Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Urteil vom 07.11.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 7. November 2002, soweit es die Verurteilung des Angeklagten T.betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den einzelnen Heroinverkäufen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
2. Die Revision des Angeklagten wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten T. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist; wegen weiterer Vorwürfe hat es ihn freigesprochen. Gegen den verurteilenden Teil der Entscheidung haben sowohl der Angeklagte wie auch zu dessen Ungunsten die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Letztere beanstandet mit der Sachrüge insbesondere die Annahme von Beihilfe statt Mittäterschaft; der Angeklagte hat die Sachrüge nicht näher ausgeführt. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung der Verurteilung; jedoch bleiben die Feststellungen zu den einzelnen Heroinverkäufen des Angeklagten aufrechterhalten. Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
Nach den Feststellungen hatte der Mitangeklagte L. eine größere Menge Heroin erworben, gestreckt und in Verkaufseinheiten („Packs”) zu 2,5 bzw. 5 Gramm verpackt, um diese zu Preisen von 60 bzw. 120 EUR zu verkaufen. Er bewahrte sie in einem Tresor, einzelne auch in einem Briefumschlag, in einem von ihm betriebenen Kiosk auf. In diesem beschäftigte er den arbeitslos gemeldeten Angeklagten T. gegen ein mit 30 EUR täglich angegebenes Entgelt bei einer Arbeitszeit von werktäglich von 6.00 bis 22.00 Uhr (jedoch montags nur vormittags). Der Mitangeklagte L. war meist nur am Vormittag anwesend; in den übrigen Zeiten führte der Angeklagte T. den Kiosk selbständig und war auch für den Verkauf der „Packs” zuständig. Er hatte einen eigenen Schlüssel für den Tresor und ungehinderten Zugang zu dem Heroinvorrat. In 17 Fällen entnahm er in Abwesenheit des Inhabers „Packs” dem Vorrat und verkaufte sie an Interessenten. Den Kaufpreis leitete er an den Mitangeklagten L. weiter. Bei diesem hat die Strafkammer eine Bewertungseinheit zwischen dem Erwerb der Gesamtmenge und den einzelnen Abverkäufen angenommen und ihn wegen eines Falls des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen hat es beim Angeklagten T. nur dessen eigene Verkaufstätigkeit zugrunde gelegt und eine mittäterschaftliche Beteiligung verneint, weil dieser kein eigenes Interesse am Taterfolg – etwa in Form einer finanziellen Beteiligung – und auch sonst nur eine untergeordnete Stellung gehabt habe; seine Handlungen hat es als 17 selbständige Taten der Beihilfe zum Handeltreiben nach § 29 Abs. 1 BtMG abgeurteilt.
I. Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die für die Wertung als Beihilfe anstatt Mittäterschaft wesentliche Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte sei an den einzelnen Verkaufsgeschäften finanziell nicht beteiligt worden, läßt eine ausreichende Tatsachengrundlage und eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den gegen eine solche Annahme sprechenden Umständen vermissen.
