Leitsatz (amtlich)
Zur Anwendung des § 1357 BGB auf einen Telefondienstvertrag über einen Festnetzanschluss in der Ehewohnung.
Normenkette
BGB § 1357
Verfahrensgang
LG Dessau (Urteil vom 20.06.2003) |
AG Dessau |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Dessau v. 20.6.2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Ehemann der Beklagten hatte mit der Klägerin einen Telefondienstvertrag über einen Festnetzanschluss in seiner Ehewohnung geschlossen. Die Klägerin stellte ihm am 3.12.1998 und am 11.1.1999 für die Grundgebühr im Dezember und Januar und für Verbindungen in der Zeit v. 24.10.bis 28.12.1998 insgesamt 6.375,75 DM in Rechnung, die von ihm nicht ausgeglichen wurden. Die Beklagte zahlte hierauf 771,13 DM. Auf den restlichen Betrag von 5.604,61 DM nebst Zinsen nimmt die Klägerin die Beklagte, die den Anschluss am 15.2.1999 anstelle ihres Ehemannes übernommen hat, mit ihrer Klage aus dem Gesichtspunkt des § 1357 BGB in Anspruch. Der noch offene Rechnungsbetrag bezieht sich ausschließlich auf Verbindungen zum Tele-Info-Service 0190x, die nach dem Vortrag der Beklagten von ihrem Ehemann angewählt worden sind.
Das AG hat die Klage abgewiesen, das LG hat ihr auf die Berufung der Klägerin entsprochen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nach § 1357 Abs. 1 BGB ist jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie zu besorgen. Durch solche Geschäfte werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn, dass sich aus den Umständen etwas anderes ergibt. Die auf dem Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts v. 14.6.1976 (BGBl. I, 1421) beruhende Fassung der Vorschrift knüpft nicht mehr an die nach früherem Recht bestehende Pflicht der Frau an, den Haushalt in eigener Verantwortung zu führen (§ 1356 Abs. 1 S. 1 BGB a. F.) und ihr dementsprechend die Berechtigung zu geben, Geschäfte innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises mit Wirkung für den Mann zu besorgen. Vielmehr ist mit Rücksicht darauf, dass die Aufgabenverteilung in der ehelichen Gemeinschaft den Partnern selbst überlassen und das Leitbild der sog. Hausfrauenehe aufgegeben worden ist, die Rechtsmacht zur Verpflichtung auch des Partners an die "angemessene Deckung des Lebensbedarfs der Familie" gebunden worden. Der BGH hat hierzu entschieden, wie weit der Lebensbedarf der Familie reiche, bestimme sich familienindividuell nach den Verhältnissen der Ehegatten. Da die Einkommens- und Vermögensverhältnisse dem Vertragspartner allerdings häufig verborgen bleiben, ist entscheidend auf den Lebenszuschnitt der Familie abzustellen, wie er nach außen in Erscheinung tritt (vgl. eingehend hierzu BGH v. 13.2.1985 - IVb ZR 72/83, BGHZ 94, 1 [5 f.] = MDR 1985, 559). Darüber hinaus ist die Einbindung des § 1357 BGB in das Unterhaltsrecht zusammenlebender Ehegatten (§§ 1360, 1360a BGB) zu beachten. Zu den Umständen, die bei der Anwendung des § 1357 BGB von Bedeutung sein können, gehören daher auch die wirtschaftlichen Verhältnisse in ihrem Bezug zu den Kosten, die durch die jeweils in Rede stehende Geschäftsbesorgung ausgelöst werden. Auch insoweit ist die Sicht eines objektiven Beobachters nach dem Erscheinungsbild der Ehegatten, wie es für Dritte allgemein offen liegt, entscheidend (vgl. BGH v. 27.11.1991 - XII ZR 226/90, BGHZ 116, 184 [188 f.] = MDR 1992, 382).
