Leitsatz (amtlich)

›a) Zum Anspruch auf Widerruf einer ärztlichen Diagnose.

b) Erstellt ein Nervenarzt für ein Unterbringungsverfahren leichtfertig ein Attest mit einer unrichtigen Diagnose und der darauf gegründeten Angabe, daß die sofortige Unterbringung des Betroffenen erforderlich sei, so kann, auch wenn es nicht zur Unterbringung kommt, der Anspruch des Betroffenen auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts nicht mit der Erwägung verneint werden, daß die Auswirkungen auf sein Persönlichkeitsbild in der Öffentlichkeit nicht besonders schwerwiegend gewesen seien.‹

 

Tatbestand

Der als Verwaltungsangestellter bei der Gemeinde J. beschäftigte Kläger hatte in den Jahren 1982/83 mit seinen Nachbarn erhebliche Auseinandersetzungen, die teilweise tätlich verliefen und zu mehreren Gerichtsverfahren führten. wegen der Vorfälle beschwerten sich einige Nachbarn bei dem Dienstherrn des Klägers. Zu jener Zeit befand sich der Kläger wegen eines nervösen Magenleidens in Behandlung bei dem praktischen Arzt Dr. K.. Dieser überwies ihn im Frühjahr 1983 an die von der Beklagten und ihrem Ehemann betriebene nervenärztliche Fachpraxis in M.. Dort wurde der Kläger am 26. April und 13. Mai 1983 vom Ehemann der Beklagten untersucht und behandelt; dieser erstellte am 1. Juni 1983 auch ein EEG (= Aufzeichnung der Hirnstromwellen). Ob noch weitere Untersuchungen des Klägers am 25. Mai und 9. Juni 1983, und zwar in Anwesenheit der Beklagten, stattgefunden haben, ist zwischen den Parteien streitig.

Am 23. Juni 1983 rief ein Beamter der Gemeinde J. bei der Beklagten an und teilte ihr mit, daß sich nach Angaben von Nachbarn der Zustand des Klägers zugespitzt habe. Er fragte, ob eine Unterbringung des Klägers in Betracht komme, was die Beklagte bejahte. Sie erstellte am selben Tage ein ärztliches Attest zur Vorlage bei der örtlichen Ordnungs- bzw. Kreispolizeibehörde, in dessen Formulartext es u.a. heißt:

"2.1 Datum der Untersuchung: 9.6.83.

2.2 Psychischer Befund:

Die von mir durchgeführte eingehende Untersuchung ergab, daß der Kranke mit Sicherheit an einer Psychose leidet.

Genaue Krankheitsbezeichnung:

Paranoid-halluzinatorische Psychose.

3.1 Eigene Feststellungen:

Der Pat. leidet an Verfolgungswahnideen; aufgrund dessen ist er in einen Konflikt mit den Nachbarn und Familienangehörigen geraten. Zum eigenen Schutz und aus Angst trägt der Pat. eine Gaspistole mit sich, mit der er die angeblichen Feinde im Bedarfsfall beschießen will.

3.2 Von der Dienststelle des Pat. und vom Gesundheitsamt wurde ich telefonisch benachrichtigt, daß sich die Familie und die Nachbarn durch das Verhalten des Pat. bedroht fühlen (23.6.83). "

Das Attest schließt mit der Angabe, daß der Kläger aufgrund der getroffenen Feststellungen durch sein krankhaftes Verhalten gegen sich oder andere eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstelle, die nicht anders als durch die Unterbringung in einem geschlossenen Krankenhaus abgewendet werden könne, und daß diese Unterbringung sofort notwendig sei.

Die Beklagte übergab das Attest der Gemeinde J., die es einem von ihr am 24. Juni 1983 beim zuständigen Amtsgericht gestellten Antrag auf Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 12 PsychKG NW vom 2. Dezember 1969 (G.V.N.W.S. 872) beifügte. Das Gericht kam jedoch aufgrund eines fast zweistündigen Gesprächs mit dem Kläger vom selben Tage zu der Überzeugung, daß derzeit eine nur durch Unterbringung abzuwendende Gefahr nicht vorliege und weitere Ermittlungen erforderlich seien.

