Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Rückgewähr ohne Rechtsgrund gewährter Sozialhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Rückgewähr ohne Rechtsgrund geleisteter Sozialhilfe ist auch dann öffentlich-rechtlicher Natur und vor den Verwaltungsgerichten geltend zu machen, wenn die Leistungen im Hinblick auf einen unwirksamen Darlehensvertrag nach § 89 BSHG erbracht worden sind.

 

Normenkette

GVG § 13; VwGO § 40; BSHG § 89; SGB X § 32

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin und die Berufung des Beklagten werden unter Zurückweisung der Rechtsmittel im übrigen das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 22. April 1986 und das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11. Oktober 1985 aufgehoben, soweit mit der Klage 24.512,72 DM nebst Zinsen verlangt werden.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsweg zu den Zivilgerichten für unzulässig erklärt. Insoweit wird der Rechtsstreit auf den Hilfsantrag der Klägerin an das Verwaltungsgericht Köln verwiesen.

Die Kosten beider Rechtsmittelzüge hat die Klägerin zu tragen.

 

Tatbestand

Die klagende Stadt verlangt vom Beklagten Rückzahlung von Sozialhilfe, die seiner am 24. Februar 1981 verstorbenen Tante Anna St. gewährt wurde. Diese Tante war zu 3/8 Miteigentümerin eines Einfamilienhauses in der klagenden Stadt; sie bewohnte es zusammen mit ihrer Schwester, deren Ehemann und dem Beklagten. Die Schwester und ihr Ehemann wohnen noch heute in dem Haus.

Am 16. März 1977 wurde die Tante des Beklagten in ein Städtisches Altersheim eingewiesen. Von diesem Zeitpunkt ab bezog sie Hilfe zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz in Form von Pflegekosten, Bekleidungsbeihilfe, Weihnachtsbeihilfe und Taschengeld. Diese Leistungen wurden nur zum Teil durch ein von der Klägerin auf sich übergeleitetes Altersruhegeld der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gedeckt.

Am 14. Dezember 1978 schloß die Klägerin mit dem der Tante zur Regelung ihrer Vermögensangelegenheiten bestellten Pfleger einen Vertrag, nach dem sie der Tante monatlich 938,50 DM Hilfe zur Pflege gemäß § 89 BSHG darlehensweise gewährte. Dieser Darlehensvertrag wurde nicht durch das Vormundschaftsgericht genehmigt.

Die Klägerin hat den Beklagten zunächst auf Darlehensrückzahlung in Höhe von 45.694,09 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Der Beklagte hat geltend gemacht, der Darlehensvertrag sei mangels vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung unwirksam; er hat hilfsweise mit einem Schadensersatzanspruch aufgerechnet, den er aus dem Verhalten des in den Diensten der Klägerin stehenden Vermögenspflegers herleitet.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsforderung unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die klagende Stadt ihr Klagebegehren in Höhe von 24.512,72 DM nebst Zinsen weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Teilaufhebung des Berufungsurteils und insoweit zur Verweisung der Sache an das zuständige Verwaltungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat die Klage in Höhe eines Teilbetrages von 21.181,37 DM deshalb abgewiesen, weil die Klägerin insoweit bereits vor dem Abschluß des Darlehens-Vertrages geleistete Sozialhilfe zurückfordere, die nicht in einem Zusammenhang mit dem geschlossenen Vertrag stehe. Im übrigen sei der Darlehensvertrag mangels vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung unwirksam. Ein Anspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung stehe der Klägerin nicht zu, weil nicht ausgeschlossen werden könne, daß die Leistungen der Klägerin "auch nach dem 14.12.1978 nach wie vor nach dem BSHG als rechtlichen Grund erfolgten, weil lediglich eine Umwandlung in eine Darlehensgewährung beabsichtigt war, die mangels vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung des Vertrages fehlgeschlagen ist".

Diese Entscheidung hält in der Frage des beschrittenen Rechtsweges revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

II.

Die Klage ist unzulässig. Für den geltend gemachten Anspruch ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten nicht gegeben.

1.

Ohne rechtlichen Grund gezahlte Sozialhilfe rechtfertigt im Regelfall einen öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruch, über dessen Bestehen im Streitfall nicht die Zivilgerichte, sondern die Verwaltungsgerichte zu entscheiden haben.

Wird die Sozialhilfe nach § 89 BSHG als Darlehen gewährt, so hängen die Rechtsnatur des Rückzahlungsanspruchs und der Rechtsweg für Streitigkeiten über sein Bestehen und seine Höhe von der Form ab, in der das Darlehen gewährt worden ist (vgl. OVG Bremen, Beschluß vom 11. September 1985 - 2 B 89/85 = FVES 35, 56, 57 f.). Dafür kommen drei Gestaltungsmöglichkeiten in Betracht (Oestreicher, BSHG, Stand: 1986, § 15 b Rn. 6):

  • Über die Gewährung der Sozialhilfe und ihre Höhe wird durch Verwaltungsakt entschieden, über die Durchführung aber ein privatrechtrechtlicher Vertrag geschlossen; in diesem Fall haben über die Erfüllung der Vertragspflichten die Zivilgerichte zu entscheiden (vgl. auch Oestreicher § 89 Rn. 4; § 30 Rn. 6).
  • Die Darlehensbedingungen werden nach § 32 SGB X als Nebenbestimmungen zu dem gewährenden Verwaltungsakt festgelegt; in diesem Fall sind die Vertragspflichten im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen und über den Rechtsschutz entscheiden die Verwaltungsgerichte.
  • Sozialhilfeträger und Hilfebedürftige schließen einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Auch über dessen Abwicklung wird im Verwaltungsrechtsweg entschieden.

