Leitsatz (amtlich)
Sind Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis einer Schiedsvereinbarung unterstellt, dann schließt dies grundsätzlich neben der ordentlichen Klage auch den gewöhnlichen Urkundenprozess vor dem staatlichen Gericht aus (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 28.10.1993 - III ZR 175/92, MDR 1994, 509 = NJW 1994, 136).
Normenkette
ZPO § 1032 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 25.08.2005; Aktenzeichen 5 U 86/05) |
LG Hannover (Urteil vom 12.04.2005; Aktenzeichen 24 O 143/04) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Celle vom 25.8.2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht von der Beklagten restliche Vergütung für die Verlegung von Kabeln vor der Küste von M.
Die Parteien haben in Nr. 31 ihres in englischer Sprache abgefassten Vertrages vom 10./12.9.2001 die Geltung deutschen Rechts und, dass die deutschen Gerichte "nicht ausschließlich" zuständig sein sollen, vereinbart. Nr. 35.2 des Vertrages enthält ferner eine Schiedsklausel.
Die Klägerin fordert im Urkundenprozess Zahlung von 58.057,06 EUR nebst Zinsen. Die Beklagte hat die Einrede der Schiedsvereinbarung erhoben.
Das LG hat abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage angeordnet; es hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Die Klage sei unzulässig, weil nicht das staatliche Gericht, sondern das Schiedsgericht zuständig sei. Die Parteien hätten in dem nach deutschem Recht zu beurteilenden Vertrag eine wirksame Schiedsvereinbarung getroffen, die der Klage im Urkundenprozess entgegengehalten werden könne.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung stand.
Die Klage ist gem. § 1032 Abs. 1 ZPO als unzulässig abzuweisen, weil sie in einer Angelegenheit erhoben worden ist, die Gegenstand einer Schiedsvereinbarung ist und die Beklagte dies vor Beginn der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache gerügt hat.
1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Parteien in Nr. 35.2 des Vertrages vom 10./12.9.2001, wo es laut der von der Klägerin vorgelegten Übersetzung heißt:
"Falls es den Parteien nicht gelingt, solche Streitigkeiten oder Differenzen beizulegen, wird die Angelegenheit entsprechend den Richtlinien des Schiedsgerichtshofs der Internationalen Handelskammer einem Schiedsgericht vorgetragen. Ort des Schiedsgerichts ist G./Schweiz und die Schiedsgerichtsverhandlungen sind in englischer Sprache zu führen."
eine Schiedsvereinbarung getroffen (§ 1029 Abs. 2 Alt. 2 ZPO). Das zieht die Revision nicht in Zweifel. Sie rügt, die vorgenannte Schiedsvereinbarung sei unwirksam, weil sie in unauflösbarem Widerspruch zu Nr. 31 des Vertrags stehe; Letztere lautet in der von der Klägerin vorgelegten Übersetzung:
"Dieser Vertrag unterliegt deutschem Recht und wird entsprechend den deutschen Gesetzen erstellt wie er auch der nicht ausschließlichen ≪ODER: EINFACHEN≫ Zuständigkeit der deutschen Gerichte unterliegt."
a) Das Berufungsgericht hat - auf der Grundlage der von der Klägerin vorgelegten Übersetzungen - einen Widerspruch zwischen den vorgenannten Klauseln nicht gesehen; sie seien nebeneinander anwendbar. Trotz der Schiedsgerichtsklausel (Nr. 35.2 des Vertrags) habe es Sinn gemacht, die Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu vereinbaren, etwa für den Fall, dass die Beklagte die Schiedseinrede nicht oder nicht rechtzeitig erhoben habe. Aus der Vereinbarung, deutsches Recht solle gelten (Nr. 31 des Vertrages), ergebe sich auch, dass der Streit um die Zulässigkeit - einer Klage vor dem staatlichen Gericht oder einer Schiedsklage - vor den deutschen Gerichten auszutragen sei. Im Übrigen habe die Vereinbarung deutschen Rechts Bedeutung für die materiell-rechtliche Ausgestaltung des Vertrags.
b) Diese Auslegung des Vertrags vom 10./12.9.2001 kann im Revisionsrechtszug nur darauf überprüft werden, ob gegen Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze verstoßen worden ist oder gesetzliche Vorschriften nicht beachtet worden sind (BGH, Beschl. v. 29.3.1990 - III ZR 158/89, BGHR ZPO § 1025 Schiedsvereinbarung 1; BGHZ 24, 15 [19]). Das ist indes nicht der Fall.