a) Daß der Angeklagte T. für den Heroinverkauf keine gesonderte finanzielle Beteiligung erhalten habe, wird in dem angefochtenen Urteil erstmals im Rahmen der rechtlichen Würdigung erwähnt. Es findet sich weder bei der Sachverhaltsschilderung eine entsprechende Feststellung, noch geht die Beweiswürdigung auf diese Frage ein. Damit bleibt unklar, wie das Landgericht zu seiner Annahme kommt. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe. Der Mitangeklagte L. hatte zur Tatbeteiligung des Angeklagten T. keine Angaben gemacht. Dieser selbst hat eine Verkaufstätigkeit abgestritten und erklärt, lediglich einmal für L. ein verschlossenes Kuvert mit einem ihm unbekannten Inhalt herausgegeben, 60 EUR in Empfang genommen und an diesen weitergeleitet zu haben. Diese Einlassung hat das Landgericht ohne Rechtsfehler nicht geglaubt und als Schutzbehauptung gewertet. Wenn der Angeklagte T. bei dieser unwahren Einlassung für die einmalige Weitergabe eines Kuverts gegen einen Geldbetrag keine besondere Gewinnbeteiligung erwähnt, rechtfertigt dies noch nicht den Schluß, er habe auch für die festgestellten 17 Fälle des Heroinverkaufs innerhalb des Zeitraums von etwa vier Monaten keinen Gewinnanteil erhalten. Auch die Angabe des – einen Heroinhandel bestreitenden – Angeklagten T., er habe für seine Tätigkeit in dem Kiosk täglich 30 EUR erhalten, besagt nicht, daß damit auch der mit einem hohen strafrechtlichen Risiko behaftete Heroinverkauf abgegolten und daneben nicht eine zusätzliche Beteiligung aus erzieltem Gewinn gewährt worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß diese Einlassung ohnehin nur schwer nachvollziehbar ist; denn bei der angegebenen Arbeitszeit von meist täglich 16 Stunden ergäbe sich lediglich ein Stundenlohn von weniger als zwei Euro.
b) Die Strafkammer wäre bei einer solchen Sachlage, bei der sich die Beteiligten zur Gewinnverteilung nicht geäußert haben, gehalten gewesen, sich unter beweiswürdigender Bewertung der festgestellten Tatumstände eine Überzeugung zu verschaffen, ob der Angeklagte T. eine Gewinnbeteiligung erhalten hat oder nicht. In diese Erwägung wäre hier einzubeziehen gewesen, daß es ausgesprochen fern liegt, ein Tatbeteiligter könnte in einer solchen Situation ohne Gewinnbeteiligung über mehrere Monate in zahlreichen Fällen Heroin gegen Entgelt an Konsumenten abgeben, obgleich er hierdurch ein ganz erhebliches strafrechtliches Risiko eingeht. Ferner wäre zu erörtern gewesen, daß bei der Durchsuchung des Kioskes in der Geldbörse des Angeklagten T. ein auffallend hoher Geldbetrag von 770 EUR und im Tresor ein ihm gehörendes, aber auf den Namen des L. ausgestelltes Sparbuch mit einem Guthaben von 4.500 EUR gefunden wurden, was angesichts der festgestellten Einkommenssituation ein gewichtiges Indiz dafür darstellen könnte, daß es sich um Erlöse aus dem Heroinverkauf handelte. Erst wenn die Strafkammer eine solche Beweiswürdigung angestellt hätte, ohne sich eine Überzeugung verschaffen zu können, wäre Raum für die Anwendung des Zweifelssatzes gewesen.
Auf diesen Mängeln beruht das Urteil. Der Senat kann nicht nachvollziehen, wie die Strafkammer zu ihrer Auffassung von einer fehlenden Gewinnbeteiligung gelangt ist, und daher auch nicht ausschließen, daß sie bei vollständiger Würdigung der maßgeblichen Umstände zu einer anderen Beurteilung und damit zur Annahme von Mittäterschaft gelangt wäre.
2. Das Landgericht hat darüber hinaus die Tat, die Gegenstand der Urteilsfindung ist, nicht erschöpfend gewürdigt, weil sie die Aburteilung auf die in den 17 Einzelfällen vom Angeklagten T. verkaufte Teilmenge von insgesamt 60 Gramm Heroingemisch beschränkt und nicht geprüft hat, ob dieser nicht gemeinsam mit L. die Gesamtmenge von über 600 Gramm zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorrätig gehalten und damit Besitz an ihr hatte.