2. Gemessen an diesen Maßstäben ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Abschluss eines Telefondienstvertrages für einen in der Familienwohnung befindlichen Festnetzanschluss im Ansatz als ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs angesehen hat.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht zu Grunde gelegt, dass die Versorgung der Familie mit einem Telefonanschluss unter Berücksichtigung der heutigen Lebensverhältnisse ein anerkanntes Grundbedürfnis ist, wobei es davon ausgegangen ist, dass sich aus der jederzeitigen Verfügbarkeit eines solchen Anschlusses für die Familienmitglieder der Bezug zur familiären Konsumgemeinschaft ergebe. Das Berufungsgericht folgt damit im Ausgangspunkt einer in Rechtsprechung und Literatur verbreiteten Auffassung, nach der zur angemessenen Bedarfsdeckung der Familie auch Verträge zu rechnen sind, mit denen die Versorgung der Ehewohnung mit Strom und Gas sichergestellt wird (vgl. AG Wuppertal v. 21.9.1979 - 39 C 245/79, ZMR 1980, 239 f.; AG Beckum v. 30.7.1987 - 11 C 336/87, FamRZ 1988, 501; LG Koblenz v. 21.4.1989 - 15 O 271/88, WuM 1990, 445; Palandt/Brudermüller, BGB, 63. Aufl. 2004, § 1357 Rz. 13; Soergel/Lange, BGB, 12. Aufl. 1988, § 1357 Rz. 12; Wacke in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2000, § 1357 Rz. 23; Staudinger/Hübner/Voppel, BGB, 13. Bearb., Stand Juli 1999, § 1357 Rz. 45; Rauscher, Familienrecht, 2001, Rz. 279; Erman/Heckelmann, BGB, 10. Aufl. 2000, § 1357 Rz. 13), und erstreckt diesen Gedanken im Hinblick auf die heute üblichen Standards und die weite Verbreitung von Telefonanschlüssen auch auf Telefondienstverträge, die einen stationären Festnetzanschluss in der Ehewohnung betreffen (ebenso AG Neustadt am Rübenberge ArchivPT 1997, 150; LG Bremen RTkom 2000, 240; LG Stuttgart v. 9.1.1998 - 25 O 622/96, FamRZ 2001, 1610 und die im Verfahren von der Klägerin vorgelegten nicht veröffentlichten Urteile des AG Bad Freienwalde v. 6.9.1999 - 20 C 76/99 und des AG Ettlingen v. 28.5.2002 - 1 C 563/01; Palandt/Brudermüller, BGB, 63. Aufl. 2004, § 1357 Rz. 13; Wacke in MünchKomm/BGB, 4. Aufl. 2000, § 1357 Rz. 23). Dass mit einem solchen Vertrag ein Dauerschuldverhältnis begründet wird, steht der Einordnung als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs - wie auch bei einem Energielieferungsvertrag - nicht grundsätzlich entgegen, spiegelt diese Gestaltung doch nur wider, dass hier für die Familie ein beständiger Bedarf gedeckt wird. Die zunehmende Verbreitung von Mobiltelefonen, die weitgehend den Bedürfnissen des individuellen Benutzers dienen mögen, bedeutet nicht, dass der Festnetzanschluss in der Ehewohnung nicht mehr der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie zugerechnet werden könnte.
b) Die Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe nicht die konkreten Umstände des Einzelfalls geprüft und - ohne dass ein Erfahrungssatz bestehe - die allgemeine Verfügbarkeit des Anschlusses für die Familie unterstellt, greift nicht durch. Zwar ist der Revision grundsätzlich darin zuzustimmen, dass den Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast trifft, soweit er sich auf die Mitverpflichtung des Schuldners nach § 1357 BGB bezieht. Das verlangt im hier zu entscheidenden Fall jedoch weder Erkundigungen noch - seiner Natur nach gar nicht möglichen - Vortrag zu der Frage, in welcher Weise der Anschluss durch die einzelnen Mitglieder der Familie genutzt wurde. Die Beklagte hat selbst nicht infrage gestellt, dass es sich um einen privaten, nicht etwa mit einer geschäftlichen Tätigkeit ihres Ehemannes verbundenen Anschluss in der gemeinsamen Ehewohnung handelte. Dass der Anschluss unter diesen Umständen auch für die anderen Familienmitglieder verfügbar war, wird indiziell dadurch bestätigt, dass die Beklagte einen Teil der Gebühren - wenn auch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - gezahlt hat.
c) Das Berufungsgericht hat jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Regelung des § 1357 BGB in das Unterhaltsrecht zusammenlebender Eheleute und damit in deren Lebenszuschnitt eingebunden ist. Die vorliegenden Rechnungen legen nach dem Vortrag der Beklagten die Annahme nahe, dass die angemessene Bedarfsdeckung in dem abgerechneten Zeitraum weit überschritten ist.
