 ff.). Bei dieser Entscheidung hat der EGMR wesentlich darauf abgestellt, daß dort die Identifizierung des Angeklagten van Mechelen als Täterallein durch die Angaben anonym gebliebenerPolizeibeamter erfolgt ist. Der EGMR hat dazu ausgeführt, daß Polizeibeamte nur unter außergewöhnlichen Umständen als anonyme Zeugen in Betracht kommen, da sie in besonderer Gehorsamspflicht gegenüber der staatlichen Exekutive stehen und es von Natur aus zu ihren Pflichten gehört, Zeugnis in öffentlicher Sitzung abzugeben. Demgemäß hat der EGMR die Entscheidung i.S. van Mechelen gegenüber der i.S. Doorson insofern abgegrenzt, als dort „zwei Zivilzeugen” gute Gründe für ihre Anonymität hatten und im übrigen sich die Täterschaft aus weiteren Beweismitteln ergeben hatte. Davon unterscheidet sich das vorliegende Verfahren wesentlich. Bei den anonym gebliebenen Quellen handelt es sich, wie sich aus den Sperrerklärungen und dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt, ersichtlich um im Ausland operierende Personen, die mit deutschen Behörden auf dem Gebiet der Bekämpfung des internationalen Terrorismus zusammenarbeiten. Daß für solche Personen und gegebenenfalls auch ihre Familien eine besondere Gefährdung durch Racheakte gefährlicher Terrororganisationen, aber auch im Falle einer Enttarnung von „dritter Seite” (UA S. 86) besteht, womit offensichtlich ernste Sanktionen ihrer Aufenthaltsstaaten wegen der Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden gemeint sind, liegt auf der Hand, zumal in solchen Fällen ein ausreichender Schutz durch deutsche Behörden kaum möglich ist. Im übrigen wurden die von den Quellen herrührenden Informationen nicht als „maßgebliche” Urteilsgrundlage, sondern, wie oben ausgeführt, nur zur Abrundung des sonstigen Beweisergebnisses bestätigend herangezogen.
Der EGMR hat in dieser Entscheidung in Erinnerung gerufen, daß sich die Verwertung der Beweise vorrangig nach innerstaatlichem Recht richtet und nur zu überprüfen ist, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit in billiger Weise durchgeführt worden ist. Die Verwendung anonymer Aussagen ist nicht unter allen Umständen mit der Konvention unvereinbar, da auch Zeugen und deren Familien Anspruch auf Schutz durch die Konvention hätten und im übrigen das Interesse der Behörden, künftige Einsätze der Gewährspersonen nicht zunichte zu machen, als legitim anerkannt werden müßte.
Durch die vorsichtige Bewertung und Heranziehung der anonymen Angaben nur zur Abrundung und Bestätigung des sonst gewonnenen Beweisergebnisses ist auch die Behinderung der Verteidigung durch die fehlende Möglichkeit einer Befragung kompensiert. Zwar ist dabei zu berücksichtigen, daß die Verteidigung auf Grund der Weigerung der libanesischen Behörden nach der dortigen Rechtslage auch bei den Vernehmungen des Zeugen S. nicht anwesend sein und ihn befragen konnte, doch wird dies durch die Fülle und Beweiskraft der übrigen – oben dargestellten – Beweisanzeichen, die die Richtigkeit seiner Aussage bestätigen, ausgeglichen.
c) Eine Verfahrensrüge dahin, das Oberlandesgericht hätte sich mit dem Inhalt der für diese Quellen erteilten Sperrerklärungen gemäß § 96 StPO nicht zufrieden geben dürfen und weitere Maßnahmen ergreifen müssen, ist nicht erhoben. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, daß es die Sperrerklärungen nicht nur auf das Vorliegen von Willkür und offenkundiger Fehlerhaftigkeit kontrolliert hat, sondern bei der Prüfung der substantiierten Begründungen zum Ergebnis gelangt ist, diese seien nachvollziehbar, überzeugend und einleuchtend (UA S. 87, 100). Auf die von Renzikowski bei der Besprechung der genannten Entscheidung des EGMR i.S. van Mechelen aufgeworfene Frage, ob die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Sperrerklärungen vom Tatrichter nur in einer Plausibilitätskontrolle darauf zu überprüfen sind, ob sie nicht willkürlich oder offenkundig fehlerhaft sind (BGHSt 29, 109, 112; 33, 178, 180; 36, 159, 163), nicht mehr aufrechterhalten werden könne (Renzikowski JZ 1999, 605, 612), kommt es hier daher nicht an. Im übrigen würde es auch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen Verfahrensfehler darstellen, wenn sich ein Tatgericht – wie offensichtlich i.S. van Mechelen – nicht ausreichend um die Aufklärung und substantiierte Darlegung der Sicherheitsbedenken bemühen und eine unzureichende Sperrerklärung einfach hinnehmen würde (vgl. BGHSt 29, 109, 113).
d) Auch aus einer neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergeben sich keine Bedenken gegen die Behandlung der Sperrerklärungen durch das Oberlandesgericht; insbesondere war es nicht verpflichtet, die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Vereinbarkeit des § 96 StPO mit Art. 19 Abs. 4 GG vorzulegen.
