Verfahrensgang
Gründe
a. ›Der Senat hat in seiner neueren Rechtspr. die Geltung des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB in bestimmten Haftungsbereichen eingeschränkt ... . Beginnend mit dem Urteil vom 27.1.1977 (BGHZ 68, 217 = DRsp I (147) 173 a ...) hat der Senat die Anwendung des Verweisungsprivilegs für Amtsträger verneint, die ohne Inanspruchnahme von Sonderrechten (§ 35 StVO) dienstlich am allgemeinen Straßenverkehr teilnehmen und schuldhaft einen Verkehrsunfall verursachen ... . Die Gleichheit der Rechte und Pflichten im Straßenverkehr, das Fehlen eines weitergehenden Rechtsgüterschutzes und einer erweiterten Haftung für alle Vermögensschäden bei der Amtshaftung in diesem Bereich und das Zurücktreten des ursprünglichen gesetzgeberischen Zwecks des Verweisungsprivilegs (Stärkung der Entschlußkraft des Beamten; Begrenzung des persönlichen Haftungsrisikos des Beamten in seiner besonderen Beziehung zum Bürger) erfordern es, daß sich die haftende Körperschaft nicht (mehr) auf die dem Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer widersprechende Vorschrift des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB berufen darf.
Mit dem Urteil vom 12.7.1979 (BGHZ 75, 134 = DRsp I (147) 185 c) hat der erk. Senat ausgesprochen, daß das Verweisungsprivileg auch dann entfällt, wenn ein Amtsträger durch Verletzung der ihm als hoheitliche Aufgabe obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht einen Verkehrsunfall schuldhaft verursacht. Er hat hierbei vor allem auf den engen Zusammenhang zwischen den Pflichten im allgemeinen Straßenverkehr und der Verkehrssicherungspflicht sowie auf die inhaltliche Übereinstimmung der öffentlich-rechtlich ausgestalteten Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit mit der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht abgestellt. ... Die genannten Grundsätze der Haftung für eine Verletzung der öffentlich-rechtlichen Straßenverkehrssicherungspflicht gelten auch zugunsten von Fußgängern, die durch den verkehrswidrigen Zustand der für Fußgänger bestimmten Teile einer öffentl. Straße Schaden erleiden (vgl. BGH, NJW 1981, 628 ...).
Die Grundsätze über den Wegfall des Verweisungsprivilegs im allgemeinen Straßenverkehr ... und bei der Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Straßenverkehrssicherungspflicht ... sind andererseits nicht anzuwenden, wenn die dem Amtsträger obliegenden Pflichten ihren Grund nicht in den allgemein gültigen Verhaltensregeln und Sorgfaltspflichten haben, die jeder zu beachten hat, der am Verkehr teilnimmt, sondern durch Amtspflichten geprägt sind, die ausschließlich dem hoheitlichen Pflichtenkreis entlehnt sind, alle Merkmale hoheitlichen Handelns aufweisen und sich aus diesem Bereich auch nicht ausgliedern lassen (vgl. BGHZ 85, 225 = DRsp I (147) 202 b ...). In solchen Fällen fehlt es an dem tragenden Grund dafür, das Verweisungsprivileg entfallen zu lassen, nämlich an der inhaltlichen Übereinstimmung der Rechte und Pflichten des Amtsinhabers mit denen aller übrigen Teilnehmer am allgemeinen Straßenverkehr (so für die Inanspruchnahme von Sonderrechten nach § 35 StVO: BGHZ 85, 225 und 113, 164 = DRsp I (147) 202 b und 263 a) bzw. an der Deckungsgleichheit der dem Amtsträger als hoheitliche Aufgabe obliegenden Pflichten mit der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, die jedermann trifft, sofern er nur einen Verkehr eröffnet. Für die Anwendung des Grundsatzes der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung ist dann kaum Raum.
b. Im Streitfall sind die Grundsätze über den Wegfall des Verweisungsprivilegs anzuwenden, auch wenn es nicht um die (eigentliche) Durchführung der Räum- und Streupflicht geht, die die bekl. Gemeinde wirksam auf die Anlieger übertragen hat, sondern (nur) um die trotz der Übertragung bei der Bekl. verbliebene Pflicht, die Einhaltung der Räum- und Streupflicht durch die Anlieger zu überwachen und erforderlichenfalls zu erzwingen. Diese Kontroll- und Überwachungspflicht bildet nur einen Teil der an sich - ohne Übertragung auf die Anlieger - der Gemeinde obliegenden Räum- und Streupflicht, die inhaltlich jedenfalls hinsichtlich der Verkehrssicherung, um die es hier geht, der Räum- und Streupflicht entspricht, wie sie aus der allgemeinen Straßenverkehrssicherungspflicht abgeleitet wird. Auch insoweit verbleibt es deshalb bei der Nichtanwendbarkeit des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. Eine unterschiedliche Behandlung ist nicht veranlaßt.‹
Vgl. auch KG (Urteil - 12 U 202/91 - v. 16.12.1991, in VersR 1992, 1129), das im Sinne der BGH-Rechtsprechung zum fortbestehenden Verweisungsprivileg in Fällen der Inanspruchnahme von Sonderrechten im Straßenverkehr betont, daß sich dieses Privileg nicht auf einen - selbständig neben der Amtshaftung als Verschuldenshaftung stehenden - Anspruch aus § 7 StVG auswirkt (Auswirkung insbesondere auf Schmerzensgeldanspruch).
Fundstellen
Haufe-Index 3017214 |
BGHZ 118, 368 |
BGHZ, 368 |
NJW 1992, 2476 |
LM H. 12/92 § 839 [E] BGB Nr. 52 |
BGHR BGB § 209 Abs. 1 Klageerhebung 4 |
BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 2 Abfindungsvergleich 1 |
BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 2 Straßenverkehr 2 |
BGHR Nds LStrG § 10 Abs. 1 Hoheitliche Tätigkeit 2 |
BGHR ZPO § 270 Abs. 3 Verjährungsunterbrechung 2 |
DRsp I(147)275a-b |
NJW-RR 1992, 1304 |
NVwZ 1992, 1018 |
DAR 1992, 371 |
MDR 1992, 1032 |
NZV 1992, 357 |
VRS 83, 248 |
VersR 1992, 1399 |
BRS 1993, 261 |
BRS 53 Nr. 88 |
UPR 1992, 434 |