a) Nach den Feststellungen wurde die von L. bezogene, sodann gestreckte und portionierte Gesamtmenge im Tresor und zum Teil versteckt in den Briefunterlagen des Kioskes aufbewahrt. Aus diesem Vorrat heraus erfolgten die Einzelverkäufe von insgesamt 115 Gramm durch L. und den Angeklagten T.. Eine Menge von 515,188 Gramm teils verkaufsfertigen, teils noch nicht gestreckten Heroins wurde dort bei einer Durchsuchung am 27. März 2002 sichergestellt. Beide Beteiligte hatten einen eigenen Schlüssel zum Tresor und auch ungehinderten Zugang zu dem Briefversteck. Da der Angeklagte T. während der – überwiegenden – Abwesenheitszeiten des Inhabers L. alleine den Kiosk führte, somit für die sichere Verwahrung verantwortlich und auch mit dem Verkauf von Heroinpacks an Interessenten beauftragt war, liegt die Annahme von Mitbesitz auf der Hand. Daß er die tatsächliche Verfügungsgewalt für einen anderen, nämlich L., ausüben wollte (Fremdbesitz), steht dem nicht entgegen (vgl. Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 840 m. w. N.).
b) Der Besitz von Betäubungsmitteln, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf vorrätig gehalten werden, erfüllt den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln bezogen auf die Gesamtmenge (BGH StV 1994, 658). Zu einer solchen Tat gehören dann als unselbständige Teilakte alle späteren Betätigungen, die auf den Vertrieb desselben Heroins gerichtet sind (Bewertungseinheit, BGH aaO). An dieser Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge war der Angeklagte T. je nach seinem Eigennutz und den sonstigen Tatumständen, die für die Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe maßgeblich sind, als Mittäter oder Gehilfe beteiligt.
3. Diese Mängel führen auf die Revision der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung des Urteils zum Nachteil des Angeklagten. Die Feststellungen zu den Einzelverkäufen, auch soweit sie von L. vorgenommen worden waren, sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und konnten deshalb aufrechterhalten werden.
Entscheidungsgründe
II. Revision des Angeklagten:
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Dies gilt auch, soweit das Landgericht bei ihm 17 selbständige Taten der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 BtMG angenommen hat, obgleich es den Haupttäter nach den Grundsätzen der Bewertungseinheit wegen eines Verbrechens des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG verurteilt hat.
1. Geht man von den Feststellungen der Strafkammer aus und läßt außer Betracht, daß der Angeklagte T. Mitbesitz an der von L. erworbenen Gesamtmenge hatte, erscheint die Annahme 17 selbständiger Beihilfehandlungen nicht rechtsfehlerhaft. Zwar stellen mehrere Handlungen, mit denen nur eine Tat unterstützt wird, in der Regel rechtlich nur eine Beihilfetat dar, da sich das Unrecht des Gehilfen nur aus dem Unrecht der Rechtsgutverletzung der Haupttat ableiten läßt (Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. vor §§ 52 ff. Rdn. 58; Roxin in LK 11. Aufl. § 27 Rdn. 54 f.). Hier ist allerdings die Besonderheit gegeben, daß beim Haupttäter L. – zu Recht – nur deswegen eine Tat angenommen worden ist, weil seine tatbestandlichen Handlungen, insbesondere die Einzelverkäufe an Endabnehmer, durch den Einkauf der Gesamtmenge zu einer Bewertungseinheit zusammengefaßt worden sind. Bei dieser Rechtsfigur werden somit mehrere natürliche, jeweils den Tatbestand erfüllenden Handlungen als eine rechtliche Handlung bewertet und abgeurteilt (vgl. Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. vor §§ 52 ff. Rdn. 23). Fördert der Gehilfe nur einzelne dieser Handlungen (wie hier einige Verkaufsfälle) und nicht auch diejenigen Handlungen, die zur Zusammenfassung als Bewertungseinheit führen (wie hier etwa den Einkauf), erscheint es dem Senat sachgerecht, den Grundsatz, wonach bei mehreren Beteiligten für jeden nach der Art seines Tatbeitrags selbständig zu ermitteln ist, ob Handlungseinheit oder -mehrheit gegeben ist (st. Rspr., vgl. BGHR StGB § 52 Abs. 1 Handlung, dieselbe 29 m. w. N.) auch im Bereich der Rechtsfigur der Bewertungseinheit anzuwenden (aA, jedoch nicht tragend BGH NStZ 1999, 451; vgl. zur ähnlichen Problematik bei der früheren fortgesetzten Handlung Roxin aaO Rdn. 56, der in solchen Fällen eine mehrfache Beteiligung an einem mehraktigen Rechtsgutsangriff sieht). Diese Lösung hätte auch den Vorzug, daß sie nicht abhängig von der Bewertung der Einzelverkäufe als täterschaftlich oder in der Rolle des Gehilfen begangen unterschiedliche konkurrenzrechtliche Konsequenzen hätte.