Nach dem zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergangenen Beschluß vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 (http://www.bverfg.de) ist § 99 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 VwGO mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar, soweit er die Aktenvorlage auch in denjenigen Fällen ausschließt, in denen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes von der Kenntnis der Verwaltungsvorgänge abhängt. Die Entscheidung ist zu einem Fall ergangen, in dem einem Beschwerdeführer die Weiterbeschäftigung in einem sicherheitsempfindlichen Bereich mit der Begründung untersagt worden war, das zuständige Landesverfassungsschutzamt sei bei der Sicherheitsüberprüfung zum Ergebnis gekommen, daß Bedenken gegen die Ermächtigung zum Umgang mit Verschlußsachen bestünden. Im verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsverfahren hat das zuständige Innenministerium die Herausgabe der Unterlagen für die Sicherheitsüberprüfung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verweigert; dies war vom Verwaltungsgerichtshof in einer Beschwerdeentscheidung als gesetzmäßig festgestellt worden. Das Bundesverfassungsgericht ist demgegenüber zum Ergebnis gekommen, daß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO eine effektive gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der gerichtlichen Entscheidung behindert und insoweit mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar ist, zumal in einem solchen Falle, in denen die geheimgehaltenen Erkenntnisse alleinige Entscheidungsgrundlage sind, das Rechtschutzdefizit nicht im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeglichen werden könne, indem etwa die übrigen Erkenntnisse verwertet und die auf einer geheimgehaltenen Tatsachengrundlage beruhenden nur mit minderem Beweiswert berücksichtigt werden.
Obgleich § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO in seinem Wortlaut § 96 StPO weitgehend entspricht, hat diese Entscheidung keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Strafverfahrensrecht.
Eine Übertragbarkeit kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil das BVerfG in dem entschiedenen Fall maßgeblich darauf abgestellt hat, daß die geheimgehaltene Tatsachengrundlage alleinige Entscheidungsgrundlage des Gerichts hätte sein sollen, während nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – wie oben dargelegt – in Strafverfahren die Angaben anonymer Gewährspersonen niemals alleinige Verurteilungsgrundlage sein dürfen, sondern durch andere Beweise bestätigt sein müssen. Im übrigen besteht ein wesentlicher Unterschied auch darin, daß dort das Landesamt für Verfassungsschutz lediglich das – eher rechtlich wertende – Ergebnis der Überprüfung mitgeteilt hat, daß Bedenken gegen eine Ermächtigung bestünden, ohne die dieser Beurteilung zugrundeliegenden Tatsachen konkret zu benennen, während in Strafverfahren regelmäßig von den Quellen detaillierte Tatsachen (wie hier Flugweg, Fluggesellschaft, geführter Tarnname, Art und Herkunft des Reisepasses u.ä.) mitgeteilt werden. Damit hatte dort weder das Gericht eine Möglichkeit zur Überprüfung der Tatsachengrundlage, noch konnte der Betroffene einen Gegenbeweis antreten, während hier die Angaben der Quellen im einzelnen überprüft und bestätigt werden konnten und damit auch die Möglichkeit einer zielgerichteten Verteidigung eröffnet haben.
Im übrigen stehen auch die unterschiedlichen Verfahrensgrundsätze von Straf- und Vewaltungsgerichtsverfahren einer Übertragung entgegen, worauf das Bundesverfassungsgericht selbst hingewiesen hat. Es hat dazu ausgeführt, daß eine Überlassung der geheimhaltungsbedürftigen Akten nur an das auf Geheimhaltung verpflichtete Gericht, ohne daß der Betroffene Akteneinsicht erhalte (sog. „in camera”-Verfahren), wohl in einem verwaltungsgerichtlichen, nicht aber in einem strafprozessualen Verfahren möglich erscheine. Während sich im Strafverfahren Geheimhaltungsinteressen der Exekutive nach dem Grundsatz in dubio pro reo zugunsten des Angeklagten auswirkten und ein „in camera”-Vorgehen den Rechtsschutz des Angeklagten verschlechtern würden, wirke sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in dem der Grundsatz in dubio pro reo nicht gelte, Geheimhaltung regelmäßig zum Nachteil für den Rechtsschutzsuchenden aus.
Der Senat teilt die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, die ihrerseits auf eine Stellungnahme des Vorsitzenden des 4. Strafsenats verweist, wonach sich die Sperrung von Beweismitteln im Strafverfahren nicht nachteilig für einen Angeklagten auswirken darf. Zwar beeinträchtigt die Geheimhaltung eines Beweismittels zwangsläufig die Möglichkeiten der Verteidigung, durch den Antritt von Gegenbeweisen die Glaubwürdigkeit der anonymen Gewährsperson und die Unglaubhaftigkeit ihrer Angaben zu beweisen, doch kann und muß diese Beeinträchtigung durch das Erfordernis einer besonders kritischen Prüfung der anonymen Angaben und ihres begrenzten Beweiswertes, wonach sie nicht alleinige Urteilsgrundlage sein dürfen, sondern durch andere aussagekräftige Beweismittel eine Bestätigung erfahren müssen, ausgeglichen werden.