Mit Schreiben vom 24. Juni 1983 teilte die Beklagte der Gemeinde J. mit, der Kläger habe ihr soeben telefonisch zugesagt, daß er freiwillig zu einer Behandlung kommen werde; eine Zwangseinweisung sei deshalb zur Zeit nicht erforderlich. Mit weiterem Schreiben vom 29. Juni 1983 erklärte die Beklagte auch gegenüber dem Amtsgericht, daß die Voraussetzungen für eine Einweisung des Klägers nicht mehr vorlägen. Am selben Tage nahm die Gemeinde J. den Unterbringungsantrag zurück; das Amtsgericht stellte durch Beschluß vom 4. Juli 1983 das Verfahren ein.

Der Kläger zeigte den Vorfall der Ärztekammer N. an. Diese teilte ihm am 28. August 1984 mit, daß sie in dem Verhalten der Beklagten einen Verstoß gegen die Standesrichtlinien sehe. Sie habe deshalb gegenüber der Beklagten ihre Mißbilligung zum Ausdruck gebracht sowie die Beklagte schriftlich und mündlich gerügt.

Der Kläger macht geltend, er sei von der Beklagten durch die Ausstellung des Attestes und die Weitergabe an die Gemeinde J. in seinem Persönlichkeitsrecht schwer verletzt worden. Er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes "Schmerzensgeld" zu zahlen und die im Attest vom 23. Juni 1983 gestellte Diagnose gegenüber der Gemeinde J. als unrichtig zu widerrufen.

Die Beklagte tritt dem Klagebegehren insbesondere mit dem Vorbringen entgegen, die von ihr attestierte Diagnose sei nicht falsch gewesen; sie sei von ihr aufgrund eigener Untersuchungen des Klägers und eines Erfahrungsaustauschs mit ihrem Ehemann nach bestem Wissen erstellt worden.

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein "Schmerzensgeld" von 5.000 DM zu zahlen und die Diagnose vom 23. Juni 1983 als unrichtig zu widerrufen. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner (zugelassenen) Revision, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hält beide Klageansprüche für nicht begründet. Für einen Anspruch des Klägers auf Geldentschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fehle es selbst bei Unterstellung einer unrichtigen Diagnose der Beklagten und eines darauf beruhenden falschen Einweisungsattestes an der notwendigen Voraussetzung eines besonders schweren Eingriffs in seine Privat- oder Individualsphäre. Zum einen habe sich der Kläger, der seinerzeit bereits in nervenärztlicher Behandlung gestanden habe, durch sein ungewöhnliches Verhalten in der Nachbarschaft erheblich exponiert und dadurch den Verdacht, daß er an Verfolgungswahnideen leiden könnte, selbst ausgelöst. Zum anderen habe das Wirken der Beklagten keine schwerwiegenden Folgen gehabt. Der Vorgang sei bei der Gemeinde J. aktenintern geblieben; durch die richterliche Anhörung des Klägers sei kein öffentliches Aufsehen erregt worden; der Unterbringungsantrag habe keinen Erfolg gehabt, und er sei bereits nach kurzer Zeit zurückgenommen worden. Das Widerrufsbegehren des Klägers sei ebenfalls unbegründet. Ein solches Begehren könne sich nur gegen unwahre Tatsachenbehauptungen richten, während die von der Beklagten attestierte Diagnose als medizinische Schlußfolgerung eine subjektive gutachterliche Wertung darstelle und als solche einem Widerruf nicht zugänglich sei. Zudem entbehre die Widerrufsklage auch des erforderlichen Rechtsschutzinteresses, da nach dem Vorbringen des Klägers davon auszugehen sei, daß es ihm vorrangig nicht um die Beseitigung einer fortwährenden Störung, sondern um Rechthaberei und Genugtuung gehe.

