Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlung fälliger Forderung zur Zwangsvollstreckungsvermeidung als inkongruente Deckung
Leitsatz (amtlich)
Eine Leistung, die der Schuldner dem Gläubiger auf eine fällige Forderung zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung gewährt hat, stellt eine inkongruente Deckung dar.
Normenkette
InsO § 131 Abs. 1
Verfahrensgang
Brandenburgisches OLG (Urteil vom 12.07.2001) |
LG Neuruppin |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 12. Juli 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist Verwalterin im Insolvenzverfahren über das Vermögen des H. W.. Der Schuldner betrieb ein Bauunternehmen. Zehn seiner Arbeitnehmer waren bei der Beklagten sozialversichert.
Der Schuldner entrichtete für die Monate November und Dezember 1998 fällig gewordene Sozialversicherungsbeiträge nicht fristgerecht. Nach schriftlicher Mahnung erschien am 14. Januar 1999 in den Geschäftsräumen des Schuldners ein Vollstreckungsbeamter der Beklagten, um die Beiträge für November 1998 beizutreiben. Der Schuldner übergab ihm zum Ausgleich der Forderung einen Verrechnungsscheck über 11.785,57 DM, der eingelöst wurde. Am 11. Februar 1999 erhielt der Vollstreckungsbeamte der Beklagten einen weiteren Scheck in Höhe von 14.810,50 DM, durch den die Beiträge für Dezember 1998 beglichen wurden.
Der Schuldner hat mit einem am 6. April 1999 bei Gericht eingegangenen Schreiben die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Das Verfahren wurde am 9. Juli 1999 eröffnet. Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr der Scheckzahlungen. Sie behauptet, der Schuldner sei jedenfalls seit Januar 1999 zahlungsunfähig gewesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung gegen das der Klage stattgebende Urteil des Landgerichts zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, die Zulassung werde auf die Frage beschränkt, ob durch die Abführung von Arbeitnehmeranteilen eine Gläubigerbenachteiligung eintrete. Die Revision ist gleichwohl insgesamt zulässig.
Das Berufungsgericht kann in den Entscheidungsgründen eine wirksame Beschränkung der Revision vornehmen, wenn diese sich auf einen abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs bezieht (BGH, Urt. v. 16. März 1988 – VIII ZR 184/87, NJW 1988, 1788; v. 19. November 1997 – XII ZR 1/96, BGHR ZPO § 621 d Abs. 1 Zulassung, beschränkte 1). Wird der Beklagte zur Zahlung verurteilt, muß sich demnach der Teil der Urteilssumme, der mit der Revision angegriffen werden kann, betragsmäßig exakt beziffern lassen (BGH, Beschl. v. 10. Januar 1979 – IV ZR 76/78, NJW 1979, 767; Urt. v. 21. April 1982 – IVb ZR 741/80, FamRZ 1982, 684, 685). Daran fehlt es im Streitfall. Das angefochtene Urteil enthält keine Angabe dazu, wie hoch die an die Beklagte geleisteten Arbeitnehmeranteile sind. Dieser Teil des Klageanspruchs läßt sich im übrigen auch nicht aus dem Parteivorbringen entnehmen, weil die Beitragsnachweise vom Arbeitgeber allein zu tragende Umlagen enthalten und die Beklagte mit dem im Januar 1999 übergebenen Scheck wegen Berücksichtigung einer Gutschrift in Höhe von 1.490,60 DM weniger, als im Beitragsnachweis für November 1998 ermittelt, erhalten hat. Die Parteien haben nicht vorgetragen, mit welchen Beitragsschulden die Gutschrift verrechnet wurde.
II.
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
1. Das Berufungsgericht hat zu Recht die erhaltenen Zahlungen insgesamt als gemäß §§ 129 ff InsO anfechtbar angesehen.
a) Wie der Senat nach Erlaß des angefochtenen Urteils entschieden hat, benachteiligen Beitragszahlungen des späteren Gesamtvollstreckungsschuldners an einen Sozialversicherungsträger die Gesamtheit der Gläubiger in der Regel auch insoweit, als sie Arbeitnehmeranteile betreffen, weil diese aus dem Vermögen des Arbeitgebers aufgebracht werden (BGH, Urt. v. 25. Oktober 2001 – IX ZR 17/01, WM 2001, 2398, 2399 f, z.V.b. in BGHZ). Die Insolvenzordnung versteht den Begriff der Gläubigerbenachteiligung nicht anders als die Gesamtvollstreckungsordnung; daher gilt diese Rechtsprechung in gleicher Weise für das neue Recht (vgl. auch BGH, Urt. v. 20. November 2001 – IX ZR 48/01, WM 2002, 137, z.V.b. in BGHZ; Gundlach/Frenzel/Schmidt DZWIR 2002, 89 ff).