In der Literatur wird allerdings auch die Auffassung vertreten, die inzwischen in Rechtsprechung und Literatur eingetretene Entwicklung lasse den Schluß zu, daß ein Vertrag über die Gewährung von Sozialhilfe in Form eines Darlehens insgesamt dem öffentlichen Rechtszug zuzuordnen sei (Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 12. Aufl. 1985, § 30 Rn. 10) und daß dementsprechend für Streitigkeiten über den Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens die Verwaltungsgerichte zuständig seien (a.a.O. Rn. 11).

2.

Wie die Gewährung von Sozialhilfe an die Tante des Beklagten in diesem Rahmen rechtlich zu beurteilen ist, bedarf jedoch keiner Entscheidung; denn die Klägerin stützt den von ihr geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht auf Darlehensgewährung. Beide Parteien stimmen nunmehr darin überein, daß der zwischen der Klägerin und dem Pfleger der Tante des Beklagten geschlossene Darlehensvertrag mangels vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung nicht wirksam geworden ist. Unter diesen Umständen ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Rückgewähr ohne Rechtsgrund gewährter Sozialhilfe aber in jedem Falle öffentlich-rechtlicher Natur und vor den Verwaltungsgerichten einzufordern.

Dieser Rückgewähranspruch setzt nämlich - wie der zivilrechtliche Bereicherungsanspruch (zu ihm insoweit BGH, Urteil vom 3. Juni 1958 - VIII ZR 51/57 = LM BGB § 812 Nr. 33) - nicht nur voraus, daß der Rechtsgrund nicht bestand, den der Leistende sich vorgestellt hat. Vielmehr führt die Unwirksamkeit des Darlehensvertrages - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - auch dann nicht zu einem Rückgewähranspruch der Klägerin, wenn ihre zur Vertragserfüllung erbrachten Leistungen ihren rechtfertigenden Grund unabhängig von dem Darlehensvertrag in den gesetzlichen Bestimmungen des BSHG fanden. Denn eine ungerechtfertigte Bereicherung ist nur gegeben, wenn für eine Leistung objektiv kein rechtfertigender Grund vorliegt. Einen solchen rechtfertigenden Grund können aber auch die gesetzlichen Leistungsvorschriften des BSHG bilden.

Setzt der Anspruch auf Rückgewähr im Rahmen des BSHG gewährter Leistungen somit immer voraus, daß kein Leistungsanspruch nach dem BSHG bestand, so handelt es sich dabei stets um einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Inwieweit er durch Leistungsbescheid oder durch Klage geltend zu machen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Zuständig sind in jedem Falle die Verwaltungsgerichte. Dies ist auch sachgerecht; denn es geht hier nicht um die Abwicklung eines möglicherweise zivilrechtlichen Vertrages; im Mittelpunkt der Prüfung steht vielmehr die - auch sonst in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallende - Frage, ob die Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs nach dem BSHG gegeben sind. Dieser überwiegende Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs nötigt dazu, den Verwaltungsrechtsweg jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Problemkreis der ungerechtfertigenden Bereicherung - wie hier - mit dem der öffentlich-rechtlichen Ansprüche auf Gewährung von Sozialhilfe derart verbunden ist, daß eine getrennte Betrachtung dem Streitverhältnis nicht gerecht werden würde (so für den - umgekehrten - Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen aus Amtshaftung und - öffentlich-rechtlicher - culpa in contrahendo Senatsurteil BGHZ 43, 34, 40 f.).

Für dieses Ergebnis spricht überdies der Gesichtspunkt, daß auch für den Streit über eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers, (nur oder jedenfalls) ein Darlehen zu gewähren, die Verwaltungsgerichte zuständig sind, weil bei dieser Frage der Sozialhilfeträger zunächst durch Verwaltungsakt entscheidet (vgl. Oestreicher, a.a.O. § 15 b Rn. 6).

Der Gesichtspunkt, daß sich mitunter erst im Lauf eines Prozesses herausstellt, daß der geschlossene Darlehensvertrag unwirksam ist, und deshalb zu prüfen ist, ob die zu seiner Erfüllung geleisteten Zahlungen unmittelbar in den Vorschriften des Sozialhilfegesetzes ihren Rechtsgrund finden, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Es ist auch in anderen Zusammenhängen denkbar und kommt vor, daß eine Partei oder beide erst im Lauf eines Prozesses feststellen, daß im falschen Rechtsweg geklagt worden ist.

Mit dem Verhältnis von Ansprüchen aus Amtshaftung und culpa in contrahendo bei Anbahnung oder Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrages, für die der Senat bei engem Zusammenhang die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges angenommen hat (zuletzt Senatsurteil vom 3. Oktober 1985 - III ZR 60/84 = DVBl. 1986, 409), läßt das Verhältnis zwischen Vertragsanspruch und Bereicherungsanspruch sich nicht vergleichen. Umgekehrt ist hier das Verhältnis eher vergleichbar demjenigen zwischen Ansprüchen aus öffentlich-rechtlichem Vertrag und aus culpa in contrahendo, für die der Senat die Zulässigkeit einmal des Verwaltungsrechtsweges und im anderen Fall des ordentlichen Rechtsweges bejaht hat (Senatsurteil BGHZ 43, 34, 40 f.).

 

Unterschriften

Krohn

Boujong

Engelhardt

Halstenberg

Richter Dr. Rinne hat Urlaub und kann daher nicht unterschreiben. Krohn

 

Fundstellen

NJW 1988, 490

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge