Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 03.12.1990) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 3. Dezember 1990 aufgehoben, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 118.605,25 DM nebst Zinsen verurteilt und über die Kosten entschieden worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger und sein am Verfahren nicht beteiligter Bruder Franz stammen aus der Ehe ihrer am 1. Juni 1982 verstorbenen Mutter Zita (Erblasserin) mit dem im Jahre 1968 vorverstorbenen Josef sen. Die Eheleute lebten in Gütergemeinschaft. Aufgrund Ehe- und Erbvertrages vom 4. Februar 1965 wurde der Vater des Klägers von der Mutter allein beerbt. Für den Kläger und seinen Bruder Franz ist dort je ein Vermächtnis nach dem Vater in Höhe von zusammen einem Viertel des Gesamtvermögens beider Eltern ausgesetzt. Mit der Klage hat der Kläger aus eigenem und abgetretenem Recht seines Bruders Franz dieses Vermächtnis in Höhe von 67.947 DM nebst Zinsen von dem Beklagten beansprucht.
Der Beklagte heiratete die Erblasserin im Jahre 1970, vereinbarte mit ihr gleichfalls Gütergemeinschaft und wurde aufgrund Ehe- und Erbvertrages vom 15. Oktober 1975 ihr Alleinerbe. Nach diesem Erbvertrag sollen beim Ableben des zuerst Versterbenden dessen pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge je ein Geldvermächtnis in Höhe ihres gesetzlichen Pflichtteils erhalten; dabei soll das landwirtschaftliche Anwesen der Eheleute mit dem Ertragswert angesetzt werden. Aus der Ehe mit dem Beklagten ging der im Jahre 1971 geborene Sohn Alois hervor. Mit der Klage hat der Kläger von dem Beklagten ferner aus eigenem und abgetretenem Recht seines Bruders Franz die Vermächtnisse nach seiner Mutter in Höhe von 181.677,37 DM nebst Zinsen beansprucht.
Das Landgericht hat dem Kläger die Vermächtnisse nach dem Vater in der begehrten Höhe und die beiden Vermächtnisse nach der Mutter in Höhe von insgesamt 108.746,62 DM nebst Zinsen zuerkannt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Beklagte Klageabweisung, soweit er zur Zahlung von Vermächtnissen nach der Mutter in Höhe von zusammen mehr als 50.658,25 DM (insgesamt zu mehr als 118.605,25 DM) nebst Zinsen verurteilt ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zu der beantragten Teilaufhebung des angefochtenen Urteils.
1. Oberlandesgericht und Landgericht sehen das landwirtschaftliche Anwesen des Beklagten und der Erblasserin zum 1. Juni 1982 nicht mehr als ein Landgut im Sinne von §§ 2312, 2049 BGB an und halten deshalb nicht dessen Ertragswert, sondern den vollen Verkehrswert von 982.575 DM für maßgebend. Sie bemessen das Nettovermögen der Eheleute nach Abzug von Schulden zum gleichen Stichtag auf Insgesamt 869.973 DM. Davon setzen die Vorinstanzen gemäß §§ 1482, 1476 Abs. 1 BGB die Hälfte, nämlich 434.986,50 DM, als Nachlaß der Mutter des Klägers an und errechnen daraus gemäß § 2303 Abs. 1 Satz 2, § 1931 Abs. 1 Satz 1, § 1924 Abs. 1, 4 BGB Pflichtteile für den Kläger und seinen Bruder Franz in Höhe von (je 54.373,31 DM und insgesamt) 108.746,62 DM.
Die Revision wendet sich gegen diese Rechnung nur, soweit die Vorinstanzen das landwirtschaftliche Anwesen nicht als Landgut ansehen. Beim Tode der Erblasserin habe es sich durchaus noch um ein Landgut gehandelt, so daß für die Bemessung der Pflichtteile nicht auf seinen Verkehrswert, sondern auf den Ertragswert abzustellen sei; infolgedessen sei das Nettovermögen der Eheleute im Anschluß an das Ertragswertgutachten des Sachverständigen N. nur mit 405.266 DM anzusetzen.
2. Diesem Revisionsangriff hält das angefochtene Urteil nicht stand.
Die Erblasserin hat in dem Ehe- und Erbvertrag vom 15. Oktober 1975 angeordnet, daß das landwirtschaftliche Anwesen, um das es hier geht, bei der Bemessung der Pflichtteile ihrer Abkömmlinge (und demgemäß auch der diesen statt dessen ausgesetzten Pflichtteilsvermächtnisse) mit seinem Ertragswert angesetzt wird. Eine solche Anordnung ist, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, im Falle des § 2312 Abs. 2 BGB verbindlich.
Das Landgericht, dem das Berufungsgericht hierzu folgen will, geht bei seiner Prüfung von dem zutreffenden Begriff des Landgutes aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist unter einem „Landgut” im Sinne von §§ 2312, 2049 BGB eine Besitzung zu verstehen, die eine zum selbständigen und dauernden Betrieb der Landwirtschaft einschließlich der Viehzucht oder der Forstwirtschaft geeignete und bestimmte Wirtschaftseinheit darstellt und mit den nötigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden versehen ist. Sie muß eine gewisse Größe erreichen und für den Inhaber eine selbständige Nahrungsquelle darstellen, ohne daß eine sogenannte Ackernahrung vorliegen muß. Der Betrieb kann auch nebenberuflich geführt werden, wenn er nur zu einem erheblichen Teil zum Lebensunterhalt seines Inhabers beiträgt (BGHZ 98, 375, 377 f.).