b) Eine andere Beurteilung kommt lediglich dann in Betracht, wenn die Arbeitnehmer im Wege eines Treuhandverhältnisses an bestimmten abzuführenden Vermögenswerten eine rechtlich geschützte Position errungen haben. Dazu wäre mindestens erforderlich, daß der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer eine Lohnabrechnung vorgenommen hat, die bestimmte Beträge als Abzüge bezeichnet; diese müßten zudem als Guthaben des einzelnen Arbeitnehmers in den Buchhaltungsunterlagen des Arbeitgebers ausgewiesen sowie tatsächlich vorhanden sein (Senatsurt. v. 25. Oktober 2001, aaO S. 2400). Entsprechende Umstände hat die Beklagte nicht dargetan. Die Übergabe und Einlösung des vom Schuldner ausgestellten Schecks belegt nur die Leistung aus seinem Vermögen, nicht dagegen die Begründung eines Treuhandverhältnisses zwischen ihm und den Arbeitnehmern oder der Beklagten hinsichtlich dieses Teils der Beiträge.
2. Das Berufungsgericht hat § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO angewandt, weil die Scheckzahlungen als inkongruente Deckungen zu werten seien. Der Vollstreckungsbeamte der Beklagten sei jeweils beim Schuldner erschienen, um die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge notfalls zwangsweise beizutreiben. Der Schuldner habe die Leistungen zur Vermeidung der unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung erbracht und damit der Beklagten eine Befriedigung verschafft, die sie ohne Einschaltung der Zwangsvollstreckungsorgane nicht erlangt hätte.
Die dagegen von der Revision erhobenen Rügen greifen nicht durch.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine während der „kritischen” Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung als inkongruent anzusehen (BGHZ 136, 309, 311 ff; BGH, Urt. v. 15. November 1990 – IX ZR 92/90, WM 1991, 150; v. 15. Dezember 1994 – IX ZR 24/94, WM 1995, 446, 450; v. 20. November 2001 – IX ZR 159/00, ZIP 2002, 228, 229). Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip wird durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurück (BGHZ 136, 309, 312 f).
b) Diese schon im bisherigen Recht angelegte Ordnung ist durch § 131 InsO zeitlich deutlich nach vorn verlagert worden. Die Vorschrift verdrängt in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag den Prioritätsgrundsatz zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger (MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 26; Kreft in H.K.-InsO, 2. Aufl. § 131 Rn. 15). Rechtshandlungen, die während des von dieser Vorschrift erfaßten Zeitraums auf hoheitlichem Zwang beruhen, können daher entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung (Kübler/Prütting/Paulus, InsO § 131 Rn. 18; Paulus/Allgayer ZInsO 2001, 241 ff) nicht mit der Erwägung als kongruent angesehen werden, dem Anfechtungsgegner habe ein fälliger Anspruch zugestanden, für den die Rechtsordnung das Instrumentarium der Einzelzwangsvollstreckung zur Verfügung stelle.
c) Für die Beurteilung der Anfechtbarkeit ist es nicht wesentlich, ob die Zwangsvollstreckung im formalrechtlichen Sinne schon begonnen hat. Da § 131 InsO die Rechtsstellung der Masse stärkt, ist eine Befriedigung oder Sicherung auch dann inkongruent, wenn diese unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung gewährt wurde, der Gläubiger also zum Ausdruck gebracht hatte, er werde alsbald die Mittel der Vollstreckung einsetzen, wenn der Schuldner die Forderung nicht erfülle (MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO m.w.N.).
Entsprechende Voraussetzungen waren nach den tatrichterlichen Feststellungen im Streitfall gegeben. Die Beklagte hatte die Vollstreckung aus dem von ihr erlassenen Bescheid angekündigt (§ 66 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB X). Die Schecks wurden jeweils dem in den Geschäftsräumen des Schuldners erschienen Bediensteten der Beklagten übergeben, der andernfalls sofort mit einem Vollstreckungsversuch begonnen hätte. Die Würdigung des Berufungsgerichts, der Schuldner habe diese Schecks hingegeben, um die ansonsten bevorstehende Vollstreckung zu vermeiden, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Meinung der Revision ist es demgegenüber unerheblich, daß im Zeitpunkt der Übergabe der Schecks Vollstreckungskosten noch nicht angefallen waren.
d) Der Senat ist nicht durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Juni 1997 (9 AZR 753/95, ZIP 1998, 33, 35) gehindert, die der Beklagten gewährte Deckung als inkongruent zu behandeln.