Die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach sich die beiden Klauseln nicht widersprechen sondern ergänzen, ist möglich. Ungeachtet der Schiedsvereinbarung bleiben die staatlichen Gerichte - nach dem unstreitig maßgeblichen deutschen Recht - u.a. zuständig für die Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1032 Abs. 2 ZPO), für die Entscheidung über einen die Zuständigkeit betreffenden Zwischenentscheid des Schiedsgerichts (§ 1040 Abs. 3 Satz 1 und 2 ZPO) oder für die Anordnung vorläufiger oder sichernder Maßnahmen (§ 1033 ZPO). Es liegt nahe, die Bestimmung der "nicht ausschließlichen" oder "einfachen" Zuständigkeit der deutschen Gerichte (Nr. 31 des Vertrags) - im Zusammenhang mit der Schiedsklausel (Nr. 35.2 des Vertrags) - so zu verstehen, dass sie die den staatlichen Gerichten verbleibenden Zuständigkeiten betrifft. Für eine, die Zuständigkeit des Schiedsgerichts überhaupt in Frage stellende Vereinbarung einer alternativen Zuständigkeit von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit, wie sie von der Revision angenommen wird, besteht kein Anhalt.
Mit dem vorbeschriebenen "Nebeneinander" von Schiedsgericht und staatlichem Gericht steht entgegen der Auffassung der Revision ferner in Einklang, dass - vereinbarungsgemäß - das Schiedsgericht den Richtlinien der Internationalen Handelskammer unterliegt (vgl. § 1042 Abs. 3 ZPO) und im Schiedsverfahren Englisch die Verhandlungssprache ist (Nr. 35.2 des Vertrags, vgl. § 1045 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das - ausnahmsweise zuständige - staatliche Gericht aber nach der Zivilprozessordnung und § 184 GVG verfährt.
2. Die von der Klägerin auf den Vertrag vom 10./12.9.2001 und verschiedene, von der Beklagten angeblich anerkannte Nachträge gestützte Restwerklohnforderung selbst ist unstreitig in die - weit gefasste (Nr. 35.2 Satz 1 des Vertrags: "Falls es den Parteien nicht gelingt, solche Streitigkeiten oder Differenzen ≪D.H. SOLCHE AUFGRUND DES VERTRAGS, VGL. NR. 35.1 DES VERTRAGS≫ beizulegen, ...") - Schiedsvereinbarung einbezogen. Zu Recht hat das Berufungsgericht durch die Schiedsklausel auch den Urkundenprozess (§§ 592 ff. ZPO) für abbedungen angesehen.
a) Zum Wechselprozess (§§ 602 ff. ZPO), einem Unterfall des Urkundenprozesses, hat der Senat (BGH, Urt. v. 28.10.1993 - III ZR 175/92, MDR 1994, 509 = NJW 1994, 136, m.w.N.; Czempiel/Kurth, NJW 1987, 2118 [2120 ff.]) entschieden, dass bei einer umfassenden Schiedsklausel, die alle Streitigkeiten aus dem abgeschlossenen Geschäft einem Schiedsgericht zuweist, Ansprüche aus Wechseln, die im Zusammenhang mit dem Geschäft begeben wurden, grundsätzlich in die Schiedsvereinbarung einbezogen sind. Das bedeute allerdings nicht, dass dem Kläger der Wechselprozess vor dem staatlichen Gericht mit der Möglichkeit, schnell zu einem Vollstreckungstitel zu gelangen, verschlossen sei. Der Wechselgläubiger habe sich im Regelfall ungeachtet der vereinbarten Schiedsklausel das Recht auf ein Vorgehen im Wechselprozess - jedenfalls im Urkundenverfahren - vorbehalten; die Schiedseinrede sei erst im Nachverfahren erheblich (BGH, Urt. v. 28.10.1993 - III ZR 175/92, MDR 1994, 509 = NJW 1994, 136 [137]). Insoweit liege es ähnlich wie bei den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Arrest und einstweilige Verfügung, §§ 916 ff. ZPO); die Schiedsvereinbarung stehe vorläufigen oder sichernden Maßnahmen des staatlichen Gerichts in Bezug auf den Streitgegenstand des in Aussicht genommenen oder bereits begonnenen schiedsrichterlichen Verfahrens nicht entgegen (BGH, Urt. v. 28.10.1993 - III ZR 175/92, MDR 1994, 509 = NJW 1994, 136 f., zum alten Recht; § 1033 ZPO n.F.; Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts BT-Drucks. 13/5274, 38 f.).