2. Diese Frage braucht hier jedoch nicht abschließend entschieden zu werden, da der Angeklagte T. durch das gemeinsame Vorrätighalten – wie ausgeführt – an einer auf die Gesamtmenge bezogenen Handlung beteiligt war und deshalb auch in seiner Person, sei er Gehilfe oder Mittäter gewesen, die Grundsätze der Bewertungseinheit zur Anwendung kommen. Da dies zu einer Verurteilung wegen eines Verbrechens des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in bezug auf mindestens 600 Gramm Heroin führen würde, ist er durch die Annahme von 17 Einzelfällen des Verkaufs von insgesamt nur 60 Gramm keinesfalls beschwert.
III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Der neue Tatrichter wird nach den aufgezeigten Maßstäben zunächst zu klären haben, ob der Angeklagte neben der angegebenen Entlohnung von lediglich täglich 30 EUR für die Kioskbetreuung eine Gewinnbeteiligung für den Verkauf der Heroinpacks erhalten hat.
Andernfalls wird zu prüfen sein, ob der Angeklagte den Verkauf von Heroin im Hinblick auf die Beschäftigung in dem Kiosk und die damit verbundene (illegale?) Möglichkeit, zusätzlich zum Arbeitslosengeld Einkünfte zu erzielen, vorgenommen hat, worin ebenfalls Eigennützigkeit liegen könnte.
Wenn festgestellt werden kann, daß der Angeklagte eigennützig gehandelt hat, wird nach allgemeinen Abgrenzungskriterien zu entscheiden sein, ob der Angeklagte in bezug auf das Handeltreiben Mittäter oder nur Gehilfe des L. gewesen ist. Dabei können wesentliche Anhaltspunkte sein der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft, so daß die Durchführung der Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhängt, oder ob nur eine ganz untergeordnete Tätigkeit vorliegt (st. Rspr., vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 54, 56, 57, 58 m. w. N.). Dabei wird – über die im angefochtenen Urteil getroffenen Überlegungen hinaus – zu berücksichtigen sein, daß der Angeklagte T. nicht nur ein untergeordneter „Verkaufsangestellter” war, sondern als Freund und langjähriger Buchhalter des L. ersichtlich eine Vertrauensstellung innehatte, die sich in dem freien Zugang zu dem Tresor des L. zeigte, in dem der Heroinvorrat und nicht unerhebliches Vermögen lagerte. Daß der Angeklagte die ihm angelasteten Verkäufe in den – überwiegenden – Abwesenheitszeiten des L. allein und selbständig ohne Einzelfallweisung vorgenommen hatte, könnte ebenfalls für eine vorhandene Tatherrschaft sprechen.
Sollte der neue Tatrichter hierbei zum Ergebnis kommen, daß der Angeklagte T. zum Handeltreiben nur Beihilfe geleistet hat, kommt eine tateinheitliche Verurteilung wegen täterschaftlichem Besitz einer nicht geringen Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in Betracht. Dieser Tatbestand wird von dem der Beihilfe zum Handeltreiben in nicht geringer Menge schon deswegen nicht verdrängt, weil er den vollen Strafrahmen des § 29 a Abs. 1 BtMG eröffnet (vgl. BGHR BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2 Besitz 1).
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, Winkler, von Lienen, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2557939 |
StraFo 2004, 144 |