II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nur zum Teil stand.

A. Zum Widerrufsanspruch

1. Mit Recht geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Kläger einen Widerruf der von der Beklagten in dem Attest vom 23. Juni 1983 gestellten Diagnose unbeschadet weiterer Anspruchsvoraussetzungen auf schadensrechtlicher wie auf negatorischer Grundlage (§§ 823, 824, 1004 BGB) nur verlangen kann, wenn es sich bei der Diagnose um eine Tatsachenbehauptung, nicht aber um eine medizinische Wertung und damit um eine Meinungsäußerung der Beklagten handelt. Das entspricht ständiger Rechtsprechung (vgl. Senatsurteile vom 18. Oktober 1977 - VI ZR 171/76 - VersR 1978, 229 f und vom 3. Mai 1988 - VI ZR 276/87 - VersR 1988, 827, 828 = BGHR § 1004 Widerruf 2; jeweils m. w. N.). Denn niemand kann durch eine Widerrufsklage und sodann im Wege der Zwangsvollstreckung gezwungen werden, seine nach freier Meinungsbildung geäußerte Überzeugung aufzugeben oder eine für richtig gehaltene Würdigung zurückzunehmen.

2. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht weiter der Ansicht, daß sich das Widerrufsbegehren des Klägers hier ausschließlich gegen eine ärztliche Wertung und damit gegen eine Meinungsäußerung der Beklagten richtet.

a) Da der Kläger allein den Widerruf der von der Beklagt attestierten Diagnose, nicht aber auch die Rücknahme sonstige Angaben aus dem Attest vom 23. Juni 1983 verlangt, kann es für die Entscheidung dahinstehen, ob und inwieweit es sich beide in den Punkten 3.1 und 3.2 dieser Bescheinigung genannten

Einzelheiten um eigenständige Tatsachenbehauptungen im Rahmen der Beurteilung der Beklagten handelt und ob diese Angaben einem isolierten Widerruf zugänglich wären (zur Möglichkeit solcher Differenzierung bei Warentests vgl. BGHZ 65,. 325, 329 und Senatsurteil vom 21. Februar 1989 - VI ZR 18/88 - zur Veröffentlichung bestimmt).

b) Die vom Kläger allein zum Gegenstand seiner Widerrufsklage gemachte ärztliche Diagnose der Beklagten ist mit dem Berufungsgericht als eine auf medizinischer Begutachtung beruhende Wertung anzusehen, die einem Widerruf selbst dann verschlossen ist, wenn sie sich bei sachverständiger Überprüfung als unrichtig erweist. Das hat der erkennende Senat f die ärztliche Diagnose in einem vergleichbaren Fall bereits ausgesprochen (Urteil vom 3. Mai 1988 = a.a.O.). Gründe für eine andere Betrachtung sind auch im Streitfall nicht ersichtlich. Sie ergeben sich entgegen der Ansicht der Revision insbesondere nicht daraus, daß das Berufungsgericht bei seiner rechtlichen Würdigung nicht nur die Unrichtigkeit der von der Beklagten attestierten Diagnose, sondern gemäß seinen Ausführungen zur Zulassung der Revision auch eine leichtfertige Erteilung des Attestes durch die Beklagte unterstellt. Allerdings hat der e kennende Senat in seinem Urteil vom 18. Oktober 1977 (= a.a.O.) zum Anspruch auf Widerruf einer (das Gebiet der Graphologie betreffenden) gutachtlichen Aussage, als die sich der Sache nach auch die hier angegriffene ärztliche Diagnose darstellt (vgl. Senatsurteil vom 3. Mai 1988 = a.a.O.), die Möglichkeit angesprochen, daß eine solche Aussage ausnahmsweise als eine das Widerrufsbegehren rechtfertigende Tatsachenbehauptung anzusehen sei könne, wenn etwa die der Schlußfolgerung vorausgehende methodische Untersuchung oder die zu dem Ergebnis führende Anwendung spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten grob leichtfertig erfolgt seien. Ob ein solcher Ausnahmefall auch bei einer ärztlichen Diagnose vorliegen kann, hat der Senat in seinem bereits mehrfach genannten Urteil vom 3. Mai 1988 offen gelassen. Die Frage bedarf auch im Streitfall keiner Entscheidung. Denn die Voraussetzungen für eine derartige Ausnahme sind hier selbst dann nicht erfüllt, wenn man gemäß den Ausführungen des Berufungsgerichts zur Zulassung der Revision von der leichtfertigen Erteilung eines unrichtigen Attestes durch die Beklagte ausgeht.