Die Vorinstanzen haben ferner beachtet, daß es für die Anwendung des § 2312 BGB auf die Verhältnisse zur Zeit des Erbfalles ankommt (BGHZ 98, 375, 381). Sie halten den Hof für einen Zuschußbetrieb, der keinen Gewinn abwerfe und dessen Kosten aus anderen Einkommensquellen seiner Inhaber hätten bestritten werden müssen. Dabei sind aber mehrere Rechtsfehler unterlaufen.
3. Rechtsfehlerhaft ist es zunächst, wenn es im landgerichtlichen Urteil (S. 10 Abs. 2, dem das Oberlandesgericht auch hier folgt) im Widerspruch zu den vorangegangenen allgemeinen Ausführungen heißt, daß eine landwirtschaftliche Nebenerwerbsstelle kein Landgut sein könne. Hierzu wird auf BGHZ 98, 375, 378 verwiesen. Nicht gesehen ist ferner, daß einem landwirtschaftlichen Betrieb die Eigenschaft als Landgut nicht einmal dann fehlen muß, wenn seine Bewirtschaftung bereits seit Jahren vollständig aufgegeben, das lebende und tote Inventar verkauft und die Ländereien teilweise verpachtet sind, und zwar sogar dann nicht, wenn der übernehmende Erbe den Betrieb weder wiederaufnehmen kann noch will (BGHZ 98, 375, 378). Zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse (vgl. BVerfGE 67, 348) ist der Begriff des Landgutes im Sinne von §§ 2312, 2049 BGB und damit der Anwendungsbereich dieser Vorschriften inzwischen allerdings dahin eingeschränkt worden, daß der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines leistungsfähigen landwirtschaftlichen Betriebes in der Hand einer vom Gesetz begünstigten Person, erreicht werden wird (BGHZ 98, 375, 380 und 382, 388; Urteil vom 9. Oktober 1991 – IV ZR 259/90 – WM 1991, 2115, 2116; ebenso für § 1376 Abs. 4 BGB.: BGH, Urteil vom 27. September 1989 – IVb ZR 75/88 – FamRZ 1989, 1276 f.). Die Feststellung, ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind oder nicht, ist Aufgabe des Tatrichters. Die künftige Fortführung der Bewirtschaftung darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, obliegt dem Erben, der auf den Pflichtteil in Anspruch genommen wird (vgl. Urteil vom 27. September 1989 aaO).
Hiernach bedarf es einmal einer geeigneten Besitzung, die einen landwirtschaftlichen Betrieb, wie ihn das Gesetz schützt, (auch) in Zukunft ermöglicht. Zum anderen muß hinzukommen die begründete Erwartung, daß der Betrieb durch den Eigentümer oder einen Abkömmling weitergeführt oder – wo die Bewirtschaftung aufgegeben ist – künftig wiederaufgenommen wird. Wenn hier die Eigenschaft als Landgut bezweifelt wird, weil der Betrieb nicht als geschlossene Einheit und die nicht verpachteten Teile (derzeit) unwirtschaftlich geführt würden, dann steht das der Bejahung der Eignung in dem dargestellten Sinne nicht notwendig entgegen. Das stimmt überein damit, daß der Sachverständige N. auch für das Jahr 1982 durchaus einen positiven Ertragswert annimmt. Im übrigen geht es in diesem Zusammenhang, anders als die Revisionserwiderung meint, nicht in erster Linie um die subjektiven Absichten des Beklagten oder seines im Jahre 1971 geborenen Sohnes als seines möglichen künftigen Nachfolgers, sondern mehr um eine Prognose nach den Verhältnissen beim Erbfall aus der objektivierenden Sicht eines unvoreingenommenen Beobachters, wobei neben der Beschaffenheit, der Lage und der sonstigen objektiven Verhältnisse des Betriebes selbstverständlich auch die Absichten, Vorstellungen und die Ausbildung der Beteiligten von Bedeutung sind.
Die verhältnismäßig kleine landwirtschaftlich nutzbare Fläche des Betriebes (5,6250 ha Acker und Grünland, 2,9020 ha Wald) steht entgegen der Annahme des Berufungsgerichts einer Einordnung des Betriebs als Landgut in Gestalt einer Nebenerwerbsstelle ebensowenig grundsätzlich im Wege, wie die Verpachtung eines Teils des Grundbesitzes und das Alter der (funktionsfähigen) Maschinen. Mit Recht rügt die Revision ferner, daß das Berufungsgericht die Möglichkeit einer (erneuten) Betriebsausweitung nicht mit in Betracht zieht. Rechtlich bedenklich ist es ferner, daß der Tatrichter mangelnde Eignung und Widmung des Hofes zum dauernden Betrieb der Landwirtschaft für den maßgebenden Zeitpunkt (1. Juni 1982) auch daraus ableiten will, daß die Grundstücke seitdem ziemlich heruntergekommen seien.
4. Auch die Berechnung des Verkehrswertes ist rechtsfehlerhaft, weil das Berufungsgericht die latente Steuerlast unberücksichtigt gelassen hat, die § 16 EStG mit sich bringen würde (vgl. dazu z.B. BGHZ 98, 382, 389; Urteil vom 27. September 1989 – IVb ZK 75/88 – FamRZ 1989, 1276, 1279). Daß der Verkehrswert hier anders als durch Veräußerung realisiert werden könnte, liegt zumindest nicht nahe.
Unterschriften
Bundschuh, Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Ritter, Römer, Dr. Schlichting
Fundstellen
Haufe-Index 1128836 |
NJW-RR 1992, 770 |