Das Bundesarbeitsgericht hat dort unter Berufung auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Februar 1969 (VIII ZR 41/67, LM KO § 31 Nr. 4) die Auffassung vertreten, die Erfüllung einer Geldschuld sei nicht schon deshalb als inkongruente Deckung anzusehen, weil der Gemeinschuldner möglicherweise unter dem Druck einer vom Gläubiger eingeleiteten oder angedrohten Zwangsvollstreckung gehandelt habe. Diesem Urteil ist schon nicht zu entnehmen, daß es einen Sachverhalt, wie er hier vom Berufungsgericht festgestellt wurde, anders als der erkennende Senat beurteilt; denn die Entscheidung bringt lediglich zum Ausdruck, daß Zahlungen, die der Schuldner zur Vermeidung einer Vollstreckung leistet, nicht generell als inkongruente Deckung gewertet werden könnten. Diese Frage ist im Streitfall nicht zu entscheiden. Davon abgesehen ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum ausgelaufenen Recht (§ 30 Nr. 2 KO) ergangen und schon deshalb für die Auslegung von § 131 InsO nicht unmittelbar einschlägig. Außerdem wurde in jenem Fall nicht das Verhalten des Gläubigers, sondern die Reaktion der Hausbank als das für die angefochtene Rechtshandlung des Schuldners letztlich wesentliche Ereignis angesehen (vgl. BAG aaO S. 35).
3. Die Zahlungen des Schuldners fallen in den von § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfaßten 3-Monats-Zeitraum vor dem Eröffnungsantrag. Das Berufungsgericht hat die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bei Vornahme der Rechtshandlungen bejaht und zur Begründung ausgeführt: Der Schuldner habe Forderungen Dritter aus Lieferungen und Leistungen in Höhe von mehr als 200.000 DM nicht mehr begleichen können. Die Beklagte behaupte nicht, daß der Schuldner in der Lage gewesen sei, diese fälligen, ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten durch Inanspruchnahme weiteren Kredits zu decken. Daß der Schuldner noch einzelne Zahlungen erbracht habe, ändere nichts an seiner Zahlungsunfähigkeit.
Auch gegen diese Ausführungen wendet sich die Revision vergeblich.
Das Berufungsgericht ist bei seiner Würdigung von einer Zahlungseinstellung zum maßgeblichen Zeitpunkt als dem gesetzlichen Regelfall der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) ausgegangen. Zahlungseinstellung liegt vor, wenn der Schuldner einen nicht unwesentlichen Teil der ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten nicht bloß vorübergehend nicht zu erfüllen vermag (st.Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 25. Januar 2001 – IX ZR 6/00, ZIP 2001, 524, 525; v. 20. November 2001, aaO S. 139). Das hat das Berufungsgericht für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen verschiedener Gläubiger sowie darüber hinaus für den größten Teil der im Januar 1999 fällig gewordenen Lohnansprüche der Arbeitnehmer des Schuldners rechtsfehlerfrei festgestellt.
Die Revision macht zu Unrecht geltend, der Schuldner sei in der Lage gewesen, diese Forderungen durch Inanspruchnahme eines weiteren Kredits zu tilgen. Das Berufungsgericht hat aufgrund der von der Klägerin vorgelegten Urkunden verfahrensfehlerfrei angenommen, der dem Schuldner eingeräumte Kontokorrentkredit von 260.000 DM sei am 11. Januar 1999 voll ausgeschöpft gewesen und habe am 25. Februar 1999 einen Sollsaldo von über 327.000 DM aufgewiesen. Der Umstand, daß die Hausbank des Schuldners die an die Beklagte gegebenen Schecks eingelöst hat, deutet nicht schon darauf hin, daß sie bereit war, dem Schuldner zusätzliche, weit darüber hinausgehende Kreditmittel zur Tilgung der übrigen fälligen Forderungen einzuräumen. Da die Beklagte keine Tatsachen dargelegt hat, die geeignet sein können, das Vorbringen der Klägerin zur Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu erschüttern, ist die tatrichterliche Würdigung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Kreft, Kirchhof, Fischer, Raebel, Kayser
Fundstellen
Haufe-Index 743339 |
BB 2002, 1338 |
DB 2002, 1993 |
DStZ 2002, 503 |
NJW 2002, 2568 |
BGHR 2002, 803 |
IBR 2002, 365 |
KTS 2002, 562 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 1193 |
WuB 2002, 1189 |
ZIP 2002, 1159 |
InVo 2002, 354 |
KKZ 2003, 35 |
MDR 2002, 1027 |
NJ 2002, 537 |
NZI 2002, 28 |
NZI 2002, 378 |
ZInsO 2002, 581 |