Üblicherweise wird die Frage, ob ein Geschäft der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs dient, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beantworten sein. Dies gilt im Grundsatz auch für Dauerschuldverhältnisse, mit denen ein immer wiederkehrender Bedarf gedeckt werden soll. Dabei besteht zum Beispiel bei Energielieferungsverträgen von vornherein ein relativ enges Verhältnis zwischen der Lebenssituation der Eheleute (Größe der Familie, des Haushalts, eines etwaigen Anwesens) und der danach erforderlichen Bereitstellung unterschiedlicher Energien, das zwar Schwankungen des Verbrauchs nicht ausschließt, sich aber doch in der Regel in überschaubaren Grenzen hält. Dies rechtfertigt auch die Erwartung des Vertragspartners, im Hinblick auf die Zwecksetzung des Vertragsverhältnisses sich auf eine Mitverpflichtung des Ehegatten einzustellen. Beim Telefondienstvertrag lässt sich der Bedarf hingegen von vornherein nur schwer abschätzen; vielfach wird er - etwa wegen Veränderungen in der persönlichen Lebenssituation - auch erheblichen Änderungen und Schwankungen unterliegen. Die Umstände, die hierzu führen - etwa ein vermehrter Bedarf wegen einer doppelten Haushaltsführung; die Notwendigkeit, wegen Alters oder Krankheit nahe stehender Angehöriger häufiger als früher zu telefonieren - treten regelmäßig nicht nach außen, gehen den Vertragspartner auch nichts an. Sichtbar wird für diesen nur das Ausmaß der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Laufzeit des Vertrags, wobei sich aus der Zahlung der Rechnungsentgelte indiziell für ihn ergibt, in welchem Umfang die Ehegatten Mittel für diese Bedarfsposition als angemessen ansehen. In diesem Umfang und Rahmen, der - auch erhebliche - Änderungen des Ausgabeverhaltens einschließen kann, ist eine Mitverpflichtung des Ehegatten nach § 1357 BGB für einen Festnetzanschluss in der Ehewohnung ohne weiteres gegeben. Eine betragsmäßige Grenze hierfür lässt sich jedoch, weil sich der Lebensbedarf familienindividuell nach den Verhältnissen der Ehegatten richtet (vgl. BGH v. 13.2.1985 - IVb ZR 72/83, BGHZ 94, 1 [6] = MDR 1985, 559), nicht festlegen. Das rechtfertigt aber nicht, Kosten, die diesen Rahmen exorbitant überschreiten und die finanziellen Verhältnisse der Familie sprengen, nur deshalb der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs zuzurechnen, weil das Vertragsverhältnis bei seiner Begründung auf eine familiäre Nutzung hinwies. Eine solche Erwartung kann auch ein Diensteanbieter auf der Grundlage der Haftungserweiterung des § 1357 BGB (billigerweise) nicht hegen, die den Gläubigerschutz nicht als Zweck, sondern nur als Folge der eheausgestaltenden Regelung vorsieht (vgl. BVerfG v. 3.10.1989 - 1 BvL 78/86, 1 BvL 79/86, BVerfGE 81, 1 [7 f.] = MDR 1990, 124). Demgegenüber kann es nicht darauf ankommen, für welche Verbindungen der Anschluss genutzt worden ist. Das muss - auch im Prozess über die zu zahlenden Gebühren - ein Internum der Ehegatten bleiben, zu dem sich der Vertragspartner nicht äußern muss und von dem sein Recht, den Ehegatten nach § 1357 BGB auf Zahlung in Anspruch zu nehmen, nicht abhängen darf.
3. Da das Berufungsgericht nicht die Frage geprüft hat, ob die beiden streitgegenständlichen Rechnungen den vorstehend gekennzeichneten Rahmen überschritten haben, andererseits die Parteien Gelegenheit haben müssen, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats ergänzend vorzutragen, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu den weiter notwendigen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei kann das Doppelte des Betrages, der sich als Durchschnitt der unbeanstandeten Zahlungen in dem zurückliegenden Jahr der Vertragslaufzeit ergibt, im Regelfall als Maß für den Haftungsumfang nach § 1357 BGB herangezogen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 1128761 |
NJW 2004, 1593 |
NWB 2004, 1655 |
BGHR 2004, 875 |
EBE/BGH 2004, 1 |
FamRZ 2004, 778 |
CR 2004, 511 |
JR 2004, 422 |
ZAP 2004, 463 |
FPR 2004, 380 |
JA 2004, 700 |
JuS 2004, 630 |
MDR 2004, 798 |
NJ 2004, 412 |
WuM 2004, 293 |
FF 2004, 255 |
FamRB 2004, 209 |
ITRB 2004, 243 |
MMR 2004, 817 |
NJW-Spezial 2004, 105 |
RÜ 2004, 299 |
RdW 2004, 338 |
ZFE 2004, 215 |
FK 2004, 113 |
JT 2005, 9 |
LL 2004, 456 |
LMK 2004, 130 |