Wie sich aus den Entscheidungsgründen des Senatsurteils vom 18. Oktober 1977 ergibt, ist mit der dort als mögliche Ausnahme genannten leichtfertigen Erstellung eines Gutachtens ein solche gemeint, durch die das Gutachten seinen Charakter als Werturteil verliert, weil es, ähnlich wie bei bloßer Vortäuschung der vom Gutachter angeblich angewendeten speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten, einer auf Sachkunde beruhenden Beurteilung völlig entbehrt. Die einem Widerruf zugängliche Tatsachenaussage liegt in derartigen Fällen in der unwahren konkludenten Behauptung, das Gutachten sei auf der in Wirklichkeit nicht in Anspruch genommenen fachlichen Grundlage erstellt. Das mag bei ärztlichen Diagnosen zu erwägen sein, wenn dem Gutachter jedwede Kompetenz für die Beurteilung der von ihm beantworteten Frage fehlt oder wenn er zwar über die notwendige Fachkunde verfügt, von seinen speziellen Fähigkeiten und Kenntnissen bei der Begutachtung aber keinen Gebrauch gemacht hat. So liegt der Fall hier jedoch nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht. Die Beklagte hatte als Nervenärztin unstreitig die erforderlichen Fachkenntnisse zur Beantwortung der in dem Attest vom 23. Juni 1983 enthaltenen Formularfragen. Ihr wäre selbst wenn sie den Kläger gemäß dessen Vorbringen nicht selbst untersucht und behandelt haben sollte, nach ihrer vom Kläger nicht bestrittenen Behauptung doch jedenfalls von ihrem Ehemann dessen Erfahrungen über den Zustand des Klägers mitgeteilt worden. Der Beklagten standen ferner bei der Erstellung des Attestes die Aufzeichnungen ihres Ehemannes zur Verfügung. Die von ihr auf dieser Grundlage in dem Attest bescheinigte Psychose des Klägers war deshalb von der Beklagten nicht ohne Anwendung spezieller Fachkenntnisse gleichsam ins Blaue hineindiagnostiziert worden. Auch wenn also, wie das Berufungsgericht in dem oben genannten Zusammenhang unterstellt, die Beklagte das Attest leichtfertig erstellt hat, weil sie pflichtwidrig ihre Beurteilung auf eine nicht selbst durchgeführte und am 23. Juni 1983 bereits 14 Tage zurückliegende Untersuchung des Klägers gestützt hat, so kann ihrer Diagnose doch deshalb nicht der Charakter als Werturteil mit der Folge abgesprochen werden, da die Aussage der Beklagten als eine das Widerrufsbegehren des Klägers rechtfertigende Tatsachenbehauptung angesehen werden könnte.