2. Die Beschwerdeführerin und der Generalbundesanwalt haben es zu Recht als fehlerhaft angesehen, daß der Zeuge B. vereidigt worden ist, ohne daß sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll oder aus den Urteilsgründen eine Prüfung der Frage ergibt, ob nach § 60 Nr. 2 StPO von einer Vereidigung abzusehen ist, weil die Feststellungen dem Tatrichter Anhaltspunkte für eine Beteiligung B. s an der Tat, zu der die Angeklagte nach den Urteilsgründen Beihilfe geleistet hat, gegeben haben. Indes kann der Senat unter den hier gegebenen besonderen Umständen ausschließen, daß das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Für die Frage, ob das Urteil auf einer fehlerhaften Vereidigung beruhen kann, ist entscheidend, ob ein unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften durchgeführtes Verfahren zu demselben Ergebnis geführt haben würde (RGSt 61, 353 f.; BGH, Beschl. vom 29. April 1980 – 1 StR 818/79). Zwar wird sich im Regelfall nicht ausschließen lassen, daß der Tatrichter einem vereidigten Zeugen der Vereidigung wegen eine größere Glaubwürdigkeit beigemessen hat (BGHSt 4, 130, 131), doch können die Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung rechtfertigen. Hier hat der Generalbundesanwalt zu Recht darauf hingewiesen, daß das Oberlandesgericht, obgleich es die Aussage des Zeugen in einer außerordentlich umfangreichen Beweiswürdigung (UA S. 146 bis 161) auf ihre Glaubwürdigkeit untersucht hat, an keiner Stelle auf die Vereidigung des Zeugen abgestellt hat. Das Tatgericht hat ferner zu erkennen gegeben, daß es sich der problematischen Persönlichkeit des Zeugen und deren Auswirkungen auf seine Glaubhaftigkeit durchaus bewußt war, und schließlich auf Grund einer Fülle von Sachargumenten dargelegt, warum es gleichwohl dem Zeugen insbesondere hinsichtlich seiner Aussage über das Zusammentreffen mit der Angeklagten in Bagdad geglaubt hat. Es hat dabei auch bedacht, daß der Zeuge an sich bestrebt war, die Angeklagte, die mit der RAF, der er selbst angehörte, sympathisiert hatte, nach Möglichkeit nicht zu belasten, sobald sich für ihn ergab, daß eine Frage des Gerichts belastende Umstände betraf. Unter diesen besonderen Umständen kann der Senat ausschließen, daß weder das Aussageverhalten des Zeugen, noch die Überzeugung des Tatgerichts von der Glaubhaftigkeit seiner Angaben in den der Verurteilung zugrundegelegten Punkten von dem geleisteten Eid beeinflußt gewesen sein könnte und daß es ohne diese Vereidigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Entsprechendes gilt auch für die Bekundungen des Zeugen zur RAF, zu der Entführung Schleyers sowie zur PFLP und deren Gewinnung für die Entführung eines Passagierflugzeugs.
3. Das Oberlandesgericht hat bei der rechtlichen Würdigung zur Frage, ob sich die Angeklagte die Herbeiführung der Todesfolge bei den Tatbeständen des Angriffs auf den Luftverkehr, der Geiselnahme und des erpresserischen Menschenraubs zurechnen lassen müsse, lediglich ausgeführt, daß der Angeklagten als Gehilfin zumindest Fahrlässigkeit anzulasten sei. Hat jedoch bei einer Tat einer von mehreren Tatbeteiligten den qualifizierenden Erfolg herbeigeführt, so können die übrigen Tatbeteiligten – also auch der Gehilfe – nur dann wegen des erfolgsqualifizierten Delikts verurteilt werden, wenn auch ihnen in Bezug auf die Todesfolge wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist (BGHR StGB § 251 Todesfolge 4). Daß dies das Oberlandesgericht nicht ausdrücklich dargelegt hat, gefährdet indes hier das Urteil nicht, da eine gesteigerte Fahrlässigkeit im Sinne einer Leichtfertigkeit auf der Hand liegt, wenn ein Täter einem gewaltbereiten Entführungskommando einer derart gefährlichen Terrororganisation wie der PFLP Waffen und Sprengstoff für die Entführung eines Passagierflugzeuges überbringt.
Unterschriften
Kutzer, Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 556746 |
NJW 2000, 1661 |
NStZ 2000, 265 |
Nachschlagewerk BGH |
NJ 2000, 264 |
StV 2000, 649 |
StraFo 2000, 162 |