b) Die dargestellten Grundsätze zum Wechselprozess können nicht, wie die Revision meint, auf den (gewöhnlichen) Urkundenprozess übertragen werden. Sind Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis einer Schiedsvereinbarung unterstellt, dann schließt dies grundsätzlich die ordentliche Klage und den Urkundenprozess (§§ 592 ff. ZPO) vor dem staatlichen Gericht aus (OLG Köln v. 9.11.2000 - 18 U 83/00, OLGReport Köln 2001, 227 [228]; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 1029 Rz. 23, a.E., § 1032 Rz. 6; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl. 2005, Vor § 592 Rz. 3; Musielak/Voit, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 592 Rz. 15; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl. 2005, Vorb. § 592 Rz. 2, § 1032 Rz. 1; Wolf, DB 1999, 1101 [1104]; Münch in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2001, § 1032 Rz. 6; Braun in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. 2000, § 597 Rz. 2a; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 7 Rz. 16a; a.A. OLG Düsseldorf v. 4.5.1995 - 6 U 175/94, OLGReport Düsseldorf 1995, 198 [199]; Urt. v. 26.4.1996 - 22 U 1/96, OLGReport Düsseldorf 1998, 225 [226 f.]; OLG Bamberg v. 19.5.2004 - 3 U 37/03, OLGReport Bamberg 2005, 79 [80]; offen geblieben in dem die erst im Nachverfahren eines Urkundenprozesses erhobene Schiedseinrede betreffenden BGH, Urt. v. 4.10.2001 - III ZR 281/00, BGHReport 2002, 175 = NJW-RR 2002, 387).
Dass wechsel- und scheckrechtliche Ansprüche in einem beschleunigten und vereinfachten Verfahren (vgl. §§ 602 ff. ZPO) durchgesetzt werden können, hat seinen Grund darin, dass im Geschäftsverkehr Wechsel und Scheck den Zahlungsmitteln weitgehend gleichgestellt werden. Die Möglichkeit eines Wechsel- oder Scheckprozesses ist gerade einer der Hauptvorteile, die ein Wechsel oder Scheck bietet (BGH, Urt. v. 28.10.1993 - III ZR 175/92, MDR 1994, 509 = NJW 1994, 136; Wolf, DB 1999, 1101 [1104]). Ist die rasche Durchsetzbarkeit aber von so zentraler Bedeutung für Wechsel und Scheck, kann in der Regel nicht angenommen werden, dass eine Schiedsvereinbarung nicht nur die gewöhnliche Klage zum staatlichen Gericht, sondern weiter den Wechsel- und Scheckprozess ausschließen sollte. Beim gewöhnlichen Urkundenprozess liegt es anders: Zwar findet dort wie im Wechsel- und Scheckprozess eine Beschränkung auf liquide Beweismittel statt und ist die Widerklage ausgeschlossen (vgl. § 595 ZPO). Der gewöhnliche Urkundenprozess ist indes nicht von den besonderen Bedürfnissen des Zahlungsverkehrs geprägt (Wolf, DB 1999, 1101 [1104]). Er ist im Gegensatz zum Wechsel- und Scheckprozess (vgl. §§ 602, 605a ZPO) nicht auf bestimmte Ansprüche, nämlich auf Ansprüche aus Wechseln oder Schecks, beschränkt. Die Möglichkeit einer - der Wirkung des Wechsels oder Schecks wie Bargeldzahlung geschuldeten (OLG Köln v. 9.11.2000 - 18 U 83/00, OLGReport Köln 2001, 227 [228]; Wolf, DB 1999, 1101 [1104]) - außerordentlichen Beschleunigung des Verfahrens durch die Verkürzung der Ladungsfrist auf eine (Mindest-)Frist von 24 Stunden (vgl. § 604 Abs. 2 Satz 1 ZPO) kennt der gewöhnliche Urkundenprozess nicht. Steht aber der Urkundenprozess ungeachtet gewisser Besonderheiten dem ordentlichen Klageverfahren doch recht nahe, muss regelmäßig davon ausgegangen werden, dass eine schiedsvertragliche Zuständigkeitsverlagerung vom staatlichen Gericht zum Schiedsgericht auch für die Klage im Urkundenprozess (§ 592 ZPO) gilt. Andernfalls, d.h. wenn die Schiedseinrede der Urkundenklage grundsätzlich nicht entgegengesetzt werden könnte, bestünde zudem die Gefahr, dass Schiedsvereinbarungen ohne weiteres unterlaufen werden könnten; die "schiedsunwillige" Partei müsste nur einen Urkundenprozess anstrengen.
c) Das Berufungsgericht hat besondere Anhaltspunkte, dass die Parteien Klagen im Urkundenprozess von der Schiedsklausel hätten ausnehmen wollen, nicht festzustellen vermocht. Die Schiedseinrede greift mithin durch.
Fundstellen
BGHZ 2006, 376 |
NJW 2006, 779 |
BGHR 2006, 523 |
BauR 2006, 1020 |
EBE/BGH 2006, 58 |
EWiR 2006, 607 |
IBR 2006, 236 |
JR 2007, 69 |
WM 2006, 934 |
ZAP 2006, 312 |
JuS 2006, 566 |
MDR 2006, 646 |
SchiedsVZ 2006, 101 |