c) Da es aus diesem Grunde bereits an einer dem Widerruf zugänglichen Äußerung der Beklagten fehlt, bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob dem Widerrufsbegehren des Klägers auch der Umstand entgegensteht, daß die Beklagte das Attest für ein von der Gemeinde J. beabsichtigtes gerichtliches Unterbringungsverfahren ausgestellt hat. Deshalb kann es hier offen bleiben, ob und inwieweit auf den Widerruf der Aussage eines Sachverständigen Erwägungen zu übertragen sind, die nach ständiger Rechtsprechung gesonderte Ehrenschutzklagen gegenüber Parteivorbringen und Zeugenaussagen in gerichtlichen Verfahren und in deren Vorfeld ausschließen (vgl. dazu Senatsurteile vom 14. Juni 1977 - VI ZR 111/75 - VersR 1977, 836, 837 f, insoweit nicht in BGHZ 69, 181 abgedruckt; vom 10. Juni 1986 - VI ZR 154/85 - NJW 1986, 2502 = BGHR § 823 Abs. 1 Ehrverletzung 1 und vom 13. Oktober 1987 - VI ZR 83/87 - VersR 1988, 379, 380 = BGHR ZPO vor § 1/Rechtsschutzinteresse Ehrenschutz 1; jeweils m.w.N.). Ebenso kann für die Entscheidung dahinstehen, ob es dem Kläger, wie das Berufungsgericht meint, vorrangig nicht um die Beseitigung einer noch fortdauernden Störung, sondern um Rechthaberei und Genugtuung geht und welche Bedeutung insoweit der Erklärung des Klägers gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen zukommt, ihm sei inzwischen die "Wiedergutmachung seiner Rufschädigung" in der Verwaltung der Gemeinde J. gelungen.

B. Zum Anspruch auf Geldentschädigung

1. Rechtlich zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß bei Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine Geldentschädigung für zugefügten immateriellen Schaden nur dann in Betracht kommt, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Das entspricht ständiger Rechtsprechung (vgl. BGHZ 39, 124, 133; 95, 212, 214 f; Senatsurteile vom 26. Januar 1971 - VI ZR 95/70 - VersR 1971, 465, 466 ff; vom 22. Januar 1985 - VI ZR 28/83 - VersR 1985, 391, 392 f und vom 15. Dezember 1987 - VI ZR 35/87 - VersR 1988, 405 = BGHR § 823 Abs. 1 Persönlichkeitsrecht 6; jeweils m.w.N.). Ob im Einzelfall eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, hängt, wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig sieht, insbesondere von der Bedeutung und der Tragweite des Eingriffs, also von dem Ausmaß. der Verbreitung der verletzenden Aussage, von der Nachhaltigkeit und der Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, ferner von Anlaß und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (vgl. die vorgenannten Senatsurteile).

2. Hiernach kann aber dem Kläger auf der Grundlage der vom Berufungsgericht zu seinen Gunsten vorgenommenen Unterstellungen ein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung nicht abgesprochen werden. Das Berufungsgericht hat, wie die Revision mit Recht rügt, bei der Abweisung auch dieses Teils der Klage den vorgetragenen Prozeßstoff nicht erschöpfend gewürdigt und damit gegen § 286 Abs. 1 ZPO verstoßen.

a) Da das Berufungsgericht eine leichtfertig unrichtige Diagnose der Beklagten unterstellt, ist von einem rechtswidrigen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Klägers auszugehen. Denn bei solcher Sachlage kann die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Beklagten nicht mit der Begründung verneint werden, daß sie als medizinische Sachverständige für ein beabsichtigtes gerichtliches Verfahren allein die Fragen ihres Auftraggebers beantwortet und damit im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit lediglich das in Artikel 5 GG gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen habe (vgl. dazu Senatsurteil vom 18. Oktober 1977 = a.a.O. S. 231). Hat nämlich die Beklagte nicht gewissenhaft, sondern leichtfertig gearbeitet, so werden ihre darauf fußende fehlerhafte Diagnose und die dadurch verursachte Beeinträchtigung der Persönlichkeitssphäre des Klägers von dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gedeckt.

b) Dem deshalb auch für die Revisionsinstanz als rechtswidrig anzusehenden Eingriff der Beklagten kann bei dem vom Berufungsgericht unterstellten Sachverhalt nicht der notwendige Grad an Schwere abgesprochen werden, der den Anspruch auf eine Geldentschädigung zu begründen vermag.

aa) Soweit das Berufungsgericht "Auffälligkeiten" des Klägers und ein "merkwürdiges Verhalten" gegenüber seinen Nachbar anspricht, fehlt es, wie die Revision mit Recht rügt, an Feststellungen und an der Gewichtung konkreter Umstände, durch die wie das Berufungsgericht meint, der Kläger den Verdacht, an Verfolgungswahnideen zu leiden, selbst ausgelöst habe.

bb) Das Berufungsgericht stellt entscheidend darauf ab, daß, wie es im einzelnen ausführt, die Auswirkungen des Verhaltens der Beklagten auf das Persönlichkeitsbild des Klägers in der Öffentlichkeit nicht besonders schwerwiegend gewesen seien. Das wird der Tragweite des Eingriffs der Beklagten nicht voll gerecht. Ärztliche Aussagen der vorliegenden Art, insbesondere wenn sie als Grundlage für die Einleitung eines Unterbringungsverfahrens gemacht werden, treffen die Persönlichkeit des Betroffenen an ihrer Basis (vgl. auch BVerfGE 49, 304 - NJW 1979, 305). Ihr Gewicht kann deshalb nicht nur anhand der negativen Ausstrahlung für das Bild des Betroffenen in der Öffentlichkeit beurteilt werden; zu berücksichtigen ist auch und zu allererst die Bedrohung, die der mit dem Unterbringungsverfahren überzogene Betroffene für seinen Integritätsanspruch und sein Recht auf Selbstverwirklichung erfährt. Auch wenn die nervenärztliche Diagnose der Beklagten hier letztlich nicht zur Unterbringung des Klägers geführt hat, so bestand doch für ihn die in ihrem Gewicht nicht zu unterschätzende Gefahr, daß der auf die fachärztliche Bescheinigung der Beklagten gestützte Unterbringungsantrag der Gemeinde J. Erfolg haben würde. Die dadurch für den Kläger bis zur Einstellung des Unterbringungsverfahrens am 4. Juli 1983 begründete Unsicherheit ist, wie die Revision mit Recht geltend macht, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht als nur unbedeutend einzustufen.

cc) Das Berufungsgericht, das zugunsten des Klägers von einer leichtfertig erstellten unrichtigen Diagnose der Beklagten au geht, durfte ferner, wie die Revision ebenfalls mit Recht beanstandet, das bei solcher Sachlage vorliegende erhebliche Verschulden der Beklagten bei der Gewichtung der Schwere ihres Eingriffs nicht außer Betracht lassen. Wegen der oben dargelegten gravierenden Auswirkungen auf die Persönlichkeitssphäre ist bei der Erstellung einer nervenfachärztlichen Diagnose, mit der eine Unterbringung des Betroffenen für erforderlich gehalten wird, besondere Sorgfalt geboten. Wird vom Arzt hiergegen verstoßen und leichtfertig eine sachlich unrichtige Bescheinigung ausgestellt, so wird es zur Wahrung des Integritätsanspruchs des Betroffenen, dessen Beeinträchtigung in solchen Fällen nicht in anderer Weise ausgeglichen werden kann, in aller Regel geboten sein, eine Geldentschädigung zuzuerkennen. Gründe für eine andere Betrachtung sind bei dem vom Berufungsgericht unterstellten Sachverhalt auch im Streitfall nicht ersichtlich.

III. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 565 Abs. 1 ZPO zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung insbesondere zu prüfen haben, ob die Beklagte, wie bisher unterstellt, leichtfertig eine sachlich unrichtige Diagnose erstellt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992981

NJW 1989, 2941

BGHR BGB § 1004 Widerruf 3

BGHR BGB § 823 Abs. 1 Persönlichkeitsrecht 9

DRsp I(145)345a-b

GRUR 1989, 536

MDR 1989, 981

VersR 1989, 628

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